Nahrungsergänzungsmittel bei Multipler Sklerose: Ein umfassender Überblick

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), von der weltweit rund 2,8 Millionen Menschen betroffen sind. Dabei greift das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden an, die die Nervenbahnen (Axone) umhüllen und schützen. Dies führt zu vielfältigen Symptomen wie Sehstörungen, Taubheitsgefühlen, Lähmungserscheinungen, Koordinationsproblemen und Fatigue. Da die Symptome und Anzeichen sehr unterschiedlich sein können, wird MS oft als die Krankheit der 1.000 Gesichter bezeichnet.

Die Schulmedizin steht MS - wie den meisten anderen Autoimmunerkrankungen - recht hilflos gegenüber. Daher suchen viele Betroffene nach ergänzenden Behandlungsmöglichkeiten, darunter auch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Forschungslage zu verschiedenen Nahrungsergänzungsmitteln und deren potenziellen Auswirkungen auf den Verlauf der Multiplen Sklerose.

Der Einfluss der Darmflora auf MS

Autoimmunerkrankungen wie MS gehen häufig mit einem Ungleichgewicht der Darmflora einher. Veränderungen der Darmflora beeinflussen den Verlauf der Erkrankung. Die Darm-ZNS-Achse steht seit einigen Jahren weit oben auf der Forschungsagenda - auch für die Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern der Universität Münster.

Ein Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Ralf Gold untersucht, ob und wie die Gabe von bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln wie Propionsäure erfolgversprechend für die Behandlung ist. Für das geplante Projekt wurde das Team der Klinik für Neurologie des St. Josef Hospitals der RUB am 4. November 2021 mit dem 12. Oppenheim-Förderpreis für Multiple Sklerose der Firma Novartis Pharma GmbH ausgezeichnet.

Dr. Barbara Gisevius aus dem Team von Ralf Gold erklärt: „Bei Autoimmun- sowie neurodegenerativen Erkrankungen wird ein Ungleichgewicht der Darmflora viel diskutiert, welches mit einer Verminderung kurzkettiger Fettsäuren einhergeht. Diese Fettsäuren stammen aus dem enzymatischen Abbau von sonst unverdaulichen Nahrungsbestandteilen durch Darmbakterien.“ In einer vorangegangenen Studie konnten die Forschenden bereits zeigen, dass die kurzkettige Fettsäure Propionsäure einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf von Multipler Sklerose zeigt. Barbara Gisevius und Dr. Jeremias Motte werden in dem neuen Projekt die Wirkung der MS-Medikamente auf die Gesamtheit der Bakterien im Darm von Patientinnen und Patienten untersuchen, das sogenannte Darmmikrobiom. Sie wollen außerdem ergründen, in welchem Maße der zusätzliche Einsatz des Nahrungsergänzungsmittels Propionat die Wirkung bestimmter MS-Therapien beeinflusst.

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Konjugierte Linolsäure (CLA)

Die Neurowissenschaftler der Universität Münster haben in einer Studie aufgezeigt, dass konjugierte Linolsäure (CLA) sowohl Entzündungsprozesse im Darm als auch im Gehirn positiv beeinflussen kann. CLA findet sich zum Beispiel in Rindfleisch und Milchprodukten. Wird sie Mäusen verabreicht, die an einer Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems leiden, verbessert sich deren Gesundheitszustand. Auffällig ist aber: Die erkrankten Tiere weisen alle auch Entzündungen im Magen-Darm-Trakt auf; die Zusammensetzung ihres Darm-Mikrobioms zeigte sich in der Studie gegenüber gesunden Nagern deutlich verändert. Aber auch im Verdauungsorgan wirkte CLA entzündungshemmend. „Unsere Daten machen deutlich: CLA verändert die Immunantwort des Darms nachhaltig“, erklärt Ann-Katrin Fleck, Doktorandin aus der Arbeitsgruppe von Prof. Luisa Klotz.

Was bei Mäusen Erfolg hatte, funktionierte auch beim Menschen. In einer kleinen Studie erhielten 15 Patienten, die parallel zu ihrer langfristigen MS-Therapie sechs Monate lang täglich CLA als Nahrungsergänzung erhalten haben. Danach zirkulierten in ihrem Blut sehr viel weniger entzündliche myeloide Immunzellen - ein wichtiges Kennzeichen dafür, dass auch autoreaktive Immunprozesse eingedämmt werden können. Diese ersten Hinweise sind vielversprechend. „Um diese vorteilhaften Modulationen noch zu verstärken und somit eine tatsächliche Ergänzung zur bestehenden Erstlinien-Therapie zu ermöglichen, ist bereits eine weitere, größer angelegte klinische Studie mit Multiple Sklerose-Patient geplant“, kündigt Prof. Klotz an. In dem Folgeprojekt sollen die potenziellen ergänzenden Effekte einer kombinierten Nahrungsergänzung mit CLA und probiotischen Bakterien untersucht werden.

Umfassende Forschungsarbeiten sind noch aus einem anderen Grund vonnöten, denn wie so oft macht die richtige Dosis den Unterschied. Die konjugierte Linolsäure ist zwar als Nahrungsergänzungsmittel - so für das Bodybuilding - zugelassen, doch haben frühere Studien an Mäusen und Probanden gezeigt, dass bei falscher Dosierung Nebenwirkungen auftreten können. Dazu gehören erhöhte Leberenzym-Werte oder eine Insulinresistenz. Von Selbstversuchen rät das Forschungsteam aus Münster daher ab und weist darauf hin, dass die Nahrungsergänzung kein Ersatz zu den etablierten Erstlinientherapien darstellt.

Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D

Mit Nahrungsergänzungsmitteln das Entzündungsgeschehen bei MS beeinflussen? Diese Vorstellung klingt verlockend. Verschiedene Studien haben bereits die entzündungshemmenden Effekte von Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D auf die MS untersucht - teils mit widersprüchlichen Ergebnissen. Omega-3-Fettsäuren sowie Vitamin D gelten als entzündungshemmend. Da liegt es nahe, dass Wissenschaftler den Einfluss dieser Substanzen auf die MS als chronisch-entzündliche Erkrankung untersucht haben. Während einige Studien keine Effekte finden konnten, zeigten andere, dass Omega-3-Fettsäuren oder Vitamin D die Entzündungen bei Patienten mit MS verringern.

An einer Studie nahmen knapp 60 Patienten mit schubförmiger MS, auch RRMS genannt, teil. Eine Hälfte nahm über 12 Wochen Kapseln mit Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D ein. Die andere Hälfte bekam stattdessen ein Placebo. Ergebnis: Bei den Patienten, die die Nahrungsergänzung erhielten, verbesserte sich der Grad der Beeinträchtigung im Vergleich zum Ausgangswert vor der Studie. Die Auswertung von verschiedenen Blutwerten der Studienteilnehmer zeigen zudem, dass sich die Kombination aus Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D positiv auf die Entzündungswerte auswirkt und die antioxidative Kapazität erhöht. Die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren zusammen mit Vitamin D könnte also eine sinnvolle Ergänzung zur medikamentösen MS-Therapie darstellen. Für eine abschließende Bewertung sind aber weitere Studien nötig.

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Warnhinweise zu Omega-3-Fettsäuren

Am 16.11.23 haben die Hersteller Omega-3-Fettsäure-haltiger Arzneimittel in Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden einen sogenannten Rote-Hand-Brief veröffentlicht. Hierin wird die medizinische Fachöffentlichkeit über neu erkannte Risiken durch die Einnahme von Omega-3-Fettsäure-haltigen Arzneimitteln informiert. Vorausgegangen war eine Feststellung der Europäischen Gesundheitsbehörde EMA, dass bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Risikofaktoren hierfür durch die Einnahme das Risiko für das Auftreten eines sogenannten Vorhofflimmerns erhöht wird. Eine solche oft unbemerkte Herzrhythmusstörung kann gefährlich sein, weil sie unter anderem das Schlaganfallrisiko erhöhen kann.

Grundlage für die behördliche Warnung waren insbesondere drei große, 2021 und 2022 veröffentlichte Metaanalysen, in denen jeweils eine Reihe kontrollierter Studien zu dieser Fragestellung zusammenfassend wissenschaftlich analysiert wurde. Die drei Arbeiten fanden heraus, dass durch eine Einnahme von Omega-3-Fettsäure-Nahrungsergänzungsmitteln gegenüber einem Placebo das Risiko für Vorhofflimmern insgesamt um 32 bis 49 % erhöht werden kann, also bis zu eineinhalbfach. Ein erhöhtes Schlaganfallsrisiko konnte hingegen nicht nachgewiesen werden.

Das Risiko von Vorhofflimmern hängt von der eingenommenen Dosis ab. Das Risiko war bei einer Einnahme von 4.000 mg pro Tag am höchsten. Zum anderen wurden in die genannten Studien insgesamt 80.000 Menschen eingeschlossen, von denen die meisten eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Risikofaktoren hierfür hatten, insbesondere einen erhöhten Blutfettspiegel. Andere solcher Risikofaktoren sind z.B. ein Bluthochdruck, eine Zuckerkrankheit, ein zu hoher Cholesterinspiegel oder das Rauchen. Ob ohne solche Risikofaktoren das Risiko für Vorhofflimmern durch Omega-3-Fettsäure-Präparate erhöht wird, ist nicht bekannt.

Aktueller Stand der Wissenschaft zu Omega-3-Fettsäuren bei MS

Es wurden bis heute mehrere randomisierte kontrollierte Therapiestudien bei MS durchgeführt, die allerdings von sehr unterschiedlicher Größe und Studienqualität waren, auch wurden unterschiedliche Dosierungen getestet. Bei wohlwollender Auslegung kann man darin teilweise einen positiven Trend zugunsten einer Einnahme dieser Präparate sehen, jedoch sicherlich keinen deutlichen Effekt. Bei strengerer Auslegung muss man sagen, dass es bislang keine belastbare Evidenz aus klinischen Studien gibt, die einen Nutzen belegen.

Empfehlungen zur Einnahme von Omega-3-Fettsäuren

Es wird weiterhin in erster Linie zu einer vollwertigen und ausgewogenen Ernährung geraten. Es sollte darüber aufgeklärt werden, dass bislang für kein Nahrungsergänzungsmittel der Nutzen einer Einnahme bei Multipler Sklerose zweifelsfrei belegt wurde. Das gilt auch für das Vitamin D3, von dem aber in den Wintermonaten bis zu 4.000 IE pro Tag wahrscheinlich gefahrlos und mit möglichem Nutzen eingenommen werden können, alternativ einmal wöchentlich 20.000 IE. Von ultrahochdosiertem Vitamin D3 wird wegen der hiermit verbundenen Gefahren aktiv und klar abgeraten. Von Omega-3-Präparaten, denen bislang neutral gegenüberstand, wird nun tendenziell eher abgeraten, zumindest bei höherer Dosierung und wenn oben genannte Risikofaktoren vorliegen. Eine Einnahme von bis zu 1.000 mg pro Tag ist selbst mit solchen Risikofaktoren nach aktueller Studienlage wahrscheinlich bedenkenlos möglich, jedoch wird auch der Nutzen für fraglich gehalten.

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Bei üblichen Verzehrmengen bestimmter Fischarten wie Thunfisch und Öle, etwa Leinöl, besteht sicherlich keine Gefahr. Die Ernährungsempfehlungen bei MS ändern sich nicht.

Weitere wichtige Mikronährstoffe bei MS

Neben den bereits genannten Substanzen gibt es weitere Mikronährstoffe, die bei MS eine wichtige Rolle spielen können:

  • Antioxidantien: Da MS mit chronischen Entzündungen einhergeht, sind Antioxidantien wichtig, um Zellschäden durch freie Radikale zu verhindern. Dazu gehören Vitamin E, Vitamin A (oder β-Karotin) und Vitamin C. Der Bedarf an diesen Vitaminen kann bei einem MS-Schub erhöht sein.
  • Vitamin D: Ein Vitamin-D-Mangel ist ein beeinflussbarer Risikofaktor für Multiple Sklerose. Daher sollte der Vitamin-D-Spiegel bei MS unbedingt überprüft werden. Liegt ein Mangel vor, muss dieser umgehend behoben werden.
  • Folsäure: Die empfohlene Aufnahmemenge von Folsäure liegt bei 400 Mikrogramm am Tag.
  • Magnesium: Experten empfehlen, täglich mindestens 320 Milligramm Magnesium aufzunehmen.
  • Lutein und Zeaxanthin: Dies sind zwei Stoffe aus der Gruppe der Carotinoide, die meist kombiniert miteinander auftreten.
  • Quercetin: Quercetin gehört zu den Flavonoiden. Kapern und Liebstöckel sind reich an Quercetin.
  • Spurenelemente: Die Spurenelemente Selen, Zink und Kupfer sind Bestandteil antioxidativ wirksamer, entzündungshemmender Enzyme.

Vollwertige Ernährung als Basis

Eine vollwertige Ernährung ist die Basis für eine gute Gesundheit und kann auch bei MS eine wichtige Rolle spielen. Eine vollwertige Ernährung bedeutet vor allem, dass Sie abwechslungsreich und bewusst essen. Pflanzliche Lebensmittel, Obst und Gemüse werden den tierischen Produkten gegenüber bevorzugt, bei Getreideprodukten zudem die Vollkornvariante. Die Nahrungszufuhr wird dem Energiebedarf angepasst.

Zu einer richtigen Ernährung bei MS gehört auch, über den Tag immer ausreichend zu trinken. Nehmen Sie sich Zeit, wenn Sie etwas essen, und kauen Sie gründlich. Eine vollwertige Ernährung bei MS unterstützt den Körper bei seinem Kampf gegen Viren, Bakterien und freie Radikale.

Tipps für eine vollwertige Ernährung bei MS

  • Gemüse und Obst machen ein Drittel der empfohlenen Menge an Lebensmitteln aus. Versuchen Sie daher mindestens drei kleine Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag zu essen.
  • Ernähren Sie sich ballaststoffreich. Greifen Sie bei Broten und Brötchen eher nach der Vollkornvariante.
  • Achten Sie auf Zucker. So versteckt sich z. B. in vielen Fertigprodukten ein hoher Zuckeranteil! Besser ist es, wenn Sie Ihre Mahlzeiten frisch und selbst zubereiten. Damit haben Sie eine Kontrolle über den Zuckergehalt. Gleiches gilt für versteckte Salze.
  • Trinken Sie reichlich Wasser.
  • Gönnen Sie sich hin und wieder auch etwas Besonderes! Ob Kuchen, Pizza oder Wein. Im Rahmen eines gemütlichen Abendessens oder eines festlichen Anlasses müssen Sie nicht vollständig darauf verzichten. Versuchen Sie jedoch, von einem regelmäßigen oder intensiven Genuss alkoholischer Getränke abzusehen.

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