Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Nervensystems, die sich in Verlauf und Symptomatik von Person zu Person stark unterscheiden kann. Die Bewegungstherapie spielt eine zentrale Rolle bei der Behandlung von MS, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern, Beschwerden zu lindern und die soziale Teilhabe zu fördern. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte der Bewegungstherapie bei MS, einschliesslich spezifischer Therapieformen, Empfehlungen und praktischer Tipps.
Einführung
Sport und Bewegung sind für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) von grosser Bedeutung. Gezielte Bewegungstherapie bei MS sollte als wichtiger Baustein in jede Behandlung integriert werden, um Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit zu stärken. Die Bewegungstherapie bei MS verfolgt bestimmte Ziele: Mithilfe verschiedener Übungen das Laufen zu verbessern - ebenso das Gangbild, Koordination und Balance zu unterstützen sowie Kraft und Ausdauer zu stärken. Bewegung kurbelt Herz und Kreislauf an, bringt den Stoffwechsel in Schwung, reduziert Darmprobleme, fördert Feinmotorik und Stabilität, unterstützt das Immunsystem, wirkt Spastiken und Muskelschwäche entgegen, lindert Fatigue und Depression und hält das Gewicht unter Kontrolle.
Grundlagen der Bewegungstherapie bei MS
Medizinische Trainingstherapie (MTT)
Die Medizinische Trainingstherapie (MTT) ist ein modernes Bewegungsprogramm, das für den langsamen Aufbau und die langfristige Wiederherstellung von Kondition, Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit konzipiert wurde. Die MTT ist ein Bestandteil traditioneller physiotherapeutischer Massnahmen und ist vollkommen identisch mit dem Behandlungsschema. Inhaltlich werden Übungen oder Trainingseinheiten an verschiedenen Trainingsgeräten durchgeführt. Jene sind allerdings keine gewöhnlichen Geräte, sondern auf MTT abgestimmte Medizin Produkte.
Aktiver, ganzheitlicher Ansatz
Die Medizinische Trainingstherapie ist eine ganzheitliche und aktive Therapieform. Aufbau und Wiederherstellung von körperlicher Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit stehen im Mittelpunkt. Hochqualifizierte Sporttherapeuten erstellen einen zugeschnittenen Trainingsplan. Dieser berücksichtigt sowohl die individuelle Situation, die berufsspezifischen Anforderungen sowie die mit den Ärzten und Krankengymnasten abgestimmten Behandlungszielen.
Vorteile von Sport bei MS im Überblick
Sport kann für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) eine wichtige Rolle spielen, um Beschwerden zu lindern und am Leben teilzunehmen. Sport und Bewegung können Schwindelgefühl, Gleichgewichts- oder Koordinationsstörungen lindern und die Mobilität von Menschen mit MS deutlich verbessern. Sport verringert das Risiko von Begleiterkrankungen wie Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs, Arthritis, Osteoporose und Depressionen.
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Mögliche positive Auswirkungen von Sport auf Menschen mit MS sind:
- Verbesserung der Muskelkraft
- Steigerung der Mobilität
- Stärkung des Gleichgewichts und der Körperstabilität
- Förderung des Selbstvertrauens
- Steigerung der Lebensqualität
Uhthoff-Phänomen
Eine erhöhte Körpertemperatur, wie sie bei Bewegung entstehen kann, kann MS-Beschwerden wie Erschöpfung oder Lähmungen verschlimmern. Diese Reaktion wird auch als Uhthoff-Phänomen bezeichnet. Forschende gehen jedoch davon aus, dass dieses Phänomen nur vorübergehend auftritt und keinerlei negative Effekte auf die MS-Schubrate hat. Im Gegenteil: Bei körperlicher Betätigung werden unter anderem entzündungshemmende Botenstoffe freigesetzt, was sich für Menschen mit MS günstig auswirken kann.
Allgemeine Empfehlungen
Betroffene sollten sich grundsätzlich individuell beraten lassen. Allgemein scheint für die meisten MS-Patientinnen und -Patienten eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining gepaart mit Beweglichkeits- und Koordinationsübungen empfehlenswert. Die individuelle Symptomatik sollte bei der Auswahl der Übungen und der Sportarten immer berücksichtigt werden, damit Kraft, Ausdauer, Gleichgewicht und Koordination bei Menschen mit MS optimal verbessert werden.
Spezifische Therapieformen
Gangtraining
Vorrangiges Therapiemittel zur Verbesserung der Mobilität von MS Patienten ist ein therapeutisch angeleitetes Gangtraining. Dieses kann auf dem Laufband oder konventionell auf dem Boden durchgeführt werden. In jedem Fall muss es derart gestaltet sein, dass die Patienten durch das Training auch im Ausdauer- und Kraftbereich gefordert werden. Im Vorfeld bietet es sich an, eine gezielte Testung von Fußbeuger, Hüftbeuger, Wadenmuskulatur und Quadriceps vorzunehmen, da diese Muskeln bei MS Patienten häufig ein Kraftdefizit aufweisen. Je nach Befund sollten dort befindliche Schwächen durch eine gesonderte Kräftigung der Muskulatur trainiert werden.
Balancetraining
Eine schwache Empfehlung besteht für Balancetraining, das als ergänzendes Therapiemittel für die Gangsicherheit sowie insbesondere zur Sturzvermeidung empfohlen wird. Es kann das Gehtraining jedoch nicht ersetzen. Pilates, Yoga, Tai Chi und Hippotherapie zeigen in der Untersuchung ähnliche Wirkung wie klassisches Balancetraining, weshalb diese Therapieformen zur Variation insbesondere bei leicht betroffenen Patienten genutzt werden können.
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Keine Empfehlung kann für Bewegungsvorstellung und Vibrationstraining gegeben werden. Diese zeigten in der Studie keinerlei Auswirkung auf die Mobilität der Patienten.
Telerehabilitation
In diesem Zuge untersuchte die Studie auch den Einfluss von Telerehabilitation, beispielsweise in Form von Virtual Reality oder Telekommunikation (Videoanleitung). Es konnte gezeigt werden, dass diese Verfahren die Aktivität der Patienten im Alltag deutlich erhöhten und dadurch die therapeutischen Interventionen sinnvoll ergänzen.
Funktionstraining
Funktionstraining ist ein Training in der Gruppe mit bewegungstherapeutischen Übungen, das regelmäßig unter fachkundiger Leitung - beispielsweise durch einen Physio- oder Ergotherapeuten - stattfindet. Dabei wird zwischen Trockengymnastik (Bewegung im Raum) und Wassergymnastik unterschieden.
Physiotherapie
Physiotherapie spielt eine tragende Rolle, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Die Behandlung fördert Kraft und Koordination, Stand- und Gang- und Handfunktionen. Sie mindert Spastik und Schmerzen, verbessert Gleichgewicht und Bewegungsabläufe und erhöht so die Belastbarkeit im Alltag. Beckenbodengymnastik kann zur Regulierung von Blasenstörungen beitragen. Grundlage der Behandlungen sind dabei anerkannte Techniken, zum Beispiel nach Bobath, Vojta und Brunkow oder die propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF) nach Kabat. Daneben kommen Geräte zum Einsatz, mit denen einzelne Funktionsstörungen gezielt behandelt werden.
Hippotherapie
Hippotherapie ist eine physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Basis mit und auf dem Pferd. Der Patient sitzt in der Gangart Schritt auf dem Pferd. Die dreidimensionalen Bewegungen des Tieres übertragen sich auf den Patienten und lösen Impulse aus, die die Haltung und das Gleichgewicht trainieren sowie die Muskelspannung regulieren.
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Ergotherapie
Ergotherapie trainiert zielgerichtet, individuell und symptomorientiert die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL = Activity of Daily Living): Waschen, Ankleiden, Toilettengänge, Essen und Trinken, Schreiben, Arbeiten im Haushalt. Der Patient lernt, krankhafte Haltungs- und Bewegungsmuster abzubauen und sich wieder normal zu bewegen. Er übt, falls erforderlich, den Umgang mit Hilfsmitteln, die den Alltag erleichtern. Solche Hilfsmittel können in der Ergotherapie verordnet und individuell angepasst werden. Sofern möglich, soll die Ergotherapie auch zur Wiedererlangung beziehungsweise zum Erhalt der beruflichen Leistungsfähigkeit beitragen. Zum Therapie-Spektrum gehört deshalb auch das Arbeitsplatztraining (ergonomisches Arbeiten, Beratung über die Anpassung des Arbeitsplatzes).
Trainings- und Bewegungstherapie
Die Verbesserung von Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit ist das Ziel der Trainings- und Bewegungstherapie. Zum Spektrum gehören zum Beispiel Ergometertraining, Wandern, Nordic Walking, Schwimmen und Bogenschießen. Vor allem Fatigue kann durch regelmäßiges körperliches Training verringert werden.
Physikalische Therapie
Unter dem Begriff physikalische Therapie werden verschiedene Behandlungen zusammengefasst. Gemeinsames Ziel ist es, Schmerzen zu verringern und die Muskelspannung zu regulieren.
Logopädie
Sprech- und Schluckstörungen (sowie die bei MS seltenen Sprachstörungen) werden im Rahmen der Logopädie mit wissenschaftlich fundierten Methoden behandelt. Dies geschieht in der Regel in Einzeltherapie. Zusammen mit Sprechtherapeuten wird eine bessere Wahrnehmung von Bewegungsvorgängen beim Sprechen, ein langsames Sprechtempo sowie eine bessere Kontrolle und Steuerung des Stimmtons geübt. Reicht dieses Training nicht aus, können technische Hilfen versucht werden: zum Beispiel ein Metronom zur Vorgabe des Sprechtempos oder ein Sprachverzögerer, der zeitversetzt die eigene Sprache wiedergibt und ebenfalls zum kontrollierten Sprechen anhält. Ist Sprechen überhaupt nicht mehr möglich, wird in der Logopädie die Kommunikation mittels Buchstabentafeln oder Computern mit Sprachausgabe intensiv trainiert. In der Schlucktherapie werden Bewegungen der Rachen- und Kehlkopfmuskeln geübt und eine optimale Kopf- und Körperhaltung ebenso trainiert wie langsames bewusstes Essen.
Psychologische Behandlung
Die psychologische Behandlung zielt vor allem darauf ab, gemeinsam mit dem Betroffenen schrittweise einen Weg zu finden, der eine Brücke zwischen den durch MS verursachten Schwierigkeiten auf der einen Seite sowie den persönlichen Lebenszielen auf der anderen Seite schlagen kann. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Entwicklung einer realistischen Lebensperspektive.
Neuropsychologie und Psychotherapie
Oberstes Ziel ist es, die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben vorzubereiten beziehungsweise einen möglichst langfristigen Verbleib im Arbeitsprozess zu gewährleisten. Zudem soll einem sozialen Rückzug wirksam vorgebeugt werden. Voraussetzung dafür ist eine umfassende neuropsychologische Diagnostik und Analyse der kognitiven Probleme und psychischen Ausgangsbedingungen des Patienten. Darauf basierend wird ein ganzheitlicher, ressourcenorientierter Behandlungsansatz auf verhaltenstherapeutischer Grundlage verfolgt. In der Psychotherapie werden gemeinsam mit dem Patienten Schwierigkeiten im kognitiven, emotionalen und sozialen Bereich herausgearbeitet und gleichzeitig persönliche Stärken und Ressourcen intensiv gestützt. Der Patient lernt, sich aktiv mit seinem aktuellen Zustand auseinanderzusetzen anstatt ihn zu verleugnen oder daran zu verzweifeln.
Sportarten und Aktivitäten für Menschen mit MS
Die Bandbreite möglicher Sportarten und Trainings für Patientinnen und Patienten mit MS ist weit. Es ist wichtig, dass der Trainingsplan und die dazu passenden Übungen individuell angepasst werden.
Aqua-Gymnastik
Mit einer grossen Bandbreite an Übungen kräftigt und mobilisiert Aqua Gymnastik den Körper. Darüber hinaus ist sie ein effektives Herz-Kreislauf- Training. Nach Bedarf werden Trainingsgeräte wie Schwimmnudeln, Wasserhanteln oder Schwimmteller eingesetzt. Diese Hilfsmittel können den Wasserwiderstand erhöhen und somit zu einem stärkeren Kräftigungseffekt führen. Sie dienen aber auch zur Entlastung einzelner Körperpartien, wenn Sie beispielsweise den Oberkörper in eine Schwimmnudel einhängen. MS-Erkrankte können mit Aqua-Gymnastik speziell ihr Gangmuster und ihre Ausdauer verbessern. Geschwächte Muskeln lassen sich gezielt trainieren und dehnen, etwa die Bein- und Rumpfmuskulatur. Aqua-Gymnastik macht vor allem in der Gruppe und mit Musikuntermalung viel Spaß.
Entspannungs- und Bewegungslehren
Wer den hohen Anforderungen im Alltag und Beruf etwas entgegensetzen und Körper und Seele etwas Gutes tun möchte, könnte mit einer der folgenden Entspannungs- und Bewegungslehren auf dem richtigen Weg sein. So unterschiedlichen Ursprungs sie auch sind, haben sie doch einiges gemeinsam: Sie stärken das innere Gleichgewicht, erhöhen die Körperwahrnehmung und können MS-Symptome wie Spastik, Depressionen oder Fatigue lindern. Auf sanfte Weise fördern sie, ohne zu überfordern. Daher sind sie auch für Menschen mit stärkeren Einschränkungen geeignet.
- Eutonie: Eutonie schult Körperbewusstsein, Bewegungsfähigkeit, Konzentration und das Gedächtnis. MS-Erkrankte lernen, die eigene Körperspannung flexibel der jeweiligen Situation anzupassen und optimale Bewegungsabläufe zu entwickeln.
- Feldenkrais: Das ganzheitliche Bewegungskonzept lehrt die intensive Wahrnehmung von Körper und Geist. Es beinhaltet aktiv-passiv Übungen, die bei MS-Erkrankten die Bewegungsqualität verbessern können. Sie lernen, dem eigenen Körper zu vertrauen und seine Bewegung flexibel an die jeweilige Situation anzupassen. Feldenkrais fördert Stabilität und Aktivität durch eine verbesserte Körperwahrnehmung und eine ökonomische Bewegungsweise.
- Qigong: Qigong erweitert die Beweglichkeit, wirkt positiv auf die Stimmung, erhöht die körperliche Aufmerksamkeit und hilft, den Alltag gelassener zu bewältigen. Qigong-Übungen sind eine harmonische Verbindung von Atem, Vorstellungskraft und Bewegung, mit dem Ziel, die Lebensenergie Qi zu aktivieren.
- Tai Chi: Die langsamen, harmonischen und fließenden Bewegungsabläufe wirken positiv auf Gleichgewicht und Koordination. Sie stärken Rumpf-, Rücken- und Haltemuskulatur, vermindern Spastik und verbessern die Atmung.
- Yoga: Die Bewegungs- und Haltungsübungen können sanft, aber auch fordernd sein. Zu den positiven Effekten zählen eine Verbesserung der Atmung, Stressabbau, erhöhte Koordination und Beweglichkeit, allgemeine Kräftigung und ein Training der gesamten Muskulatur.
Fitness/Aerobic
Aerobic ist ein dynamisches Ganzkörpertraining in der Gruppe mit rhythmischen Bewegungen zu schneller Musik. Ein Trainer führt die in einer Choreografie zusammengestellten Übungen vor, die hauptsächlich Ausdauer und Koordination trainieren. Puls- und Atemfrequenz beschleunigen sich und das Herz-Kreislauf- System wird gestärkt. Weil Arme und Beine gleichzeitig bewegt werden, schulen MS-Erkrankte auch Gleichgewicht und Konzentration. Bei eingeschränkter Bewegungsfähigkeit oder Fatigue sollten sie ihre Trainingseinheiten in mehrere kürzere Sequenzen aufteilen.
Gerätetraining
Gerätetraining im Fitnessstudio kann entweder als reines Fitness- und Krafttraining durchgeführt werden oder als medizinische Trainingstherapie. Die Geräte sind individuell einstellbar und ermöglichen es, die Leistungsfähigkeit auf vielen Ebenen zu steigern. Ob Laufband, Ergometer oder Seilzug - trainiert werden vor allem Ausdauer, Koordination, Kraft und Gleichgewicht. Der Vorteil ist, dass in guten Studios immer Trainer vor Ort sind, die auf Wunsch mit den Mitgliedern gemeinsam Trainingspläne aufstellen und die korrekte Ausführung der Übungen erklären. MS-Erkrankte mit schwerer Symptomatik können am motorunterstützten Bewegungstrainer Oberkörper, Beine und Arme bewegen und lockern und ihre Beweglichkeit verbessern.
Golf
Wer Sport und Ausgleich an der frischen Luft vereinen möchte, findet dieses beim Golfen. Auf dem Golfplatz muss der Spieler einen Ball mit möglichst wenigen Schlägen in ein Loch spielen, wobei verschiedene Golfschläger zum Einsatz kommen. Positiver Aspekt für MS-Erkrankte: Sie können ausdauernd gehen ohne Zeitdruck. Bei Gehschwierigkeiten kann der Golfwagen (Caddy) eine sinnvolle Unterstützung sein. Golf spielen schult Konzentration und Ausdauer sowie die Hand-Auge-Koordination. Während des Bewegungsablaufes trainieren Golfspieler ihre Rumpf- und Armmuskulatur und üben die Koordination des gesamten Körpers.
Gymnastik
Unter dem Begriff Gymnastik sind verschiedene Dehnungs- und Kräftigungsübungen zusammengefasst, die der Erhaltung und Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie der Verletzungsprophylaxe dienen. Diese können unter anderem die Wirbelsäule mobilisieren, die Muskulatur stärken, den Gleichgewichtssinn schulen und die Elastizität erhöhen. Gymnastik kann in jedem Alter und körperlichen Zustand betrieben werden, da die Belastungen einzelner Übungen gut steuerbar sind. Durch die enorme Bandbreite an Bewegungsmöglichkeiten ist Gymnastik für MS-Erkrankte besonders gut geeignet, um die Beweglichkeit zu erhalten, Körperkontrolle zu entwickeln sowie Koordination, Kraft und Ausdauer zu trainieren. Einzelne Einheiten lassen sich gut zwischendurch in den Alltag einbauen. Schon zehn bis fünfzehn Minuten täglich genügen.
Kampfsport
Kampfsport hält nicht nur Körper und Geist fit, sondern baut Stress ab und Selbstbewusstsein auf. Er fördert durch präzise Bewegungsabläufe neben Körperbeherrschung, Konzentration, Reaktion und Gleichgewicht auch die Beweglichkeit. Qualitäten, die auch für MS-Erkrankte einen hohen Stellenwert haben. Da die Techniken schnell und kraftvoll ausgeführt werden müssen, ist Kampfsport in der Regel jedoch eher für Menschen mit geringer MS-Symptomatik geeignet.
Kanufahren/Paddeln
Paddeln schult Gleichgewichtssinn sowie Koordination und trainiert vor allem die Rumpf- und Armmuskulatur. Durch die Wahl der entsprechenden Technik und des individuellen Tempos kann die Belastung relativ gut gesteuert werden. In Zweier- oder Mannschaftskanus wird Paddeln zu einem Gemeinschaftserlebnis. Für MS-Erkrankte, die sich in der freien Natur bewegen möchten, ist Kanufahren ein idealer Sport, da sie sich je nach Leistungsvermögen fit halten können. Durch die Schulung des Gleichgewichts und die rhythmischen Bewegungsabläufe können Symptome wie Spastik oder Ataxie abgeschwächt werden.
Klettern
Klettern ist ein effektives Ganzkörpertraining, das Kraft und Ausdauer erhöht und das Selbstvertrauen stärkt. Regelmäßiges Training am Fels oder in der Halle aktiviert ein komplexes Bewegungsmuster, das abwechselnd statische und dynamische Muskelarbeit erfordert und die Arm-Bein-Koordination fördert. Grundsätzlich kann jeder MS-Erkrankte klettern, solange er die Beine noch geringgradig bewegen kann und noch etwas Kraft in den Armen hat. Neben dem sportlichen Klettern im Freien, in Klettergärten oder -hallen, können MS-Erkrankte auch besonders beim therapeutischen Klettern Erfolge erzielen. Symptomspezifisch kann gearbeitet werden. Wer sportlich klettert, benötigt einen Partner zum Sichern. Häufig schließen Interessierte sich zu Klettergruppen zusammen und profitieren, neben dem sportlichen Erfolg, auch von der Gemeinschaft.
Laufen/Joggen
MS-Erkrankte berichten davon, dass Joggen ihnen geholfen hat, die Fatigue zu bekämpfen. Gemeinsames Joggen in Laufgruppen macht besonders viel Spaß und führt zu neuen Bekanntschaften.
Nordic Walking
Nordic Walking ist für MS-Erkrankte besonders geeignet, weil das Gehen mit Stöcken zusätzlichen Halt gibt. Wer von Ataxie und Gleichgewichtsstörungen betroffen ist, gleicht mit dem gezielten Stockeinsatz zusätzlich Koordinationsstörungen aus und schont die Gelenke. Insgesamt sind noch mehr Muskeln gefordert als beim reinen Walking: 90 Prozent der Körpermuskulatur wird aktiviert, und ganze Muskelketten werden trainiert. Durch den Einsatz der Stöcke ist der Rumpf stärker beteiligt, was vor allem bei MS-Erkrankten mit Rückenproblemen empfehlenswert ist.
Radfahren
MS-Erkrankte, die Schwierigkeiten mit dem Gehen haben, können häufig mit dem Fahrrad wieder längere Strecken zurücklegen. Radfahren stärkt Ausdauer und Kraft und wirkt der motorischen Fatigue entgegen. Das Herz-Kreislauf-System wird aktiviert. MS-Erkrankte können ihren Gleichgewichtssinn trainieren und jene Muskeln, die für das Gehen bedeutend sind, zum Beispiel in den Oberschenkeln und Waden. Die Möglichkeit, auf dem Rad gemeinsam mit anderen unterwegs zu sein, ist zudem ein wirksames Mittel gegen Depressionen und soziale Vereinsamung.
Pedelec
MS-Erkrankte können hiermit dem Ausdauerproblem oder der motorischen Fatigue entgegenwirken. Vor allem in hügeligem Gelände ist das Pedelec eine gute Alternative zum herkömmlichen Fahrrad.
Dreirad/Trike
Weniger bekannt, aber ideal bei Gleichgewichtsproblemen, ist das Dreirad für Erwachsene (Trike). Weil das Rad fest steht, ist das Aufsteigen deutlich leichter als beim Zweirad. MS-Erkrankte können sich, selbst wenn das Gehen und das normale Fahrradfahren Schwierigkeiten bereiten, mit dem Dreirad noch ein hohes Maß an Mobilität erhalten und gegebenenfalls die Nutzung eines Rollstuhls hinauszögern.
Reiten
Menschen mit MS können durch Reiten ihr Gleichgewicht trainieren sowie ihre Ausdauer, ihre Beweglichkeit und ihre Koordination verbessern. Dies wiederum kann sich positiv auf ihre Symptomatik auswirken.
Bewegungstherapie im Alltag integrieren
Grundsätzliches Ziel der Behandlung von MS Patienten ist die Steigerung der eigenen Aktivität. Diese soll sich auch bei Erkrankten nach den Bewegungsempfehlungen der WHO richten (150 Minuten moderate Intensität pro Woche bzw. 75 Minuten hohe Intensität pro Woche). Selbstverständlich müssen dabei die individuellen körperlichen Voraussetzungen der Patienten berücksichtigt werden.
Tipps für den Alltag
- Achten Sie gut auf Ihre Grenzen.
- Starten Sie langsam und steigern Sie immer zuerst die Dauer der körperlichen Aktivität, dann die Häufigkeit und schließlich die Intensität.
- Achten Sie dabei auf Ihren Körper und unterbrechen Sie bei auftretenden Symptomen wie Müdigkeit oder Gleichgewichtsproblemen das Training.
- Vermeiden Sie Überhitzung. Tragen Sie atmungsaktive Sportkleidung und haben Sie immer etwas zur Kühlung dabei - zum Beispiel eine Flasche mit kaltem Wasser oder einen Mini-Ventilator.
- Trainieren Sie nicht an heißen Tagen.
- Trainieren Sie nicht während eines akuten Schubes und sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin, ehe Sie nach einem Schub wieder mit dem Training beginnen.
- Wärmen Sie sich gut auf und dehnen Sie sich ausgiebig nach dem Sport. Das beugt Versteifungen und Spastiken vor.
Forschung und Innovation: "MS bewegt"
Im Projekt „MS bewegt" wird gemeinsam mit Partnern eine individuell betreute Online-Plattform zur Bewegungsförderung entwickelt. Über die App „MS bewegt" kann die körperliche Aktivität und Mobilität von Patienten mit MS (Multiple Sklerose) erfasst und optimiert werden. Dies geschieht mit Hilfe eines Fitnesstrackers, den der Patient am Körper trägt. Darüber hinaus wird mittels der Plattform ein von Therapeuten erstelltes Trainingsprogramm mit Kräftigungs- und Ausdauerübungen übermittelt. Die App enthält multimediale Übungsanleitungen. In einem Bewegungstagebuch können Trainingseinheiten geplant und dokumentiert werden, aber auch andere Bewegungsaktivitäten wie z.B. Spazieren gehen oder Schwimmen. Die Algorithmen zur Mobilitätsanalyse analysieren die Bewegung der Patienten im Alltag und sollen damit Aufschluss über die Entwicklung ihrer Erkrankung geben. Mit Fitnesstrackern oder Smartphones - getragen an der Hüfte oder Handgelenk - können diverse Mobilitätsparameter berechnen, z.B. Anzahl Schritte pro Tag, durchschnittliche Gehgeschwindigkeit, Beschleunigung, max. Gehstrecke am Stück ohne Pause usw. Damit können individuelle Gangmuster von Patienten geprüft und über einen langen Zeitraum überwacht werden, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen. Sinkt beispielsweise kontinuierlich die max. Gehstrecke, kann das als Hinweis auf eine zunehmende Einschränkung gelten.
Bewegungstherapie bei spezifischen Symptomen
Muskelkraft
Neurologische Störungen reduzieren die Muskelkraft, wobei bei MS-Erkrankten vor allem die untere Körperhälfte betroffen ist. Alle Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Kraft durch Training gesteigert werden kann. Negative Folgen treten nicht ein.
Ausdauerleistung
Die Leistungsfähigkeit von Herz und Atmung (kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit) kann bei MS-Erkrankten häufig geringer sein als bei Gesunden, was zu vorzeitiger Erschöpfung bei Belastung führt. Entsprechendes Training, zum Beispiel auf dem Laufband oder Fahrradergometer, kann die Ausdauerleistung langfristig verbessern.
Beweglichkeit und Spastik
Spastik führt oft zu einer eingeschränkten Beweglichkeit. In der therapeutischen Praxis geht man davon aus, dass sanfte Dehnung der Muskulatur helfen kann. Die gut koordinierte Aktivierung der Muskeln ist der Schlüssel zu einer besseren Leistungsfähigkeit.
Fatigue
Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass die Fatigue durch Ausdauertraining beeinflussbar ist. Vor allem ein angepasstes Aerobictraining, Walking und Ergometertraining sind hilfreich.
Gleichgewicht
Viele MS-Erkrankte haben Gleichgewichtsstörungen, diese sind eine häufige Sturzursache. Eine Studie konnte allerdings belegen, dass die Sturzhäufigkeit durch regelmäßiges Balancetraining signifikant verringert wird.
Depressionen
Durch aerobes Training konnte bei MS-Patienten eine antidepressive Wirkung bei leichten und mittelschweren Depressionen und eine verbesserte Stimmung nachgewiesen werden.
Vegetative Störungen
Beckenbodentraining und Ausdauertraining können Verbesserungen der Blasen- und Darmentleerung erzielen.
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