Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung. MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise körpereigenes Gewebe angreift. Die Ursachen der Multiplen Sklerose sind bis heute nicht vollständig bekannt.
Multiple Sklerose: Keine klassische Erbkrankheit
Multiple Sklerose ist keine Erbkrankheit im klassischen Sinne. Das bedeutet, dass die Krankheit nicht direkt von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird. Es gibt nicht das eine "MS-Gen", Multiple Sklerose beruht nicht auf einem Gendefekt, deshalb fällt sie nicht unter die Definition der klassischen Erbkrankheit.
Genetische Prädisposition und familiäre Häufung
Trotzdem spielt die Genetik eine gewisse Rolle. Bei etwa 20 % der MS-Patienten kommt es zu einer familiären Häufung der Erkrankung. Das Risiko, an MS zu erkranken, ist für Kinder von MS-Betroffenen leicht erhöht. Das Risiko, an einer Multiplen Sklerose zu erkranken, liegt in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland bei ca. 0,1-0,2 %. Tritt die Erkrankung bei einer Person des ersten Verwandtschaftsgrades auf, so ist das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken, um 3 % erhöht, bei entfernteren Verwandtschaftsgraden um 1 %. Dabei hat die Vererbung der Multiplen Sklerose von mütterlicher oder väterlicher Seite keinen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko.
Zwillingsstudien haben gezeigt, dass bei eineiigen Zwillingen das Erkrankungsrisiko bei 25 % liegt, wenn ein Zwilling erkrankt ist. Bei zweieiigen Zwillingen und Geschwistern liegt das Risiko bei 5 %.
Multiple Sklerose ist vielmehr eine Erkrankung, die von Umweltfaktoren ausgelöst wird und Menschen betrifft, die eine genetisch bedingte Veranlagung für MS haben.
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Multifaktorielle Ursachen
Die Entstehung von MS ist komplex und multifaktoriell. Das bedeutet, dass mehrere Faktoren zusammenwirken müssen, damit die Krankheit ausbricht. Neben der genetischen Veranlagung spielen auch Umweltfaktoren eine Rolle. Forschungsergebnisse zeigen, dass MS in Ländern in Äquatornähe und bei Menschen mit dunklerem Teint weniger häufig auftritt, das Erkrankungsrisiko mit höheren Breitengraden jedoch zunimmt.
Unter Verdacht stehen dabei eine Infektionskrankheit mit dem Eppstein-Barr-Virus in der Jugend ("EBV" ist der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers) und bestimmte Herpes-Viren. Wobei nicht gesichert ist, ob nicht auch andere Virusinfekte den Anlass für das spätere Ausbrechen der Krankheit geben könnte.
Weitere mögliche Risikofaktoren sind:
- Vitamin D-Mangel: Sonnenlicht regt die Vitamin D-Produktion an. Vitamin D wiederum stärkt das Immunsystem. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass Vitamin D-Mangel möglicherweise Autoimmunreaktionen begünstigt, die letztlich zu MS führen können.
- Rauchen: Raucher erkranken 1,5 mal häufiger an MS als Nichtraucher.
- Ernährung und Darmflora: Die Versuche legen nahe, dass eine bestimmte Zusammensetzung der Darmflora bei den Tieren - und damit möglicherweise auch beim Menschen - die Entwicklung von MS positiv verändern könnte.
Kinderwunsch bei MS
Kinderwunsch können sich Menschen mit MS mit ruhigem Gewissen erfüllen: Auch mit MS kann sich eine Familie gründen lassen. Denn die Erkrankung beeinträchtigt nicht die Fruchtbarkeit. Zudem haben die Kinder eines betroffenen Elternteils mit ca. Studien zeigen sogar, dass sich eine Schwangerschaft bei MS positiv auswirkt: Das Risiko für Schübe nimmt deutlich ab. Eine Ausnahme bilden die ersten drei Monate nach der Geburt, in denen das Schubrisiko ansteigt.
Die Fruchtbarkeit (Fertilität) von Männern und Frauen mit Multipler Sklerose ist per se nicht eingeschränkt. Dennoch sind Multiple Sklerose Patientinnen häufiger kinderlos oder haben weniger Kinder als gesunde Frauen. Ob dies aber eine biologische Ursache hat ist bisher nicht bekannt. Untersuchungen zeigen, dass es bei unbehandelten Frauen und Patientinnen mit einer hohen Krankheitsaktivität eher zu Abweichungen in der Menge an Sexualhormonen kommen kann.
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Planung von Schwangerschaft und Therapie
Besprich deinen Kinderwunsch auf jeden Fall mit deiner Neurologin oder deinem Neurologen: Er wird deine Behandlung eventuell schon vor der Schwangerschaft anpassen, da bei vielen Therapien nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie dem ungeborenen Baby schaden. Es gibt auch MS-Medikamente, die du ohne ein erhöhtes Risiko bis zum Eintritt der Schwangerschaft einnehmen und dann absetzen kannst. Das deutschsprachige Multiple Sklerose und Kinderwunsch Register (DMSKW) dokumentiert Schwangerschaften und Kinderwunsch-Behandlungen von MS-Betroffenen. Interessierte finden das DMSKW unter www.ms-und-kinderwunsch.de.
Die Empfehlung, mit einer Multiplen Sklerose Erkrankung nicht schwanger zu werden oder alle Multiple Sklerose Therapien viele Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen, ist schon lange veraltet. In mehreren Studien mit unbehandelten Patientinnen konnte belegt werden, dass das Schubrisiko im Verlauf der Schwangerschaft abnimmt, es nach der Entbindung jedoch wieder zu einem Schubanstieg kommt.
Kinderwunschbehandlungen
Ältere Studien zeigen, dass durch Kinderwunschbehandlungen (Reproduktionsmedizin) Schübe ausgelöst werden können (bis zu 35 % der Frauen in älteren Studien hatten Schübe, wenn die Multiple Sklerose Therapie schon vor der Behandlung abgesetzt oder nie begonnen wurde). Einer größeren neueren Studie zufolge ist das Schubrisiko jedoch deutlich geringer und lag nur bei 7 %. Bei Frauen, die ihre immunmodulatorische Therapie beibehielten, lag das Schubrisiko sogar nur bei 2 %.
Zum Schutz vor Schüben raten wir Frauen in der Regel ihre Multiple Sklerose Therapie während der Stimulation beizubehalten und diese abzusetzen, wenn der Schwangerschaftstest positiv ist. Dies gilt für alle Medikamente außer Teriflunomid (Aubagio®), Fingolimod (Gilenya®), Ozanimod (Zeposia®), Siponimod (Mayzent®), Ponesimod (Ponvory®) und Cladribin (Mavenclad®), welche in der Schwangerschaft kontraindiziert sind. Eine Stimulationsbehandlung kann wenige Monate nach der letzten Behandlung mit Anti-CD20 Antikörpern wie Ocrelizumab (Ocrevus®), Rituximab (MabThera®, Truxima®, Rixathon®), Ofatumumab (Kesimpta®) oder Cladribin (Mavenclad®) begonnen werden.
Schwangerschaftsverlauf und Entbindung
Schwangerschaftsverläufe von Frauen mit Multipler Sklerose und gesunden Frauen sind ähnlich. Einschränkungen für die Geburt sollten sich durch die Multiple Sklerose nicht ergeben. Eine leicht erhöhte Rate an Kaiserschnitten ist bei Multiple Sklerose-Patientinnen beschrieben, ohne einen Anstieg an sonstigen Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen. Der Schubanstieg nach der Geburt ist unabhängig von der Art der Entbindung, daher können Frauen mit einer Multiplen Sklerose entbinden, wie sie möchten, bzw. wie es die geburtshilfliche Situation erfordert. Frauen, die an einer Multiplen Sklerose erkrankt sind, müssen nicht auf eine Periduralanästhesie (PDA) verzichten, da eine PDA den Schubanstieg nach der Entbindung nicht beeinflusst.
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Stillen
Muttermilch ist die beste Ernährung für ein Baby. Ausschließliches Stillen fördert nicht nur die Mutter-Kind-Bindung, sondern stärkt auch das Immunsystem des Kindes und wirkt entzündungshemmend. Außerdem wirkt sich Stillen auch positiv auf die Mutter selbst aus und senkt zum Beispiel das Risiko an Brustkrebs oder Typ 2 Diabetes zu erkranken. Daher empfehlen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Nationale Stillkommission 4 bis 6 Monate ausschließlich zu stillen und erst danach Beikost einzuführen. Stillen hat keinen negativen Effekt auf die Schubrate. Laut einer Metaanalyse kann Stillen im Vergleich zum nicht Stillen bei Multiple Sklerose Patientinnen mit leichter bis moderater Krankheitsaktivität die Schubrate nach der Entbindung um bis zu 37% senken.
Es gibt Multiple Sklerose Medikamente die in Europa offiziell zur Verwendung während der Stillzeit zugelassen sind: Dazu gehören Beta-Interferone (Betaferon®, Avonex®, Rebif®, Extavia®, Plegridy®), Glatirameracetat (Copaxone®, Clift®), Ofatumumab (Kesimpta®) und Ocrelizumab (Ocrevus®). Einige andere Multiple Sklerose Medikamente wie monoklonale Antikörper gelangen jedoch wahrscheinlich nicht in biologisch relevantem Maße in die Muttermilch und wieder andere überwinden zwar die Blut-Milch-Schranke, haben aber keinen negativen Effekt auf den Säugling.
Die Entscheidung unter einer Multiple Sklerose Therapie zu stillen, sollte gemeinsam mit dem behandelnden Neurologen oder der behandelnden Neurologin und nur nach intensiver Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung des potentiellen Risikos für den Säugling und dem Risiko eines schweren Schubes erfolgen.
Väterliche MS und Kinderwunsch
Männer müssen die gängigen Multiple Sklerose Medikamente in der Regel vor einer geplanten Zeugung nicht absetzen. Eine Ausnahme stellt das Medikament Cladribin (Mavenclad®) dar. Es wird Patienten beider Geschlechter empfohlen, die Therapie mindestens 6 Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen.
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