Sexualität ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, das auch nach einem Schlaganfall nicht verschwindet. Im Gegenteil, viele Betroffene berichten, dass Partnerschaft, Liebe, Zärtlichkeit und Sexualleben sogar einen höheren Stellenwert einnehmen als vor dem Schlaganfall. Doch die Realität sieht oft anders aus: Körperliche Einschränkungen, psychische Belastungen und Kommunikationsprobleme können das Sexualleben erheblich beeinträchtigen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen für sexuelle Probleme nach einem Schlaganfall, untersucht die damit verbundenen Risiken und zeigt Wege auf, wie Betroffene und ihre Partner wieder zu einem erfüllten Liebesleben finden können.
Sexualität nach Schlaganfall: Ein Tabuthema?
Ein Schlaganfall kommt oft unerwartet und verändert das Leben der Betroffenen und ihrer Partner von Grund auf. Der Alltag, die Aktivitäten und die gesamte Gefühlsebene sind zunächst komplett aus dem Gleichgewicht. Obwohl das Bedürfnis nach Liebe, Geborgenheit, Zärtlichkeit und Sexualität weiterhin besteht, ist es für viele Menschen schwierig, offen darüber zu sprechen. Sexualität ist nach wie vor ein Tabuthema, insbesondere im Zusammenhang mit einer schweren Erkrankung wie einem Schlaganfall.
Lisa Spreitzer, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) und spezialisiert auf Sexualität bei Menschen nach einem Schlaganfall, betont, dass Sexualität seit dem Schlaganfall eine sehr große Bedeutung hat; für manche sogar eine größere als zuvor. Betroffene erleben oft eine Erleichterung, wenn sie feststellen, dass Lust und Erregung noch vorhanden sind. Sie wünschen sich, dass der Partner gerade in dieser schwierigen Zeit für sie da ist und ihnen Liebe und körperliche Nähe schenkt.
Ursachen für sexuelle Probleme nach Schlaganfall
Die Ursachen für sexuelle Probleme nach einem Schlaganfall sind vielfältig und können sowohl körperlicher als auch psychischer Natur sein.
Körperliche Ursachen
Direkte neurologische Auswirkungen: Der Schlaganfall kann direkt neurologische Funktionen beeinträchtigen, die für die Sexualität wichtig sind. Dazu gehören beispielsweise die Sensibilität im Genitalbereich, die Erektionsfähigkeit oder die Fähigkeit zum Orgasmus.
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Motorische Einschränkungen: Lähmungen oder Bewegungseinschränkungen können es erschweren, sexuelle Stellungen einzunehmen oder sich im Bett zu bewegen.
Wahrnehmungsstörungen: Wahrnehmungsstörungen können die Körperwahrnehmung und das Empfinden von Berührungen beeinträchtigen, was sich negativ auf das sexuelle Erleben auswirken kann.
Fatigue: Viele Schlaganfallpatienten leiden unter Fatigue, einer starken Erschöpfung, die auch das sexuelle Interesse und die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen kann.
Begleiterkrankungen und Medikamente: Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck sowie bestimmte Medikamente (z.B. Betablocker, Antidepressiva) können ebenfalls sexuelle Funktionsstörungen verursachen oder verstärken.
Psychische Ursachen
Depressionen und Angstzustände: Depressionen und Angstzustände sind häufige Begleiterscheinungen eines Schlaganfalls und können das sexuelle Interesse und die Erregungsfähigkeit stark beeinträchtigen.
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Verändertes Körperbild: Viele Betroffene fühlen sich durch die körperlichen Folgen des Schlaganfalls (z.B. Lähmungen, Sprachstörungen) unattraktiv und schämen sich für ihren Körper.
Angst vor einem erneuten Schlaganfall: Die Angst vor einem erneuten Schlaganfall beim Geschlechtsverkehr ist weit verbreitet und kann zu Vermeidungsverhalten führen.
Beziehungsprobleme: Der Schlaganfall stellt eine große Belastung für die Partnerschaft dar. Kommunikationsprobleme, Rollenveränderungen und sexuelle Unzufriedenheit können die Beziehung zusätzlich belasten.
Kommunikationsprobleme
Meist sind beide Partner mit der neuen Situation überfordert und wissen nicht, wie sie miteinander umgehen können. Über Gefühle oder - insbesondere die Liebe und sexuelle - Wünsche zu sprechen, fällt vielen schwer. Es findet hierzu bei den wenigsten eine direkte, offene und ehrliche Kommunikation statt.
"Frauen fühlen sich förmlich als 'Sexmonster', wenn sie Lust auf ihren Partner haben. Sie denken zum Beispiel, der Mann sei durch den Schlaganfall nicht mehr in der Lage, hätte kein Verlangen nach Sex mit ihr oder es ginge ihm einfach zu schlecht, um sie und ihre Bedürfnisse zu befriedigen." Dabei wäre alles unkompliziert, wären Paare imstande, auch rüber Liebesangelegenheiten miteinander zu reden oder den anderen einfach zu fragen. Oft ist es so, dass der Mann trotz oder gerade wegen des Schlaganfalls durchaus gerne Nähe, Zuneigung, Liebe und Sex hätte. Es aber ebenso wenig ausspricht, wie die Partnerin, weil er sich 'versehrt' oder nicht mehr so attraktiv findet wie vor dem Schlaganfall.
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Risiken und Warnhinweise
Sex nach Schlaganfall: Ist das gefährlich?
Viele Schlaganfallpatienten haben Angst, dass sexuelle Aktivitäten einen erneuten Schlaganfall auslösen könnten. Diese Sorge ist in den meisten Fällen unbegründet. Sex ist sportlich vergleichbar mit flinkem Gehen oder einigen Stockwerken Treppensteigen. Wer das ohne gesundheitliche Probleme schafft, hat nichts zu befürchten.
Eine deutsche Langzeitstudie hat gezeigt, dass Patienten auch nach einem Herzinfarkt unbesorgt Sex haben können, wenn sie mögen. Die Häufigkeit sexueller Aktivität beeinflusste das Risiko für erneute Herzprobleme nicht negativ.
Dennoch gibt es einige Risiken und Warnhinweise, die beachtet werden sollten:
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Menschen mit schweren Herzleiden sollten vor dem Sex zum Arzt gehen und sich behandeln lassen.
Medikamente: Bestimmte Medikamente, wie z.B. Betablocker, können die Erektionsfähigkeit beeinträchtigen. Die gleichzeitige Einnahme von Potenzmitteln (z.B. Viagra) und Nitraten kann zu einem gefährlichen Blutdruckabfall führen.
Seitensprünge: Ältere Studien haben darauf hingewiesen, dass Seitensprünge gefährlicher sein können als Sex in der Partnerschaft. Dies könnte daran liegen, dass sich ältere Männer beim Seitensprung mehr anstrengen oder dass andere Faktoren wie Stress und Aufregung eine Rolle spielen.
Fremdgehen und Herzinfarkt: Ein Zusammenhang?
Einige Studien deuten darauf hin, dass Fremdgehen das Risiko für einen Herzinfarkt erhöhen kann, insbesondere bei älteren Männern. Eine mögliche Erklärung ist, dass sich Männer beim Seitensprung mehr anstrengen als zu Hause. Auffällig war in einer Frankfurter Studie, dass die jeweilige Prostituierte oder Geliebte im Schnitt 20 Jahre jünger war als ihr Sexualpartner.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese Studien nur einen Zusammenhang zeigen und keine Kausalität beweisen. Es ist auch möglich, dass andere Faktoren wie Stress, Schuldgefühle oder die Einnahme von Medikamenten eine Rolle spielen.
Wege zur Wiederherstellung des Liebeslebens
Trotz der Herausforderungen gibt es viele Möglichkeiten, das Sexualleben nach einem Schlaganfall wieder zu verbessern.
Offene Kommunikation
Das A und O ist eine offene und ehrliche Kommunikation zwischen den Partnern. Sprechen Sie über Ihre Gefühle, Wünsche und Ängste. Versuchen Sie, die Bedürfnisse des anderen zu verstehen und gemeinsam Lösungen zu finden.
Ergotherapie
Ergotherapeuten können helfen, die körperlichen und psychischen Folgen des Schlaganfalls zu bewältigen und Strategien zu entwickeln, um den Alltag wieder selbstständig zu gestalten. Im Bereich der Sexualität können sie beispielsweise:
- Wahrnehmungsstörungen verbessern
- Anleiten, wie die vom Schlaganfall betroffenen Körperregionen allmählich reaktiviert werden können.
- Ermutigen, zu experimentieren und selbst herauszufinden, was funktioniert.
- Ängste abbauen und über die positiven Auswirkungen von Liebe und Sex aufklären.
- Gemeinsam mit den Patienten Möglichkeiten erarbeiten, um der Liebe, also auch der körperlichen Liebe, wieder den Weg zu ebnen.
Psychotherapie
Eine Psychotherapie kann helfen, Depressionen, Angstzustände und andere psychische Probleme zu behandeln, die das Sexualleben beeinträchtigen. Sie kann auch dazu beitragen, das Selbstwertgefühl zu stärken und ein positives Körperbild zu entwickeln.
Medikamentöse Behandlung
Bei Erektionsstörungen oder anderen sexuellen Funktionsstörungen kann eine medikamentöse Behandlung in Erwägung gezogen werden. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über die möglichen Optionen und Risiken.
Hilfsmittel und Anpassungen
Es gibt eine Vielzahl von Hilfsmitteln und Anpassungen, die das Sexualleben erleichtern können. Dazu gehören beispielsweise:
- Kissen und Lagerungshilfen, um bequeme Stellungen zu ermöglichen
- Vibratoren oder andere sexuelle Hilfsmittel
- Anpassungen im Schlafzimmer, um die Zugänglichkeit zu verbessern
Selbsthilfegruppen
Der Besuch einer Selbsthilfegruppe bietet die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und von ihren Erfahrungen zu lernen. Es gibt auch spezielle Selbsthilfegruppen für junge Schlaganfallpatienten.
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