Migräne ist mehr als nur Kopfschmerz. Es handelt sich um eine schwere neurologische Störung, die das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen kann. Neben den typischen Kopfschmerzen, die oft als einseitig, stechend, hämmernd oder pulsierend beschrieben werden, können auch andere Symptome auftreten. Dazu gehören Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit sowie in einigen Fällen auch neurologische Ausfälle wie Taubheitsgefühle. Besonders das Auftreten von Taubheitsgefühlen in den Fingern im Zusammenhang mit Migräne wirft Fragen nach den Ursachen und Zusammenhängen auf.
Was ist Migräne?
Migräne ist eine neurologische Erkrankung, von der etwa 12 % der deutschen Bevölkerung betroffen sind. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, was auf hormonelle Einflüsse zurückgeführt wird. Die Erkrankung ist durch wiederkehrende Kopfschmerzattacken gekennzeichnet, die von verschiedenen Begleitsymptomen begleitet sein können.
Eine Migräne lässt sich meist in drei bis vier Phasen einteilen:
- Prodromalphase (Vorboten): Verschiedene Anzeichen können eine Migräneattacke ankündigen. Dazu gehören Stimmungsschwankungen (Depression, Reizbarkeit oder Aufregung), Heißhunger (z. B. auf Schokolade), Nackenschmerzen, häufiges Urinieren und übermäßiges Gähnen.
- Aura: Bei etwa 10 bis 15 % der Patienten tritt vor der Kopfschmerzphase eine Aura auf. Diese besteht meist aus Sehstörungen (z. B. Lichtblitze, Zickzacklinien, blinde Flecken), kann aber auch sensible Störungen (Taubheit, Kribbeln) oder Sprachstörungen umfassen.
- Kopfschmerzphase: Der Kopfschmerz wird meist als mittel bis stark, pulsierend, pochend oder stechend empfunden. Er beginnt in der Regel einseitig und kann sich auf Stirn, Schläfe und Augenbereich ausbreiten.
- Postdromalphase: Nach der Kopfschmerzphase können Symptome wie Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Schwäche, Schwindel und Energielosigkeit auftreten.
Man unterscheidet zwei Hauptformen der Migräne:
- Migräne mit Aura: Hier treten vor der Kopfschmerzphase neurologische Symptome (Aura) auf.
- Migräne ohne Aura: Bei dieser Form fehlen die Aura-Symptome.
Migräne mit Aura: Ein Phänomen im Fokus
Die "Aura" ist ein Phänomen, das Mediziner nach Aurora, der römischen Göttin der Morgenröte, benennen. Denn ähnlich wie die aufsteigende Sonne den Tag einleitet, kündigen Wahrnehmungsstörungen die bevorstehende Kopfschmerzphase an. Menschen, die von Migräne mit Aura betroffen sind, können während der Attacken an diversen Seh-, Gefühls- und Sprachstörungen leiden. Manche entwickeln gar das Alice-im-Wunderland-Syndrom, welches durch eine verzerrte Wahrnehmung geprägt ist. Bei den Wahrnehmungsstörungen erscheinen den Betroffenen beispielsweise der eigene Körper ganz klein und der umgebende Raum riesengroß. Auch Halluzinationen und Orientierungsverlust können auftreten. Der Name des Syndroms leitet sich von dem gleichnamigen Kinderbuch ab, in dem das Mädchen Alice unter anderem abwechselnd schrumpft und wieder wächst. Wahrscheinlich liegen dem Syndrom organische oder funktionelle Veränderungen in einem bestimmten Bereich des Gehirns zugrunde, dem Temporallappen. Das ist aber noch nicht endgültig erforscht.
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Unter einer Migräne-Aura ist eine anfallsartige neurologische Störung zu verstehen, die sich vor allem in Sehbeschwerden äußert und normalerweise zwischen 5 und 60 Minuten andauert. Folgen mehrere Aura-Symptome aufeinander, kann sich die Dauer auch verlängern. Innerhalb einer Stunde nach Beginn der Aura setzen gewöhnlich die Kopfschmerzen ein.
Bei Migräne mit Aura sind die Symptome visuelle, sensible und sprachliche (aphasische) Störungen. Bei fast allen Migränepatienten (99 Prozent) mit Aura kommt es zu Sehstörungen. Die Migräne kann beispielsweise folgende Bildstörungen auslösen:
- Skotom (Sehkraft lässt innerhalb eines Gesichtsfeldes nach oder fällt komplett aus)
- blendende Kreise oder Vierecke (die sich immer weiter ausbreiten)
- Zickzacklinien
- Blitzlichter
- Sternschnuppen
Die Sehstörungen treten unabhängig davon auf, ob die Augen offen oder geschlossen sind. In der Regel bilden sie sich innerhalb von einer Stunde wieder zurück. Bei 30 bis 54 Prozent der Betroffenen treten außerdem Gefühlsstörungen auf. Migränepatienten mit Aura berichten beispielsweise von einem Kribbel- oder Taubheitsgefühl in Händen, Armen oder Wangen. Seltener (in 9 bis 31 Prozent der Fälle) sind auch Sprachstörungen möglich. Diese äußern sich zum Beispiel dadurch, dass die Aussprache und/oder die richtige Verwendung von Worten beeinträchtigt ist.
Atypische Migräne-Aura
Von der typischen Migräne-Aura werden atypische Auren unterschieden. Darunter fällt die Migräne mit Hirnstammaura. Betroffene leiden an Hirnstammsymptomen wie Drehschwindel, Tinnitus, Doppelbildern oder Bewusstseinsstörungen.
Eine hemiplegische Migräne diagnostizieren Ärzte, wenn die Aura mit motorischen Störungen wie einer halbseitigen Lähmung einhergeht. Die motorischen Symptome können länger andauern als andere Aura-Symptome, sie bilden sich aber innerhalb von 72 Stunden ebenfalls wieder vollständig zurück. Sind in der Familie (ersten oder zweiten Verwandtschaftsgrades) ähnliche Migränefälle bekannt, wird die Migräne noch spezifischer als familiär hemiplegische Migräne definiert.
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Eine weitere atypische Form ist die retinale Migräne; „Retina“ ist der medizinische Begriff für Netzhaut. Charakteristisch für diese sehr seltene Migräneform sind vorübergehende, visuelle Phänomene wie plötzliches Flimmern vor dem Auge, Gesichtsfeldausfälle (Skotome) oder eine Erblindung.
Taubheitsgefühl in den Fingern bei Migräne: Ursachen und Mechanismen
Taubheitsgefühle, die im Rahmen einer Migräne auftreten, sind in der Regel auf die Aura zurückzuführen. Die genauen Ursachen für die Aura sind noch nicht vollständig geklärt, aber es wird angenommen, dass eine vorübergehende Funktionsstörung in bestimmten Hirnarealen dafür verantwortlich ist.
- Verminderte Hirndurchblutung: Im Vergleich zur Migräne ohne Aura wurde bei Migräne-Patienten mit Aura jedoch eine verminderte Hirndurchblutung in bestimmten Hirnarealen festgestellt. Dementsprechend könnte ein Sauerstoffmangel in betroffenen Hirnregionen für die Aura-Symptome verantwortlich sein. Grundlage dieser Störung ist vermutlich ein genetischer Defekt.
- Cortical Spreading Depression (CSD): Eine Theorie besagt, dass sich bei der Migräne mit Aura eine Welle von neuronaler Erregung und anschließender Hemmung über die Hirnrinde ausbreitet. Diese sogenannte Cortical Spreading Depression (CSD) kann die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen und zu den verschiedenen Aura-Symptomen führen, einschließlich Taubheitsgefühlen.
- Beeinträchtigung der sensorischen Verarbeitung: Die CSD kann auch die Verarbeitung von sensorischen Informationen im Gehirn beeinflussen. Dies kann dazu führen, dass Nervenimpulse falsch interpretiert werden oder dass die Weiterleitung von Signalen gestört ist, was sich als Taubheitsgefühl äußern kann.
- Beteiligung des Trigeminusnervs: Im Rahmen einer Attacke kommt es zu einer verstärkten Erregung von Nervenzellen, insbesondere des Trigeminusnervs, der für die Schmerzwahrnehmung im Gesicht hauptverantwortlich ist.
Das Taubheitsgefühl betrifft häufig die Hände, Arme, Wangen oder das Gesicht. Es kann sich als Kribbeln, Ameisenlaufen oder ein pelziges Gefühl äußern. Die Symptome sind in der Regel vorübergehend und verschwinden innerhalb von Minuten bis zu einer Stunde.
Differenzialdiagnose: Wann ist es keine Migräne?
Bei der Diagnose von Migräne mit Aura müssen Ärzte andere mögliche Ursachen ausschließen. Das ist wichtig, weil eine Sehstörung zum Beispiel auch ein Indiz für eine Durchblutungsstörung oder Augenerkrankung sein kann. Besonders problematisch ist die Abgrenzung zum Schlaganfall, da Symptome wie Taubheitsgefühl oder Sprachstörungen auch für einen Schlaganfall sprechen können.
Es ist wichtig, andere Ursachen für Taubheitsgefühle in den Fingern auszuschließen, insbesondere wenn diese nicht im Zusammenhang mit einer bekannten Migräne auftreten. Mögliche Ursachen sind:
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- Karpaltunnelsyndrom: Hierbei wird der Mittelhandnerv im Karpaltunnel (Handgelenk) eingeklemmt, was zu Kribbeln und Taubheitsgefühlen in Daumen, Zeige- und Mittelfinger führt.
- Ulnartunnel- und Ulnarrinnensyndrom: Zwischen Axel und Hand liegt der Ellen-Nerv (Nervus ulnaris). Hinten am Ellenbogen verläuft dieser Nerv durch eine Knochenrinne; an der Hand passiert er den Ulnartunnel. Gerät der Nerv etwa durch falsche Hand-Haltung beim Radfahren unter Druck, äußert sich das durch Taubheitsgefühle - vor allem am kleinen Finger und teilweise am Ringfinger („Radfahrerlähmung“). Ist der Nerv im Ellenbogen-Bereich eingeklemmt, ruft das ebenfalls Missempfindungen an den Händen hervor. Ursache sind zum Beispiel Unfälle oder Fehlbelastungen wie häufiges Arm-Aufstützen auf hartem Untergrund.
- Leistentunnelsyndrom: medizinisch Meralgia paraesthetica genannt. Durch Druck im Bereich des Leistenbands oder Leistenkanals wird der Oberschenkelhautnerv eingeklemmt. Mögliche Ursachen sind das Tragen zu enger Kleidung wie Jeans oder Übergewicht. Meist kommt es zu Schmerzen und Gefühlsstörungen am oberen und seitlichen Oberschenkel.
- Polyneuropathie: Hier kommt es zu Schäden an den peripheren Nerven - also den Nerven, die weit entfernt von Gehirn und Rückenmark liegen. Vor allem die ganz kleinen Nervenenden an den Händen und Füßen sind häufig früh betroffen. Typische Symptome sind Kribbeln, Ameisenlaufen und Taubheitsgefühle. Die Missempfindungen breiten sich oft handschuh- oder sockenförmig an beiden Gliedmaßen aus.
- Restless-Legs-Syndrom (RLS): auch Syndrom der unruhigen Beine genannt. Das RLS äußert sich durch Missempfindungen wie schmerzhaftes Kribbeln, Ziehen und Brennen in den Beinen. Die Symptome bestehen oder verschlechtern sich in Ruhe, vor allem abends und nachts. Betroffene verspüren häufig den starken Drang, sich zu bewegen.
- Multiple Sklerose (MS): MS ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Zum ZNS gehören das Gehirn und Rückenmark. Die Erkrankung beginnt meist im jungen Erwachsenenalter.
- Parkinson-Krankheit: Bei Parkinson sterben bestimmte Nervenzellen im Gehirn ab, die den Botenstoff Dopamin bilden. Durch den Zellabbau kommt es zu einem Mangel an Dopamin. In der Folge beeinträchtigt das die normalen Bewegungsabläufe: Es kommt zum Beispiel zu Muskelsteifigkeit (Rigor), Zittern (Tremor) und Bewegungsarmut.
- Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Bei der seltenen Autoimmunerkrankung richtet sich das Immunsystem gegen die peripheren Nerven, greift sie an und zerstört sie. Zunächst äußert sich das häufig durch Kribbeln und Taubheitsgefühle in Händen und Füßen. Im Verlauf können Lähmungserscheinungen hinzukommen, die sich mitunter auf den ganzen Körper ausbreiten. Einem GBS geht oft eine Infektion voraus. Die meisten Erkankten erholen sich innerhalb von einigen Wochen bis Monaten.
- Bandscheibenvorfall: Die Bandscheiben liegen zwischen den Wirbelkörpern, die den Wirbelkanal bilden. Im Wirbelkanal verläuft das Rückenmark, darum herum liegen zahlreiche Nervenwurzeln. Die Bandscheiben bestehen im Inneren aus einer gelartigen Masse. Tritt diese bei einem Bandscheibenvorfall aus, kann sie auf die Nervenwurzeln drücken und Schmerzen verursachen. Je nachdem, wo der Vorfall auftritt, sind beispielsweise Kribbeln und Lähmungserscheinungen im Bein oder in Arm und Hand möglich.
- Durchblutungsstörungen: Hierbei wird ein Teil des Gehirns nicht mehr richtig durchblutet. Häufig passiert das durch ein Blutgerinnsel, das ein Hirngefäß verstopft, seltener durch eine Hirnblutung. Die Minderdurchblutung führt zu einem Sauerstoffmangel, der je nach Ausmaß lebensbedrohlich sein kann. Kribbeln und Taubheitsgefühle oder Lähmungserscheinungen in Arm, Bein oder Gesicht können auf einen Schlaganfall hinweisen - vor allem, wenn sie nur eine Körperseite betreffen.
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK): Bei der PAVK ist der Blutfluss in den Beingefäßen behindert. Das äußert sich durch Schmerzen - zu Beginn nur beim Gehen. Typischerweise sind diese Schmerzen so ausgeprägt, dass sie immer wieder zum Stehenbleiben zwingen („Schaufensterkrankheit“).
- Raynaud-Syndrom: Hier lösen zum Beispiel Kälte oder Stress Gefäßkrämpfe aus. Dies führt zu anfallsartigen Durchblutungsstörungen, vor allem in den Händen, manchmal auch an den Füßen. Bemerkbar macht sich das typischerweise durch kalte, blasse, bläuliche oder rote und gefühllose Finger, die wehtun und sich taub anfühlen können.
- Psychische Störungen: Missempfindungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle können begleitend zu Panikattacken oder Angstzuständen auftreten. In Stress-Situationen oder während einer Panikattacke kann es zu hektischem Ein- und Ausatmen kommen. In der Folge atmet man mehr Kohlendioxid aus, wodurch die Menge an Kohlendioxid im Blut abnimmt. Das führt dazu, dass die Nerven und Muskeln kurzfristig zu stark erregt werden. Damit einhergehen können Gefühlsstörungen und Verkrampfungen - etwa an Händen und Lippen. Die Konzentration auf die Atmung zu lenken und bewusst langsam ein- und auszuatmen sollte helfen, die Symptome zu lindern.
Was tun bei Migräne mit Taubheitsgefühl in den Fingern?
Wenn Sie unter Migräne mit Aura und Taubheitsgefühlen in den Fingern leiden, gibt es verschiedene Maßnahmen, die Sie ergreifen können:
- Ärztliche Abklärung: Es ist wichtig, die Migräne von einem Arzt diagnostizieren und behandeln zu lassen. Er kann andere Ursachen ausschließen und eine geeignete Therapie empfehlen.
- Akutbehandlung: Bei einer Migräneattacke können Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure, Paracetamol oder Ibuprofen helfen, die Schmerzen zu lindern. Spezifischer wirken die sogenannten Triptane. Sie verengen die Gefäße im Gehirn und hemmen die Entzündung. Bei Übelkeit können Zäpfchen oder Antiemetika eingenommen werden.
- Vorbeugung: Um Migräneattacken vorzubeugen, können verschiedene Medikamente eingesetzt werden, darunter Betablocker, Antidepressiva und Antiepileptika. Auch Entspannungstechniken, regelmäßige Bewegung und eine ausgewogene Ernährung können helfen, die Häufigkeit und Intensität der Attacken zu reduzieren.
- Identifizierung von Triggern: Ein Migränetagebuch kann helfen, individuelle Auslöser für Migräneattacken zu identifizieren. Mögliche Trigger sind Stress, Schlafmangel, bestimmte Lebensmittel, Wetterumschwünge oder starke Gerüche.
- Verhaltensmaßnahmen: Während einer Aura-Phase sollten Sie keine Maschinen bedienen und nicht Auto fahren. Suchen Sie Ruhe in einem abgedunkelten Raum und vermeiden Sie Reize.
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