Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die bis heute als unheilbar gilt. Allerdings haben sich die Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren deutlich verbessert. Neben den etablierten medikamentösen Standardtherapien gibt es eine Vielzahl von komplementären und alternativen Behandlungsmethoden, die von Betroffenen häufig in Betracht gezogen werden, um ihre Lebensqualität zu verbessern und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.
Die Vielfalt der Therapieansätze bei MS
Die Therapie der Multiplen Sklerose hat sich in den letzten 20 Jahren entscheidend verbessert. Bis dahin gab es keine gut validierten kausalen Behandlungsmöglichkeiten. Heute stehen mehrere wirksame Therapien zur Verfügung.
Die Palette an komplementären (die Schulmedizin ergänzenden) oder alternativen (anstelle der schulmedizinischen Behandlung) Therapien und Produkten reicht von Akupunktur bis Yoga. Grob gliedern kann man sie in die Bereiche „Sport und Bewegung“, „Physikalische Therapien“ (zum Beispiel Massagen, Elektrotherapie oder Kältetherapie), „Entspannungstechniken“, „Ernährung“, „traditionelle Heilverfahren“ (unter anderem Akupunktur und Pflanzenheilkunde), sowie weitere Verfahren (zum Beispiel Amalgamentfernung, Homöopathie, Musik- und Kunsttherapie, Osteopathie, tiergestützte Therapien etc.).
Die klassische Basistherapie (akute Schubtherapie und verlaufsmodifizierende Therapie), ergänzt durch die symptomatische Therapie mit zugelassenen Wirkstoffen und Methoden, hilft Erkrankten, ihr Leben mit MS zu meistern. Trotzdem fragen sich viele, ob sie noch mehr tun können, um den Fortschritt der Krankheit zu verlangsamen oder Symptomen entgegenzuwirken.
Standardtherapien in der MS-Behandlung
Die schulmedizinische Therapie beruht im Wesentlichen auf Immunsuppression mit Cortison bzw. immunmodulatorischen Medikamenten (Beta-Interferone, Glatirameracetat, Natalizumab und Mitoxantron), die bei schubförmigem Verlauf die Frequenz der Schübe um rund 30% reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung verringern [22]. Der akute Schub wird mit hoch dosierten Glucocorticoiden behandelt [40]. Allerdings hat die konventionelle Therapie Grenzen. Eine Heilung kann nicht erwartet werden. Die Therapieeffekte sind zwar deutlich messbar, jedoch insgesamt mäßig [41]. Oft schreitet die Krankheit trotz aller Maßnahmen fort. Zahlreiche Symptome wie Lähmung, Inkontinenz, Tremor, kognitive Störungen oder Ataxie sind oft therapieresistent [112]. Bei manchen Patienten, insbesondere solchen mit chronisch progredientem Krankheitsverlauf, sind konventionelle Therapien oft wirkungslos.
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Komplementäre und alternative Therapien (KAT)
Komplementäre Therapien werden oft als Ergänzung zur konventionellen medizinischen Behandlung bei Multipler Sklerose (MS) in Betracht gezogen. Alternative oder komplementäre Verfahren zur (begleitenden) Behandlung von Multiple Sklerose sind zumeist wissenschaftlich nicht immer ausreichend untersucht worden, um aus allopathischer Sicht verlässliche Aussagen über deren Wirksamkeit treffen zu können.
Die meisten MS-Erkrankten nutzen Komplementärmedizin. Eine Studie der Deutschen Medizinischen Wochenschrift zeigt, dass circa 70 Prozent aller MS-Erkrankten Naturheilkunde und Komplementärmedizin anwenden. An der Spitze des Spektrums mit 30 bis 35 Prozent stehen Entspannungsverfahren sowie Mineralien- und Spurenelemente, gefolgt von Diäten, Akupunktur und Homöopathie (20 Prozent). Meist werden diese als Ergänzung zu den Standard-Therapien genutzt. Einige Erkrankte probieren vor allem bei geringer Symptomatik zunächst diese Verfahren.
Wichtige Aspekte bei der Wahl von Therapien
Es ist wichtig, sich bei allen Therapieformen vorab umfassend zu informieren. Fundierte Informationen sowie Abstimmung mit den behandelnden Ärzten helfen MS-Erkrankten bei der Wahl der für sie ggf. geeigneten Ergänzungen und Alternativen.
Die Forschung zu neuen Therapieformen und -ansätzen entwickelt sich stetig weiter - bleiben Sie dran am Thema, damit Sie selbstbestimmt und gemeinsam mit Ihren behandelnden Ärzten ein für sich passendes Konzept aus schulmedizinischer und ggf. ergänzender Therapie finden, das Ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht.
Wissenschaftliche Bewertung von Therapien
Alternative oder komplementäre Verfahren zur (begleitenden) Behandlung von Multiple Sklerose sind zumeist wissenschaftlich nicht immer ausreichend untersucht worden, um aus allopathischer Sicht verlässliche Aussagen über deren Wirksamkeit treffen zu können.
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Von welchen Therapien muss abgeraten werden? Definitionsgemäß können KAT aus wissenschaftlicher Sicht nicht empfohlen werden. Nach aller Erfahrung ist es allerdings weder erfolgversprechend noch hilfreich, einem Patienten, der von der Wirkung einer KAT überzeugt ist, aktiv abzuraten, solange die wissenschaftlich indizierte Therapie dadurch nicht beeinträchtigt wird. Angesichts des belegten Nutzens der zugelassenen Immuntherapien ist es aber nicht vertretbar, einem Patienten KAT anstelle von konventioneller Therapie zu empfehlen, solange die wissenschaftlich fundierten Therapiemöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind.
Bereiche der ganzheitlichen Behandlung
Im Folgenden werden einige Bereiche der ganzheitlichen Behandlung von MS näher beleuchtet.
Sport und Bewegung
Individuell angepasste körperliche Aktivität kann MS-Betroffenen viel nützen: Die Beweglichkeit bleibt länger erhalten; die allgemeine Müdigkeit (Fatigue) bessert sich bei gezielter Bewegung, wie sie in der Physiotherapie erlernt wird; das Training kann Fehlbelastungen und falsche Bewegungen, die durch Schmerzen, Spastiken oder Muskelblockierungen entstehen, beseitigen und Gangstörungen beheben. Pauschal lässt sich feststellen, dass sich jegliche Formen von Sport und Bewegung bei MS gut bewährt haben und dass sich physio- und ergotherapeutische Maßnahmen sowie Entspannungsverfahren positiv auf MS-Symptome auswirken können.
Bei einer Ataxie fällt es MS-Patientinnen schwer, das Gleichgewicht zu halten. Ergotherapeutinnen versuchen, falsche Bewegungen und kräftezehrende Körperhaltungen bei MS-Betroffenen zu beseitigen. Sie üben mit ihnen wieder normale Bewegungen ein, die weniger Energie kosten. Ist das nicht mehr möglich, lernt der Patient oder die Patientin mit seinem/ihrem Handicap umzugehen und trainiert neue „Ersatzbewegungen“.
Ziel der Feldenkrais-Methode ist es nicht, Probleme zu korrigieren, sondern das Bewusstsein zu schulen, eine klarere Empfindung von sich selbst zu entwickeln. Dadurch kann eine leichtere und freudvollere Art entstehen, sich zu bewegen. Moshe Feldenkrais, Begründer der Methode zu Beginn des 20. Unterricht in der Gruppe: unter Anleitung eines Feldenkrais-Lehrers oder einer -Lehrerin werden sanfte, leichte anstrengungsfreie Bewegungen gemacht, die es ermöglichen, auf spielerische Art neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken.
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Stressmanagement
Verschiedene Studien zeigen, dass negativer Stress ein möglicher Faktor beim Auslösen von MS-Schüben ist und dass Stress die Symptome einer Multiplen Sklerose verschlechtern kann. So fand sich in kleineren Studien bei Negativstress ein verschlechterter Kernspin-Befund. Therapien, die helfen können, Stress zu vermeiden, können daher für MS-Erkrankte wirkungsvoll sein.
Gute Methoden der Stressreduktion sind unter anderem Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR), Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung sowie Bewegungstherapien mit Aufmerksamkeitskomponente (Yoga, Tai-Chi, Heileurythmie, Feldenkrais, Qigong).
Ernährung
Es gibt zwar keine spezielle Diät für MS-Erkrankte, aber es wird vermutet, dass die Ernährungsweise MS-Symptome beeinflussen kann. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung ist deshalb besonders wichtig. Essen Sie abwechslungsreich mit viel Gemüse und Obst und nehmen Sie sich genügend Zeit für die Mahlzeiten. Sowohl die vegane (ausschließlich pflanzliche Kost) als auch die ketogene (viele tierische Fette und Eiweiße) Diät tauchen im Zusammenhang mit MS immer wieder auf.
Studien zeigen, dass vegane Ernährung Müdigkeitserscheinungen und seelisches Befinden verbessern kann. Ihr Gegenstück, die ketogene Ernährung, weist laut einer aktuellen Studie an der Berliner Charité allerdings ähnlich positive Effekte auf. Auch intermittierendes Fasten, entzündungshemmende Ernährung sowie die Paleo-Diät können für mehr psychisches und körperliches Wohlbefinden trotz MS sorgen.
Wichtig: Wer sich für eine besondere Ernährungsform entscheidet, sollte sich auskennen, da dies mit Mangelzuständen (z. B. Vitamin B12-Mangel bei veganer, Folsäuremangel bei ketogen er Ernährung) einhergehen kann. Untergewicht oder Übergewicht sollten vermieden werden.
Vitamin D
Es gibt leider wenige evidenzbasierte Aussagen zur Wirksamkeit von Vitaminen als Nahrungsergänzung bei MS. Viele Empfehlungen basieren deshalb auf Annahmen. Ein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegel und MS wird vermutet, denn MS-Erkrankte haben häufig einen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel. Die Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bei MS empfiehlt, einen solchen Mangel auszugleichen.
Sonnenlicht und UV-Strahlung korrelieren mit dem Risiko, an MS zu erkranken. Je geringer die Sonneneinstrahlung, desto höher das MS-Risiko. Der Vitamin D-Gehalt im Blut ist ein direktes Ergebnis der Sonnen-/UV- Einstrahlung auf die Haut, der wichtigsten Quelle für dieses Vitamin. Vitamin D unterdrückt überschießende Entzündungsreaktionen durch Verringerung der aktivierenden Botenstoffe. Je höher der Vitamin-D-Spiegel im Blut, desto geringer der Behinderungsgrad nach der Mehrheitsmeinung.
Akupunktur
Als Teil der Traditionellen chinesischen Medizin ist fachkundig ausgeführte Akupunktur eine Option bei der funktionellen und regulativen Therapie zur Symptomlinderung bei MS. Die Wirkungsmechanismen der Akupunktur sind wissenschaftlich umstritten. Allerdings wurden mehrfach positive Effekte in der Behandlung von MS-Erkrankten mit chronischen Schmerzen beobachtet. Auch positive Wirkungen auf Darmfunktion und Fatigue sind möglich und können insgesamt zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen.
Osteopathie
Osteopathischen Techniken können zwar keine Multiple Sklerose heilen, aber die von Andrew Taylor Still im 19. Jahrhundert begründete manuelle Behandlungsmethode bietet eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten. So dient ja die MS als der „übliche Verdächtige“, wenn der Betroffene über bestimmte Symptome klagt. MS-bedingte Blasenstörungen können osteopathisch vielfältig positiv beeinflusst werden, z.B. Harnblase, der Beckenmechanik, des Beckenbodens und des Nervus pudendus.
Pflanzliche Präparate
Drei pflanzliche Wirkstoffe haben sich mit ermutigenden Studienergebnissen hervorgetan. Ginseng, über drei Monate verabreicht im Vergleich zu Placebo, zeigte bei den beteiligten MS-Erkrankten eine Besserung von Müdigkeit und allgemeiner Lebensqualität. Die in der Cannabis-Pflanze enthaltenen Wirkstoffe THC und CBD können MS-Symptome wie Spastik und Schmerzen lindern sowie das Gangbild verbessern. Allerdings wirkt Cannabis von Mensch zu Mensch unterschiedlich und kann Nebenwirkungen, wie Schwindel oder psychische Beeinträchtigungen, haben.
Mut macht auch eine frühe Phase-II-Studie aus Deutschland, die zeigt, dass Weihrauch die Entzündungsaktivität bei MS signifikant senken kann. Läsionszahl und -größe zeigten sich im MRT nach achtmonatiger Einnahme deutlich verringert. Auch bei Omega-Fettsäuren kann die entzündungshemmende Wirkung positive Effekte bei MS-Erkrankten haben, das gilt nachweisbar für die pflanzlich basierten Omega-6-Fettsäuren, die in Borretsch- oder Nachtkerzenöl vorkommen.
Zelltherapie
Kann das Immunsystem von Patienten mit multipler Sklerose dazu überredet werden, Attacken gegen das eigene Nervensystem einzustellen? Offensichtlich ja! Das jedenfalls lassen Ergebnisse einer ersten klinischen Studie mit einer innovativen Zelltherapie hoffen. Eigentlich hat unser Immunsystem die Aufgabe, Eindringlinge, also zum Beispiel Viren oder Bakterien, zu bekämpfen. Nicht so bei Patientinnen und Patienten mit multipler Sklerose. Bei ihnen richten sich die Zellen des Immunsystems gegen den eigenen Körper und greifen das Nervensystem an.
Therapien, von denen abgeraten werden sollte
Neben unwirksamen Therapien gibt es auch gefährliche Behandlungsmethoden, die zudem in der Regel nicht wissenschaftlich untersucht worden sind. Zu ihnen zählen die Verstärkung der Immunreaktion (sogenannte Immunaugmentation), die Frischzellentherapie, bei der Zellen von Kalbsföten oder jungen Kälbern gespritzt werden, die Behandlung mit Schlangen- oder Bienengift, die schwere Allergien nach sich ziehen kann sowie die intrathekale Stammzellentherapie, bei der dem Patienten eigene Stammzellen in den Rückenmarkskanal gespritzt werden und die tödlich verlaufen kann. Auf diese Behandlungen sollten MS-Erkrankte in jedem Fall verzichten. Auch die Amalgamsanierung kann nach heutigem Kenntnisstand nicht empfohlen werden.
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