Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie kann sich durch vielfältige Symptome äußern, die oft schwer zuzuordnen sind. Ein frühzeitiger Arztbesuch bei Verdacht auf MS ist entscheidend, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen und Folgeschäden zu minimieren. Dieser Artikel beleuchtet die typischen Symptome der MS, wann ein Arzt aufgesucht werden sollte und welche Untersuchungen zur Diagnose notwendig sind.
Was ist Multiple Sklerose?
MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem Strukturen im Gehirn und Rückenmark angreift. Dies führt zu Entzündungen und Schädigungen der Myelinschicht, die die Nervenfasern umgibt und für eine reibungslose Signalübertragung verantwortlich ist. Die entzündeten Bereiche werden als Läsionen oder Entzündungsherde bezeichnet.
Symptome der Multiplen Sklerose
Die Symptome der MS sind vielfältig und können sich von Person zu Person stark unterscheiden. Dies liegt daran, dass die Entzündungsherde an unterschiedlichen Stellen im Gehirn und Rückenmark auftreten können. Die Symptome können plötzlich auftreten (Schübe) und sich nach einiger Zeit wieder bessern, oder sich langsam und kontinuierlich verschlechtern.
Frühwarnzeichen und Erstsymptome
Viele Betroffene verspüren bereits Jahre vor der Diagnose verschiedene Beschwerden, die sie häufiger eine Arztpraxis aufsuchen lassen. Diese frühen Anzeichen einer Erkrankung werden als "prodromale Symptome" bezeichnet. Zu den häufigsten Frühsymptomen gehören:
- Sehnerventzündung (Optikusneuritis): Verschwommenes Sehen auf einem Auge, beeinträchtigte Farbwahrnehmung, Schmerzen bei Augenbewegungen. Die Sehnerventzündung betrifft in mehr als 99 Prozent der Fälle pro Schub nur ein Auge. Typisch ist, dass der Augenarzt nichts Auffälliges erkennen kann, der Patient selbst aber sehr wohl eine Einschränkung bemerkt. Die Sehverschlechterung dauert meist nur wenige Tage und verbessert sich anschließend in der Regel auch ohne Behandlung.
- Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Taubheitsgefühl, Brennen oder Schmerzen in verschiedenen Körperteilen. Diese machen sich beim Patienten oft halbseitig bemerkbar. Das Gefühl, dass sich ein Arm „bamstig“ (müde) anfühlt, kann weiter aufsteigen oder so bleiben; das geht nicht weg.
- Chronische Erschöpfung (Fatigue): Andauernde Müdigkeit und Erschöpfung, die sich durch Ruhe nicht bessert.
- Weitere mögliche Erstsymptome: Doppelbilder, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Muskelkrämpfe, Koordinationsprobleme, Blasen- oder Darmstörungen.
Symptome im späteren Verlauf
Im weiteren Verlauf der MS können zusätzliche Symptome auftreten:
Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt
- Psychische Symptome: Depressionen, Angststörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen.
- Bewegungsstörungen: Muskelkrämpfe (Spastik), Lähmungen, Gangstörungen, zitternde Hände. Bis zu 80 Prozent aller MS-Erkrankten entwickeln eine Spastik.
- Sprachstörungen: Verlangsamte, undeutliche oder abgehackte Sprache.
- Inkontinenz: Harn- oder Stuhlinkontinenz.
- Sexuelle Funktionsstörungen.
Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle Menschen mit MS alle diese Symptome entwickeln. Der Verlauf der Erkrankung ist sehr individuell.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Ein Arztbesuch ist ratsam, wenn plötzlich neue neurologische Symptome auftreten oder sich bereits bekannte MS-Symptome verstärken. Besonders alarmierend sind:
- Akute Sehstörungen: Plötzliche Verschlechterung des Sehvermögens, Doppelbilder, Augenschmerzen. Ein akuter MS-Schub ist immer ein Notfall. Die Schubsymptome sollten möglichst innerhalb der nächsten zwei bis fünf Tage behandelt werden.
- Sensibilitätsstörungen: Neu auftretende oder sich verstärkende Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Schmerzen.
- Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen: Unsicherer Gang, Schwindel, Schwierigkeiten bei der Koordination von Bewegungen.
- Blasen- oder Darmstörungen: Neu auftretende oder sich verschlimmernde Probleme beim Wasserlassen oder Stuhlgang.
Es ist wichtig, die Symptome so genau wie möglich zu beschreiben und dem Arzt mitzuteilen, wann sie aufgetreten sind und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben.
Der MS-Schub
Häufig kennzeichnet sich der Beginn einer Multiplen Sklerose (MS-Krankheit) durch einen sogenannten Schub. Bei einem MS-Schub kommen mehrere (multiple) Entzündungen an verschiedenen Stellen im Gehirn und Rückenmark akut zusammen. Diese Entzündungsherde können sich dann ganz unterschiedlich in Form von Symptomen äußern. Einen MS-Schub zu erkennen, ist gar nicht so einfach. Wann spricht die Medizin von einem MS-Schub? Ein MS-Schub tritt auf, wenn mehr als 24 Stunden und mehr als 30 Tage nach Beginn des letzten Schubs neue oder bekannte Symptome auftreten. Die Dauer eines Multiple Sklerose-Schubs variiert zwischen einigen Stunden, Tagen oder Wochen. Danach klingen die Beschwerden langsam ab. Eine Vielzahl Betroffener hat nach etwa zehn bis 15 Jahren keine Schübe mehr.
Was tun bei einem MS-Schub?
Wird ein akuter Schub vermutet, sollte der behandelnde Neurologe oder die behandelnde Neurologin kontaktiert werden. Hier wird dann abgeklärt, ob es sich wirklich um einen Schub handelt, denn manche Symptome können mit einem Schub verwechselt werden. Gerade in der Anfangsphase nach der Diagnose sind Patienten und Patientinnen sehr hellhörig und vorsichtig. Es wird dann häufig eine Kernspintomografie durchgeführt, um den Entzündungsherd zu lokalisieren. Handelt es sich um einen alltagsrelevanten Schub mit entsprechenden Einschränkungen, gibt es zwei Möglichkeiten: Mit Kortison-Medikamenten behandeln, um die Entzündung zu hemmen. Das ist der Standardweg. Wenn die Kortison-Therapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine Blutwäsche (Apherese) durchgeführt werden, um die Entzündungsstoffe und Immunprodukte aus dem Blut zu entfernen. Die Entscheidung für den Einsatz dieses Verfahren ist jedoch individuell für jede erkrankte Person zu treffen - dazu gehören zum Beispiel die Schwere der neurologischen Beeinträchtigung sowie therapeutische Vorerfahrungen der erkrankten Person, ob sie bereits gut darauf angesprochen hat.
Lesen Sie auch: Wie man MS vorbeugen kann
Was verstärkt MS-Symptome?
Prinzipiell können sich Symptome verstärken, wenn Sie Fieber haben, wenn es draußen sehr heiß ist oder wenn Sie zu heiß gebadet haben. Dann kann es passieren, dass es zu einem Leitungsblock kommt und infolgedessen die Nerven schlechter leiten; dadurch verstärken sich die Symptome.
Diagnose der Multiplen Sklerose
Die Diagnose der MS ist oft ein komplexer Prozess, da es keinen einzelnen Test gibt, der die Erkrankung zweifelsfrei nachweisen kann. Die Diagnose wird in der Regel von einem Neurologen gestellt, der verschiedene Untersuchungen durchführt und andere mögliche Ursachen für die Symptome ausschließt.
Anamnese und neurologische Untersuchung
Am Anfang jeder Untersuchung steht die Anamnese, d. h. Ihre Krankengeschichte, die Ihre Ärztin bzw. Ihr Arzt in einem längeren Gespräch in Erfahrung bringen möchte. Es werden Ihnen viele Fragen gestellt, die Sie ehrlich beantworten sollten. Meist geht es dabei um frühere oder bestehende Erkrankungen bei Ihnen oder in Ihrer Familie. Oder darum, wie sich Ihre Beschwerden zeigen, was Sie dagegen unternehmen und ob dies Linderung bringt.
Der Neurologe prüft die Funktionstüchtigkeit des Nervensystems und sucht nach Einschränkungen. Dazu werden verschiedene Tests durchgeführt, um die Hirnnerven, Motorik, Muskelreflexe, Gefühlswahrnehmung und Koordination zu überprüfen. Auch das Gedächtnis, die Sprache und Orientierung werden geprüft.
Bildgebende Verfahren
Eine Magnetresonanztomografie (MRT) von Gehirn und Rückenmark ist ein wichtiger Bestandteil der MS-Diagnostik. Mittels MRT können die typischen Entzündungsherde im Gehirn und Rückenmark sichtbar gemacht werden. Um die entzündlichen Herde sichtbar zu machen, kann es notwendig sein, ein Kontrastmittel (Gadolinium) zu verabreichen. Dieses reichert sich dann in den aktiven MS-Herden an.
Lesen Sie auch: MS und Rückenschmerzen: Ein Überblick
Elektroenzephalografie (EEG)
Um die Leitfähigkeit der Nerven zu prüfen, führt die Fachärztin oder der Facharzt elektrische Tests der Nervenbahnen durch. Mit Hilfe von Reizen ruft er gezielt evozierte Potentiale hervor - das sind elektrische Spannungen, die in den Nerven- und Muskelzellen auftreten, wenn von außen ein Reiz einwirkt. Diese Spannungen werden mit der Elektroenzephalografie (EEG) gemessen.
Untersuchung des Nervenwassers (Lumbalpunktion)
Für einen gesicherten Befund der Multiple Sklerose ist die Untersuchung des Liquors wichtig - also des Nervenwassers, das Gehirn und Rückenmark umfließt. Um Nervenwasser zu gewinnen, führt die Ärztin oder der Arzt eine sogenannte Lumbalpunktion durch. Bei rund 90 Prozent der MS-Betroffenen findet sich ein ganz bestimmtes Muster an Antikörper und Eiweißen. Einige Eiweiße können bei MS auf Entzündungsherde hinweisen. Neben bestimmten Antikörpern können bei Multiple Sklerose auch Zellen des Immunsystems vermehrt auftreten.
Blutuntersuchungen
Den einen Blutwert oder den einen Test gibt es für die MS-Diagnose nicht. Gleichwohl können über Untersuchungen des Blutes andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Auch können Standardbluttests, beispielsweisedie Leber-, Nieren- oder Schilddrüsenwerte prüfen und Hinweise auf andere Erkrankung als MS geben.
Behandlung der Multiplen Sklerose
Eine Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar. Die Behandlung dient dazu, die Beschwerden der Krankheit möglichst weit einzudämmen und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
Schubtherapie
Für die Schubtherapie stehen vor allem Kortisonpräparate zur Verfügung, die die Entzündungen eindämmen sollen. Im akuten Schub werden sie über drei bis fünf Tage als Infusion verabreicht (Hochdosis-Schubtherapie). In vielen Fällen wird auf eine sogenannte Blutwäsche ausgewichen (Plasmapherese), bei der Blut entnommen, gereinigt und wieder in den Körper zurückgeleitet wird. Nebenwirkungsärmer ist eine spezielle Form der Blutwäsche: die sogenannte Immunadsorption. Hierbei wird das Blut in Plasma (Blutflüssigkeit) und Blutzellen getrennt.
Verlaufmodifizierende Therapie
Bei Multiple Sklerose gilt, möglichst früh mit einer hochwirksamen Therapie zu beginnen. Moderne Medikamente können das Fortschreiten der MS heute deutlich bremsen und damit Einschränkungen frühzeitig verringern.
Symptomatische Therapie
Zusätzlich zur schub- und verlaufsmodifizierenden Therapie gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Symptome der MS zu lindern. Dazu gehören beispielsweise Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und psychologische Unterstützung.
Komplementäre Therapien
Viele MS-Betroffene greifen zu Mitteln aus der Naturmedizin, um ihre Beschwerden und Symptome zu lindern. Johanniskraut ist zum Beispiel eine beliebte und wichtige Heilpflanze bei depressiven Verstimmungen. Viele Symptome, die im Verlauf einer Multiplen Sklerose auftreten, können auch begleitend mit homöopathischen Mitteln behandelt werden.
Leben mit Multipler Sklerose
Das Leben mit MS kann eine Herausforderung sein, aber mit der richtigen Behandlung und Unterstützung ist ein erfülltes Leben möglich. Wichtig ist, die Erkrankung anzunehmen, sich aktiv mit ihr auseinanderzusetzen und sich nicht von ihr einschränken zu lassen.
Selbsthilfegruppen
Es gibt mittlerweile viele MS-Selbsthilfegruppen. Die MS-Selbsthilfe gibt Betroffenen Halt und ermöglicht den Austausch untereinander. Das erhöht die Lebensqualität immens.
Ernährung und Lebensstil
Eine gesunde Ernährung und ein aktiver Lebensstil können sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. Es gibt zwar keine spezielle MS-Diät, aber eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Fisch und gesunden Fetten wird empfohlen. Rauchen sollte vermieden werden, da es den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen kann. Zudem ist ausreichend körperliche Bewegung von Vorteil; Übergewicht und Bewegungsmangel wirken sich negativ auf den Krankheitsverlauf aus, deshalb sollte Bewegung immer wieder eingeplant werden, sodass man mobil bleibt.
Patientenverfügung
Eine Patientenverfügung stellt sicher, dass Ihre medizinischen Wünsche auch in unerwarteten Situationen respektiert werden und bewahrt so Ihre Selbstbestimmung. Sie greift in Situationen, in denen Sie aufgrund von Krankheit oder Verletzung nicht in der Lage sind, sie selbst auszudrücken.