Myasthenia gravis ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Bei etwa 85 % der Betroffenen sind Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR) für die Störung der neuromuskulären Übertragung verantwortlich. Efgartigimod alfa (Vyvgart®) von Argenx stellt einen neuen Therapieansatz dar, der gezielt auf die Reduktion dieser pathogenen Autoantikörper abzielt.
Was ist Myasthenia gravis?
Myasthenia gravis ist eine chronische Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Störung der Reizübertragung zwischen Nervenenden und Muskeln kommt. Dies führt zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche, die sich anfänglich oft durch Sehstörungen wie Doppelbilder oder hängende Augenlider äußert. Im fortgeschrittenen Stadium können auch Sprech-, Schluck- und Atemmuskulatur betroffen sein.
Efgartigimod alfa: Ein neuartiger FcRn-Blocker
Efgartigimod alfa (Vyvgart®) ist der erste zugelassene Blocker des neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn). Dieser Rezeptor spielt eine zentrale Rolle bei der Verlängerung der Lebensdauer von Immunglobulin G (IgG) Antikörpern im Körper. Durch die Blockade des FcRn reduziert Efgartigimod alfa die Spiegel von zirkulierendem IgG im Blut, einschließlich der krankheitsverursachenden Autoantikörper, die bei Myasthenia gravis eine Rolle spielen. Im Gegensatz zu unspezifischen Immunsuppressiva setzt Efgartigimod alfa somit gezielt am zentralen Auslöser der Erkrankung an.
Efgartigimod (Vyvgart®) ist ein humanes IgG1-Ak-Fragment, das über die Bindung an den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn) wirkt. Der FcRn steht damit nicht mehr für das physiologische intrazelluläre Recycling von IgG zur Verfügung. IgG Moleküle einschließlich pathologischer Antikörper wie die Acetylcholin-Rezeptor (AChR)-spezifischen Antikörper werden verstärkt lysosomal abgebaut und deren Serumkonzentration damit deutlich reduziert.
Zulassung und Anwendungsgebiet
Der Wirkstoff Efgartigimod alfa (Handelsname Vyvgart) ist seit August 2022 für Erwachsene mit fortgeschrittener Myasthenia gravis als zusätzliche Behandlung zur Standardtherapie zugelassen. Die Zulassung gilt für Anti-Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper-positive Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis (gMG, AChR+).
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Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sieht für Efgartigimod alfa zusätzlich zur Standardtherapie einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen.
Studienergebnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit
Die Wirksamkeit von Efgartigimod alfa wurde in der 26-wöchigen, multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie ADAPT untersucht. In dieser Studie wurde der primäre Endpunkt für die AChR-Antikörper-positive generalisierte Myasthenia gravis (AChR-Ak positive gMG) erreicht. Dieser war definiert als klinisch signifikante Verbesserung des MG-ADL-Gesamtscores um ≥ 2 Punkte in mindestens 4 aufeinanderfolgenden Wochen im Vergleich zum Wert zu Anfang des Behandlungszyklus, wobei die erste Verbesserung nicht später als eine Woche nach der letzten Infusion des Zyklus festzustellen war.
Die Ergebnisse der ADAPT-Studie zeigten, dass Efgartigimod alfa bei Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis zu einer signifikanten Besserung der Symptomatik führt. Konkret sprachen in Zyklus 1 mehr Patienten der Efgartigimod-Gruppe bezüglich der MG-ADL-Skala an, nämlich 44/65 (68 %) in der Verum-Gruppe und 19/64 (30 %) in der Placebo-Gruppe (Odds-Ratio 4,95; 95%-Konfidenzintervall 2,21-11,53; p < 0,0001). Die Verbesserung des MG-ADL-Scores erreichte eine Woche nach der letzten Infusion ihr Maximum; in den folgenden Wochen näherte sich der Score allmählich wieder dem Wert der Placebo-Gruppe an.
Intravenöses Efgartigimod wurde während der ADAPT-Studie von Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis im Allgemeinen gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen (29% vs. Placebo) und Harnwegsinfektionen (10% vs. Placebo). Die meisten gemeldeten Infektionen waren leicht bis mittelschwer. Schwerwiegende Nebenwirkungen und Behandlungsabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen traten bei 5% bzw. 4% der Efgartigimod-Empfänger gegenüber 8% bzw. Placebo auf.
Dosierung und Verabreichung
Efgartigimod kann als Infusion gegeben oder unter die Haut gespritzt werden.
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Intravenöse Infusion
Efgartigimod wird als intravenöse Infusion gewichtsadaptiert mit 10 mg/kg Körpergewicht (KG) über 60 Minuten unter Verwendung eines In-line-Filters verabreicht. Ab einem KG von 120 kg dürfen max. 1200 mg infundiert werden. Aktuell erfolgt die Therapie entsprechend der ADAPT-Studie (inkl. der Open-Label-Extension Phase ADAPT+) in Zyklen. Ein Zyklus besteht aus 4 Infusionen, die im wöchentlich Abstand verabreicht werden (Tag 0, 7, 14, 21). Danach folgt ein infusionsfreies Intervall von mindestens 4 Wochen. In Abhängigkeit des klinischen Verlaufs kann anschließend ein erneuter Zyklus erfolgen, wobei die Intervalle flexibel sein können.
Subkutane Injektion
Die subkutane Therapie unterscheidet sich von der intravenösen Therapie nur in der subkutanen Applikation und der gewichtsunabhängig einzusetzenden Dosis. Die Injektionslösung wird in der empfohlenen Dosis von 1000 mg subkutan (Spritze in die Haut bzw. das Unterhautfettgewebe) verabreicht. Dabei erfolgt die Therapie entsprechend der ADAPTsc Studie (inkl. der Open-Label-Extension Phase ADAPTsc+) ebenfalls in den aus der Infusionstherapie bekannten Regeln für die Zyklen. Für die ersten 5 Gaben von Vyvgart® Injektionslösung muss eine Interventionsmöglichkeit bei Injektions- oder Überempfindlichkeitsreaktionen sichergestellt sein, sodass diese Gaben im Krankenhaus bzw.
Die subkutane Formulierung wurde in einer 10-wöchigen, multizentrischen, randomisierten, offenen Parallelgruppenstudie im Vergleich mit der o. g. intravenösen Therapie getestet, wobei eine sogenannte „Nicht-Unterlegenheit“ der subkutanen gegenüber der intravenösen Verabreichungsform nachgewiesen werden konnte (ADAPTsc Studie). Die meisten Patient*innen (> 80 %) mit MG-ADL Ansprechen zeigten bereits innerhalb der ersten 2 Wochen der Behandlung ein Ansprechen auf die Therapie mit Vyvgart subcutan®. Die subkutane Formulierung ist seit Mitte Dezember 2023 in Deutschland verfügbar.
Bei der Wahl zwischen intravenöser und subkutaner Anwendung spielt vor allem der Patientenkomfort eine wichtige Rolle.
Wichtige Hinweise zur Anwendung
- Kontraindikationen: Bei Patienten mit aktiver systemischer Infektion sollte der Therapiebeginn verschoben werden, bis die Infektion remittiert ist.
- Infektionsrisiko: Es sollte speziell auf ein erhöhtes Risiko von Infektionen sowie auf Vorsichtsmaßnahmen (sofortige ärztliche Vorstellung und ggf. früher Beginn einer entsprechenden Antibiotikatherapie) ausführlich eingegangen werden. In der ADAPT-Studie wurde eine erhöhte Rate an Atemwegsinfekten sowie Harnwegsinfekten beobachtet.
- Injektionsreaktionen: Bei subkutaner Anwendung sollte speziell auf ein erhöhtes Risiko von Injektionsreaktionen im Rahmen der ersten Anwendungen eingegangen werden (Hautausschlag, Pruritus). Die Patienten sollten während der ersten 5 Gaben und eine Stunde danach auf klinische Anzeichen und Symptome von Injektionsreaktionen und anaphylaktischen Reaktionen überwacht werden.
- Standardtherapie: Im Regelfall sollte Efgartigimod als Zusatztherapie zur Standardtherapie eingesetzt werden. Eine Therapiepause der Standardtherapie ist weder notwendig noch sinnvoll.
- Infusionsreaktionen: Die Verabreichung von Efgartigimod kann potenziell zu einer akuten Infusionsreaktion oder anaphylaktischen Reaktionen führen. Die Therapie soll daher nur unter entsprechenden Kautelen und engmaschiger Überwachung von erfahrenem medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden.
- Schwangerschaft und Stillzeit: Grundsätzlich sollte Efgartigimod während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht angewendet werden.
Überwachung und Beurteilung des Therapieerfolgs
Zur Beurteilung des klinischen Verlaufs sollte in erster Linie der MG-ADL Score eingesetzt werden. Im Falle einer Verschlechterung sollte zeitnah ein neuer Zyklus unter Berücksichtigung des 4-wöchentlichen infusionsfreien/injektionsfreien Intervalls erfolgen. Die Verschlechterung sollte messbar sein, aber nicht den Ausgangszustand vor dem jeweiligen Zyklus erreichen.
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Vor jeder Medikamenten-Gabe sollen Patienten gezielt nach Zeichen einer Infektion befragt bzw. untersucht werden. Vor der ersten und vierten Infusion während eines Zyklus sollte mindestens der myastheniespezifische Score zu Aktivitäten des täglichen Lebens (MG-ADL Score) erhoben werden, wobei begleitend die Bestimmung des quantitativen Myasthenia gravis (QMG)-Scores empfohlen wird. Weitere aussagekräftige Scores sind der MG-QoL15r und MGC. Damit lässt sich sowohl das Therapieansprechen als auch eine im Verlauf zu erwartende Verschlechterung individuell messen.
Fazit
Efgartigimod alfa (Vyvgart®) stellt einen vielversprechenden neuen Therapieansatz für Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis dar. Durch die gezielte Reduktion der pathogenen Autoantikörper kann Efgartigimod alfa die Symptome der Erkrankung verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen. Die Therapieentscheidung sollte nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung unter Einbeziehung von Krankheitsaktivität, Therapierisiken und möglichen Therapiealternativen individuell auf Basis der Empfehlungen der DGN-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome getroffen werden. Es wird empfohlen, die Therapieentscheidung in Absprache mit einem in dieser Therapie und mit der Myasthenie erfahrenen Zentrum (z. B. einem integrierten Myasthenie Zentrum) zu treffen und die Patienten in einem spezifischen Krankheitsregister (z. B. dem Deutschen Myasthenie Register) zu erfassen.
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