Myasthenia Gravis: Medikamente, Nebenwirkungen und Behandlungsansätze

Myasthenia gravis, oft einfach nur Myasthenie genannt, ist eine seltene neurologische Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdung gekennzeichnet ist. In Deutschland sind etwa 16.000 Menschen betroffen. Die Erkrankung beruht auf einer Störung der Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln, genauer gesagt, der Reizübertragung an der neuromuskulären Endplatte. Obwohl Myasthenia gravis nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Therapieansätze, die eine gute Krankheitskontrolle ermöglichen und den Betroffenen ein weitgehend normales Leben ermöglichen können.

Ursachen und Symptome der Myasthenia Gravis

Bei Myasthenia gravis greift das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Strukturen an. In den meisten Fällen (ca. 85 %) sind Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR-AK) im Blut nachweisbar. Acetylcholin ist ein wichtiger Botenstoff, der Signale von Nerven zu Muskeln überträgt. Die Antikörper blockieren diese Rezeptoren, wodurch die Muskeln nicht mehr richtig aktiviert werden können. In anderen Fällen richten sich die Antikörper gegen ein Enzym namens Muskelspezifische Kinase (MuSK), das für die Bildung und Regeneration der neuromuskulären Verbindungsstelle wichtig ist.

Die Symptome der Myasthenia gravis sind vielfältig und können von Person zu Person unterschiedlich sein. Häufige Symptome sind:

  • Augenmuskelschwäche: Hängende Augenlider (Ptosis) und Doppelbilder (Diplopie) sind oft die ersten Anzeichen der Erkrankung. Bei ca. 50 % der Myasthenie-Patienten beginnt die Erkrankung mit Sehstörungen durch Doppelbilder und Schwere der Oberlider.
  • Gesichtsmuskelschwäche: Schwierigkeiten beim Kauen, Schlucken und Sprechen können auftreten. Bei ca. 14 % treten Schluck- und Sprechstörungen zuerst auf.
  • Schwäche der Extremitäten: Die Arme und Beine können sich schwach und schnell müde anfühlen. Bei nur 8 % der Patienten ist eine Schwäche der Arme und Beine die Erstsymptomatik.
  • Atembeschwerden: In schweren Fällen kann die Muskelschwäche die Atemmuskulatur beeinträchtigen und zu Atemnot führen. 15-20 % der Betroffenen erleiden einen schweren Schub mit rasch zunehmender Schwäche unter anderem der Atem- und Schluckmuskulatur (z. B. reduzierter Hustenstoß, Artikulationsstörungen bis hin zu einer Atem- und Schlucklähmung).
  • Allgemeine Schwäche: Die Muskelschwäche nimmt oft im Tagesverlauf und bei Belastung zu und bessert sich in Ruhephasen. Typisch für die Myasthenie sind die Erholung in Ruhe und eine Verschlechterung der Lähmungen durch fieberhafte Infekte, Stress, hormonelle Schwankungen und bestimmte Medikamente.

Medikamentöse Therapie der Myasthenia Gravis

Die medikamentöse Behandlung der Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und den Krankheitsverlauf zu beeinflussen. Es gibt verschiedene Medikamentenklassen, die eingesetzt werden können:

Acetylcholinesterasehemmer

Acetylcholinesterasehemmer (z. B. Pyridostigmin) sind die Basis der Myasthenie-Therapie. Diese Medikamente hemmen den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte und verringern so die Symptome der Myasthenia gravis. Durch die Verlangsamung des Abbaus von Acetylcholin steht mehr von diesem Botenstoff zur Verfügung, um die verbliebenen Acetylcholinrezeptoren zu aktivieren.

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Immunsuppressiva

Immunsuppressiva (z. B. Corticosteroide wie Prednisolon, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Cyclosporin A, Methotrexat) werden eingesetzt, um die Aktivität des Immunsystems zu unterdrücken und die Bildung von Autoantikörpern zu reduzieren. Corticosteroide dämpfen als körpereigene Hormone die Überaktivität des Immunsystems und erzielen rasch eine deutliche Symptomverbesserung. Aufgrund der vielfältigen Nebenwirkungen - auch mit möglicher Zunahme der Lähmungen - erfolgt eine niedrig dosierte Gabe, ggf. wechselseitig mit anderen Immunsuppressiva. Die Einnahme von Cortison oder Immunsuppressiva kann zudem die fehlgeleiteten Antikörper verringern. Diese Medikamente haben allerdings häufig starke Nebenwirkungen und wirken meist erst verzögert.

Zielgerichtete Therapien (Biologika)

Zielgerichtete Therapien (z. B. Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan, Efgartigimod, Rozanolixizumab, Rituximab) sind eine neuere Klasse von Medikamenten, die gezielt in die fehlgesteuerten Prozesse des Immunsystems eingreifen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Therapien, die das Immunsystem oft breit unterdrücken, wirken sie präzise an bestimmten Ansatzpunkten.

  • Komplement-Inhibitoren: Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan hemmen die Komplementkaskade, einen Teil des Immunsystems, der an der Zerstörung der neuromuskulären Endplatte beteiligt ist.
  • FcRn-Hemmer: Efgartigimod und Rozanolixizumab blockieren den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn), der eine zentrale Rolle bei der Regulation der Halbwertszeit von IgG-Antikörpern spielt. Durch die Blockade von FcRn wird der Abbau von IgG-Antikörpern beschleunigt, einschließlich der Autoantikörper, die bei Myasthenia gravis eine Rolle spielen.

Rozanolixizumab: Ein FcRn-Hemmer im Detail

Rozanolixizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper der IgG4-Subklasse, der selektiv an FcRn bindet. Es wird subkutan verabreicht, vorzugsweise in den unteren Teil des Bauches, unterhalb des Bauchnabels. Durch die Bindung an FcRn blockiert Rozanolixizumab den Recyclingprozess von IgG-Antikörpern, was zu einer erhöhten lysosomalen Degradation von IgG führt, einschließlich der pathogenen Autoantikörper, die mit Myasthenia gravis assoziiert sind.

Mögliche Nebenwirkungen von Rozanolixizumab:

  • Reaktion an der Injektionsstelle: An der Injektionsstelle können Reaktionen wie Rötung, Schwellung oder Schmerzen auftreten.
  • Infektionen: Rozanolixizumab kann zu einer vorübergehenden Reduktion der IgG-Spiegel führen, was das Infektionsrisiko erhöhen kann. Bei Patienten mit signifikanten aktiven Infektionen soll die Behandlung mit Rozanolixizumab nicht begonnen werden, bis die Infektion abgeklungen oder angemessen behandelt wurde.
  • Überempfindlichkeit: Infusionsreaktionen wie Ausschlag oder Angioödem können auftreten. Patienten müssen während der Behandlung und bis 15 Minuten nach der Anwendung auf Überempfindlichkeitsreaktionen überwacht werden.
  • Aseptische Meningitis: Es gab Berichte über aseptische Meningitis nach Behandlung mit einer höheren Dosierung von Rozanolixizumab, die nach dem Absetzen der Behandlung ohne bleibende Schäden überstanden wurde.
  • Immunogenität: Einige Patienten entwickelten Antikörper gegen den Wirkstoff oder neutralisierende Antikörper, was die Gesamtplasmaexposition von Rozanolixizumab beeinflussen kann.

Weitere Vorsichtsmaßnahmen bei der Behandlung mit Rozanolixizumab:

  • Impfung: Die Sicherheit und das Ansprechen auf Impfungen während der Behandlung mit Rozanolixizumab wurden nicht untersucht. Die Verwendung von Lebendimpfstoffen während der Behandlung wird nicht empfohlen. Da Rozanolixizumab eine Reduktion der IgG-Spiegel bewirkt, könnte dies die Wirksamkeit von Impfungen beeinflussen.
  • Myasthene Krise: Rozanolixizumab wurde nicht bei Patienten mit drohender oder manifester myasthener Krise untersucht.

Weitere Medikamente und Behandlungen

  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG): IVIG sind eine Sammlung von Antikörpern, die aus dem Blut gesunder Spender gewonnen werden. Sie können helfen, das Immunsystem zu modulieren und die Symptome der Myasthenia gravis zu lindern.
  • Plasmapherese und Immunadsorption: Bei diesen Verfahren wird das Blut außerhalb des Körpers gefiltert, um Autoantikörper zu entfernen.
  • Thymektomie: Die Thymektomie ist die operative Entfernung der Thymusdrüse. Der Thymus spielt nach neuesten Erkenntnissen eine wichtige Rolle bei der Entstehung der fehlgesteuerten Antikörper. Eine vom New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie zeigte die deutlichen Vorteile einer operativen Behandlung der Myasthenia gravis gegenüber der rein medikamentösen Therapie: Patienten mussten weniger stationär behandelt werden und benötigten weniger Cortison. Bevor die Thymektomie mit einer vollständigen Öffnung des Brustbeins durchgeführt werden muss, sollten Patienten mit Myasthenie oder kleinen Tumoren am Thymus über einen weniger belastenden Eingriff nachdenken.

Statine und Myasthenia Gravis

Einige Berichte legen nahe, dass Statine, die zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen und zur Vorbeugung von Herzinfarkten eingesetzt werden, Myasthenia gravis verschlimmern oder auslösen können. Es gibt Einzelfallberichte, die einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Beginn einer Statinbehandlung und dem Auftreten bzw. der Verschlechterung der Myasthenia gravis beschreiben.

Allerdings zeigen große Zulassungsstudien der Statine keinen Zusammenhang zwischen Statin-Behandlung und Myasthenia gravis. Auch die Datenbank der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigt für Atorvastatin, das am häufigsten eingesetzte Statin, im Vergleich mit anderen Medikamenten etwas häufiger eine Verschlechterung der Myasthenie berichtet wird. Das kann aber auch daran liegen, dass vergleichsweise viele Menschen und damit auch Myasthenie-Patienten mit Statinen behandelt werden und damit die Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungsberichte höher ist als bei weniger häufig eingesetzten Medikamenten.

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In der klinischen Praxis muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung im Einzelfall gemacht werden. Grundsätzlich ist das sehr geringe Risiko einer zeitnahen Verschlechterung der Myasthenia gravis gegen das vergleichsweise hohe Risiko einer schweren kardiovaskulären Erkrankung im Langzeitverlauf abzuwägen. Soweit dies sich aus den vorliegenden Daten ableiten lässt, gibt es keinen Hinweis, dass sich die verschiedenen Vertreter der Statine hinsichtlich eines möglichen Myasthenie-Risikos unterscheiden.

Leben mit Myasthenia Gravis

Eine Myasthenie ist nicht heilbar, aber gut einstellbar. Dank der vielseitigen und individuell abstimmbaren Therapiemöglichkeiten ist die Myasthenie unter fachärztlicher Kontrolle - mit wenigen Ausnahmen - heute gut einstellbar. Mit Verlaufsschwankungen ist besonders in den ersten Jahren der Erkrankung immer wieder zu rechnen. Körperliche und psychische Belastungen wirken symptomverstärkend und sollten weitgehend vermieden werden. Der Alltag sollte auf die Erkrankung abgestimmt werden. So ist die Belastbarkeit am Morgen größer als am Abend und Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden. Grundsätzlich ist die Prognose bei guter Medikamenteneinstellung positiv, mit geringen Beeinträchtigungen kann ein weitgehend normales Leben geführt und eine Berufstätigkeit ausgeübt werden.

Patient*innen mit myasthenen Syndromen möchten und können, trotz ihrer Erkrankung, in den Urlaub fahren. Im Vorfeld bedarf es einiger Organisation und eventuell auch, je nach Schweregrad und Behandlung, eine individuelle Abstimmung mit der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt.

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