Multiple Sklerose: Neue Erkenntnisse aus Studien eröffnen Hoffnung

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, von der weltweit Millionen Menschen betroffen sind. Die Forschung zu MS schreitet kontinuierlich voran und liefert neue Erkenntnisse, die das Verständnis der Krankheit verbessern und zu innovativen Therapieansätzen führen.

Was ist Multiple Sklerose?

Bei MS greift das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden an, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umhüllen und schützen. Diese Schädigung der Myelinscheiden führt zu Entzündungen und Narbenbildung, was die Signalübertragung zwischen Gehirn und Körper beeinträchtigt. Die Symptome von MS sind vielfältig und können Sehstörungen, Müdigkeit, Muskelschwäche, Koordinationsprobleme und vieles mehr umfassen. Die genaue Ursache von MS ist noch nicht vollständig geklärt, aber es wird angenommen, dass genetische und Umweltfaktoren eine Rolle spielen.

Innovative Therapieansätze und Studienergebnisse

Zelltherapie zur Modulation des Immunsystems

Eine vielversprechende neue Behandlungsstrategie zielt darauf ab, das Immunsystem von MS-Patienten gezielt zu beeinflussen, um die schädlichen Angriffe auf die Myelinscheiden zu stoppen. Eine innovative Zelltherapie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde, wurde erstmals erfolgreich in einer klinischen Studie erprobt.

Das Konzept dieser Therapie ist einfach, aber medizinisch komplex: Die T-Zellen des Immunsystems, die bei MS-Patienten fälschlicherweise die Myelinscheide angreifen, sollen dazu gebracht werden, diese Angriffe einzustellen. Dazu werden dem Patienten Leukozyten (weiße Blutkörperchen) entnommen und im Labor mit sieben Peptiden, kurzen Eiweißen, die Bestandteile der Myelinscheide sind, versehen. Diese veränderten Leukozyten werden dem Patienten dann per Infusion zurückgegeben.

Im Körper sterben die veränderten Leukozyten durch programmierten Zelltod und werden in die Milz transportiert. Dort werden ihre Bestandteile, einschließlich der Myelinpeptide, dem Immunsystem präsentiert. Dies führt zur Entwicklung einer Immuntoleranz, bei der die T-Zellen lernen, die Myelinpeptide als körpereigen und nicht als fremd zu erkennen.

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Die Ergebnisse der ersten klinischen Studie mit neun MS-Patienten waren vielversprechend. Die Therapie wurde von allen Patienten gut vertragen, und es traten keine Sicherheitsrisiken auf. Bei Patienten, die eine hohe Dosis der peptidgekoppelten Zellen erhielten, wurden sogar positive Effekte auf den Krankheitsverlauf beobachtet. Diese Ergebnisse lassen hoffen, dass diese Zelltherapie ein wichtiger Schritt hin zu einer personalisierten Behandlung von MS sein könnte.

Identifizierung von Immunzell-Subtypen

Eine bahnbrechende Studie hat gezeigt, dass es auf Zellebene drei Subtypen von MS gibt, die jeweils durch ein spezifisches Profil von Immunzellen im Blut gekennzeichnet sind und mit unterschiedlichen Krankheitsverläufen einhergehen. Diese Subtypen sind:

  • Entzündliche MS: Patienten mit diesem Subtyp leiden im ersten Jahr nach der Diagnose unter mehr Krankheitsschüben und zeigen Läsionen, die auf eine Fehlfunktion der Blut-Hirn-Schranke hinweisen.
  • Degenerative MS: Patienten mit diesem Subtyp sind von Anfang an schwerer betroffen, und die Behinderung schreitet schneller voran. Zudem finden sich winzige Löcher in der Hirnsubstanz, die Ursache für diesen schweren Krankheitsverlauf sein könnten.
  • Ein dritter Subtyp, der noch nicht im Detail beschrieben werden konnte.

Die Identifizierung dieser Subtypen ist ein entscheidender Schritt in Richtung Präzisionsmedizin bei MS. Durch das Verständnis der individuellen Variationen des Immunsystems von Patienten können Therapien personalisiert und effektiver gestaltet werden.

Neues Modell beschreibt MS als Krankheitskontinuum

Eine internationale Studie unter Leitung des Universitätsklinikums Freiburg und der University of Oxford hat das bisherige Modell von MS als Erkrankung mit verschiedenen Subtypen in Frage gestellt. Stattdessen beschreibt die Studie MS als ein kontinuierliches Krankheitskontinuum mit dynamischen Stadien.

Ein KI-gestütztes Modell identifizierte vier zentrale Zustandsdimensionen, die den Verlauf der MS wesentlich besser abbilden:

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  • Körperliche Behinderung
  • Hirnschädigung
  • Klinische Schübe
  • Stille Entzündungsaktivität

Das Modell beschreibt MS als eine Abfolge von Zuständen mit spezifischen Übergangswahrscheinlichkeiten. Frühere, milde Zustände gehen meist über entzündliche Zwischenphasen in fortgeschrittene, irreversible Krankheitsstadien über. Bemerkenswert ist, dass ein direkter Übergang in die schweren Stadien ohne vorherige Entzündungsaktivität praktisch ausgeschlossen ist. Dies deutet darauf hin, dass Entzündungen eine zentrale Rolle bei der Verschlechterung der MS spielen.

Dieses neue Modell hat wichtige Implikationen für die Diagnostik, Therapie und Zulassung von Medikamenten. Es ermöglicht eine individualisierte Risikoeinschätzung und könnte dazu beitragen, Patienten mit aktiver, aber klinisch stummer Entzündungsaktivität frühzeitig zu identifizieren und zu behandeln.

Genetischer Biomarker für die Medikamentenwahl

Eine Studie unter Leitung der Universität Münster hat einen genetischen Biomarker identifiziert, der vorhersagt, ob MS-Patienten besonders gut auf eine Behandlung mit Glatirameracetat (GA) ansprechen. Patienten mit dem Gewebetyp HLA-A*03:01 profitieren demnach signifikant stärker von GA als von Interferon-beta (IFN).

Dieser Biomarker kann vor Therapiebeginn verwendet werden, um die wahrscheinlich bessere Wahl zwischen GA und IFN zu treffen. Etwa ein Drittel der MS-Patienten profitiert von GA, während bei den anderen beiden Dritteln vermutlich IFN-beta besser wirkt.

Die Studie liefert auch neue Hinweise auf den Wirkmechanismus von GA. Die beobachteten T-Zell-Antworten deuten darauf hin, dass nur wenige Fragmente der GA-Mischung für die Wirkung des Medikaments relevant sind. Dies könnte künftig zur gezielten Weiterentwicklung von GA führen.

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Tolebrutinib: Hoffnung auf Wirkung unabhängig von Entzündungen

Der Wirkstoff Tolebrutinib weckt große Hoffnungen für die Therapie der MS. Zwei groß angelegte, internationale Phase-III-Studien haben positive Effekte bzw. Tendenzen für den Verlauf der MS gezeigt. Tolebrutinib könnte nicht nur Schübe reduzieren, sondern möglicherweise auch das Fortschreiten der Behinderung verlangsamen - und das unabhängig von sichtbarer Entzündung.

Eine der Studien zeigte, dass Tolebrutinib bei schubförmiger MS mindestens ebenso gut wie das Standardmedikament Teriflunomid akute Schübe reduziert. Darüber hinaus gab es deutliche Hinweise darauf, dass die Krankheit langsamer voranschreitet - auch unabhängig von Rückfällen.

Eine andere Studie belegte erstmals signifikant positive Effekte bei sekundär progredienter MS. Tolebrutinib verzögerte das Fortschreiten der Behinderung und ist damit eines der wenigen Medikamente mit Wirkung bei dieser schwer behandelbaren Verlaufsform.

Tolebrutinib könnte ein bedeutender Fortschritt gegenüber bisherigen Therapien sein, die primär auf die Kontrolle akuter Entzündungsprozesse abzielen. Der Wirkstoff könnte die Krankheit bremsen, selbst wenn keine akuten Entzündungen sichtbar sind.

Umweltfaktoren und Darmflora

Neben genetischen Faktoren spielen auch Umweltfaktoren eine Rolle bei der Entstehung von MS. Insbesondere die Mikroorganismen im Darm stehen seit längerem unter Verdacht, die Krankheit auszulösen.

Eine Zwillingsstudie hat gezeigt, dass die Darmflora von MS-Patienten und gesunden Personen unterschiedlich ist. Die Forscher konnten Lachnoclostridium und Eisenbergiella tayi als potenzielle krankheitsauslösende Bakterien in den Darmproben der an MS erkrankten Zwillinge identifizieren.

Diese Erkenntnisse könnten langfristig den Weg zu neuen Therapieansätzen im Menschen aufzeigen.

Bedeutung von klinischen Studien

Klinische Studien sind unerlässlich, um die Wirksamkeit und Sicherheit neuer Therapien zu überprüfen. Sie ermöglichen es, innovative Behandlungsansätze unter kontrollierten Bedingungen zu testen und somit den medizinischen Fortschritt voranzutreiben. Für Menschen mit MS bieten solche Studien die Möglichkeit, frühzeitig von neuen Therapien zu profitieren und aktiv an der Weiterentwicklung von Behandlungsmöglichkeiten mitzuwirken.

Personalisierte Medizin als Zukunftsperspektive

Die Erkenntnisse über die unterschiedlichen Endophänotypen der MS, die damit verbundenen Immunsignaturen und genetischen Biomarker ebnen den Weg für eine personalisierte Medizin. Durch die Berücksichtigung individueller Unterschiede können Therapien gezielter eingesetzt und somit die Behandlungsergebnisse verbessert werden.

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