Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) stellt Betroffene vor zahlreiche Fragen: Wo finde ich MS-spezifische medizinische Betreuung? Wer behandelt mich nach dem aktuellen wissenschaftlichen Standard? Wer hat umfangreiche Erfahrungen mit Multipler Sklerose? Wer nimmt sich Zeit für meine individuelle Situation? Wer ist im Notfall für mich da? Die bestmögliche Versorgung ist für jeden MS-Erkrankten von höchster Bedeutung. Dieser Artikel soll Ihnen helfen, sich im Dschungel der Angebote zurechtzufinden und die richtigen Spezialisten für Ihre Bedürfnisse zu finden.
Die Bedeutung spezialisierter MS-Zentren
Multiple Sklerose ist eine komplexe Erkrankung, die eine umfassende und multidisziplinäre Betreuung erfordert. Spezialisierte MS-Zentren bieten genau das: Ein Team von Experten verschiedener Fachrichtungen, die eng zusammenarbeiten, um eine individuelle und optimale Behandlung zu gewährleisten. Diese Zentren verfügen über die notwendige Expertise und Erfahrung, um MS-Patienten auf der Grundlage neuester neuroimmunologischer Erkenntnisse hochqualifiziert zu versorgen.
DMSG-Zertifizierung als Orientierungshilfe
Eine wichtige Orientierungshilfe bei der Suche nach einem geeigneten MS-Zentrum ist das DMSG-Zertifikat (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft). Dieses Zertifikat wird seit 2005 an Kliniken und Praxen verliehen, die bestimmte Qualitätsstandards in der MS-Versorgung erfüllen. Es sichert eine qualitativ hochwertige, leitliniengestützte akute und rehabilitative Behandlung durch auf MS spezialisierte Neurologen und andere MS-Fachkräfte.
Prof. Dr. med. Peter Flachenecker, Mitglied des Vorstandes des Ärztlichen Beirates des DMSG-Bundesverbandes, betont: "Erklärtes Ziel ist es, die Qualitätsstandards für die adäquate Versorgung MS-Erkrankter kontinuierlich weiterzuentwickeln und viele Einrichtungen zur Umsetzung dieser Standards anzuhalten." Seit 2005 sind über 180 Einrichtungen ausgezeichnet worden.
Kriterien für die DMSG-Zertifizierung
Die Kriterien für die DMSG-Zertifizierung sind streng und umfassen unter anderem:
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- Fachliche Expertise: Die Einrichtung muss über auf MS spezialisierte Neurologen und andere MS-Fachkräfte verfügen.
- Diagnostische Möglichkeiten: Es müssen alle notwendigen diagnostischen Verfahren zur Verfügung stehen, um eine MS sicher diagnostizieren und den Krankheitsverlauf beurteilen zu können.
- Therapeutische Angebote: Die Einrichtung muss ein breites Spektrum an therapeutischen Möglichkeiten anbieten, einschließlich medikamentöser Therapien, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und psychologischer Betreuung.
- Qualitätsmanagement: Die Einrichtung muss ein Qualitätsmanagementsystem implementiert haben, um die Qualität der Versorgung kontinuierlich zu verbessern.
- Fortbildung: Die Einrichtung muss sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen, um auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zu bleiben. Jede MS Fortbildung, die in Zusammenarbeit mit und nach den Richtlinien des KKNMS durchgeführt wird, muss von einem MS Specialist geleitet werden.
Ein MS Specialist erbringt eine hochqualifizierte Versorgung von MS Patienten auf der Grundlage neuester neuroimmunologischer Erkenntnisse und hat besondere didaktische und wissenschaftliche Erfahrung auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose und Neuroimmunologie. Sie/Er ist für die Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen verantwortlich, um so Einfluss auf das Niveau der Fortbildungskurse und damit auf das Niveau der MS Versorgung zu nehmen.
Um ein DMSG-Zertifikat zu erhalten, muss die Einrichtung alle erforderlichen Unterlagen (siehe Checkliste „Erstzertifizierung“) und das Antragsformular „Erstzertifizierung“ bei der KKNMS Geschäftsstelle einreichen.
Das Leistungsspektrum spezialisierter MS-Zentren
Spezialisierte MS-Zentren bieten ein umfassendes Leistungsspektrum, das auf die Bedürfnisse von MS-Patienten zugeschnitten ist. Dazu gehören:
Diagnostik
- Frühzeitige Diagnose: Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Spezialisierte MS-Zentren verfügen über die notwendigen diagnostischen Möglichkeiten, um eine MS sicher und schnell zu diagnostizieren.
- Differenzialdiagnostik: MS kann ähnliche Symptome wie andere Erkrankungen verursachen. Spezialisierte Zentren können andere mögliche Ursachen ausschließen und eine sichere Diagnose stellen.
- Verlaufsbeurteilung: Spezialisierte Zentren können den Krankheitsverlauf regelmäßig beurteilen und die Therapie entsprechend anpassen. Hierzu werden moderne MRT-Protokolle sowie molekulare Hochdurchsatzverfahren eingesetzt, um die Protein- und Genexpressionssignaturen zu entschlüsseln.
Therapie
- Individuelle Therapieplanung: Jeder MS-Patient ist anders und benötigt eine individuelle Therapie. Spezialisierte Zentren erstellen einen individuellen Therapieplan, der auf die Bedürfnisse und den Krankheitsverlauf des Patienten zugeschnitten ist.
- Medikamentöse Therapie: Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können. Spezialisierte Zentren verfügen über Erfahrung mit allen verfügbaren Medikamenten und können das am besten geeignete Medikament für den Patienten auswählen. Eine schubartige Verschlechterung wird in der Regel mit Kortison behandelt. Wenn sich die einzelnen Schübe vollständig oder unvollständig wieder zurückbilden, setzen Medikamente ein, die das Immunsystem unterdrücken beziehungsweise modulieren.
- Symptomatische Therapie: MS kann eine Vielzahl von Symptomen verursachen. Spezialisierte Zentren bieten eine symptomatische Therapie an, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
- Rehabilitation: Rehabilitation kann helfen, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu erhalten oder wiederzuerlangen. Spezialisierte Zentren bieten Rehabilitationsprogramme an, die auf die Bedürfnisse von MS-Patienten zugeschnitten sind.
- Immunadsorption: In ausgewählten Fällen kann die Immunadsorption als therapeutische Option in Betracht gezogen werden.
Beratung und Unterstützung
- Beratung zu allen Fragen rund um MS: Spezialisierte Zentren bieten eine umfassende Beratung zu allen Fragen rund um MS, einschließlich der Ursachen, Symptome, Diagnose, Therapie und Prognose der Erkrankung.
- Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung (Coping): MS kann eine große Belastung für die Patienten und ihre Familien sein. Spezialisierte Zentren bieten Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung und helfen den Patienten, mit der Erkrankung umzugehen.
- Hilfe bei Fragen, die das soziale Umfeld des Patienten betreffen (z.B. Beruf, Familie, Hobbies): MS kann das soziale Leben der Patienten beeinträchtigen. Spezialisierte Zentren bieten Hilfe bei Fragen, die das soziale Umfeld des Patienten betreffen, und vermitteln Kontakte zu Selbsthilfegruppen.
Forschung
- Teilnahme an Therapiestudien: Viele spezialisierte MS-Zentren nehmen an Therapiestudien teil. Dies ermöglicht den Patienten, Zugang zu neuen Therapien zu erhalten, die noch nicht auf dem Markt sind. Die Neurologische Klinik nimmt regelmäßig an Therapiestudien zur MS teil.
- Eigene Forschung: Einige spezialisierte Zentren betreiben eigene Forschung, um die Ursachen und Mechanismen der MS besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln. Im Rahmen der multi-nationalen Projektförderung CLINNOVA sind einige Zentren federführend am Aufbau einer prospektiven MS-Kohorte beteiligt in Kooperation mit neurologischen MS-Zentren in Freiburg, Luxemburg, Strasbourg und Basel. Ziel ist ein besseres Verständnis der MS und der Mechanismen der Krankheitsprogression.
Multidisziplinäres Team
Ein wesentliches Merkmal spezialisierter MS-Zentren ist das multidisziplinäre Team, das die Patienten betreut. Dieses Team besteht in der Regel aus:
- Neurologen: Neurologen sind die Hauptansprechpartner für MS-Patienten. Sie sind für die Diagnose, Therapie und Verlaufskontrolle der Erkrankung zuständig.
- MS-Fachkräfte (MS-Therapiemanagerin): MS-Fachkräfte sind speziell ausgebildete Pflegekräfte, die die Patienten während des stationären und auch teilstationären Aufenthaltes zu allen Fragen rund um MS beraten und unterstützen.
- Physiotherapeuten: Physiotherapeuten helfen den Patienten, ihre körperlichen Fähigkeiten zu erhalten oder wiederzuerlangen.
- Ergotherapeuten: Ergotherapeuten helfen den Patienten, ihreAlltagskompetenzen zu erhalten oder wiederzuerlangen.
- Logopäden: Logopäden behandeln Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen.
- Psychologen: Psychologen helfen den Patienten, mit der Erkrankung umzugehen und psychische Probleme zu bewältigen.
- Sozialarbeiter: Sozialarbeiter beraten die Patienten zu sozialen Fragen und vermitteln Kontakte zu Selbsthilfegruppen und anderen Hilfsangeboten.
Auswahl eines geeigneten MS-Zentrums
Bei der Auswahl eines geeigneten MS-Zentrums sollten Sie folgende Kriterien berücksichtigen:
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- DMSG-Zertifizierung: Ist das Zentrum DMSG-zertifiziert?
- Erfahrung: Wie viel Erfahrung hat das Zentrum in der Behandlung von MS-Patienten? Mehr als 450 MS-Patienten (über 1.400 Fälle) werden jährlich stationär, tagesklinisch und ambulant nach dem neuesten wissenschaftlichen Stand untersucht und behandelt.
- Leistungsspektrum: Bietet das Zentrum das gesamte Leistungsspektrum, das Sie benötigen?
- Multidisziplinäres Team: Verfügt das Zentrum über ein multidisziplinäres Team, das Sie umfassend betreuen kann?
- Lage: Ist das Zentrum gut erreichbar?
- Persönliche Präferenz: Fühlen Sie sich in dem Zentrum wohl und gut aufgehoben?
Es ist ratsam, mehrere Zentren zu besuchen und sich ein persönliches Bild zu machen, bevor Sie eine Entscheidung treffen. Sprechen Sie mit den Ärzten und anderen Mitarbeitern und stellen Sie alle Fragen, die Ihnen wichtig sind.
Beispiele für spezialisierte MS-Zentren in Deutschland
Einige Beispiele für spezialisierte MS-Zentren in Deutschland sind:
- Klinisches Multiple Sklerose-Zentrum der UMG (Universitätsmedizin Göttingen): Ein interdisziplinäres Zentrum mit Expert*innen aus verschiedenen Fachrichtungen.
- Multiple Sklerose Zentrum Herdecke: Zertifiziert durch die Deutsche Multiple-Sklerose-Gesellschaft (DMSG).
- Sektion für Neuroimmunologie an der UMM (Universitätsmedizin Mannheim): Bietet eine Spezialambulanz für Multiple Sklerose (MS) und verwandte entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems an.
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