Was tun nach einem epileptischen Anfall: Ein umfassender Leitfaden

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, von der etwa 1 % der Bevölkerung betroffen ist. Es ist wichtig zu beachten, dass ein einzelner Krampfanfall nicht unbedingt auf Epilepsie hindeutet. Dieser Artikel soll einen umfassenden Überblick darüber geben, was nach einem epileptischen Anfall zu tun ist, und richtet sich an Pflegekräfte, medizinisches Fachpersonal und Angehörige.

Was ist Epilepsie?

Epilepsie ist gekennzeichnet durch wiederholte epileptische Anfälle, die durch eine vorübergehende übermäßige oder fehlerhafte Aktivität in beiden Gehirnhälften oder in bestimmten Bereichen des Gehirns verursacht werden. Diese Aktivität führt zu einer Flut von Signalen, die die normale Funktion des Gehirns stören können. Die Art und Weise, wie sich ein epileptischer Anfall äußert, hängt davon ab, welche Nervenzellgruppen im Gehirn betroffen sind und welche Funktionen diese haben. Die Symptome können von leichten Muskelzuckungen bis hin zu schweren Krämpfen und Bewusstlosigkeit reichen. Neben motorischen Symptomen können auch sensorische, vegetative und psychische Symptome auftreten.

Die Diagnose Epilepsie wird in der Regel erst gestellt, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle ohne erkennbare Auslöser im Abstand von mehr als 24 Stunden aufgetreten sind oder wenn nach einem Anfall Hinweise auf eine Neigung zu weiteren Anfällen vorliegen. Es ist wichtig zu wissen, dass Epilepsie keine lebenslange Erkrankung sein muss. Wenn Patienten mindestens 10 Jahre lang anfallsfrei sind und seit mindestens 5 Jahren keine Antiepileptika mehr einnehmen, gilt die Epilepsie als überwunden, obwohl das Rückfallrisiko in diesen Fällen nicht bekannt ist.

Anfallsformen

Epileptische Anfälle können in fokale und generalisierte Anfälle unterteilt werden.

  • Aura: Einige Patienten berichten über eine Aura, ein Vorgefühl, das dem eigentlichen Anfall vorausgeht. Dieses Gefühl kann sich als bestimmtes Gefühl, Geruch, Geschmack oder Lichtblitze äußern.
  • Fokale Anfälle: Diese Anfälle entstehen in einem bestimmten Bereich des Gehirns und äußern sich je nach Funktion dieses Bereichs. Zum Beispiel kann es zu Zuckungen eines Arms (motorischer Anfall), einer Gefühlsstörung (sensorischer Anfall) oder einer Veränderung des Sehens (visueller Anfall) kommen. Fokale Anfälle können mit oder ohne Bewusstseinseinschränkung auftreten und sich in einigen Fällen auf das gesamte Gehirn ausbreiten und zu einem generalisierten Anfall werden.
  • Generalisierte Anfälle: Diese Anfälle erfassen beide Gehirnhälften und führen häufiger zu Bewusstlosigkeit und Krämpfen im ganzen Körper. Zu den motorischen generalisierten Anfällen gehören:
    • Tonisch-klonische Anfälle (Grand-Mal-Anfälle): Diese Anfälle beginnen typischerweise mit einem Sturz zu Boden, möglicherweise mit einem Schrei und Bewusstlosigkeit. Es folgt eine tonische Phase mit steif gestreckten Gliedmaßen, Atemstillstand und weiten, lichtstarren Pupillen. Anschließend kommt es zu einer klonischen Phase mit Zuckungen am ganzen Körper, möglicherweise mit Zungen- oder Wangenbiss und unkontrolliertem Urin- oder Stuhlabgang. Nach dem Anfall folgt eine Schlaf- und Orientierungsphase, später oft Amnesie.
    • Klonische Anfälle: Rhythmische Muskelzuckungen, oft langsamer werdend.
    • Tonische Anfälle: Muskelverkrampfungen (Streckung der Extremitäten), teilweise über Minuten.
    • Atonische Anfälle: Sturz durch Tonusverlust der Muskulatur.
    • Absencen: Diese generalisierten Anfälle sind durch eine Bewusstseinspause gekennzeichnet, meist ein kurzes Innehalten.
  • Status epilepticus: EinStatus epilepticus liegt vor, wenn ein epileptischer Anfall länger als 5 Minuten dauert oder eine Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche Erholung auftritt. Dies ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der sofort mit Medikamenten behandelt werden muss.

Postiktale Phase

Nach einem epileptischen Anfall befinden sich die Patienten häufig in einer Reorientierungsphase, der postiktalen Phase, die einige Minuten bis mehrere Stunden dauern kann.

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Diagnostik

Um die Diagnose Epilepsie zu stellen, ist vor allem die Krankengeschichte wichtig. Es ist hilfreich, wenn eine Person, die den Anfall miterlebt hat, den Anfall beschreiben kann. Zusätzlich werden eine körperliche und neurologische Untersuchung sowie ein Elektroenzephalogramm (EEG) durchgeführt, um eine erhöhte Anfallsneigung festzustellen. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) dient zur Absicherung der Diagnose und zum Auffinden möglicher Veränderungen im Gehirn, die die Anfälle auslösen könnten.

Therapie

In der Regel ist nach dem zweiten Anfall eine medikamentöse Behandlung mit Antiepileptika erforderlich, bei hohem Risiko auch schon nach dem ersten. Die Therapie muss über mindestens 2 Jahre durchgeführt werden, oft sogar lebenslang. Es sollte zunächst versucht werden, mit nur einem Antiepileptikum auszukommen (Monotherapie). Erst wenn die Dosis wegen starker Nebenwirkungen nicht mehr erhöht werden kann und die Person immer noch nicht anfallsfrei ist, sollte das Arzneimittel gewechselt oder eine Kombination unterschiedlicher Medikamente versucht werden. Das Ansetzen, Umstellen oder Absetzen der Antiepileptika erfolgt in der Regel schrittweise („Ein-, Ausschleichen“). Um die richtige Dosis zu finden, wird der Arzneimittelspiegel regelmäßig kontrolliert.

Pflegerische Maßnahmen während eines Anfalls

Während eines Krampfanfalls gilt es, den Betroffenen vor weiteren Gefahren zu schützen. Das umfasst:

  • Atemwege sichern
  • Gegenstände aus dem Weg räumen
  • Betroffene zur Sturzprävention auf den Boden gleiten lassen
  • Den Kopf abpolstern, um ihn vor Verletzungen zu schützen

Keinesfalls sollten die Betroffenen festgehalten werden oder ihnen ein Beißkeil in den Mund geschoben werden, weil dadurch Lippen, Zähne und Gaumen verletzt werden können. Auch sollten ihnen wegen der Aspirationsgefahr keine Flüssigkeiten oder Arzneimittel oral eingeflößt werden.

Pflegekräfte sollten während des Krampfanfalls unbedingt die Ruhe bewahren und beruhigend auf den Patienten einwirken. Sie sollten ihn nicht allein lassen und bei unklarer Diagnose sofort einen Arzt benachrichtigen. Auch sollten sie den Betroffenen gut beobachten, damit sie die Dauer, Uhrzeit, den Ablauf und die Besonderheiten des Krampfanfalls später genau dokumentieren können.

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Nach dem Anfall sollten die Pflegenden die Betroffenen in die stabile Seitenlage bringen, bis sie ihr Bewusstsein vollständig wiedererlangt haben (Aspirationsprophylaxe) und ggf. Erbrochenes entfernen. Bei Bedarf: Mund- und Körperpflege durchführen, Wäsche nach unkontrolliertem Urinabgang wechseln, Mundraum auf Zungen- oder Wangenbiss kontrollieren, für Ruhe sorgen sowie Bewusstsein und Vitalzeichen engmaschig überwachen.

Ein epileptischer Anfall, der maximal 2 Minuten dauert, kann in der Regel nicht medikamentös unterbrochen werden.

Was tun beim Status epilepticus?

Ein Status epilepticus (Anfall ≥ 5 Min. oder Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche Erholung) ist lebensbedrohlich und muss immer medikamentös unterbrochen werden. Ein Status epilepticus kann dazu führen, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, sodass Herz und Lunge versagen.

Die Leitlinie „Status epilepticus im Erwachsenenalter“ empfiehlt zur Akuttherapie:

  • Bei Vorhandensein eines venösen Zugangs sollte i.v.-Injektion zur Krampfunterbrechung gegeben werden: Lorazepam, Clonazepam, Midazolam oder Diazepam.
  • Bei Patienten ohne i.v.-Zugang sollte Midazolam intramuskulär per Applikator oder intranasal (als Einzelgabe) appliziert werden.
  • Alternativ zu Midazolam können bei fehlendem i.v.-Zugang Diazepam rektal oder Midazolam bukkal (in der Wangentasche) angewendet werden.

Die Vitalparameter müssen sichergestellt werden und die Betroffenen vor Selbstgefährdung geschützt werden. Eine Intubationsbereitschaft muss immer gesichert sein.

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Prävention und Gesundheitsberatung

Ein wichtiger Aspekt in der Betreuung von Menschen mit Epilepsie ist die Prävention. Betroffene sollten einen regelmäßigen Tagesablauf einhalten und anfallsauslösende Faktoren meiden, z. B. Schlafentzug, Flackerlicht (Diskothek, Videospiele) oder Alkohol in größeren Mengen. Wird ein regelmäßiger Anfallskalender geführt, ist es möglich, Auslöser und Medikamentenwirkungen nachvollziehen zu können. Zudem sollten Betroffene immer einen Notfallausweis mit Erste-Hilfe-Maßnahmen mitführen und Kollegen bzw. Lehrer informieren.

Wichtig ist auch, die Betroffenen im Umgang mit Antiepileptika zu schulen: Diese dürfen nicht eigenmächtig umgestellt oder abgesetzt werden. Oft gibt es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, z. B. gegen Schmerzen oder Fieber. Hier sollte der behandelnde Arzt gefragt werden, welche zusätzlichen Medikamente eingenommen werden können. Auch sollten die Betroffenen Kenntnis über mögliche Nebenwirkungen haben. Alle behandelnden Ärzte sollten über die Epilepsie informiert sein. Sinnvoll sind auch spezielle Schulungsprogramme.

Anzustreben ist ein selbstbestimmtes, weitgehend „normales“ Leben mit Epilepsie. Dennoch sollten die Betroffenen:

  • sich mit Alkohol zurückhalten,
  • keinen Beruf mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung (z. B. Kraftfahrer) oder unregelmäßiger Lebensführung (Schichtarbeit) wählen,
  • keinen Sport mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung treiben.

Das Führen eines (Privat-)Fahrzeugs ist nur erlaubt, wenn Anfallsfreiheit von wenigen Monaten bis 2 Jahren (je nach Erkrankungsform) und ein unauffälliges EEG vorliegen. Schwangerschaften sind in aller Regel möglich. Frauen sollten vorher Rücksprache mit dem Arzt halten, um ggf. die Medikation anzupassen.

Lebenserwartung

Eine Epilepsie kann die Lebenserwartung verkürzen, muss es aber nicht. Das hängt stark von der Ursache und der Grunderkrankung ab. Hat die Epilepsie z. B. eine genetische Ursache, haben die Betroffenen eine ähnliche Lebenserwartung wie Menschen ohne Epilepsie. Die Epilepsie selbst kann jedoch zum Tod führen, wenn jemand aufgrund eines Anfalls einen Unfall hat und sich lebensgefährlich verletzt oder es beim Status epilepticus zu Herz- und Lungenversagen kommt.

Extrem selten ist es, dass Menschen mit Epilepsie plötzlich und unerwartet sterben. Dieses Phänomen wird als „sudden unexpected death in epilepsy“ (kurz SUDEP) bezeichnet. Eine Aufklärung darüber sollte frühzeitig erfolgen - auch, um die Therapieadhärenz zu fördern.

Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall: Was Sie tun können

Wenn Sie Zeuge eines epileptischen Anfalls werden, ist es wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Hier sind einige Schritte, die Sie unternehmen können, um zu helfen:

  • Ruhe bewahren: Ein epileptischer Anfall kann beängstigend sein, ist aber in den meisten Fällen harmlos und dauert nur wenige Minuten.
  • Sicherheit gewährleisten: Schützen Sie die Person vor Verletzungen, indem Sie gefährliche Gegenstände aus dem Weg räumen und den Kopf mit einem weichen Gegenstand (z. B. Jacke oder Kissen) polstern.
  • Atemwege freihalten: Lockern Sie enge Kleidung am Hals und drehen Sie den Kopf zur Seite, um zu verhindern, dass sich die Person an Erbrochenem oder Speichel verschluckt.
  • Nichts in den Mund stecken: Versuchen Sie nicht, den Mund zu öffnen oder einen Gegenstand zwischen die Zähne zu schieben.
  • Nicht festhalten: Halten Sie die Person während des Anfalls nicht fest oder drücken Sie sie zu Boden.
  • Auf die Uhr schauen: Notieren Sie die Start- und Endzeit des Anfalls, um diese Informationen später dem medizinischen Personal mitteilen zu können.
  • Nach dem Anfall: Bleiben Sie bei der Person, bis sie wieder vollständig orientiert ist. Bieten Sie Unterstützung und beruhigen Sie sie. Wenn die Person schläfrig ist, bringen Sie sie in die stabile Seitenlage.
  • Wann den Notruf wählen (112):
    • Der Anfall dauert länger als 5 Minuten (Status epilepticus).
    • Es kommt zu wiederholten Anfällen ohne zwischenzeitliche Erholung.
    • Es gibt Atemprobleme oder Verletzungen.
    • Es ist der erste Anfall der Person.
    • Die Person kommt nicht wieder zu sich.

Epilepsie im Alltag

Epilepsie kann eine Herausforderung im Alltag darstellen, aber mit der richtigen Behandlung und Unterstützung können Menschen mit Epilepsie ein erfülltes Leben führen. Hier sind einige Tipps für den Umgang mit Epilepsie im Alltag:

  • Regelmäßiger Tagesablauf: Halten Sie einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus ein und vermeiden Sie Schlafmangel.
  • Anfallsauslösende Faktoren vermeiden: Identifizieren und vermeiden Sie Faktoren, die Anfälle auslösen können, wie z. B. Stress, Alkohol oder Flackerlicht.
  • Medikamente regelmäßig einnehmen: Nehmen Sie Ihre Antiepileptika genau nach Anweisung des Arztes ein.
  • Notfallausweis mitführen: Tragen Sie einen Notfallausweis mit Informationen über Ihre Erkrankung, Medikamente und Kontaktpersonen bei sich.
  • Unterstützung suchen: Treten Sie einer Selbsthilfegruppe bei oder suchen Sie professionelle Beratung, um mit den emotionalen und sozialen Auswirkungen der Epilepsie umzugehen.

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