Multiple Sklerose und ketogene Ernährung: Aktuelle Studien und Erkenntnisse

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden angreift, die Nervenfasern umhüllen und isolieren. Dies kann zu einer Vielzahl von neurologischen Symptomen führen, die von Koordinationsproblemen und Sehstörungen bis hin zu Lähmungen und Fatigue reichen. Da die Symptome und der Verlauf der MS von Patient zu Patient stark variieren, wird sie oft als "Krankheit der 1000 Gesichter" bezeichnet.

Die Forschung hat gezeigt, dass die Ernährung eine Rolle bei der Modulation des Immunsystems und des Krankheitsverlaufs bei MS spielen kann. Insbesondere die ketogene Ernährung hat in den letzten Jahren aufgrund ihrer potenziellen neuroprotektiven und entzündungshemmenden Wirkung Aufmerksamkeit erregt.

Ernährung als Einflussfaktor bei Multipler Sklerose

Aus klinischen Erfahrungswerten und ersten Studien mit verschiedenen Ernährungskonzepten gibt es Hinweise, dass sich der Verlauf der Multiplen Sklerose durch Ernährung beeinflussen lässt. Patienten können die Krankheitsaktivität aber zusätzlich auch über die Ernährung positiv beeinflussen. „Aus zahlreichen Studien ist bereits bekannt, dass es für die Abwehrkraft unseres Immunsystems nicht unerheblich ist, was wir essen und wie unser Darm-Mikrobiom sich zusammensetzt“, berichtet Prof. Dr. med. Gereon Nelles, Facharzt für Neurologie und Psychotherapeut in Köln und Vorstandsmitglied des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte (BVDN).

Die NAMS-Studie: Ernährungskonzepte im Vergleich

Um die potenziellen Vorteile verschiedener Ernährungsansätze bei MS zu untersuchen, wurde die NAMS-Studie (Nutritional Approaches in MS) durchgeführt. Die NAMS Studie ist ein Nachfolger der IGEL-Studie, die bereits hier vorgestellt wurde. Aufgrund der positiven Studienergebnisse der IGEL-Studie hinsichtlich der Lebensqualität und Blutfettwerten durch Fastentherapie und ketogene Ernährung, wurde die NAMS Studie mit einer längeren Interventionszeit von 18 Monaten und dem MRT als Endpunkt ins Leben gerufen. Ziel der NAMS Studie ist die Untersuchung der Wirksamkeit dreier Ernährungskonzepte auf den Erkrankungsverlauf von MS-Betroffenen. Die NAMS-Studie ist eine randomisierte, kontrollierte Studie, die die Wirksamkeit von drei verschiedenen Ernährungskonzepten auf den Verlauf der MS untersucht:

  1. Ketogene Ernährung
  2. Fasten
  3. Standard-Mischkost (Kontrollgruppe)

An der NAMS Studie können Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose teilnehmen, die zwischen 18 und 65 Jahren alt sind. Die Visiten werden in der Charité am Campus Mitte in Berlin durchgeführt. Insgesamt sind 6 Visiten über einen Zeitraum von 18 Monaten geplant. Zusätzlich werden regelmäßige, MS-spezifische Ernährungsberatungen in Kleingruppen angeboten.

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Im Rahmen der Studie wurden verschiedene Parameter gemessen, darunter motorische Fähigkeiten, Körperzusammensetzung, Blutwerte und MS-spezifische Symptome. Zusätzlich wurde eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt, um Veränderungen im Gehirn zu beurteilen.

Einschluss- und Ausschlusskriterien für die Studienteilnahme

Um an der NAMS-Studie teilnehmen zu können, mussten bestimmte Kriterien erfüllt sein. Zu den Ausschlusskriterien gehörten:

  • Diagnose einer progressiven Multiplen Sklerose
  • Diagnose eines Diabetes mellitus (Typ 1)
  • Diagnose einer Stoffwechselerkrankung (z.B. Fettsäureoxidationsstörung, Ketogenesedefekte, Glukoneogenesedefekte)
  • Bekannte Nierensteine
  • Therapie mit oralen Antikoagulantien (z.B.

Studiendesign und -ablauf

Insgesamt waren 6 Visiten über einen Zeitraum von 20 Monaten geplant, die jeweils 2-4 Stunden dauerten. Bei den Studienvisiten (zum Start der Studie, nach 9 und 18 Monaten) wurden motorische Tests durchgeführt, die Körperzusammensetzung gemessen, Blut abgenommen und Fragebögen zu MS-spezifischen Symptomatik beantwortet. Zusätzlich wurde jeweils ein MRT durchgeführt. Im Verlauf der Studie fanden 10 MS-spezifische Ernährungsberatungen in Kleingruppen statt, um die Teilnehmer zur Ernährungsumstellung zu schulen und sie während der Studie beratend zu begleiten. Die Erkenntnisse der kontrollierten Anwendungsstudie können zur besseren Einschätzung der Wirksamkeit und Wirkungsweise von verschiedenen Ernährungsformen beitragen.

Ergebnisse und Erkenntnisse zur ketogenen Ernährung bei MS

Nach einer ketogenen Diät für die Dauer von sechs Monaten hatten sich die körperlichen Behinderungen und die Müdigkeit von MS-Patienten verringert, während ihre Gehgeschwindigkeit, Stimmung und Lebensqualität sich verbesserten. Die Blutwerte der Patienten wiesen zum Ende dieser Diät mehr entzündungshemmende und weniger entzündungsfördernde Substanzen auf. Nach Angaben der Forscher kann die ketogene Diät für Patienten mit schubförmiger MS außerdem als sicher und gut verträglich angesehen werden. Eine mögliche Erklärung, warum sich eine ketogene Diät bei MS positiv auswirken kann, liefert eine weitere Studie: Neuroinflammatorische Erkrankungen, die dem Nervensystem schaden, bringen offenbar auch den Energiestoffwechsel des Gehirns aus dem Gleichgewicht. Als Gegenmaßnahme stellt sich der Nervenzell-Stoffwechsel auf Fett als primärer Energiequelle um. „Dabei ist eine ketogene Diät offenbar gut geeignet, um die erforderliche Menge Fett zur Energiegewinnung zu liefern. Das würde einen verstärkten Energiestoffwechsel in den Nervenzellen ermöglichen, so dass sich der Schweregrad der MS-Erkrankung reduzieren kann“, erläutert Prof.

Der Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) berichtet über Hinweise, dass Menschen mit Multipler Sklerose (MS) von einer ketogenen Ernährung profitieren können. Dabei verweisen die Neurologen auf Studienergebnisse, die belegen, dass Betroffene, die sich sechs Monate lang mit dieser speziellen Diät ernährten, eine deutlich bessere Lebensqualität hatten. Die Beeinträchtigungen durch körperliche Behinderungen sowie Müdigkeit und Missstimmung ließen nach. Auch die Gehgeschwindigkeit verbesserte sich.

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Dr. Markus Bock von der Berliner Charité und sein Team haben in einer ersten Studie am Menschen untersucht, inwieweit die ketogene Ernährung sich auf die Lebensqualität von MS-Patient:innen auswirken kann. 60 Proband:innen wurden dazu in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe ernährte sich sechs Monate lang von gewöhnlicher Mischkost. Die zweite fastete sieben Tage lang und erhielt anschließend die gleiche Kost wie die erste Gruppe. Die dritte Gruppe hielt sich ein halbes Jahr lang an eine ketogene Diät. Während der Studiendauer erfassten Bock und sein Team anhand eines Fragebogens die Lebensqualität der Proband:innen.

Belegt werden konnte, dass sowohl das Fasten als auch die ketogene Diät zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität führte. Die ketogene Diät wirkte sich zudem positiv auf die Blutfettwerte aus. Weitere Studien mit größeren Patientenzahlen sollen folgen, um auch die Effekte auf das Gehirn mit bildgebenden Verfahren zu untersuchen.

Wie wirkt die ketogene Ernährung bei MS?

Die Frage ist, warum sich gerade eine ketogene Ernährung mit vielen Fetten positiv auf die MS-Erkrankung auswirkt. Laut BVDN gibt es Hinweise, dass die Erkrankung den Energiestoffwechsel des Gehirns aus dem Gleichgewicht bringt. Nervenzellen gewinnen unter MS ihre Energie vorrangig aus Fetten: „Eine ketogene Diät ist offenbar gut geeignet, um die erforderliche Menge Fett zur Energiegewinnung zu liefern“, so Gereon Nelles, Neurologe vom BVDN. Dabei stammen die Fette, die innerhalb einer ketogenen Ernährung konsumiert werden, hauptsächlich aus Fisch, Fleisch, Pflanzenölen und Nüssen. So wird ein verstärkter Energiestoffwechsel in den Zellen möglich: MS-Beschwerden können so gelindert werden.

US-Wissenschaftler genommen: Sie untersuchten, wie sich eine ketogene Diät - viel Fett, wenig Kohlenhydrate, ausreichend Protein - klinisch auf Menschen mit schubförmiger MS auswirkt. In vorangegangenen Studien konnten Wissenschaftler bereits an Autoimmun-Enzephalitis leidenden Mäusen (Modell zur Nachstellung einer MS-Erkrankung) neuroprotektive Effekte einer ketogenen Ernährung belegen. Läsionen im MRT waren reversibel und Entzündungsmediatoren wurden unterdrückt.

Weitere Ernährungsempfehlungen bei MS

Neben der ketogenen Ernährung gibt es auch andere Ernährungsempfehlungen, die bei MS in Betracht gezogen werden können.

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Verzicht auf Weizen und Milchprodukte

Schon seit den 90er Jahren wird vermutet, dass die Häufigkeit von MS-Symptomen mit dem Konsum von Kuhmilchprodukten zusammenhängen könnte. Jetzt wurde in einer aktuellen Studie nachgewiesen, dass in Kuhmilch Proteine enthalten sind, die bei manchen Allergikern Entzündungsprozesse verursachen, die auch den Myelinscheiden der Nervenfasern schaden können. Den Studienautoren zufolge hätten Betroffene vermutlich irgendwann durch den Konsum von Milch eine Allergie gegen das Milcheiweiß Casein entwickelt. Daher produziere ihr Immunsystem nach dem Konsum von Milchprodukten große Mengen an Casein-Antikörpern, die sich auch gegen andere, ganz ähnlich aufgebaute Proteine richten können, die für die Bildung von Myelin verantwortlich sind. So kann es offenbar ausgehend von einer Casein-Allergie aufgrund der Kreuzreaktivität mit anderen Proteinen zu einer Zerstörung der Myelinscheiden kommen. MS-Patienten, die eine Verschlechterung ihrer Symptome nach dem Verzehr von Milchprodukten wahrnehmen, empfehlen die Wissenschaftler der Studie deshalb, Lebensmittel aus Kuhmilch lieber zu meiden.

Bei Weizen dürften viele direkt an Gluten (dem Auslöser von Zöliakie) als „Übeltäter“ denken. Allerdings enthält Weizen auch andere natürliche Proteine - Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) -, die leichte Entzündungsreaktionen im Darm auslösen können. Diese durch ATI aus unserer Ernährung aktivierten Entzündungszellen können vom Darm auch in andere Organe wandern und dort eine bereits bestehende Entzündung stimulieren und dadurch eine Krankheitsaktivität erhöhen, wie vielleicht bei Multipler Sklerose.

ATI-Proteine machen 2 bis 4 Prozent der Proteine in glutenhaltigem Getreide aus und finden sich neben Weizen zum Beispiel auch in Gerste und Roggen.

An Mäusen konnten Wissenschaftler von der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz bereits 2016 zeigen, dass durch eine ATI-reiche Kost Mäuse schwerer an MS - beziehungsweise Experimenteller Autoimmunenzephalitis, dem Mausmodell für MS - erkranken. Auch bewirkte die ATI-angereicherte Ernährung, dass entzündungsfördernde Immunzellen stärker wurden. Erhielten die Mäuse hingegen Gluten, verschlechterte dies das MS-Erkrankungsgeschehen bei den Mäusen nicht

Diese Daten wollten die Wissenschaftler sodann an Menschen mit MS prüfen und bestenfalls bestätigen. Sie starteten eine kleine Pilotstudie mit 16 moderat an MS erkrankten Menschen mit einem gering aktiven Verlauf. Die Patienten waren zwischen 18 und 60 Jahre alt und bis auf einen Teilnehmer alle weiblich. In einem Cross-over-Design erhielten die Probanden zunächst für drei Monate eine weizenreduzierte/-freie Diät (< 90 %). Anschließend erfolgte für weitere drei Monate eine weizenhaltige Standarddiät oder umgekehrt. Damit ernährte sich jeder Studienteilnehmende drei Monate weizenfrei und drei Monate weizenhaltig.

Ergebnisse einer Studie zum Weizenverzicht

Die Wissenschaftler interessierten sich vor allem dafür, ob durch den Weizenverzicht entzündungsfördernde T-Zellen abnahmen (primäres Studienziel) und ob sich die Lebensqualität und der Behinderungsgrad (EDSS) der Patienten veränderten (sekundäre Studienziele).

Die Zahl der zirkulierenden T-Zellen veränderte sich durch die weizenfreie Ernährung der Patienten nicht, wodurch die Studie ihr primäres Studienziel nicht erreichte. Dennoch konnten die Wissenschaftler Effekte auf Immunzellen beobachten: Die Zahl einer Gruppe von Monozyten mit dem Oberflächenmarker CD14++CD16++ nahm unter weizenfreier Kost ab. Positiv wirkte sich der Weizenverzicht auch auf die Schmerzen der Patienten aus: Die an MS Erkrankten berichteten über signifikant weniger Schmerzen. Hingegen veränderte sich der Behinderungsgrad, gemessen anhand des EDSS-Scores, nicht, es war im sechsmonatigen Studienzeitraum folglich egal, ob die Patienten Weizen gegessen hatten oder nicht.

Die Wissenschaftler finden, dass eine weizenreduzierte (ATI-reduzierte) Ernährung für manche MS-Patienten ein ergänzender Ansatz zur Immuntherapie sein könne.

Bedeutung von kurzkettigen Fettsäuren

Kurzkettige Fettsäuren wie Propionsäure können die Schubrate bei Menschen mit schubförmiger Multipler Sklerose (MS) verringern. Man weiß zum Beispiel bereits, dass eine Vitamin-D-Supplementierung das Mikrobiom von MS-Patienten verändern kann, und sich kurzkettige Fettsäuren (wie Propionsäure) positiv auf die Schubhäufigkeit auswirken.

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