Myasthenie Medikamente: Eine umfassende Liste und Übersicht

Myasthenia gravis ist eine seltene neurologische Erkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdung gekennzeichnet ist. In Deutschland sind etwa 16.000 Menschen betroffen. Die Erkrankung wird durch Autoantikörper verursacht, die die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln stören. Typische Symptome sind unter anderem Lähmungen der Augenmuskulatur und des Lidhebers. Ein Gipfel der Erkrankungen tritt zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr auf.

Was ist Myasthenia Gravis?

Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln gestört ist. Bei der Myasthenia gravis, einer oft mit Thymusveränderungen assoziierten Autoimmunerkrankung, richten sich Autoantikörper gegen die Acetylcholinrezeptoren prä- und postsynaptischer Strukturen an der neuromuskulären Endplatte. Bei etwa 85 % der Myasthenie-Patienten ist ein Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (anti-AChR-AK) im Blut nachweisbar. Weitere bisher bekannte Antikörper richten sich gegen die muskelspezifische Kinase (MuSK-Antikörper) oder gegen das Lipoportein-related Protein 4 (LRP4-Antikörper).

Die Fehlfunktion des Immunsystems basiert auf einer genetischen Veranlagung für Autoimmunerkrankungen. Als Auslöser der Antikörperbildung werden vor allem Infektionen durch Viren und Bakterien diskutiert, bei ca. 15% der klinisch eindeutig Betroffenen können keine Antikörper gefunden werden (sog. seronegative Myasthenie). Operationen, schwere Traumata und manche Medikamente können ebenfalls eine Myasthenie auslösen oder zu einer Exazerbation führen.

Neben autoimmunen, iatrogenen und genetischen Faktoren scheinen Thymusveränderungen bei der multifaktoriellen Genese der Myasthenie eine Rolle zu spielen: Bei den meisten Betroffenen finden sich Thymushyperplasien (in 85%) oder Thymome (10-15%).

Symptome und Diagnose

Das Leitsymptom der Myasthenie ist eine abnorme Ermüdbarkeit der quergestreiften Muskulatur bei Belastung. Oftmals dehnt sich die Symptomatik von der erstbetroffenen Muskelgruppe auf weitere Muskelgruppen aus - im Verlauf können Kau-, Schluck- und Sprechmuskulatur, Schultergürtel-, Oberarm-, Becken- und Oberschenkelmuskulatur betroffen sein - letztlich die gesamte Willkürmuskulatur unter Einbeziehung der Atmung. Die allgemeine Schwäche nimmt oft im Tagesverlauf und bei Belastung zu und kann im Verlauf von Stunden, Tagen und Wochen stark schwanken.

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Bei Merkmalen wie „Ermüdung unter Belastung“ und „Erholung unter Ruhe“ ist das „Daran Denken“ des behandelnden Arztes, dass eine neuromuskuläre Übertragungsstörung vorliegen könnte, von großer Bedeutung. Nach Abgrenzung zu anderen Erkrankungen, die mit einer Muskelschwäche einhergehen, wird ein Neurologe bei Verdacht auf eine Myasthenie zunächst klinische Tests vornehmen, Blutuntersuchungen zur Bestimmung von Antikörpern und ggf. elektromyographische Untersuchungen veranlassen. Diagnostisch wichtig ist auch ein CT mit Kontrastmittel des vorderen oberen Brustkorbs zum Nachweis einer bei der Myasthenie bedeutsamen möglichen Vergrößerung der Thymusdrüse bzw.

Klinische Auffälligkeiten zeigen sich zudem im Arm-, Bein- und Kopfhalteversuch: Die Testungen sind positiv, wenn die Extremitäten oder der Kopf vorzeitig absinken. Die Basis der Labordiagnostik ist die Suche nach Acetylcholinrezeptor-Antikörpern (Anti-AChR-AK). Zum Routinelabor gehören kleines Blutbild, CRP, Elektrolyte und Schilddrüsenhormone. Elektromyographisch können über eine Oberflächenelektrode Potentiale bei repetitiver Stimulation eines Muskels abgelesen werden. Bei Verdacht auf eine Myasthenie sollte eine Bildgebung des Thorax durchgeführt werden, um etwaige Thymusveränderungen aufzuzeigen.

Differentialdiagnosen

Okuläre Symptome, die einer Myasthenie ähneln, können auch auf eine okulopharyngeale Muskeldystrophie oder die Affektion einzelner Hirnnerven hinweisen. Die wichtigsten Differentialdiagnosen sind jedoch andere Störungen der neuromuskulären Übertragung, z.B. das Lambert-Eaton-Syndrom.

Medikamentöse Behandlung der Myasthenie

Die medikamentöse Behandlung der Myasthenia gravis wird individuell an das jeweilige Krankheitsbild angepasst. Häufig kommen dabei unterschiedliche Wirkstoffe gleichzeitig zum Einsatz. Entsprechend der aktuellen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome sind Acetylcholinesterase-Hemmer die Basis der Myasthenie-Therapie.

Acetylcholinesterase-Hemmer

Acetylcholinesterase-Hemmer hemmen den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte und verringern so die Symptome der Myasthenia gravis. Das Medikament der Wahl für die Langzeitbehandlung ist Pyridostigmin-Bromid, welches auch als retardiertes Präparat zur Verfügung steht. Ein alternativer Cholinesterasehemmer ist Ambenonium-Chlorid, der weniger muskarinerge, aber mehr zentralnervöse Nebenwirkungen verursacht und v.a. bei Pyridostigminunverträglichkeiten angewendet wird. Andere Pharmaka sind Neostigmin, das nur parenteral verfügbar ist und v.a. in der Anästhesie gebraucht wird, und Distigmin-Bromid, das durch eine lange Wirksamkeit schlecht steuerbar ist. Edrophonium-Chlorid ist nur zu diagnostischen Zwecken zugelassen.

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Wichtige Hinweise:

  • Unerwünschte Nebenwirkungen sind v.a. Übelkeit, Diarrhö, Akkommodationsstörungen und Bradykardien.
  • Bei einer Überdosierung von Cholinesterasehemmern kann es zu einer Exazerbation dieser Symptome im Sinne einer cholinergen Krise kommen.
  • Therapeutisch kann in diesem Fall als Antidot Atropin verabreicht werden.

Immunsuppressiva

Vor allem bei unzureichender Therapie durch Cholinesterasehemmer, aber auch zur Verhinderung des Übertretens einer okulären in eine generalisierte Myasthenie sollten Immunsuppressiva eingesetzt werden. Mittel der Wahl sind hierfür Glukokortikoide in Kombination mit Azathioprin.

Glukokortikoide

Corticosteroide (z. B. Prednisolon) dämpfen als körpereigene Hormone die Überaktivität des Immunsystems und erzielen rasch eine deutliche Symptomverbesserung. Aufgrund der vielfältigen Nebenwirkungen - auch mit möglicher Zunahme der Lähmungen - erfolgt eine niedrig dosierte Gabe, ggf.

Weitere Immunsuppressiva

Bei okulärer Myasthenia gravis kommen Glukokortikoide und/oder Wirkstoffe wie Azathioprin, Mycophenolat-Mofetila, Cyclosporin A bzw. Methotrexat zur Anwendung. Bei der generalisierten Form der Myasthenia gravis mit Nachweis von Antikörpern gegen Acetylcholin-Rezeptoren mit milder / moderater Krankheitsaktivität bzw. ‑schwere sind ebenfalls Glukokortikoide und / oder Azathioprin die Therapie der ersten Wahl. Als zweite Wahl werden Glukokortikoide und / oder Mycophenolat-Mofetila, Ciclosporin A, Methotrexat bzw.

Zielgerichtete Therapien (Biologika)

Liegt eine generalisierte Myasthenia gravis mit hoher Krankheitsaktivität bzw. ‑schwere mit Nachweis von Antikörpern gegen Acetylcholin-Rezeptoren vor, können Glukokortikoide und/oder ein weiterer immunsuppressiver Wirkstoff angezeigt sein. Zusätzlich können unterschiedliche zielgerichtete Therapien, sogenannte Biologika, als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Bei nachgewiesenen Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern werden - zum Teil zusätzlich zur Standardtherapie - sogenannte Komplement-Inhibitoren (Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan), FcRn-Hemmer (Efgartigimod, Rozanolixizumab) oder Anti-CD-20 Antikörper (Rituximab) empfohlen.

Komplement-Inhibitoren

  • Eculizumab (Soliris®): Ein speziell für Myasthenia gravis zugelassener Arzneistoff.
  • Ravulizumab (Ultomiris®): Ebenfalls ein neuerer Arzneistoff zur Behandlung von Myasthenia gravis.
  • Zilucoplan: Ein weiterer Komplement-Inhibitor.

FcRn-Hemmer

  • Efgartigimod alfa (Vyvgart®): Ein neuerer, speziell für Myasthenia gravis zugelassener Arzneistoff.
  • Rozanolixizumab (Rystiggo®): Hat die EU-Zulassung als Add-on-Therapie bei generalisierter Myasthenia gravis bei Erwachsenen erhalten, wenn die Patienten Autoantikörper gegen den Acetylcholin-Rezeptor oder die muskelspezifische Tyrosinkinase bilden. Es richtet sich gegen den neonatalen Fc-Rezeptor und senkt die Konzentration von Immunglobulin G im Blutserum. Ein Behandlungszyklus besteht aus einer Dosis pro Woche (körpergewichtsadaptiert) über einen Zeitraum von sechs Wochen.

Anti-CD-20 Antikörper

  • Rituximab: Ein weiterer möglicher Therapieansatz.

Weitere Therapien

  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Zweite Wahl bei nachgewiesenen Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern.
  • Plasmapherese und Immunadsorption: Blutwäscheverfahren, die ebenfalls als zweite Wahl in Betracht gezogen werden können.

Myasthene Krise

Bei akuten Verschlechterungen, sogenannten myasthenen Krisen, wird eine Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen, eine Blutwäsche mittels Plasmapherese oder Immunadsorption bzw.

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Weitere wichtige Aspekte

  • Thymektomie: Bei generalisierter Myasthenie kann dieser Eingriff auch unabhängig von einem Thymomnachweis erfolgen, bei Myastheniepatienten mit Nachweis von MuSK-Antikörpern wird eine Thymektomie hingegen nicht empfohlen.
  • Medikamente, die Myasthenie verstärken können: Besondere Vorsicht ist jedoch insbesondere bei der Antibiotika-Auswahl geboten, da Infekte an sich bereits häufig mit einer Myasthenie-Verschlechterung einhergehen. Unter anderem Aminoglykoside, Ampicillin, Fluorochinolone (Gyrasehemmer), Makrolide, wie Azithromycin, Telithromycin, Erythromycin, und auch Tetrazykline verstärken eine Myasthenie. Cephalosporine sind dagegen bei der Myasthenie sicher.
  • Reisen mit Myasthenie: Beachten Sie bei der Planung ihre Therapieintervalle von regelmäßigen Infusionen (z. B. IVIG, Eculizumab, Efartigimod, Rituximab, etc.) und, dass diese eventuell vor Ort verabreicht werden müssen. Vermeiden Sie Temperaturextreme. Patientinnen und Patienten mit myasthenen Syndromen vertragen Hitze meist schlechter.

Leben mit Myasthenie

Eine Myasthenie ist nicht heilbar, aber gut einstellbar. Dank der vielseitigen und individuell abstimmbaren Therapiemöglichkeiten ist die Myasthenie unter fachärztlicher Kontrolle - mit wenigen Ausnahmen - heute gut einstellbar. Mit Verlaufsschwankungen ist besonders in den ersten Jahren der Erkrankung immer wieder zu rechnen. Körperliche und psychische Belastungen wirken symptomverstärkend und sollten weitgehend vermieden werden. Der Alltag sollte auf die Erkrankung abgestimmt werden. So ist die Belastbarkeit am Morgen größer als am Abend und Ruhephasen zur Erholung sollten immer wieder eingeplant werden. Grundsätzlich ist die Prognose bei guter Medikamenteneinstellung positiv, mit geringen Beeinträchtigungen kann ein weitgehend normales Leben geführt und eine Berufstätigkeit ausgeübt werden.

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