Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist, die auf plötzliche, abnormale elektrische Aktivität im Gehirn zurückzuführen sind. Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) definiert einen epileptischen Anfall als ein vorübergehendes Auftreten subjektiver Zeichen und/oder objektivierbarer Symptome aufgrund einer pathologisch exzessiven und/oder synchronisierten neuronalen Aktivität im Gehirn. Die Phänomenologie variiert beträchtlich, abhängig von Ort und Ausprägung der Anfälle.
Epidemiologie der Epilepsie
Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Industrieländern liegt die Prävalenz bei 0,5-0,9 Prozent. Die jährliche Neuerkrankungsrate liegt bei 40-70/100.000 Einwohnern. Die jährliche kumulative Inzidenz aller Epilepsien beträgt über alle Altersgruppen hinweg 67,77/100.000 Personen. Hier sind jedoch zwei Spitzen zu verzeichnen: eine in den ersten fünf Lebensjahren (Early-onset-Epilepsie) und eine weitere jenseits des 50. Lebensjahrs (Late-onset-Epilepsie). Im Alter wird die höchste altersadjustierte Inzidenz von Epilepsien gemessen. Bei den über 65-Jährigen liegt die Inzidenz bei 90-150/100.000 Personen. Ebenso nimmt die Prävalenz mit dem Alter zu und steigt auf 1-2 Prozent bei den über 85-Jährigen. Der Häufigkeitsgipfel in der letzten Lebensdekade ist insbesondere mit dem Auftreten von Epilepsien nach Schlaganfällen und Hirntumoren sowie bei Demenzerkrankungen assoziiert.
Schätzungsweise erleiden circa 5 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben einen Krampfanfall, ohne dass sich daraus eine aktive Epilepsie entwickelt. Bei Kindern und Jugendlichen kann ein solcher Anfall bei etwa 4-10 Prozent beobachtet werden. Dazu gehören Fieberkrämpfe, akut symptomatische Anfälle oder unprovozierte epileptische Anfälle. Mit 20 Jahren wird aber nur bei 1 Prozent die Erkrankung Epilepsie, das heißt sich wiederholende epileptische Anfälle, diagnostiziert. Die Hälfte der Epilepsie-Erkrankungen beginnt vor dem 10. Lebensjahr, 2/3 vor dem 20. Lebensjahr.
Klassifikation der Epilepsien
Aus pragmatischen Gründen teilte man Epilepsien lange Zeit in symptomatische, idiopathische und kryptogene Formen ein. 2017 überarbeitete die internationale Liga gegen Epilepsie ihre Klassifikation und Terminologie. Die aktualisierte ILAE- Klassifikation besitzt nunmehr eine dreistufige Grundstruktur:
- Anfallstyp: Bestimmung des Anfallstyps bzw. der Anfallsform. Hier unterscheidet man zwischen generalisiertem, fokalem und unklarem Beginn. Innerhalb der generalisierten Epilepsien wurde die Untergruppe der idiopathisch generalisierten Epilepsien wieder eingeführt. Dazu zählen Absence-Epilepsien des Kindes- und Jugendalters, juvenile myoklonische Epilepsien und Epilepsieformen mit ausschließlich generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.
- Art der Epilepsie: Die nächste Stufe betrifft die Art der Epilepsie. Epilepsien und die damit verbundenen Anfälle sind auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen. Aktuell werden folgende Ätiologien unterschieden: strukturelle, genetische, infektiöse, metabolische, immunologische und unbekannte Ursachen.
- Ätiologie: Die abschließende Diagnose berücksichtigt die zugrunde liegende Ursache der Epilepsie.
Ätiologische Ursachen von Epilepsie
- Strukturelle Ursachen: Eine strukturelle Epilepsie ist mit umschriebenen pathologischen Hirnveränderungen assoziiert. Diese können erworben oder genetisch bedingt sein. Epileptogene Läsionen sind beispielsweise Hirntumore und Hirninfarkte, Kontusionsdefekte, vaskuläre Malformationen, Enzephalozelen, fokale kortikale Dysplasien, Polymikrogyrie der kortikalen Neurone, hypothalamische Hamartome oder eine Hippocampussklerose. Ebenso kann eine perinatale Hirnschädigung, oft infolge von Sauerstoffmangel während des Geburtsvorgangs, eine Epilepsie verursachen.
- Genetische Ursachen: In den letzten Jahren wurden mehrere Hundert Gene und Gen-Veränderungen identifiziert, die vermutlich oder sicher eine Epilepsie (mit)verursachen. Die Mehrzahl der Fälle der idiopathischen generalisierten Epilepsien (IGE) sind polygenetische Erkrankungen. Das Erkrankungsrisiko hängt von verschiedenen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren und Umwelteinflüssen ab. Zu den IGE gehören die kindliche und die juvenile Absence-Epilepsie (CAE und JAE), die juvenile myoklonische Epilepsie und die Epilepsieformen mit ausschließlich generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.
- Infektiöse Ursachen: Infektionen sind die weltweit häufigste Ursache von Epilepsie. Eine infektiöse Ätiologie bezieht sich auf Patienten mit Epilepsie und nicht auf Patienten, die Anfälle im Verlauf einer akuten Infektion erleiden. Infektiöse Ursachen können regional variieren; typische Beispiele sind Neurozystizerkose, Tuberkulose, HIV, zerebrale Malaria, subakute sklerosierende Panenzephalitis, zerebrale Toxoplasmose und kongenitale Infektionen - etwa durch das Zika- oder Zytomegalie-Virus. Zudem sind post-infektiöse Entwicklungen einer Epilepsie möglich, beispielsweise nach einer viralen Enzephalitis.
- Metabolische Ursachen: Eine metabolisch verursachte Epilepsie ist direkte Folge einer Stoffwechselstörung, die epileptische Anfälle als Kernsymptomatik aufweist. Es wird angenommen, dass die meisten metabolisch bedingten Epilepsien einen genetischen Hintergrund haben und nur selten erworben sind.
- Immunologische Ursachen: Eine immunologische Epilepsie ist auf eine autoimmun vermittelte Entzündung des ZNS zurückzuführen. Hierzu gehören vor allem die Kalium-Kanal-Antikörper (LGI1)-bedingte limbische Enzephalitis und die NMDA-Rezeptor-Antikörper assoziierte Enzephalitis (NMDA = N-Methyl-D-Aspartat).
- Unbekannte Ursachen: Neben den zuverlässig differenzierbaren Epilepsien gibt es Formen, deren Ursache (noch) nicht bekannt ist. Eine spezifischere Diagnose als die elektro-klinische Einordnung, etwa als Frontallappenepilepsie, ist bei diesen Patienten nicht möglich.
Pathophysiologie der Epilepsie
Bislang sind die neurobiologischen Zusammenhänge der Epileptogenese nicht bis ins letzte Detail verstanden. Man weiß allerdings, dass eine neuronale intra- und transzelluläre Übererregung (Hyperexzitabilität) einzelner Nervenzellen, Fehlkoordinationen von Erregung und Hemmung neuronaler Zellverbände, veränderte Zellmembraneigenschaften und eine fehlerhafte Erregungsübertragung synaptischer Netzwerke zu einer abnormen exzessiven neuronalen Entladung führen.
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Die dem epileptischen Anfall zugrunde liegenden paroxysmalen Depolarisationsstörungen sind meist auf ein Ungleichgewicht bzw. einer fehlerhaften Verteilung von exzitatorischen und inhibitorischen Neurotransmitterwirkungen zurückzuführen. Dabei spielen die Aminosäuren Glutamat und Aspartat als erregende Neurotransmitter sowie Gamma-Aminobuttersäure (GABA) als hemmende Signalsubstanz eine entscheidende Rolle. Zudem können Neurotransmitter-Synthesestörungen und ein gesteigerter Abbau oder eine Rezeptor-Blockade von GABA-Rezeptoren anfallsauslösend wirken.
Pathologische Veränderungen an spannungsabhängigen Ionenkanälen (Kalium, Natrium, Calcium) beeinflussen ebenfalls die neuronale Erregbarkeit. Für einige dieser Mechanismen wurden inzwischen genetische Ursachen nachgewiesen, zum Beispiel der Defekt am SCN1A-Gen beim Dravet-Syndrom (kodiert für die α-Untereinheit des Natriumkanals) oder ein Gendefekt auf Chromosom 5 bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie, der eine Störung am GABA(a)-Rezeptor initiiert.
Paroxysmale Depolarisationsshift (PDS)
Nach international gängiger Lehrmeinung ist der sogenannte paroxysmale Depolarisationsshift (PDS) als gemeinsamer Nenner der fokalen Epileptogenese anzusehen. Elektrophysiologisch handelt es sich um eine Serie hochfrequenter Aktionspotenziale, die durch eine sich anschließende Hyperpolarisation beendet wird. Auf zellulärer Ebene korreliert der PDS mit interiktalen eleptiformen Signalen (sogenannte Spikes) im EEG. Während eines epileptischen Anfalls wird der PDS in eine anhaltende Depolarisation der Zellen überführt.
Symptome der Epilepsie
Die Symptome der unterschiedlichen Epilepsieformen variieren stark. Das klinische Bild richtet sich nach der Lokalisation und dem Ausmaß der neuronalen Fehlerregung sowie nach der Art des Anfallgeschehens. Möglich sind Parästhesien auf der Haut (Parietallappenanfälle), orale Automatismen wie Schmatzen und Kauen (Temporallappenanfälle), visuelle Halluzinationen (Okzipitallappenanfälle) oder komplexe Anfallsbewegungen (frontale Anfälle) und Mischbilder.
Die ILAE unterscheidet grundsätzlich zwischen Anfällen mit fokaler, generalisierter oder unbekannter Ausbreitung. Darüber hinaus werden diese in Formen mit motorischen und nicht-motorischen Bewegungsstörungen eingeteilt. Bei fokal beginnenden Anfällen wird zusätzlich unterschieden, ob der Patient bei Bewusstsein ist oder nicht. Fokale und generalisierte Anfälle können einzeln (inklusive mehrerer fokaler oder generalisierter Ereignisse) oder zusammen auftreten.
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Anfälle mit fokalem Beginn
Epileptische Anfälle mit fokalem Beginn haben ihren Ursprung in einem begrenzten Neuronensystem innerhalb einer Hemisphäre. Sie werden entsprechend der motorischen Initialsymptomatik klassifiziert und in Anfälle mit und ohne Bewusstseinsstörung eingeordnet.
Fokal beginnende Anfälle mit motorischer Initialsymptomatik
Ein Beginn mit motorischen Störungen kann gekennzeichnet sein durch:
- Automatismen (zum Beispiel unwillkürliches Lecken der Lippen, Schmatzen, Gestikulieren und Wortwiederholungen)
- atonische Anfälle (Reduktion oder Verlust des Muskeltonus)
- klonische Anfälle (unwillkürliche rhythmische Muskelzuckungen)
- epileptische Spasmen (rasche blitzartige Muskelanspannungen)
- hyperkinetische Anfälle (agitierte Motorik)
- myoklonische Anfälle (unwillkürliche kurze, nicht-rhythmische Muskelzuckungen)
- tonische Anfälle (Muskelanspannung bzw. Versteifung einzelner Muskelgruppen)
Wie jeder epileptische Anfall kann auch ein fokal beginnender Anfall mit motorischen Symptomen in einen Status epilepticus (SE) übergehen und stunden- oder sogar tage- bis wochenlang andauern (Epilepsia partialis continua, Koževnikov-Status).
Fokal beginnende Anfälle ohne motorische Initialsymptomatik
Fokale Anfälle ohne initial-motorische Störungen können folgenden Charakter haben:
- autonom (zum Beispiel epigastrales Wärmegefühl, Schwitzen, Hautblässe, Inkontinenz oder Piloerektion)
- mit Arrest-Symptomatik (Innehalten mit völligem Bewegungsverlust)
- kognitiv (zum Beispiel Träumen oder verzerrte Zeitwahrnehmung)
- emotional (zum Beispiel Wut-, Angst- oder Glücksgefühle)
- sensorisch (vor allem visuelle, auditive, gustatorische, olfaktorische, vertiginöse und sensible Veränderungen)
Daneben gibt es fokal beginnende und zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen übergehende Ereignisse.
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Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung
Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung entsprechen den bisher als „einfach-fokal“ bezeichneten Anfällen. Die Anfälle weisen häufig auf eine intrazerebrale Läsion hin. Sie können im Verlauf zu einer Bewusstseinsstörung führen oder in generalisierte Anfälle übergehen. Bisher hat man fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung, die mehr oder weniger regelhaft in generalisierte Anfälle übergehen, als Auren bezeichnet. Da eine Aura definitionsgemäß aber selbst ein epileptisches Ereignis darstellt, verwendet die neue Klassifikation diesen Begriff nicht mehr.
Wesentliche Formen im klinischen Alltag sind:
- Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen und Ausbreitungstendenz (Jackson-Anfälle):
- beginnen mit rhythmischen klonischen Muskelkontraktionen in einem Körperabschnitt (am häufigsten in Hand und Fingern, seltener in Gesicht, Bein und Rumpf)
- bei Beteiligung des Mundwinkels Speichelfluss und Sprechstörungen als Begleitsymptomatik
- selten initial tonische Komponenten
- Muskelzuckungen breiten sich von distal nach proximal fortschreitend aus (march) und bleiben auf eine Körperhälfte begrenzt
- in etwa 60 Prozent der Fälle handelt es sich um rein motorische Anfälle, die restlichen gehen mit sensiblen Symptomen einher, die vor oder während der Kloni auftreten können
- Dauer meist einige Sekunden bis Minuten
- im Intervall normaler klinisch-neurologischer Befund
- im EEG oft Herdbefunde in der kontralateralen Präzentralregion
- häufige Ursachen sind lokalisierte Hirnschädigungen, im Erwachsenenalter vor allem Tumore
- keine bestimmten Altersgruppen bevorzugt
- auf fokale motorische Anfälle folgt oft eine vorübergehende schlaffe Parese oder Plegie der vom Anfall betroffenen Körperpartie (Todd-Lähmung)
- Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen ohne Ausbreitungstendenz:
- lokalisierte motorische Anfälle, die sich klonisch äußern
- häufig mit tonischer Komponente zu Beginn des Anfalls ohne Ausbreitung der klinischen Symptome
- meist von kurzer Dauer (Sekunden bis wenige Minuten)
- Bewusstseinsstörung im Verlauf möglich, ebenso der Übergang in einen bilateralen tonisch-klonischen Anfall
Myoklonische Anfälle
Myoklonische Anfälle sind durch plötzliche, kurze, unwillkürliche Muskelzuckungen gekennzeichnet. Diese Zuckungen können einzelne Muskeln oder ganze Muskelgruppen betreffen. Sie treten oft symmetrisch auf, können aber auch asymmetrisch sein. Typischerweise sind die Schultern und Arme betroffen, seltener die Beine, was dann zu Stürzen führen kann. Die Zuckungen sind arrhythmisch und dauern nur wenige Sekunden. In der Regel geht ein myoklonischer Anfall nicht mit einer Bewusstseinsstörung einher.
Juvenile Myoklonische Epilepsie (JME)
Die juvenile myoklonische Epilepsie (JME), auch Janz-Syndrom genannt, ist eine Form der idiopathisch generalisierten Epilepsie, die typischerweise im Jugendalter zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr beginnt. Sie ist durch das Auftreten von myoklonischen Zuckungen, generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und Absencen gekennzeichnet.
- Myoklonische Zuckungen: Diese treten häufig morgens nach dem Aufwachen auf und können durch Schlafentzug oder Alkoholkonsum verstärkt werden. Die Zuckungen sind meist in den Schultern und Armen lokalisiert und können dazu führen, dass Gegenstände unwillkürlich aus der Hand geschleudert werden.
- Generalisierte Tonisch-Klonische Anfälle: Diese Anfälle können im Verlauf der Erkrankung auftreten und sind durch einen plötzlichen Bewusstseinsverlust, gefolgt von einer tonischen (Versteifung) und anschließenden klonischen (Zuckungen) Phase gekennzeichnet.
- Absencen: Diese Anfälle sind durch kurze Bewusstseinspausen gekennzeichnet, in denen der Betroffene seine Umgebung nicht wahrnimmt.
Die Diagnose der JME basiert auf der Anamnese, der klinischen Untersuchung und dem EEG. Im EEG zeigen sich typischerweise generalisierte Polyspike-Wave-Komplexe.
Altersgebundene Epilepsiesyndrome bei Kindern und Jugendlichen
- Benigne infantile Partialepilepsie: Die Anfälle beginnen zwischen dem 3. und 20. Lebensmonat. Während der Anfälle kommt es zumeist zum Innehalten bei Bewegungen, Augenverdrehen und fokalen Kloni eventuell mit sekundärer Generalisation. Die Anfälle sind gelegentlich von Weinen oder Schreien begleitet. Die Kinder bleiben normal entwickelt. Das interiktale EEG ist unauffällig.
- Dravet-Syndrom: Die schwere myoklonische Epilepsie des Säuglingsalters, manifestiert sich im ersten Lebensjahr bei bis dahin normal entwickelten Säuglingen mit febrilen oder afebrilen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen und meist alternierenden Halbseitenanfällen. Die Prognose ist im Hinblick auf Anfallsfreiheit und kognitive Entwicklung sehr ungünstig. Bei etwa 60 Prozent der Kinder kann ein Defekt im SCN1A-Gen (einem Natriumkanalgen) nachgewiesen werden. Charakteristisch ist die ausgeprägte Temperatur- beziehungsweise Infektabhängigkeit der Anfälle.
- West-Syndrom: Es erkranken meist Säuglinge zwischen dem zweiten und achten Lebensmonat. Perinatale Asphyxie, ZNS-Fehlbildungen und die tuberöse Sklerose sind die häufigsten Ursachen. Das West-Syndrom ist charakterisiert durch die Trias Blitz-Nick-Salaam-Anfälle, Hypsarrhythmie im EEG und Entwicklungsregression. Die häufigste Anfallsform stellen symmetrische Beuge- oder Streckkrämpfe der Extremitäten dar. Vor allem die Prognose eines symptomatischen West-Syndroms ist im Hinblick auf Anfallsfreiheit und kognitive Entwicklung ungünstig.
- Frühkindliche Absenceepilepsie: Im deutschen Sprachraum wird zwischen der frühkindlichen Absenceepilepsie mit Manifestation in den ersten vier Lebensjahren, der Absenceepilepsie des Kindesalters, sowie der juvenilen Absenceepilepsie unterschieden. Die internationale Klassifikation hingegen fasst die frühkindliche Absenceepilepsie und die Absenceepilepsie des Kindesalters zu einer Entität zusammen.
- Doose-Syndrom: Bei der myoklonisch-astatischen Epilepsie treten erste Anfälle zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr auf. Meist beginnt die Epilepsie mit febrilen oder afebrilen generalisierten, tonisch-klonischen Anfällen. Oft setzen dann wenige Wochen später explosionsartig myoklonisch-astatische Anfälle ein. Ein nicht-konvulsiver Status, der wie ein Stupor imponieren kann, ist typisch. Kann die Epilepsie schnell und nachhaltig beherrscht werden, ist die Prognose in etwa 50 Prozent der Fälle relativ gut.
- Lennox-Gastaut-Syndrom: Zumeist manifestiert sich die Epilepsie zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr. Typisch sind tonische Anfälle (Versteifung), atypische Absencen (Abwesenheitszustände mit diskreten motorischen oder autonomen Phänomenen) und Sturzanfälle. Die überwiegende Mehrzahl der Patienten (etwa 90 Prozent) ist intellektuell beeinträchtigt. Das Lennox-Gastaut-Syndrom ist nahezu immer therapieresistent.
- Absenceepilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie): Es erkranken zumeist normal intelligente Kinder im Alter zwischen fünf und acht Jahren. Die Absencen (Abwesenheitszustände) dauern zwischen 5 und 30 Sekunden. Bei der Pyknolepsie können manchmal über 100 Anfälle pro Tag auftreten.
- Rolando-Epilepsie: Die benigne idiopathische Partialepilepsie mit zentrotemporalen Spikes im EEG ist mit etwa einem Fall auf 12 000 Kinder neben der Absenceepilepsie die häufigste Epilepsie im Kindesalter. Die Mehrzahl der Patienten erleidet den ersten Anfall zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr. Charakteristisch sind sensomotorische Herdanfälle der Perioralregion. Im Alter von 12 bis 14 Jahren sind praktisch alle Betroffenen mit und ohne Therapie anfallsfrei.
- Juvenile Absenceepilepsie: Die Absencen unterscheiden sich nicht prinzipiell von denen der Absenceepilepsie des Kindesalters, treten aber in der Regel seltener auf. Im Verlauf, kommt es neben den Absencen in etwa 80 Prozent der Fälle auch zu einzelnen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.
- Epilepsie mit isolierten generalisierten tonisch-klonischen Anfällen: Die Anfälle treten meist innerhalb der ersten zwei Stunden nach dem Erwachen auf. Der Manifestationsgipfel liegt um das 16. Lebensjahr. Die Anfallsfrequenz ist meist gering. Schlafentzug, Alkoholkonsum oder starke seelische Belastung sind häufig Auslöser für einen Anfall.
- Juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom): Diese Epilepsie ist häufig und betrifft normal intelligente Kinder und Jugendliche. Sie beginnt meist zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr. Kardinalsymptom sind morgendliche, oft kurz nach dem Erwachen auftretende, kurze myoklonische Zuckungen.
Diagnose der Epilepsie
Die Diagnose der Epilepsie wird nach den Vorgaben der International League Against Epilepsy (ILAE) anhand des Anfallgeschehens und durch Zusatzbefunde erhoben. Diese Zusatzbefunde deuten auf eine Prädisposition für weitere epileptische Anfälle hin - zum Beispiel epilepsietypische Potenziale im Elektroenzephalogramm (EEG) und/oder zum Anfallsereignis passende strukturelle Läsionen in der Bildgebung.
Elektroenzephalogramm (EEG)
Das EEG ist eine wichtige diagnostische Methode zur Erfassung der Hirnaktivität. Bei Epilepsiepatienten können im EEG epilepsietypische Potenziale wie Spike-Wave-Komplexe oder Sharp-Waves nachgewiesen werden. Diese Potenziale können interiktal (zwischen den Anfällen) oder iktal (während eines Anfalls) auftreten.
Bildgebung
Mithilfe bildgebender Verfahren wie Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT) können strukturelle Läsionen im Gehirn identifiziert werden, die für die Entstehung der Epilepsie verantwortlich sein könnten. Solche Läsionen können beispielsweise Tumore, Infarkte, Fehlbildungen oder Narben sein.
Therapie der Epilepsie
Die Behandlung der Epilepsie basiert nahezu immer auf einer medikamentösen Therapie. Gegebenenfalls wird diese begleitet von nicht pharmakologischen Maßnahmen wie ketogener Diät und Psychotherapie. Ziel der Therapie ist es, Anfallsfreiheit zu erreichen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Medikamentöse Therapie
Zur Behandlung der Epilepsie stehen verschiedene Antiepileptika zur Verfügung. Die Wahl des geeigneten Medikaments richtet sich nach dem Anfallstyp, dem Epilepsiesyndrom, dem Alter des Patienten und möglichen Begleiterkrankungen. Einige der häufig verwendeten Antiepileptika sind:
- Valproat (meist gutes Ansprechen!)
- Lamotrigin
- Ethosuximid
- Levetiracetam
- Topiramat
- Primidon
- Clonazepam
- Acetazolamid
Die Medikation sollte immer individuell gewählt werden (Geschlecht, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen). Die Dosierung orientiert sich am Medikamentenspiegel, Verträglichkeit sowie den allgemeinen Empfehlungen zur Dosierung der jeweiligen Medikation. Nicht bei jedem Präparat sind Spiegelbestimmungen sinnvoll! Einige Antikonvulsiva können die Anfallshäufigkeit verschlechtern.
Nicht-pharmakologische Maßnahmen
- Ketogene Diät: Bei schwer behandelbaren Epilepsien kann eine ketogene Diät in Erwägung gezogen werden. Dabei werden nur wenig Kohlenhydrate und stattdessen vor allem Fette aufgenommen. Diese Diät hat zur Folge, dass sich der Stoffwechsel umstellt: Um Energie zu gewinnen, wird Fett statt Zucker abgebaut. Der erhöhte Gehalt an Fettsäuren im Blut soll wiederum die Signalübertragung der Nervenzellen im Gehirn beeinflussen und zu weniger Anfällen führen.
- Chirurgische Therapie: Eine Operation kommt infrage, wenn sich eine belastende Epilepsie nicht gut mit Medikamenten behandeln lässt. Sie ist nur möglich, wenn die Anfälle von einer ganz bestimmten Stelle im Gehirn ausgehen (fokale Epilepsie). Anfälle, die das gesamte Gehirn erfassen (generalisierte Epilepsie), können nicht operativ behandelt werden.
- Vagusnerv-Stimulation: Dabei wird eine Elektrode links am Hals eingepflanzt und mit einem kleinen Gerät verbunden, das im Brustbereich unter der Haut eingesetzt wird. Das Gerät sendet über die Elektrode elektrische Impulse an den Vagusnerv und weiter ans Gehirn. Diese Impulse sollen bestimmte Gehirnaktivitäten hemmen und dadurch Anfällen vorbeugen.
Therapieempfehlungen für Kinder
Bei vielen Kindern und Jugendlichen lässt sich eine Epilepsie gut behandeln. Manchmal legt sich die Erkrankung nach einigen Jahren ganz, dann treten keine Anfälle mehr auf. Es gibt aber auch Epilepsien, die ein Leben lang bleiben und kaum auf Medikamente ansprechen.
Wenn ein Kind zum ersten Mal einen Anfall hat, werden oft noch keine Medikamente verschrieben, weil es häufig bei einem oder wenigen Anfällen bleibt. Erst wenn sich Anfälle häufen, sind Medikamente sinnvoll. Manchmal müssen verschiedene Präparate ausprobiert werden, bis eins davon wirkt. Es können auch zwei oder mehr Medikamente kombiniert werden.
Wenn ein Kind anfallsfrei ist, wartet man noch eine gewisse Zeit (zum Beispiel zwei Jahre), bis die Medikamente abgesetzt werden. Ob und wann sie abgesetzt werden können, hängt von der Ursache und der Epilepsieform ab.
Die meisten Epilepsiemedikamente für Erwachsene werden auch bei Kindern eingesetzt. Einige davon sind für Kinder zugelassen, andere nicht. Wird auf letztere zurückgegriffen, können sie nur im Rahmen eines Off-Label-Use verschrieben werden - das heißt, außerhalb der eigentlichen Zulassung.
Prognose der Epilepsie
Die Prognose bezüglich Anfallsfreiheit variiert stark. Bei optimaler Therapie können circa 70 % der Patienten in Remission gebracht werden. Etwa 60 % aller Kinder werden durch die Behandlung mit dem ersten Medikament anfallsfrei. Bei etwa 10 % gelingt dies erst nach dem Wechsel auf ein anderes Medikament. Etwa 30 % aller Kinder haben trotz Medikamentenbehandlung weiter epileptische Anfälle.
Etwa 70 % der Kinder mit Epilepsie sind geistig normal entwickelt und genauso intelligent wie Kinder ohne Epilepsie. Die Epilepsie schränkt ihren Alltag nur wenig ein. Die Medikamente wirken oft gut, manchmal sind auch gar keine notwendig. Häufige Anfälle können dagegen körperlich und psychisch belasten.
Leben mit Epilepsie
Eine verlässliche Unterstützung und ausreichende Behandlung können trotz Epilepsie eine gute Lebensqualität ermöglichen. Es ist wichtig, dass Betroffene und ihre Angehörigen gut über die Erkrankung informiert sind und lernen, mit den Herausforderungen umzugehen.
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