Multiple Sklerose und vegane Ernährung: Ein umfassender Überblick

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die durch Entzündungen, Demyelinisierung und Degeneration der Axone gekennzeichnet ist. Die Häufigkeit der MS in Deutschland wird auf etwa 100 Fälle pro 100.000 Einwohner geschätzt. Weltweit zeigt sich ein deutliches Gefälle in der Häufigkeitsverteilung, wobei die Prävalenz von den Äquatorgebieten zu den Polen hin zunimmt.

Obwohl MS-Patienten häufig spezielle Diätformen empfohlen werden, gibt es keine wissenschaftlich fundierte MS-Diät, die das Fortschreiten der Erkrankung verhindern oder die MS gar heilen kann. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Ernährungsweisen den Verlauf der MS beeinflussen können. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen multipler Sklerose und veganer Ernährung, wobei wir auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse und potenziellen Vorteile einer solchen Ernährungsweise eingehen.

Multiple Sklerose: Ursachen und Verlauf

MS ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung mit bislang unbekannter Ätiologie. Diskutierte Ursachen sind genetische Veranlagungen und Umwelteinflüsse. MS tritt familiär gehäuft auf, was für eine Beteiligung bestimmter Erbanlagen an der Krankheitsentstehung spricht. Da die Häufigkeitsverteilung der MS zwischen den einzelnen Klimazonen stark variiert, wird auch die Beteiligung von Umwelteinflüssen an der Krankheitsentstehung angenommen. Als Auslöser werden Virusinfektionen in der Kindheit diskutiert, in deren Zuge sich fehlerhafte, gegen körpereigene Strukturen gerichtete Antikörper entwickeln.

Frauen erkranken bis zum 50. Lebensjahr häufiger an einer MS als Männer. Später gleicht sich die Häufigkeit zwischen den Geschlechtern aus. Warum es in jüngeren Jahren zu dieser ungleichen Verteilung kommt, ist nicht bekannt. Denkbar sind vor allem hormonelle Einflüsse auf die Krankheitsentstehung bzw. deren Verlauf.

Der Verlauf der MS ist sehr variabel. In etwa 90 % der Fälle verläuft die Krankheit in den ersten 6-10 Jahren nach der Diagnose schubförmig, remittierend. Dabei treten Schübe auf, in denen sich die neurologischen Ausfälle im Zeitraum von einigen Tagen bis einigen Wochen deutlich verschlechtern bzw. neue Symptome hinzukommen. Im Anschluss an einen Schub erfolgt eine vollständige oder zumindest teilweise Rückbildung der Beschwerden. Nach etwa 10 Jahren geht die schubförmige MS bei vielen Patienten allmählich in eine sekundär progrediente MS über, bei der die Symptome immer mehr zunehmen. In etwa 10 % der Fälle verläuft die Krankheit von Anfang an mit einer fortschreitenden Verschlechterung der Symptome ohne abgrenzbare Schübe.

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Da bei der Erkrankung Entzündungen im gesamten Zentralnervensystem auftreten können, sind je nach Lokalisation und Größe der Entzündungsherde verschiedenartige Symptome und Symptomkombinationen möglich. Anfangs treten meist nur vereinzelte Funktionsstörungen auf, die sich häufig wieder zurückbilden. Später häufen sich die Symptome und eine individuell unterschiedlich ausgeprägte Symptomkombination bildet sich aus.

Die Rolle der Ernährung bei Multipler Sklerose

Die momentanen Ernährungsempfehlungen konzentrieren sich in Analogie zu anderen entzündlichen Erkrankungen vorrangig auf die Beeinflussung des Entzündungsgeschehens. Der grundlegende Gedanke hierbei ist, durch Bevorzugung oder Meidung bestimmter Nahrungsmittel das Fettsäurespektrum der aufgenommenen Fette zu modifizieren. Daneben existieren einige Wirkstoffe, die sich möglicherweise positiv auf die Entzündungs- und Immunprozesse auswirken können.

Antientzündliche Ernährung

Der Grundgedanke der antientzündlichen Ernährung basiert auf der Annahme, dass verschiedene Inhaltsstoffe unserer Nahrungsmittel zu einer erhöhten Entzündungsantwort führen können. Dazu zählen u. a. Fleisch- und Milchprodukte sowie verarbeitete Lebensmittel wie Fast Food. Vor allem antioxidative Lebensmittel, wie z. B. Obst, Gemüse und Fisch, wiederum haben die gegenteilige Wirkung und können somit Entzündungen im Körper reduzieren.

Bestimmte Nährstoffe spielen eine besondere Rolle:

  • Fette mit einem hohen Anteil an gesättigten Omega-3-Fettsäuren: Diese kommen vorrangig in Pflanzen (z. B. Walnüssen und Leinsamen) und fettigen Fischarten (z. B. Lachs, Hering und Aal) vor.
  • Pro- und Präbiotika: Das sind lebende Mikroorganismen und unverdauliche Ballaststoffe, die eine gesunde Darmflora unterstützen. Darunter fallen solche Lebensmittel wie z. B. Joghurt, Kombucha und Artischocken.
  • Antioxidantien: Diese verhindern die Bildung von sogenannten „freien Radikalen“ und reaktiven Sauerstoffverbindungen. Wichtige Vertreter dieser Gruppe sind die Vitamine A (z. B. in Grünkohl und Möhren), fettlösliches Vitamin E (z. B. in Oliven- und Rapsöl), wasserlösliches Vitamin C (z. B. in Fenchel und Paprika), Beta-Carotine (z. B. in Tomaten und Möhren) sowie sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole (z. B. in Trauben) und Sulfide (z. B. in Knoblauch).

Die mediterrane Küche weist viele Überschneidungen zur antientzündlichen Ernährung auf. Sie gilt als besonders ausgewogen, abwechslungsreich und gesund und bildet damit die ideale Grundlage für eine antientzündliche Ernährung. Sie besteht aus einem hohen Obst-, Gemüse- und Fischanteil, mit wenig Fleischkonsum. Dadurch kann auch eine vegetarische, pescetarische oder vegane Lebensweise gut integriert werden.

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Wissenschaftliche Erkenntnisse zur antientzündlichen Ernährung bei MS

Bereits 2010 beschäftigten sich italienische Forscher anhand einer Auswertung verschiedener Studien und Analysen mit dem Einfluss entzündungshemmender Nährstoffe auf das Wohlbefinden von MS-Betroffenen. Das Ziel der Wissenschaftler war es, grundlegende molekulare Prozesse bei der Nährstoffverwertung auf Zellebene zu betrachten und eine Grundlage für eine ernährungsbedingte Unterstützung im Umgang mit der MS zu schaffen.

Dabei wurden folgende Aspekte betrachtet:

  • Tierische Fette: Im Speziellen sind hier die gesättigten Fettsäuren tierischen Ursprungs gemeint (z. B. enthalten in Vollmilch, Butter, Käse und Wurst). Grund für die empfohlene Vermeidung ist, dass eine kalorienreiche Ernährung, die reich an gesättigten Fettsäuren ist, und die damit verbundene Lipogenese (Aufbau und Anreicherung von Depotfett im Fettgewebe) zahlreiche humane Krankheiten begünstigt.
  • Antioxidative Nährstoffe: Darunter fallen z. B. Polyphenole (aromatische Kohlenstoffverbindungen, die u. a. in grünem Tee, Beeren und Zitrusfrüchten vorkommen) und Carotinoide. Bei beiden berufen sich die Forschenden auf vorangegangene Untersuchungen, die zeigen, dass Antioxidantien sich positiv auf Entzündungen auswirken können.
  • Ungesättigte Fettsäuren: Vorrangig aus Pflanzen, Meeresfrüchten und Fisch. Insbesondere empfehlen die Forschenden den Verzehr von Olivenöl, da dieses über ein optimales Verhältnis zwischen gesättigten und ungesättigten Fettsäuren verfügt. Weiterhin werden natürliche Samenöle (z. B.

Diese und weitere Studien deuten auf ein sehr stimmiges Bild, wenn es um die Einflüsse antientzündlicher Ernährung auf den MS-Verlauf geht. Dennoch bleibt das „Aber…“ bestehen: Viele Fragen in Bezug auf die Ernährung bei MS sind noch ungeklärt und es bedarf weiterer stichhaltiger Nachweise.

Vegane Ernährung bei Multipler Sklerose

Eine vegane Ernährung schließt alle tierischen Produkte aus und konzentriert sich auf pflanzliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Getreide, Nüsse und Samen. Im Kontext der MS rückt die vegane Ernährung aufgrund ihrer potenziell entzündungshemmenden Eigenschaften in den Fokus.

Vorteile einer veganen Ernährung bei MS

  • Reduzierung gesättigter Fettsäuren: Eine vegane Ernährung ist in der Regel arm an gesättigten Fettsäuren, die in tierischen Produkten reichlich vorkommen. Der Verzicht auf Fleisch und Wurstwaren reduziert die Arachidonsäure-Aufnahme erheblich.
  • Hoher Anteil an Antioxidantien: Pflanzliche Lebensmittel sind reich an Antioxidantien, die freie Radikale binden und somit oxidativem Stress entgegenwirken können.
  • Ballaststoffreiche Ernährung: Eine vegane Ernährung ist in der Regel reich an Ballaststoffen, die eine gesunde Darmflora fördern.
  • Potenzielle Verbesserung des Wohlbefindens: Eine Studie, die auf dem Kongress der American Academy of Neurology vorgestellt wurde, deutet darauf hin, dass eine vegane, fettarme Ernährung Müdigkeit reduzieren, die Stimmungslage verbessern und die Cholesterinwerte senken kann. Allerdings ist die Aussagekraft der Studie durch die geringe Stichprobengröße eingeschränkt.

Herausforderungen einer veganen Ernährung bei MS

  • Nährstoffversorgung: Werden tierische Produkte völlig vom persönlichen Speiseplan gestrichen, kann die Versorgung mit Proteinen sowie bestimmten Vitaminen, Spurenelementen oder Fettsäuren schnell ins Defizit geraten.
  • Vitamin B12: Vitamin B12 kommt fast ausschließlich in tierischen Lebensmitteln vor. Veganer müssen Vitamin B12Supplemente einnehmen oder angereicherte Lebensmittel konsumieren, um einen Mangel zu vermeiden.
  • Omega-3-Fettsäuren: Veganer müssen auf pflanzliche Quellen von Omega-3-Fettsäuren achten, wie z. B. Leinsamen, Chiasamen, Walnüsse und Algenöl.
  • Eisen: Die Eisenaufnahme aus pflanzlichen Quellen kann durch die Kombination mit Vitamin C-reichen Getränken optimiert werden.
  • Praktische Umsetzung: Eine ausgewogene vegane Ernährung erfordert eine sorgfältige Planung und Kenntnisse über die Nährstoffzusammensetzung verschiedener Lebensmittel.

Empfehlungen für Veganer mit MS

  • Nährstoff-Bilanz im Blick behalten: Die Proteinversorgung lässt sich durch Kombinationen pflanzlicher Eiweiße aus Vollkorngetreide, Kartoffeln, Hülsenfrüchten und Sojaprodukten erreichen.
  • Vitamin B12 supplementieren: Da Vitamin B12 fast ausschließlich in tierischen Produkten vorkommt, ist eine Supplementierung für Veganer unerlässlich.
  • Auf Omega-3-Fettsäuren achten: Omega-3-Fettsäuren können Veganer über verschiedene pflanzliche Öle in ihre Ernährung integrieren. Algenöl ist eine gute Quelle für DHA und EPA.
  • Eisenaufnahme optimieren: Ein Trick, um die Eisenaufnahme aus pflanzlichen Quellen zu optimieren, ist es, ein Vitamin C reiches Getränk dazu zu kombinieren, etwa ein Glas Orangensaft.
  • Individuelle Beratung: Es ist ratsam, sich von einem Arzt oder Ernährungsberater individuell beraten zu lassen, um sicherzustellen, dass alle Nährstoffbedürfnisse gedeckt werden.

Weitere Ernährungsformen und Diäten bei MS

Neben der veganen Ernährung gibt es noch weitere Ernährungsformen und Diäten, die im Zusammenhang mit MS diskutiert werden:

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  • Evers-Diät: Diese Ernährungsform beruht auf dem Grundprinzip, alle Nahrungsmittel so naturnah wie möglich, d.h. in roher und unverarbeiteter Form aufzunehmen. Dabei ist es unerheblich, in welchen Relationen die einzelnen Nährstoffe zueinander stehen. Erlaubt sind all diejenigen Nahrungsmittel, die der Mensch auch in der freien Natur vorfindet. Obwohl das Prinzip einer natürlichen Ernährung auf den ersten Blick vielversprechend klingt, birgt die als Dauerernährung angedachte Diät bei näherer Betrachtung die Gefahr einer Unterversorgung. Besonders der übermäßige Verzehr von rohen, unbehandelten tierischen Lebensmitteln ist mit einem hohen Risiko für Infektionen verbunden. Zudem ist diese Ernährungsform nur schwer in unserem modernen Alltag umsetzbar und würde zu einem weiteren erheblichen Einschnitt in der Lebensqualität des MS-Patienten führen.
  • Mediterrane Kost: Die mediterrane Kost orientiert sich an den traditionellen Ernährungsgewohnheiten der Bewohner im Mittelmeergebiet. Die Grundbausteine sind vor allem Gemüse, pflanzliche Öle (vor allem Olivenöl) und Fisch. Abgerundet werden diese durch Früchte, Nüsse und Käse. Fleisch und Fleischwaren werden nur in kleinen Mengen verzehrt; tierische Fette sind eher unbekannt. Gleichzeitig werden die Speisen in der Regel roh bzw. schonend gegart. Die mediterrane Kost vereint zwei Faktoren, die für MS-Patienten empfehlenswert ist. Zum einen wird durch das Bevorzugen von Pflanzenölen und Fisch Fettsäure-Zufuhr modifiziert. Die Arachidonsäure-Aufnahme ist eher gering, die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren erhöht. Gleichzeitig werden über rohes bzw. schonend gegartes Gemüse reichlich Vitamine und Antioxidantien zugeführt, die das Entzündungsgeschehen beeinflussen können.
  • Swank-Diät: Diese Diät wurde von Dr. Roy Swank in den 1950er Jahren entwickelt und beinhaltet eine radikale Reduktion gesättigter Fette.
  • McDougall-Diät: Diese Diät ist eine Weiterentwicklung der Swank-Diät und beinhaltet eine sehr geringe Aufnahme von gesättigten Fettsäuren sowie den Verzicht auf Fleisch, Fisch und Milchprodukte. Studien haben gezeigt, dass die McDougall-Diät die chronische Müdigkeit (Fatigue) bei MS-Betroffenen reduzieren kann.
  • Ketogene Diät: Bei einer ketogenen Diät werden kaum Kohlenhydrate, dafür aber viele Proteine aus pflanzlichen Quellen aufgenommen. So bleibt der Insulinspiegel im Blut konstant niedrig.

Es ist wichtig zu beachten, dass es bisher für Spezialdiäten bei MS keine wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise gibt. Radikale Diäten können einen erheblichen Einschnitt in die Lebensqualität bedeuten bei nicht eindeutig erwiesenen Nutzen.

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