Myasthenie, insbesondere die Myasthenia gravis (MG), ist eine Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche und schnelle Ermüdung gekennzeichnet ist. Die Symptome können vielfältig sein und unterschiedliche Muskelgruppen betreffen, was die Diagnose und Behandlung komplex macht. Daher ist es wichtig zu wissen, welcher Arzt für die Behandlung von Myasthenie zuständig ist und welche anderen Fachrichtungen beteiligt sein können.
Symptome und Krankheitsbild der Myasthenie
Die Myasthenia gravis zeigt sich in unterschiedlichen Symptomen. Alle quergestreiften Muskeln des Körpers können betroffen sein. Typischerweise handelt es sich um eine belastungsabhängige Schwäche, so dass die Symptome gegen Abend oder nach außergewöhnlichen Belastungen zunehmen können. Häufig kommt es zu Beschwerden an den Augen, welche sich durch Doppelbilder oder ein herabhängendes Augenlid bemerkbar machen. Auch andere Muskeln können betroffen sein, im Kopfbereich können eine Schwäche beim Kauen, beim Schlucken oder ein undeutliches Sprechen auftreten. Eine Schwäche der Muskeln an Armen und Beinen macht sich z.B. beim Treppensteigen oder Arbeiten mit den Armen über Kopf bemerkbar. In schweren Fällen kann auch die Atemmuskulatur betroffen sein und eine Behandlung auf der Intensivstation notwendig machen.
Der Neurologe als Hauptansprechpartner
Der Neurologe ist der Hauptansprechpartner für die Diagnose und Behandlung von Myasthenie. Neurologen sind spezialisiert auf Erkrankungen des Nervensystems und der Muskulatur und verfügen über das notwendige Fachwissen, um die komplexen Symptome der Myasthenie zu erkennen und zu behandeln.
Aufgaben des Neurologen bei Myasthenie
- Diagnosestellung: Der Neurologe führt eine umfassende klinisch-neurologische Untersuchung durch und veranlasst weitere diagnostische Maßnahmen wie Laboruntersuchungen (z.B. Nachweis von Acetylcholin-Rezeptor-, Anti-MUSK- oder LRP4-Antikörpern im Blut), elektrophysiologische Tests (z.B. Messungen der elektrischen Übertragung zwischen Nerv und Muskel) und Bildgebung des Brustraums (z.B. CT oder MRT) zur Abklärung einer Thymusdrüsenvergrößerung (Thymom).
- Medikamentöse Therapie: Der Neurologe legt die medikamentöse Therapie fest und überwacht diese. Therapeutisch stehen sowohl eine Behandlung der Symptome mit dem Wirkstoff Pyridostigmin (Mestinon® oder Kalymin®) als auch eine Immunsuppression zur Verfügung. Die Einnahme von Pyridostigmin führt meist zu einer raschen Besserung der Beschwerden, der Effekt einer Immunsuppression mit z.B. Corticosteroiden oder auch langfristig einnehmbaren Medikamenten braucht in der Regel etwas länger. Die medikamentöse Behandlung der Myasthenie wird durch die Klinik und Poliklinik für Neurologie und den niedergelassenen Neurologen begleitet, Laborkontrollen erfolgen in der Regel durch den Hausarzt/niedergelassenen Neurologen.
- Koordination der Behandlung: Der Neurologe koordiniert die Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen, die an der Behandlung beteiligt sind (z.B. Thoraxchirurgen, Endokrinologen, Pneumologen, Kardiologen, Augenärzte, Logopäden, Physiotherapeuten).
- Verlaufsbeobachtung: Der Neurologe führt regelmäßige Verlaufsuntersuchungen durch, um den Krankheitsverlauf zu beurteilen und die Therapie bei Bedarf anzupassen.
- Auch eine stationäre Behandlung im Falle schwerer Symptome oder im Rahmen der Diagnosestellung erfolgt in der Klinik und Poliklinik für Neurologie.
Spezialisierte Myasthenie-Zentren
Für eine optimale Betreuung von Myasthenie-Patienten gibt es spezialisierte Myasthenie-Zentren. Diese Zentren verfügen über ein interdisziplinäres Team von Experten und bieten eine umfassende Diagnostik und Therapie an.
Seit August 2019 finden sich diese Experten am interdisziplinären Myastheniezentrum (iMZ) des Universitätsklinikums Münster mit seiner Spezialambulanz. Hier kümmern sich Thoraxchirurgen, Physiotherapeuten, Logopäden und Neurologen Hand in Hand um die Betreuung der Betroffenen. Um die chronisch Kranken auf ihrem Weg von der Kinder- und Jugend- in die Erwachsenenmedizin optimal zu begleiten, sind die Pädiater eng in das Konzept eingebunden. Sie sind neben anderen Fachdisziplinen beteiligt, wenn komplexe Krankheitsgeschichten in der neuroimmunologischen Fallkonferenz besprochen werden. Je nach individueller Situation verordnen die Ärztinnen und Ärzte nach eingehender Diagnostik spezielle Medikamente oder Hilfsmittel, beschließen Zusatzuntersuchungen, eine Betreuung durch die Sozialmediziner oder eine stationäre Aufnahme. Insbesondere für Schluckstörungen gibt es in Münster eine weitreichende Expertise. Treten myasthene Krisen auf, stehen auf der Überwachungs- und Intensivstation alle notwendigen Therapien jederzeit bereit.
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Die Spezialambulanz für Myasthenie und neuromuskuläre Erkrankungen wurde mit den kooperierenden Einrichtungen des Universitätsklinikums im Jahr 2014 durch die DMG (Deutsche Myastheniegesellschaft) als Integriertes Myastheniezentrum sowie als Muskelzentrum der DGM (Dt. Gesellschaft für Muskelkranke) zertifiziert.
Die Myasthenie-Spezialambulanz der LVR-Klinik Bonn hat sich dem freiwilligen Zertifizierungsverfahrens der Deutschen Myasthenie Gesellschaft e. V. (DMG), das in Zusammenarbeit mit dem BQS-Institut für Qualität und Patientensicherheit GmbH durchführt wird, wiederholt gestellt und darf die Auszeichnung „Integriertes Myasthenie-Zentrum“ weitere fünf Jahre tragen. Ziel ist die Qualitätssicherung und kontinuierliche Qualitätsverbesserung, was insbesondere patientenrelevante Aspekte, aber auch die Ausstattung und das Vorgehen nach Behandlungsstandards beinhaltet. In einem Myasthenie-Zentrum werden Patient*innen mit neuromuskulären Erkrankungen, insbesondere Myasthenia gravis, betreut.
Weitere beteiligte Fachrichtungen
Neben dem Neurologen können weitere Fachrichtungen in die Behandlung von Myasthenie einbezogen werden:
- Thoraxchirurgen: Bei Patienten mit einer Vergrößerung der Thymusdrüse (Thymom) oder ohne Vergrößerung der Drüse kann eine operative Entfernung des Thymus und des umgebenen Fettgewebes einen positiven Effekt auf die Erkrankung haben, insbesondere kann sie zu einer Dosisreduktion der Corticosteroide führen oder die Erkrankung sogar ausheilen. Die Beratung erfolgt in der Ambulanz des Thoraxzentrums oder ggf. auch als online Termin (Telemedizin). Die Entfernung der Thymusdrüse führen wir in den aller meisten Fällen mittels eines modernen minimalinvasiven Verfahren durch, welches durch einen OP Roboter (DaVinci®) unterstützt wird. Dadurch entfällt die sonst übliche Spaltung des Brustbeins, da die Operation über drei klein 8mm Schnitte durchgeführt werden kann. Dadurch lässt sich der Krankenhausaufenthalt auf wenige Tage verkürzen und eine rasche Wiederaufnahme des Berufes wird dadurch möglich.
- Augenärzte: Bei Augenbeschwerden wie Doppelbildern oder herabhängenden Augenlidern ist eine augenärztliche Untersuchung und Behandlung erforderlich.
- Pneumologen: Bei Beteiligung der Atemmuskulatur ist eine pneumologische Betreuung notwendig.
- Kardiologen: Bei Herzfunktionsstörungen aufgrund eines Thymoms ist eine kardiologische Betreuung erforderlich.
- Endokrinologen: Bei Autoimmunerkrankungen, die mit einem Thymom einhergehen können (z.B. Hypogammaglobulinämie, Red blood cell aplasia, Lupus erythematosus, Polymyositis, Agranulozytose, die rheumatoide Arthitis und der M. Cushing), ist eine endokrinologische Betreuung erforderlich.
- Logopäden: Bei Schluck- oder Sprachstörungen ist eine logopädische Therapie angezeigt. Andrea Jung Telefon: 0711 6489-2555
- Physiotherapeuten: Physiotherapie kann helfen, die Muskelfunktion zu verbessern und die körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten. Corinna Körbler M.Sc. (ELP) Telefon: 0711 6489-2598
- Ernährungsberater: Eine Ernährungs- und Diätberatung kann bei Schluckstörungen und Gewichtsabnahme hilfreich sein. Monika Müller Telefon: 0711 6489-8719/-2863
- Apotheker: Die Apotheke ist ein wichtiger Ansprechpartner für Fragen zur medikamentösen Therapie. Sr. Karin-Johanna Haase Telefon: 0711 6489-2732
Die Rolle des Hausarztes
Der Hausarzt spielt eine wichtige Rolle bei der Betreuung von Myasthenie-Patienten. Er ist oft die erste Anlaufstelle bei Beschwerden und kann den Patienten an einen Neurologen überweisen. Zudem übernimmt der Hausarzt in der Regel die Laborkontrollen im Rahmen der medikamentösen Therapie.
Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen
Patienten mit myasthenen Syndromen können sich in der Selbsthilfegruppe „Deutsche Myasthenie Gesellschaft“ mit anderen Patienten austauschen und weitere Informationen beziehen. Abgesehen davon sollten Menschen mit Myasthenia gravis versuchen, ihre Erkrankung auch psychisch zu bewältigen. Da kann neben professioneller psychologischer Hilfe auch beispielsweise eine Selbsthilfegruppe helfen.
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Diagnostische und therapeutische Verfahren
Neben der klinisch-neurologischen Untersuchung stehen verschiedene diagnostische und therapeutische Verfahren zur Verfügung:
- Elektrophysiologische Diagnostik: Dr. med. Nora Pagel Klinik für Neurologie Telefon: 0711 6489-2491, Dr. med. Volker Durst Klinik für Neurologie Telefon: 0711 6489-2489
- Muskelsonografie: Dr. med. Nora Pagel Klinik für Neurologie Telefon: 0711 6489-2491
- Institut für Laboratoriumsmedizin: Privatdozent Dr. med. Matthias Orth Telefon: 0711 6489-2761
- Muskellaboratorien:
- Prof. Dr. med. Manuela Neumann Institut für Pathologie und Neuropathologie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Telefon: 07071 29-82283
- Prof. Dr. med. Antje Bornemann Institut für Pathologie und Neuropathologie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Telefon: 07071 29-80162
- Prof. Dr. med. Stephan Zierz Neurologische Klinik und Poliklinik Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Telefon: 0345 557-2738
- Pädiatrische Muskelsprechstunde: Dr. med. Markus Blankenburg Pädiatrisches Zentrum (Neuropädiatrie) Klinikum Stuttgart, Olgahospital Telefon: 0711 992-0
- Genetische Beratung: Dr. med. Dr. rer. nat. Saskia Biskup Institut für Klinische Genetik Klinikum Stuttgart, Olgahospital Telefon: 0711 278-74001 Telefax: 0711 278-74000
- Orthopädische und kinderorthopädische Beratung: Prof. Dr. med. Frau Dr. Herr Prof. Dr. med. F. Herr Univ.- Prof. Dr. med. E.
Forschung und Ausblick
Neben der klinischen Versorgung wird ein wesentlicher Fokus auf die weitere Erforschung der Myasthenie gelegt. So kooperiert das iMZ Münster mit anderen Zentren, um under anderem aus Blutproben eine Biobank aufzubauen. Zudem ist Münster Partner des Myasthenieregisters der Deutschen Myasthenie-Gesellschaft, das detaillierte klinische Informationen für die optimale Betreuung liefert. Durch diese enge Verzahnung werden einerseits die Facetten der vielfältigen Krankheit dokumentiert, was langfristig bei der schwierigen Diagnose helfen kann. Andererseits kann anhand der Proben die genaue Wirkung von Therapien analysiert und das Ansprechen ggf.
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