Multiple Sklerose und das Suizidrisiko: Ein umfassender Überblick

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft. Die Erkrankung kann eine Vielzahl von körperlichen und psychischen Symptomen verursachen, die das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können. Zu den häufigsten Symptomen gehören Fatigue, kognitive Störungen, Depressionen, Angststörungen und Schmerzen.

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle Beschwerden, die mit MS einhergehen, auf den ersten Blick für andere sichtbar sind. Diese unsichtbaren Symptome belasten die Betroffenen oft sehr, werden aber von Familie, Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen in zahlreichen Fällen nicht ernst genommen - eben, weil sie äußerlich nicht oder nicht sofort erkennbar sind. Auch die Familie von Menschen mit MS kann u. U. als Folge der unsichtbaren Symptome der MS mit Schwierigkeiten konfrontiert werden. Beispielsweise wenn als Folge der MS Wesensveränderungen des von der Krankheit betroffenen Familienmitglieds auftreten, wenn der MS-Kranke von Depressionen betroffen ist oder eine schwere Fatigue dafür sorgt, dass Umstrukturierungen im Ablauf des Familienlebens nötig werden.

Psychische Belastung und Suizidalität bei MS

Die Diagnose MS ist für die meisten Betroffenen ein Schock. Auch mit den körperlichen Einschränkungen, die als Folge von Krankheitsschüben oft hinzukommen, müssen Menschen mit MS lernen umzugehen. In manchen Fällen folgen die einzelnen Schübe rasch aufeinander, kommen schnell neue Einschränkungen zu den bestehenden hinzu. Häufig bilden sich körperliche Einschränkungen zumindest teilweise wieder zurück, doch ist es schwer zu verkraften, zu manchen Tätigkeiten nicht mehr in der Lage zu sein. Diese Einschnitte können zu depressiven Verstimmungen führen oder Angst machen. Während eine gewisse Niedergeschlagenheit und Angst, wie es wohl in Zukunft weitergehen mag, vor allem nach Schüben normal ist, geraten manche Betroffenen in eine Abwärtsspirale.

Depressionen sind bei Multipler Sklerose häufig. Etwa 60 Prozent der Betroffenen erfahren in ihrem Leben mittlere bis schwere Depressionen; weitere 30 Prozent leiden an leichteren Formen. Diese seelischen Erkrankungen führen oft zu sozialer Isolation, wodurch sich die psychischen Probleme verschlimmern können. Als Folge der Einschnitte ins bisherige Leben verändert sich oft auch das Wesen vieler Betroffener. Viele werden nachdenklicher, ernster, manchmal auch trauriger. Durch die Entzündungsprozesse im Zentralnervensystem kann es aber auch - jedoch wesentlich seltener - zu Euphoriezuständen und zu zwanghaftem Lachen kommen.

Studien haben gezeigt, dass Menschen mit MS ein erhöhtes Risiko für Suizid haben. Eine Metaanalyse von Studien zu SSRI bestätigt das erhöhte Risiko nicht, sind jedoch wenig aussagekräftig aufgrund der kurzen Studiendauer und der insgesamt geringen Zahl an Selbstmordversuchen. Die Osloer Auswertung von nur 16 Studien, die eine neue Methode anwendet, stellt hingegen einen klaren Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für Suizidversuche unter Paroxetin fest: sieben Suizidversuche unter Paroxetin (916 Patienten) gegenüber nur einem unter Placebo (550 Patienten), wobei keiner davon tödlich endete.

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Risikofaktoren für Suizid bei MS

Es gibt eine Reihe von Faktoren, die das Suizidrisiko bei Menschen mit MS erhöhen können. Dazu gehören:

  • Depressionen: Depressionen sind ein häufiges Symptom von MS und ein wichtiger Risikofaktor für Suizid.
  • Fatigue: Die Fatigue schränkt die Betroffenen in ihrem Leben stark ein - sie sind z. T. nicht mehr in der Lage, ihren gewohnten Tätigkeiten und/oder ihrem Beruf nachzugehen, sie fühlen sich zu müde für Aktivitäten mit Freunden und Familie, sie sind auch körperlich weniger belastungsfähig. Diese Folgen der Fatigue können zu einem weitgehenden Rückzug aus dem Gesellschaftsleben führen, was die Betroffenen ebenfalls oft sehr belastet. Das begünstigt u. U. die Entstehung seelischer Probleme (z. B.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrationsstörungen sind bei MS ebenfalls häufig. Sie gehören zu den sog. kognitiven Störungen, die bei 40 bis 60% der MS-Patienten auftreten. Verschiedene Bereiche des Gedächtnisses können als Folge der Krankheit gestört sein: Bei manchen Menschen mit MS betrifft dies das Kurzzeitgedächtnis, bei anderen das Langzeitgedächtnis (die Merkfähigkeit über einen längeren Zeitraum) oder das Arbeitsgedächtnis, das u. a. dafür zuständig ist, dass wir Aussagen anderer inhaltlich verstehen. Oft ist auch die Aufmerksamkeit eingeschränkt, d. h., es fällt z. B. schwerer, sich kurzzeitig auf etwas zu konzentrieren, was bestimmte Tätigkeiten (etwa das Autofahren) erschwert. Das Reaktionsvermögen kann zurückgehen, genauso die Fähigkeit zur Problemlösung. Manchen Menschen mit MS gelingt es nicht mehr, das gewohnte Arbeitstempo im Beruf aufrechtzuerhalten. Zudem kann die MS das Abstraktionsvermögen beeinträchtigen. Die Betroffenen merken i. d. R. selbst, dass sie nicht mehr so leistungsfähig sind wie bisher.
  • Soziale Isolation: Als Folge der Einschnitte ins bisherige Leben verändert sich oft auch das Wesen vieler Betroffener. Diese seelischen Erkrankungen führen oft zu sozialer Isolation, wodurch sich die psychischen Probleme verschlimmern können.
  • Schmerzen: Chronische Schmerzen können das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen und das Suizidrisiko erhöhen.
  • Schlafstörungen: Belastend sind auch die bei ca. 50% der MS-Patienten auftretenden Schlafstörungen, die sowohl durch die MS direkt bedingt sein können als auch durch Medikamente oder Folgen der MS wie Blasenstörungen, Spastik oder psychische Probleme. Schlafstörungen können andere unsichtbare Symptome der MS verschlimmern, z. B.
  • Substanzmissbrauch: ADHS und Substanzmissbrauch besonders riskant. Mit der Zahl der Diagnosen steigt auch das Sterberisiko. Als besonders riskant erwies sich das Zusammentreffen von ADHS und Substanzmissbrauch (Hazard Ratio 8,01; 6,16 bis 10,41) sowie von AHDS und einer Persönlichkeitsstörung (Hazard Ratio 4,45; 3,31 bis 5,99).
  • Fehlende soziale Unterstützung: Wie einzelne Menschen mit MS im persönlichen Umfeld mit ihrer Krankheit umgehen, bleibt jedem selbst überlassen. Es hat sich meist bewährt, offen über MS und ihre Symptome zu sprechen, auch um Gerüchten vorzubeugen. Viele Nachbarn und Bekannte sind gerne bereit, Hilfe zu leisten, wenn man sie fragt. Im privaten Umfeld muss die Krankheit thematisiert werden, z. B. um die Arbeitsaufteilung in der Familie, falls nötig, neu zu ordnen. Oder um gemeinsam zu überlegen, welche Umbauten in der Wohnung sinnvoll sind. Kinder von MS-Patienten sollten unbedingt in Gespräche und Planungen einbezogen werden. Einerseits damit sie die Angst vor der Krankheit verlieren, andererseits damit sie wissen, was sie von ihrem Elternteil, das von MS betroffen ist, erwarten können und wann sie Hilfestellung geben sollten bzw.

Prävention und Intervention

Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die ergriffen werden können, um das Suizidrisiko bei Menschen mit MS zu senken. Dazu gehören:

  • Früherkennung und Behandlung von Depressionen: Beim Verdacht auf eine seelische Erkrankung (Depression, Angststörung usw.) sollten Betroffene genauso rasch den Arzt aufsuchen wie bei neu eintretenden oder sich verschlimmernden körperlichen Beschwerden. Je eher eine Behandlung eingeleitet wird, umso leichter ist es i. d. R., die seelische Erkrankung zu behandeln und schwerwiegende Folgen (etwa soziale Isolation) zu verhindern. Oft verläuft die Behandlung zweigleisig, d.h. mit Medikamenten UND Verhaltenstherapie. Die Verhaltenstherapie ist heute in vielen Fällen wichtiger und auch nachhaltiger als die medikamentöse Behandlung.
  • Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, mit den psychischen Belastungen der MS umzugehen und Strategien zur Bewältigung von Stress und negativen Emotionen zu entwickeln.
  • Soziale Unterstützung: Hilfe finden Betroffene zudem in einer Selbsthilfegruppen oder einem der Kontaktkreise der DMSG.
  • Medikamentöse Behandlung: In einigen Fällen kann eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva oder anderen Medikamenten erforderlich sein, um Depressionen und andere psychische Erkrankungen zu behandeln. Vor allem unter Jugendlichen, die selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) nur „off-label“ verschrieben bekommen, lösten diese Medikamente mitunter Selbstmordgedanken aus. SSRI gehören zu den Antidepressiva und sind eigentlich als Stimmungsaufheller gedacht. Auch das Nutzen-Risiko unter Erwachsenen wurde daher neu bewertet.
  • Krisenintervention: Die Krisendienste Bayern sind ein psychosoziales Beratungs- und Hilfeangebot für alle Menschen in Bayern. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800 / 655 3000 erhalten Menschen in seelischen Krisen, Mitbetroffene und Angehörige qualifizierte Beratung und Unterstützung. Auch Fachstellen können sich an uns wenden. Zögern Sie nicht, rufen Sie an! Wir hören zu, klären mit Ihnen gemeinsam die Situation und zeigen Wege aus der Krise auf. Die Krisendienste Bayern sind in ganz Bayern erreichbar und beraten telefonisch in über 120 Sprachen. Die Krisendienste Bayern bieten erste Entlastung und Orientierung. In dringenden Fällen können die Krisendienste Bayern den Einsatz erfahrener Fachkräfte am Ort der Krise in die Wege leiten. Hier geht es um Entlastung und das Abwägen möglicher Gefährdungen. Wenn Sie ein persönliches Gespräch benötigen: Die Krisendienste Bayern empfehlen geeignete Hilfeangebote. Manchmal kann eine vorübergehende stationäre Behandlung der geeignete Weg sein, um eine Krise zu überwinden.

Wichtige Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige

Es gibt eine Reihe von Anlaufstellen, an die sich Menschen mit MS und ihre Angehörigen wenden können, wenn sie Hilfe benötigen:

  • Ärzte: Bei manchen Symptomen (z. B. Schluckbeschwerden) ist zwar der Arzt der erste Ansprechpartner, doch die Behandlung erfolgt durch Physio- oder Ergotherapeuten, Logopäden und andere Gesundheitsberufe.
  • Selbsthilfegruppen:
  • Krisendienste: Wenn ihr jemanden braucht, dem ihr euch anvertrauen könnt, dann sind wir von der Nummer gegen Kummer für euch da. Egal was euch bewegt, wir sind da! Unsere ausgebildeten Beratenden beraten euch oder hören einfach nur zu. An der Helpline Ukraine erhaltet ihr montags bis freitags von 14 bis 17 Uhr unter 0800 500 225 0 eine kostenlose telefonische Beratung auf Ukrainisch und Russisch. Nummer gegen Kummer bietet seit über 40 Jahren telefonische Beratung für Kinder, Jugendliche und auch Eltern an. Seit 2003 gibt es auch eine Online-Beratung für junge Menschen. Jedes Jahr melden sich hier viele Ratsuchende, die nicht weiterwissen, Sorgen, Probleme oder eine Frage haben und mit jemandem darüber sprechen möchten.

Umgang mit der Erkrankung im Alltag

Viele Menschen mit MS, sofern sie dazu in der Lage sind, sollten möglichst offensiv mit ihrer Krankheit umgehen. Am Arbeitsplatz heißt das z. B., den Kollegen mitzuteilen, welche Arbeitsschritte oder -vorgänge Probleme bereiten, oder den Arbeitgeber um längere oder mehr Pausen bitten. Sinnvoll kann es sein, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen, um damit verbundene Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderungen (z. B. zu erhalten.

Weitere Aspekte von MS

Unsichtbare Symptome

Die unsichtbaren Symptome der MS sind vielfältig. Zu ihnen zählt Fatigue, die anhaltende und z. T. sehr schwere Müdigkeit, von der laut Aktion Multiple Sklerose Erkrankter (AMSEL), Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg bis zu 85% der an MS Erkrankten betroffen sind. Für 40% gehört Fatigue der AMSEL zufolge zu den Hauptsymptomen bei MS.

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Auch das seelische Allgemeinbefinden kann sich durch die MS verändern. Konzentrationsstörungen sind bei MS ebenfalls häufig. Sie gehören zu den sog. kognitiven Störungen, die bei 40 bis 60% der MS-Patienten auftreten. Belastend sind auch die bei ca. 50% der MS-Patienten auftretenden Schlafstörungen, die sowohl durch die MS direkt bedingt sein können als auch durch Medikamente oder Folgen der MS wie Blasenstörungen, Spastik oder psychische Probleme.

Zu den körperlichen und dennoch unsichtbaren Symptomen der MS gehören etwa Schluckstörungen. Diese treten bei MS vermehrt auf, weil am Schluckakt zahlreiche Muskeln beteiligt sind, die den Befehl zu Kontraktion und Entspannung durch eine große Anzahl von Nerven bekommen. Ist nun als Folge der MS die Informationsübertragung zwischen Nerven und Muskeln gestört, kann es zu Problemen beim Schlucken kommen. Empfindungs-, Seh- und Gleichgewichtsstörungen sind bei MS ebenfalls häufig.

Umgang mit MS im persönlichen Umfeld

Wie einzelne Menschen mit MS im persönlichen Umfeld mit ihrer Krankheit umgehen, bleibt jedem selbst überlassen. Es hat sich meist bewährt, offen über MS und ihre Symptome zu sprechen, auch um Gerüchten vorzubeugen. Viele Nachbarn und Bekannte sind gerne bereit, Hilfe zu leisten, wenn man sie fragt. Im privaten Umfeld muss die Krankheit thematisiert werden, z. B. um die Arbeitsaufteilung in der Familie, falls nötig, neu zu ordnen. Oder um gemeinsam zu überlegen, welche Umbauten in der Wohnung sinnvoll sind. Kinder von MS-Patienten sollten unbedingt in Gespräche und Planungen einbezogen werden. Einerseits damit sie die Angst vor der Krankheit verlieren, andererseits damit sie wissen, was sie von ihrem Elternteil, das von MS betroffen ist, erwarten können und wann sie Hilfestellung geben sollten bzw.

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