Mirtazapin bei Demenz und Schlafstörungen: Eine umfassende Betrachtung

Mirtazapin ist ein Arzneistoff, der zur Gruppe der tetrazyklischen Antidepressiva gehört, aber auch den spezifisch noradrenergen und serotonergen Antidepressiva (NaSSA) zugeordnet wird. Es wird häufig zur Behandlung von Depressionen eingesetzt, findet aber auch Anwendung bei Schlafstörungen, insbesondere bei älteren Menschen. Dieser Artikel beleuchtet die Anwendung von Mirtazapin bei Demenzpatienten mit Schlafstörungen, seine Wirkungsweise, Dosierung, Nebenwirkungen und die aktuelle Studienlage.

Wirkungsweise von Mirtazapin

Mirtazapin wirkt zentral als Alpha-2-Antagonist und verstärkt die noradrenerge und serotonerge Neurotransmission. Diese Wirkung trägt zur antidepressiven Wirkung bei. Zusätzlich besitzt Mirtazapin eine Histamin-H1-antagonistische Wirkung, die für seine sedierenden Eigenschaften verantwortlich ist. Diese sedierende Wirkung macht es attraktiv für die Behandlung von Schlafstörungen, insbesondere bei depressiven Patienten.

Anwendung und Dosierung

Mirtazapin ist zur Behandlung von depressiven Erkrankungen (Episoden einer Major Depression) bei Erwachsenen zugelassen. Häufig wird es bei depressiven Patienten mit Schlafstörungen (Insomnien) eingesetzt, aber auch bei isolierter Schlafstörung (off Label). Die Tagesdosis beträgt in der Regel 15 bis 45 mg, wobei die Behandlung initial mit 15 oder 30 mg einmal täglich begonnen wird. Aufgrund seiner Eliminationshalbwertszeit von 20 bis 40 Stunden (gelegentlich bis zu 65 Stunden) kann Mirtazapin einmal täglich eingenommen werden, vorzugsweise abends vor dem Schlafengehen. Es ist wichtig, die Dosierung zu Therapiebeginn einschleichend zu erhöhen und ein abruptes Absetzen zu vermeiden, um Absetzsymptome zu verhindern.

Mirtazapin bei Demenz und Schlafstörungen

Schlafstörungen sind ein häufiges Problem bei Menschen mit Demenz. Bereits drei Jahre vor der Demenzdiagnose ziehen sich viele Patienten von sozialen Aktivitäten zurück, zwei Jahre davor besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Depression, und kurz bevor sie wegen ihres kognitiven Abbaus einen Arzt aufsuchen, leiden sie nicht selten unter Schlafproblemen, Ängsten, Unsicherheit und Stimmungsschwankungen. Mirtazapin wird oft bei Senioren eingesetzt, weil es als nebenwirkungsarm gilt. Jedoch stuft es die FORTA-Liste (Fit fOR The Aged) bei mittelschweren und schweren Depressionen, bei Insomnie und Demenz-assoziierten Schlafstörungen in die Gruppe C ein: »ungünstige Nutzen-Risiko-Relation bei älteren Patienten, genaue Beobachtung von Wirkungen und Nebenwirkungen erforderlich«.

Studienlage

Die Studienlage zur Wirksamkeit von Mirtazapin bei Demenz und Schlafstörungen ist gemischt. Einige Studien deuten darauf hin, dass Mirtazapin bei der Behandlung von Depressionen bei Demenzpatienten wirksam sein kann, während andere Studien keine signifikanten Unterschiede zwischen Mirtazapin und Placebo gefunden haben. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Mirtazapin bei der Behandlung von Schlafstörungen bei Demenzpatienten wirksam sein kann, aber weitere Forschung ist erforderlich, um diese Ergebnisse zu bestätigen. Laut neueren Studien wirke Mirtazapin bei Demenzkranken nicht sedierend und eigne sich daher nicht zur Behandlung von Schlafstörungen, erklärte die Fachapothekerin für Klinische Pharmazie.

Lesen Sie auch: Kritische Analyse: Mirtazapin bei vaskulärer Demenz

Eine im Fachjournal „BMC Medicine“ veröffentlichte Studie aus Schweden ergab, dass Demenzkranke, die Mittel gegen Depressionen einnehmen, kognitiv schneller abbauen als Betroffene ohne diese Behandlung. Die Studie wertete die Krankheitsdaten von insgesamt 18.740 Demenz-Patienten aus, die zwischen 2007 und 2018 in einem nationalen Register gesammelt wurden. Etwa ein Viertel der Patienten bekam im zeitlichen Zusammenhang mit der Diagnose ein Antidepressivum verabreicht. Mithilfe eines Tests ermittelten die Mediziner schließlich die kognitive Leistungsfähigkeit. Das Resultat: Die geistige Fitness der Dementen, die ein Antidepressivum einnahmen, nahm schneller ab als bei jenen, die keine entsprechenden Mittel erhielten. Dabei zeigten sich auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Medikamenten: So scheinen die sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, zu denen auch Sertralin gehört, mit einem schnelleren Verlust der kognitiven Leistungsfähigkeit einherzugehen. Diese Präparate sorgen dafür, dass der Botenstoff Serotonin länger im Gehirn wirken kann. Hingegen hatte das Medikament Mirtazapin, das einen anderen Wirkmechanismus hat, offenbar weniger negative Auswirkungen.

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Studie keine Kausalität beweist und dass weitere Forschung erforderlich ist, um den Zusammenhang zwischen Antidepressiva und kognitivem Abbau bei Demenzpatienten besser zu verstehen.

Alternativen zu Mirtazapin

Es gibt auch andere Medikamente, die zur Behandlung von Schlafstörungen bei Demenzpatienten eingesetzt werden können. Dazu gehören Trazodon, Melperon und Pipamperon. Trazodon ist ein Antidepressivum mit sedierenden Eigenschaften, während Melperon und Pipamperon Neuroleptika sind, die in niedriger Dosierung zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt werden können. Benzodiazepine sind als Schlafhilfen für Demenzpatienten ungeeignet, da sie die Kognition weiter verschlechtern und zudem paradoxe Reaktionen auslösen können.

Nebenwirkungen und Risiken

Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen von Mirtazapin sind Schläfrigkeit, Sedierung, trockener Mund, Gewichtszunahme, verstärkter Appetit, Schwindel und Erschöpfung. Es sind etliche pharmakodynamische Wechselwirkungen zu beachten. Die gleichzeitige Anwendung mit anderen serotonergen Wirkstoffen wie Tramadol, Linezolid, selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI), Venlafaxin, Lithium und Johanniskraut kann ein Serotonin-Syndrom auslösen. Mirtazapin kann die sedierenden Eigenschaften von Benzodiazepinen und anderen Sedativa, zum Beispiel Antipsychotika, Antihistaminika und Opioide, sowie die zentral dämpfende Wirkung von Alkohol verstärken. Wie etliche andere Antidepressiva birgt auch Mirtazapin ein Risiko für QT-Zeit-Verlängerungen. Da Mirtazapin stark über CYP-Enzyme metabolisiert wird, besteht ein Interaktionspotenzial mit CYP3A4-Induktoren und -Inhibitoren. Mirtazapin und seine Metaboliten werden über Urin und Faeces ausgeschieden. Bei Leber- oder Niereninsuffizienz kann die Clearance verringert sein.

In seltenen Fällen wurde über das Auftreten einer reversiblen Agranulozytose berichtet. Obwohl Mirtazapin nicht zu einer Abhängigkeit führt, haben Erfahrungen nach der Markteinführung gezeigt, dass plötzliches Absetzen nach längerer Behandlung manchmal zu Absetzsymptomen führen kann.

Lesen Sie auch: Wirksamkeit von Mirtazapin bei Nervenschmerzen

Warnhinweise für Demenzpatienten

Spätestens seit den drastischen Warnungen der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) vor einer erhöhten Mortalität bei Demenzkranken - zunächst für den Einsatz sogenannter atypischer Antipsychotika (2005), später auch für die älteren Antipsychotika (2008) - und der Bekräftigung der Warnung im November 2008 durch die European Medicines Agency (jetzt EMA) sollte deutlich geworden sein, dass Antipsychotika für Demenzkranke eine potenzielle Gefahr darstellen. Das in zahlreichen großen epidemiologischen Studien wiederholt gefundene erhöhte Risiko ist offenbar dosisabhängig, betrifft Schlaganfälle, plötzlichen Herztod sowie andere schwerwiegenden Ereignisse wie Stürze mit Frakturen, Thrombosen oder Pneumonien. Bei bestimmten Demenzen, wie der Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB), ist eine oft fatale Überempfindlichkeit gegen Neuroleptika schon lange bekannt und hier sogar Teil der klinischen Diagnosekriterien geworden. Auch bei den frontotemporalen Demenzen (FTD) werden Neuroleptika wahrscheinlich schlechter vertragen als bei der Demenz vom Alzheimer-Typ.

Wichtige Hinweise zur Anwendung von Mirtazapin

  • Mirtazapin abends einnehmen und während der Therapie auf Alkohol verzichten.
  • Geduld ist nötig: Es dauert zwei bis vier Wochen, bis ein Effekt spürbar wird. Aufdosieren (nach ärztlicher Anweisung) nicht vergessen.
  • Vor allem zu Therapiebeginn kann das Antidepressivum die Konzentrationsfähigkeit und Wachsamkeit beeinträchtigen.
  • Trizyklika wie Amitriptylin, Imipramin oder Clomipramin sind bei Demenzkranken unbedingt zu vermeiden, da sie anticholinerg wirken und die geistige Leistungsfähigkeit weiter verschlechtern können. Zu bevorzugen seien SSRI wie Sertralin oder Citalopram sowie neuere Wirkstoffe wie Mirtazapin oder Venlafaxin. Dahse empfahl: Antidepressiva in möglichst niedriger Dosis starten, dann auftitieren und wenn nötig ausschleichen, aber nicht abrupt absetzen.

Lesen Sie auch: Schlaganfall und Mirtazapin

tags: #mirtazapin #demenz #schlafstörungen