Myasthenia Gravis: Ursachen, Symptome und Behandlungsansätze

Myasthenia gravis, oft einfach als Myasthenie bezeichnet, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdbarkeit gekennzeichnet ist. Die Erkrankung betrifft die willkürliche Muskulatur, also jene Muskeln, die wir bewusst steuern können, und kann unterschiedliche Körperregionen betreffen. Obwohl Myasthenia gravis nicht heilbar ist, ermöglichen moderne Therapien den Betroffenen, ein weitgehend normales Leben zu führen.

Was ist Myasthenia Gravis?

Der Begriff "Myasthenia gravis" bedeutet übersetzt "schwere Muskelschwäche". Diese neuromuskuläre Störung beeinträchtigt die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln. Bei gesunden Menschen überträgt der Botenstoff Acetylcholin Impulse von den Nerven zu den Muskeln. Bei Myasthenia gravis wird diese Signalübertragung jedoch gestört, was zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche führt.

Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, manifestiert sich jedoch häufiger bei Frauen zwischen 20 und 40 Jahren und bei Männern zwischen 50 und 80 Jahren. Schätzungsweise sind in Deutschland 0,015 Prozent der Bevölkerung betroffen.

Ursachen von Myasthenia Gravis

Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Strukturen angreift. Im Falle von Myasthenia gravis richten sich die Autoantikörper gegen Acetylcholinrezeptoren (AChR) oder andere Proteine an der neuromuskulären Endplatte, der Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel.

Die Rolle von Acetylcholin

Damit Nerven und Muskeln miteinander kommunizieren können, setzen die Nervenenden den Neurotransmitter Acetylcholin frei. Acetylcholin bindet an ACh-Rezeptoren auf der Muskelzelloberfläche und löst so eine Muskelkontraktion aus. Bei Myasthenia gravis blockieren die Autoantikörper die ACh-Rezeptoren oder zerstören sie, wodurch weniger Rezeptoren für Acetylcholin zur Verfügung stehen. Dies führt zu einer verminderten Signalübertragung und Muskelschwäche.

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Weitere Zielstrukturen der Autoantikörper

Neben den ACh-Rezeptoren können sich die Autoantikörper auch gegen andere Strukturen an der neuromuskulären Endplatte richten, darunter:

  • Muskelspezifische Kinase (MuSK): MuSK ist ein Protein, das für die Bildung und Erhaltung der neuromuskulären Endplatte wichtig ist.
  • Lipoprotein-Rezeptor-Related Protein 4 (LRP4): LRP4 spielt eine Rolle bei der Signalübertragung an der neuromuskulären Endplatte.
  • Agrin: Agrin ist ein Protein, das die Anordnung der ACh-Rezeptoren an der neuromuskulären Endplatte steuert.

Die genauen Ursachen, warum das Immunsystem diese Autoantikörper bildet, sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass genetische Faktoren, Umweltfaktoren und Infektionen eine Rolle spielen können. Einige Wissenschaftler sehen auch einen Zusammenhang mit einer krankhaft veränderten Thymusdrüse.

Die Bedeutung der Thymusdrüse

Die Thymusdrüse ist ein Organ des Immunsystems, das sich hinter dem Brustbein befindet. Bei vielen Patienten mit Myasthenia gravis ist die Thymusdrüse vergrößert oder weist Tumore auf (Thymome). Es wird angenommen, dass die Thymusdrüse eine Rolle bei der Entstehung der Autoantikörper spielt, die für Myasthenia gravis verantwortlich sind.

Symptome von Myasthenia Gravis

Die Symptome von Myasthenia gravis können von Person zu Person variieren und im Laufe der Zeit schwanken. Typisch ist eine belastungsabhängige Muskelschwäche, die sich im Tagesverlauf verstärkt und nach Ruhephasen wieder bessert.

Häufige Symptome

  • Augenmuskulatur: Hängende Augenlider (Ptosis), Doppeltsehen (Diplopie)
  • Gesichtsmuskulatur: Schwierigkeiten beim Lächeln, Sprechen, Kauen und Schlucken
  • Arme und Beine: Schwäche, die sich bei Belastung verstärkt
  • Atemmuskulatur: Atemnot, Kurzatmigkeit

Myasthene Krise

In schweren Fällen kann es zu einer myasthenen Krise kommen, bei der die Atemmuskulatur so stark geschwächt ist, dass es zu Atemnot und sogar Atemstillstand kommen kann. Eine myasthene Krise ist ein medizinischer Notfall und erfordert eine sofortige Behandlung. Auslöser einer solchen Krise sind oft Infektionskrankheiten.

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Subtypen der Myasthenia Gravis

Die Myasthenia gravis kann nach verschiedenen Kriterien unterteilt werden:

  • Lokalisation: Okuläre Myasthenie (betrifft nur die Augenmuskeln) vs. generalisierte Myasthenie (betrifft auch andere Muskelgruppen)
  • Erkrankungsbeginn: Juvenile Myasthenie (vor dem 18. Lebensjahr), adulte Myasthenie (zwischen dem 18. und 50. Lebensjahr), Altersmyasthenie (nach dem 50. Lebensjahr)
  • Antikörper: Vorhandensein von Antikörpern gegen AChR, MuSK oder LRP4
  • Thymusdrüse: Vorhandensein eines Thymoms oder einer Thymusdrüsenvergrößerung

Diagnose von Myasthenia Gravis

Die Diagnose von Myasthenia gravis basiert auf einer Kombination aus:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Beschwerden
  • Körperliche Untersuchung: Beurteilung der Muskelfunktion und Durchführung spezifischer Tests wie dem Simpson-Test
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Hirnnervenfunktion
  • Elektrophysiologische Untersuchungen: Serienstimulation zur Objektivierung muskulärer Schwächen
  • Blutuntersuchungen: Nachweis von Autoantikörpern gegen AChR, MuSK oder LRP4
  • Bildgebende Verfahren: Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) des Brustkorbs zur Beurteilung der Thymusdrüse
  • Lungenfunktionstests: Überprüfung der Atemmuskulatur

Klinische Tests

Bestimmte klinische Tests können helfen, die Diagnose zu bestätigen. Dazu gehören:

  • Simpson-Test: Beurteilung der Muskelermüdung bei wiederholten Bewegungen
  • Eisbeutel-Test: Auflegen eines Eisbeutels auf das Augenlid zur Verbesserung der Ptosis
  • Pharmakologischer Test mit Edrophoniumchlorid (Tensilon-Test): Kurzzeitige Verbesserung der Muskelschwäche nach Injektion von Edrophoniumchlorid, einem Cholinesterasehemmer

Differenzialdiagnose

Es ist wichtig, Myasthenia gravis von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen, wie z.B.:

  • Lambert-Eaton-Syndrom
  • Multiple Sklerose
  • Muskeldystrophien
  • Schlaganfall
  • Hirntumor

Behandlung von Myasthenia Gravis

Die Behandlung von Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es gibt verschiedene Therapieansätze, die je nach Schweregrad der Erkrankung und individuellen Bedürfnissen eingesetzt werden können.

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Medikamentöse Therapie

  • Acetylcholinesterasehemmer: Diese Medikamente (z.B. Pyridostigmin, Neostigmin) hemmen den Abbau von Acetylcholin im synaptischen Spalt, wodurch mehr Acetylcholin für die Bindung an die Rezeptoren zur Verfügung steht und die Muskelkraft verbessert wird.
  • Kortikosteroide: Kortikosteroide (z.B. Prednisolon) wirken entzündungshemmend und unterdrücken die Aktivität des Immunsystems. Sie können die Symptome der Myasthenia gravis rasch verbessern, haben aber auchPotenzielle Nebenwirkungen, insbesondere beiLangzeitanwendung.
  • Immunsuppressiva: Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin, Mycophenolatmofetil) unterdrücken die Bildung von Autoantikörpern und können den Krankheitsverlauf langfristig positiv beeinflussen. Der Behandlungserfolg tritt jedoch erst mit einer gewissen Verzögerung ein.
  • Biologika: Neuartige monoklonale Antikörper wie Rituximab und Eculizumab greifen spezifisch in den Krankheitsprozess ein und können das Krankheitsgeschehen in bestimmten Konstellationen nachhaltig positiv beeinflussen.

Thymektomie

Die Thymektomie, die operative Entfernung der Thymusdrüse, kann bei Patienten mit Myasthenia gravis, insbesondere bei Vorliegen eines Thymoms oder einer Thymusdrüsenvergrößerung, sinnvoll sein. Die Thymektomie kann die Symptome der Myasthenia gravis verbessern und die Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie reduzieren.

Akuttherapie

Bei einer myasthenen Krise oder schweren Symptomen können folgende Akuttherapien eingesetzt werden:

  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG): IVIG sind Antikörper aus Spenderblut, die das Immunsystem modulieren und die Autoimmunreaktion abschwächen können.
  • Plasmapherese: Bei der Plasmapherese wird das Blutplasma ausgetauscht, um die Autoantikörper zu entfernen.

Begleitende Therapien

  • Physiotherapie: Kräftigung der Muskulatur und Verbesserung der Beweglichkeit
  • Ergotherapie: Anpassung desAlltags an dieErkrankung undErleichtern vonAktivitäten des täglichen Lebens
  • Logopädie: Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen
  • Psychologische Betreuung: Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung

Leben mit Myasthenia Gravis

Myasthenia gravis ist eine chronische Erkrankung, die das Leben der Betroffenen beeinträchtigen kann. Es gibt jedoch viele Möglichkeiten, mit der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.

Tipps für den Alltag

  • Planen Sie Ruhepausen ein: Achten Sie auf ausreichend Ruhe und Erholung, um die Muskeln zu entlasten.
  • Vermeiden Sie Überanstrengung: Passen Sie Ihre Aktivitäten an IhreBelastbarkeit an und vermeiden Sie Überanstrengung.
  • Achten Sie auf eine gesunde Lebensweise: Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßige Bewegung können das Immunsystem stärken und die Symptome lindern.
  • Vermeiden Sie bestimmte Medikamente: Einige Medikamente können die Symptome der Myasthenia gravis verschlimmern. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über alle Medikamente, die Sie einnehmen.
  • Informieren Sie sich über die Erkrankung: Je besser Sie über Myasthenia gravis informiert sind, desto besser können Sie mit der Erkrankung umgehen und Entscheidungen treffen.
  • Suchen Sie Unterstützung: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, Ihrer Familie und Freunden über Ihre Erkrankung. Es gibt auch Selbsthilfegruppen für Menschen mit Myasthenia gravis, in denen Sie sich mit anderen Betroffenen austauschen können.

Reisen mit Myasthenia Gravis

Patienten mit Myasthenia gravis können reisen, sollten jedoch einige Vorkehrungen treffen:

  • Planen Sie Ihre Reise sorgfältig: Berücksichtigen Sie Ihre Therapieintervalle und stellen Sie sicher, dass die medizinische Versorgung im Notfall vor Ort gewährleistet ist.
  • Führen Sie wichtige Dokumente mit sich: Notfallausweis, Medikationsplan (in verschiedenen Sprachen)
  • Vermeiden Sie Temperaturextreme: Hitze wird von vielen Patienten mit Myasthenia gravis schlechter vertragen.
  • Passen Sie Ihre Aktivitäten an Ihre Konstitution an: Überanstrengen Sie sich nicht und planen Sie ausreichend Pausen ein.

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