Myasthenia gravis ist eine autoimmune neuromuskuläre Erkrankung, die bei Hunden zu Muskelschwäche und schneller Ermüdung führt. Diese Erkrankung beeinträchtigt die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln, was zu einer Vielzahl von Symptomen führen kann. Während die Krankheit selten ist, ist es wichtig, die Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten zu verstehen, um betroffenen Hunden die bestmögliche Lebensqualität zu ermöglichen.
Schätzungen zufolge sind etwa 8.000 bis 12.000 Menschen in Deutschland von der Erkrankung betroffen. Myasthenie erwerben Betroffene im Laufe des Lebens. Menschen jeden Alters können an Myasthenia gravis erkranken. In den meisten Fällen entsteht die Krankheit jedoch erst bei Menschen ab dem 50. Lebensjahr.
Was ist Myasthenia Gravis?
Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem des Hundes fälschlicherweise die eigenen Acetylcholinrezeptoren angreift. Acetylcholinrezeptoren sind Proteine auf der Oberfläche von Muskelzellen, die für die Aufnahme des Neurotransmitters Acetylcholin verantwortlich sind. Acetylcholin ist ein chemischer Botenstoff, der von Nervenzellen freigesetzt wird, um Muskelkontraktionen auszulösen. Wenn das Immunsystem die Acetylcholinrezeptoren angreift, werden diese Rezeptoren verstärkt abgebaut, der Nervenimpuls kann nicht mehr richtig weitergeleitet werden und die Muskeln erschlaffen. Diese fehlgeleitete Immunantwort führt zu einer gestörten Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln, was die Muskelkraft beeinträchtigt.
Es gibt zwei Hauptformen von Myasthenia gravis bei Hunden:
- Erworbene Myasthenia gravis: Diese Form tritt häufiger bei erwachsenen Hunden im Alter von 1,5 bis 7 Jahren auf. Sie wird durch Autoantikörper verursacht, die sich gegen die Acetylcholinrezeptoren richten und deren Funktion blockieren oder zerstören.
- Angeborene Myasthenie: Diese Form ist seltener und betrifft junge Hunde. Sie ist genetisch bedingt und führt zu einem Mangel an Acetylcholinrezeptoren an den Muskelzellen.
Ursachen von Myasthenia Gravis
Die genauen Ursachen für die Entwicklung von Myasthenia gravis sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch angenommen, dass eine Kombination aus genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren eine Rolle spielt.
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- Genetische Prädisposition: Bestimmte Hunderassen scheinen anfälliger für Myasthenia gravis zu sein, was auf eine genetische Komponente hindeutet. Zu diesen Rassen gehören unter anderem Akita, Jack Russell Terrier, Deutscher Schäferhund, Golden Retriever, Labrador Retriever, Dackel und Scottish Terrier.
- Autoimmunerkrankung: Die häufigste Ursache ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren bildet, was zur Blockade und zum Abbau der Acetylcholinrezeptoren führt.
- Thymom: In einigen Fällen kann Myasthenia gravis als paraneoplastisches Syndrom in Verbindung mit einem Tumor auftreten, insbesondere einem Thymom (Tumor des Thymus). Der Thymus ist ein Organ des Immunsystems, das im Brustkorb liegt.
- Umweltfaktoren: Infektionen, Stress oder die Exposition gegenüber bestimmten Medikamenten oder Toxinen könnten bei anfälligen Hunden die Entwicklung von Myasthenia gravis auslösen.
Symptome von Myasthenia Gravis
Die Symptome von Myasthenia gravis können von Hund zu Hund variieren, aber das Hauptmerkmal ist Muskelschwäche, die sich nach körperlicher Aktivität verschlimmert und sich nach Ruhephasen verbessert. Die Symptome können plötzlich auftreten oder sich allmählich entwickeln.
Häufige Symptome sind:
- Anstrengungsabhängige Schwäche: Dies ist das auffälligste Symptom. Hunde zeigen häufig zunehmend kürzere Schritte in den Hintergliedmaßen, einen aufgekrümmten Rücken und müssen sich oft hinsetzen. Nach einer kurzen Pause können sie wieder normal laufen, aber die Schwäche kehrt bei erneuter Belastung zurück.
- Belastungsunabhängige Muskelschwäche bis hin zur Lähmung der hinteren Gliedmaßen: Betroffene Hunde zeigen eine Schwäche, die nicht unbedingt von Anstrengung abhängig ist und bis zur Lähmung der Hinterbeine fortschreiten kann.
- Megaösophagus: Dies ist eine Erweiterung der Speiseröhre aufgrund von Muskelschwäche. Sie kann zu Schluckbeschwerden, Regurgitation (Zurückfließen von unverdautem Futter) und Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch Einatmen von Futter) führen.
- Schluckbeschwerden (Dysphagie): Schwierigkeiten beim Fressen und Trinken können auftreten.
- Veränderte Stimme: Die Stimme des Hundes kann aufgrund von Schwäche der Kehlkopfmuskulatur heiser oder schwach klingen.
- Gesichtsmuskelschwäche: Dies kann sich als hängende Lefzen, Schwierigkeiten beim Kauen oder vermindertes Blinzeln äußern.
- Hängende Augenlider (Ptosis): Schwäche der Augenlidmuskulatur kann zu hängenden Augenlidern führen.
- Atembeschwerden: In schweren Fällen kann die Schwäche der Atemmuskulatur zu Atemnot und sogar zu einem Atemstillstand führen, was einen Notfall darstellt.
- Muskelschwund: Infolge der Erkrankung kann es zum Muskelschwund kommen.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Symptome nicht immer gleich stark ausgeprägt sind und im Laufe der Zeit variieren können. Bestimmte Medikamente, Begleiterkrankungen, Schwangerschaft oder Operationen können bei einer stark geschwächten Atem- und Schluckmuskulatur zu einer raschen Verschlechterung der Symptome führen, was als myasthene Krise bezeichnet wird. Dies ist ein medizinischer Notfall, der intensivmedizinisch behandelt werden muss.
Diagnose von Myasthenia Gravis
Die Diagnose von Myasthenia gravis erfordert eine Kombination aus klinischer Untersuchung, neurologischer Untersuchung und spezifischen Tests.
- Klinische Untersuchung: Der Tierarzt wird die Krankengeschichte des Hundes aufnehmen und eine gründliche körperliche Untersuchung durchführen, um die Symptome zu beurteilen.
- Neurologische Untersuchung: Eine neurologische Untersuchung hilft, die Muskelfunktion, Reflexe und Nervenfunktion zu beurteilen.
- Bluttests:
- Acetylcholinrezeptor-Antikörpertest: Dieser Test misst die Konzentration von Antikörpern gegen Acetylcholinrezeptoren im Blut. Ein erhöhter Antikörperspiegel ist ein starker Hinweis auf Myasthenia gravis.
- Tensilon-Test (Edrophonium-Test): Bei diesem Test wird dem Hund Edrophoniumchlorid (Tensilon) injiziert, ein Medikament, das die Wirkung von Acetylcholin kurzzeitig verstärkt. Wenn sich die Muskelkraft nach der Injektion verbessert, unterstützt dies die Diagnose Myasthenia gravis.
- Elektromyographie (EMG): Diese Untersuchung misst die elektrische Aktivität in den Muskeln und kann helfen, Muskelschwäche zu bestätigen und andere neuromuskuläre Erkrankungen auszuschließen. Bei der repetitiven Nervenstimulation wird der Nerv wiederholt stimuliert und jedes Mal das Muskelpotential aufgezeichnet. Bei Hunden mit Myasthenia gravis zeigt sich eine zunehmend reduzierte Amplitude des Muskelpotentials bei wiederholter Nervenstimulation.
- Bildgebende Verfahren: Röntgenaufnahmen des Brustkorbs können durchgeführt werden, um einen Megaösophagus zu erkennen oder einen Thymom auszuschließen. In einigen Fällen kann eine Computertomografie (CT) des Brustkorbs erforderlich sein, um den Thymus genauer zu beurteilen.
Behandlung von Myasthenia Gravis
Die Behandlung von Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Muskelkraft zu verbessern und die Autoimmunreaktion zu reduzieren. Die Behandlung kann je nach Schweregrad der Erkrankung und dem Vorliegen von Komplikationen variieren.
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- Medikamente:
- Anticholinesterase-Inhibitoren: Diese Medikamente, wie z.B. Pyridostigmin (Mestinon), verhindern den Abbau von Acetylcholin im synaptischen Spalt, wodurch mehr Acetylcholin zur Verfügung steht, um an die verbleibenden Rezeptoren zu binden und die Muskelkontraktion zu verbessern.
- Immunsuppressiva: In schweren Fällen können Immunsuppressiva wie Prednison, Azathioprin oder Mycophenolat-Mofetil eingesetzt werden, um die Autoimmunreaktion zu unterdrücken und die Zerstörung der Acetylcholinrezeptoren zu reduzieren.
- Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Bei schweren Fällen oder myasthenen Krisen können IVIG verabreicht werden, um das Immunsystem zu modulieren und die Antikörper zu neutralisieren.
- Chirurgische Entfernung des Thymus (Thymektomie): Wenn ein Thymom vorhanden ist, wird in der Regel eine chirurgische Entfernung des Tumors empfohlen. In einigen Fällen kann eine Thymektomie auch bei Hunden ohne Thymom in Betracht gezogen werden, um die Autoimmunreaktion zu reduzieren.
- Ernährungsmanagement: Bei Hunden mit Megaösophagus ist ein spezielles Fütterungsmanagement erforderlich, um das Risiko einer Aspirationspneumonie zu minimieren. Dies kann das Füttern in aufrechter Position, die Verwendung spezieller Futterschalen und die Fütterung kleiner, häufiger Mahlzeiten umfassen. In schweren Fällen kann eine Ernährung über eine Magensonde erforderlich sein.
- Unterstützende Pflege: Hunde mit Myasthenia gravis benötigen möglicherweise zusätzliche unterstützende Pflege, wie z.B. Physiotherapie, um die Muskelkraft zu erhalten, und Antibiotika zur Behandlung von Aspirationspneumonie.
Pflege und Lebensstil
Die Anpassung des Lebensstils eines Hundes mit Myasthenia gravis ist entscheidend, um seinen Zustand zu unterstützen. Hier sind einige wichtige Aspekte:
- Stressreduktion: Stress kann die Symptome von Myasthenia gravis verschlimmern. Es ist wichtig, eine ruhige und stressfreie Umgebung für den Hund zu schaffen.
- Moderate Bewegung: Regelmäßige, moderate Bewegung kann helfen, die Muskelkraft zu erhalten, ohne den Hund zu überanstrengen. Kurze Spaziergänge und Spielzeiten sind empfehlenswert.
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen: Regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei einem Tierarzt sind wichtig, um den Zustand des Hundes zu überwachen und die Behandlung bei Bedarf anzupassen.
Prognose und Lebenserwartung
Die Prognose für Hunde mit Myasthenia gravis variiert je nach Schweregrad der Erkrankung, dem Vorliegen von Komplikationen und dem Ansprechen auf die Behandlung.
- Viele Hunde mit erworbener Myasthenia gravis sprechen gut auf die Behandlung an und können ein normales oder nahezu normales Leben führen.
- Hunde mit schwerem Megaösophagus oder wiederholter Aspirationspneumonie haben eine vorsichtigere Prognose, da das Risiko von Komplikationen erhöht ist.
- Hunde mit angeborener Myasthenie haben oft eine verkürzte Lebenserwartung, da die Erkrankung nicht heilbar ist und die Behandlung häufig nicht ausreichend wirksam ist.
Es ist wichtig zu beachten, dass bei > 50% der Hunde, die als junge adulte Tiere an Myasthenia gravis erkranken, eine Selbstheilung nach sechs Monaten eintreten kann. Dies sollte motivieren, erkrankte Hunde auch über Monate intensiv zu behandeln.
Prävention
Da die genauen Ursachen von Myasthenia gravis nicht vollständig verstanden sind, gibt es derzeit keine spezifischen Präventionsmaßnahmen. Züchter von Risikorassen sollten jedoch auf mögliche Symptome bei ihren Welpen achten und regelmäßige Gesundheitschecks durchführen lassen.
Aktuelle Forschung
Die aktuelle Forschung zu Myasthenia gravis bei Hunden konzentriert sich auf die genetischen Faktoren, die zur Entwicklung der Krankheit beitragen, sowie auf die Verbesserung der Diagnose- und Behandlungsverfahren. Wissenschaftler untersuchen spezifische Gene, die das Risiko für die Erkrankung erhöhen könnten, und entwickeln fortgeschrittene bildgebende Verfahren und neue Biomarker, die eine schnellere und genauere Diagnose ermöglichen könnten. In Bezug auf Therapieansätze wird intensiv an der Entwicklung neuer Medikamente geforscht, die gezielt die Immunantwort modulieren können, sowie an regenerativen Therapien zur Reparatur von Muskel- und Nervenzellen.
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