Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch abnorme elektrische Entladungen im Gehirn. Bei Kindern und Jugendlichen ist Epilepsie oft gut behandelbar, und in manchen Fällen verschwindet sie nach einigen Jahren vollständig. Es gibt jedoch auch Formen, die lebenslang bestehen bleiben und schwer auf Medikamente ansprechen. Epileptische Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern, von kurzen, kaum merklichen Absencen bis hin zu starken Krämpfen am ganzen Körper. Bei Neugeborenen und Säuglingen sind Anfälle oft schwer zu erkennen, was die Diagnose erschwert.
Formen von Epilepsie im Kindesalter
Epilepsie kann sich in verschiedenen Formen manifestieren, die spezifisch für das Kindes- und Jugendalter sind:
- Absence-Epilepsie: Kinder sind während eines Anfalls kurzzeitig abwesend, blass und reagieren nicht auf Ansprache. Lidzucken, Augenrollen oder das Neigen des Kopfes nach hinten können zusätzlich auftreten. Diese Absencen können bis zu hundert Mal täglich vorkommen.
- Rolando-Epilepsie: Hierbei zuckt eine Gesichtshälfte, manchmal auch ein Arm oder ein Bein. Kribbeln, Taubheitsgefühle, Sprech- und Schluckstörungen oder vermehrter Speichelfluss können auftreten, wobei das Kind meist bei Bewusstsein bleibt. Die Anfälle treten häufig beim Ein- oder Aufwachen auf.
- Juvenile myoklonische Epilepsie: Diese Form beginnt in der Pubertät und äußert sich durch Muskelzuckungen, oft verbunden mit ausfahrenden Arm- und Schulterbewegungen, meist morgens nach dem Aufwachen. Die Beine können einknicken.
- West-Syndrom: Diese schwere Form beginnt fast immer im Säuglingsalter. Der Körper des Kindes beugt und streckt sich, die Nacken-, Hals- und Rumpfmuskulatur verkrampfen ruckartig. Die Anfälle treten oft kurz nach dem Aufwachen oder beim Einschlafen auf.
Viele Kinder haben eine leichtere Epilepsie, die nach einigen Jahren verschwindet. Diese Kinder entwickeln sich in der Regel normal und ohne Folgeschäden. Zu den leichteren (auch „gutartig“ genannten) Formen gehören die Rolando-Epilepsie und die Absence-Epilepsie. Bei der Rolando-Epilepsie kann sogar oft auf Medikamente verzichtet werden, da die Anfälle meist wenig belastend sind.
Ursachen von Epilepsie nach der Geburt
Bei Kindern wie bei Erwachsenen gilt: Manche Epilepsien haben keine erkennbare Ursache, andere sind durch eine Hirnschädigung, Stoffwechselkrankheiten oder genetische Faktoren bedingt. Anfälle bei Säuglingen sind meist die Folge einer Erkrankung. Sie entstehen beispielsweise durch Sauerstoffmangel, Blutungen oder Durchblutungsstörungen im Gehirn. Es gibt aber auch leichte Epilepsieformen, die sich innerhalb weniger Wochen nach der Geburt von selbst wieder legen.
Die Medizin unterscheidet strukturelle, infektiöse, metabolische, genetische und immunologische Ursachen:
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- Strukturelle Veränderungen: Schlaganfälle oder Tumore können strukturelle Veränderungen am Gehirn verursachen.
- Infektionen: Infektionen des Gehirns können unter anderem durch Borreliose hervorgerufen werden.
- Metabolische Veränderungen: Stoffwechselerkrankungen wie Phenylketonurie können metabolische Veränderungen verursachen.
- Immunologische Ursachen: Entzündungsvorgänge im Gehirn, bei denen das Immunsystem das Hirngewebe angreift, können zu Epilepsie führen.
- Genetische Ursachen: In weniger als 15 % der Fälle stellen Neugeborenenanfälle den Beginn einer frühkindlichen und dann meist genetisch verursachten Epilepsie dar.
Es gibt auch kryptogene Epilepsien, bei denen die Ursache unbekannt ist.
Diagnose von Epilepsie bei Neugeborenen
Bei Neugeborenen und Säuglingen sind Anfälle oft schwerer zu erkennen als bei älteren Kindern. Sie können sich durch Augenbewegungen, Schmatzen, Armrudern und Zuckungen äußern. Oft treten sie schon in den ersten Tagen nach der Geburt auf.
Die Diagnose von Neugeborenenanfällen ist schwierig, da die klinische Diagnose oft unzuverlässig ist. Studien haben gezeigt, dass selbst erfahrene Spezialisten nicht in der Lage sind, epileptische Anfälle von nichtepileptischen Bewegungen zu unterscheiden. Die einzige Ausnahme stellen klonische Anfälle dar. Etwa 50-70 % aller Neugeborenanfälle sind subklinisch („electrographic-only“), v. a. bei Frühgeborenen und intensivpflichtigen Neugeborenen.
Daher ist eine eindeutige Diagnose von Neugeborenenanfällen nur mithilfe des EEG oder aEEG möglich, sodass die Definition von Neugeborenenanfällen sinnvollerweise auch rein elektroenzephalographische Anfälle als Möglichkeit einschließen sollte. Nach Definition durch die American Clinical Neurophysiology Society sind elektrographische Anfälle gekennzeichnet durch ein plötzlich abnormes EEG mit repetitiven Mustern, die eine Evolution zeigen und eine Amplitude von mindestens 2 µV und eine Dauer von mindestens 10 s haben. Rhythmische Entladungen mit einer Dauer unter 10 s werden als „brief interictal rhythmic discharges“ (BIRDs) bezeichnet, sind aber mit klaren Anfällen im selben oder einem nachfolgenden EEG assoziiert.
Die polygraphische Ableitung sollte mindestens 10 EEG-Kanäle, EKG (Elektrokardiogramm), Ableitung von Atmung und Oberflächen-Elektromyographie (EMG) von beiden Deltoidmuskeln und das synchrone Video als Goldstandard einschließen.
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Diagnostische Verfahren
Die ersten Untersuchungen sollten sich auf mögliche Ursachen konzentrieren, die eine sofortige spezifische Therapie erfordern. Nach initialer Stabilisierung des Neugeborenen und Ausschluss einer Hypoglykämie oder Elektrolytentgleisung sollte relativ schnell nach metabolischen oder infektiösen Ursachen gesucht werden.
Folgende diagnostische Verfahren werden eingesetzt:
- Kraniale Ultraschalluntersuchung: Schnell verfügbar und nicht invasiv, aber mit relativ schlechter Sensitivität.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Indiziert, um andere klinisch wichtige Pathologien wie Hirninfarkt, subdurale und subarachnoidale Blutung oder zerebrale Fehlbildungen zu erkennen.
- Elektroenzephalographie (EEG): Zur Bestätigung der Diagnose von Neugeborenenanfällen.
- Amplitudenintegriertes EEG (aEEG): Kann erwogen werden, wenn kein EEG zur Verfügung steht, erkennt aber Anfälle mit kurzer Dauer (<30 s) und fokale Muster mit niedriger Amplitude oder fehlender Einbeziehung der Zentralregion in der Regel nicht.
- Metabolische Untersuchungen: Insbesondere im Serum (Aminosäuren, Ammoniak, Laktat, Pyruvat, überlangkettige Fettsäuren, Biotinidase, Pipecolinsäure), im Urin (organische Säuren, Ketone) und im Liquor (Laktat, Aminosäuren, Pyridoxal-p-Phosphat).
Behandlung von Epilepsie bei Neugeborenen
Da die meisten Neugeborenenanfälle akut symptomatisch und damit teilweise behandelbar sind, sollten sich die ersten Untersuchungen auf mögliche Ursachen, die eine sofortige spezifische Therapie erfordern, konzentrieren.
Die Empfehlungen für Medikamente der 2. Wahl variieren je nach Land und Kontinent und schließen Levetiracetam, Phenytoin, Clonazepam, Midazolam und Lidocain ein. In den USA ist (Fos)Phenytoin verbreitet, wohingegen im Vereinigten Königreich Midazolam bevorzugt wird.
Phenobarbital ist weltweit das Medikament der 1. Wahl zur Behandlung von Neugeborenen und das, obwohl es nur bei 40-60 % zur Anfallsfreiheit führt. Es gibt Hinweise darauf, dass Phenobarbital eine elektroklinische Dissoziation begünstigt, da die Anzahl der klinischen Anfälle ab- und die der elektrographischen Anfälle zunimmt.
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Weitere Medikamente, die bei der Behandlung von Neugeborenenanfällen eingesetzt werden können, sind:
- Levetiracetam
- Phenytoin
- Midazolam
- Clonazepam
- Lidocain
- Carbamazepin
- Topiramat
- Bumetanid
Selbstlimitierende Epilepsieformen im Neugeborenenalter
Es gibt auch selbstlimitierende Epilepsieformen, die im Neugeborenenalter auftreten und sich innerhalb weniger Wochen bis Monate von selbst zurückbilden. Dazu gehören:
- Familiäre neonatale Epilepsie: Anfallsbeginn meist zwischen dem 2. und 7. Lebenstag, bei der familiären Variante typischerweise am 2. bis 3. Lebenstag. Die Anfälle sind hauptsächlich fokal klonisch oder fokal tonisch und gehen häufig mit Automatismen und/oder autonomen Symptomen wie Apnoen einher. Die Anfälle klingen meist innerhalb weniger Wochen bis Monate ab. Die weitere Entwicklung und der neurologische Befund sind meist unauffällig.
- Frühe myoklonische Enzephalopathie: Der Epilepsiebeginn liegt fast immer im ersten Lebensmonat. Typischerweise treten ein fragmentierter Myoklonus oder massive Myoklonien auf, manchmal auch fokale motorische Anfälle. Die EEG-Hintergrundaktivität ist immer abnorm mit einem Burst-Suppression-Muster, das sich sowohl im Wachen als auch im Schlaf darstellt. Die Anfälle sind nahezu immer medikamentenresistent.
- Ohtahara-Syndrom: Die betroffenen Säuglinge erkranken in den ersten 3 Lebensmonaten und zeigen v. a. tonische Anfälle (und später tonische Spasmen), die häufig in Clustern auftreten. Fokale motorische Anfälle sind möglich. Das EEG zeichnet sich durch ein Burst-Suppression-Muster aus, das sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand auftritt und asymmetrisch oder sogar einseitig bestehen kann.
Epilepsie und Schwangerschaft
Frauen mit Epilepsie können in der Regel Kinder bekommen. Es gibt jedoch einige Risiken, die bekannt sein sollten:
- Kinder epilepsiekranker Eltern haben ein etwas höheres Risiko, selbst an Epilepsie zu erkranken.
- Antiepileptische Medikamente können das sich entwickelnde Kind im Mutterleib schädigen.
- Die Versorgung eines Säuglings oder Kleinkindes kann bei Epilepsiepatientinnen mit häufigen oder schweren Anfällen schwierig werden.
Es ist daher wichtig, dass Frauen mit Epilepsie, die schwanger werden möchten, sich von einem Neurologen und einem Gynäkologen beraten lassen. Die antiepileptische Medikation sollte bei konkretem Kinderwunsch schon vor Beginn der Schwangerschaft optimal eingestellt sein.
Während der Schwangerschaft sollten regelmäßige Kontrollen des Serumspiegels des Antikonvulsivums und gegebenenfalls des EEGs erfolgen. Auf die Einnahme von Folsäure 5 mg/Tag ist insbesondere während des 1. Schwangerschaftsdrittels unbedingt zu achten.
Eine natürliche Geburt ist grundsätzlich auch für Epileptikerinnen möglich. Nur bei kompliziertem Schwangerschaftsverlauf, nachgewiesener Fehlbildung des Kindes, hoher Anfallshäufigkeit oder hochdosierter medikamentöser Einstellung kann ein Kaiserschnitt ratsam sein.
Grundsätzlich wird zum Stillen geraten. Alle Medikamente gegen Epilepsie finden sich auch in der Muttermilch wieder. Bei den meisten Medikamenten ist die Konzentration in der Muttermilch jedoch gering und führt nicht zu Nebenwirkungen beim Kind.
Auswirkungen von Epilepsie auf Kinder und Jugendliche
Häufige Anfälle können körperlich und psychisch belasten:
- Konzentrationsstörungen: Die Kinder sind müde oder sehr unruhig. Dies kann ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.
- Schwaches Selbstwertgefühl: Viele Kinder schämen sich wegen ihrer Anfälle. Epileptische Anfälle können verunsichern, weil sie sich nicht kontrollieren lassen.
- Angst vor dem nächsten Anfall: Sie begleitet viele Kinder und ihre Eltern. Deshalb unternehmen sie weniger mit anderen und treiben seltener Sport - auch wenn das für viele von ihnen ohne wesentliche Einschränkungen möglich wäre.
- Verletzungsrisiko: Zum Beispiel durch einen anfallsbedingten Sturz.
Eine verlässliche Unterstützung und ausreichende Behandlung können aber trotz Epilepsie eine gute Lebensqualität ermöglichen.
Therapieoptionen für schwer behandelbare Epilepsien
Bei schwer behandelbaren Epilepsien können folgende Therapieoptionen in Betracht gezogen werden:
- Ketogene Diät: Eine spezielle Ernährungsform mit wenig Kohlenhydraten und viel Fett.
- Operation: Wenn die Anfälle von einer bestimmten Stelle im Gehirn ausgehen (fokale Epilepsie).
- Vagusnerv-Stimulation: Dabei wird eine Elektrode links am Hals eingepflanzt und mit einem kleinen Gerät verbunden, das im Brustbereich unter der Haut eingesetzt wird.