Narben im Gehirn, auch als Gliosen bekannt, sind Bereiche von Stützgewebe, die sich als Reaktion auf Verletzungen oder Erkrankungen bilden. Diese Narben können unterschiedliche Ursachen haben, von traumatischen Erlebnissen in der Kindheit bis hin zu Schädel-Hirn-Traumata und Infektionen. Die Folgen von Narben im Gehirn können vielfältig sein und hängen stark von der Lokalisation und dem Ausmaß der Schädigung ab.
Ursachen von Narben im Gehirn
Frühkindliche Traumata und Emotionale Vernachlässigung
Traumatische Erlebnisse und mangelnde emotionale Zuwendung in früher Kindheit können sich als veränderte Gehirnstruktur manifestieren. Prof. Dr. Gerd Poeggel von der Universität Leipzig forscht zu den Auswirkungen frühkindlicher negativer emotionaler Erfahrungen auf die Reifung neuronaler Transmissionssysteme und die Chemoarchitektur des Gehirns. Studien an jungen Degus, die kurzzeitig von ihren Familien getrennt wurden, zeigten, dass gestresste Tiere morphologische Veränderungen im Gehirn aufweisen, insbesondere eine veränderte Dichte der Synapsen.
Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
Ein Schädel-Hirn-Trauma, ob leicht (Gehirnerschütterung) oder schwer (Gehirnprellung), kann zu Narbenbildung im Gehirn führen. Nach einem schweren SHT kann es zu Koma, Wachkoma (apallisches Syndrom) und psychischen Veränderungen kommen. Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen (Aphasie) und Störungen beim Umsetzen von Bewegungsabläufen (Apraxie) sind häufige Folgen.
COVID-19
Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine SARS-CoV-2-Infektion langfristige Auswirkungen auf das Gehirn haben kann. Eine Studie der Universität Freiburg fand Anzeichen einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems im Gehirn von COVID-19-Genesenen. Die Forscher entdeckten zahlreiche sogenannte Mikrogliaknötchen, die auf eine chronische Immunaktivierung hinweisen, ähnlich einer Narbe, die nicht vollständig ausheilt.
Weitere Ursachen
Weitere Ursachen für Narben im Gehirn sind:
Lesen Sie auch: Gehirnoperation und Narbenpflege
- Schlaganfall: Ein Schlaganfall kann zu einem Verlust von Nervenzellen und zur Bildung von Narbengewebe führen.
- Entzündungen: Entzündungen im Gehirn, beispielsweise durch Meningitis oder Enzephalitis, können ebenfalls Narben verursachen.
- Erkrankungen wie Morbus Alzheimer oder Multiple Sklerose: Diese neurodegenerativen Erkrankungen können zu Schädigungen des Hirngewebes und zur Bildung von Gliosen führen.
- Explosionstraumata: Soldaten, die im Krieg Opfer eines Explosionstraumas werden, zeigen später häufig Glianarben im Hirngewebe.
Folgen von Narben im Gehirn
Die Folgen von Narben im Gehirn sind vielfältig und hängen von der Lokalisation und dem Ausmaß der Schädigung ab. Einige mögliche Folgen sind:
Neurologische Störungen
- Epilepsie: Narben können zu einer Störung des elektrischen Gleichgewichts im Gehirn führen und epileptische Anfälle verursachen.
- Motorische Störungen: Je nach betroffenem Hirnareal können Lähmungen (Hemiplegie), Spastik und Koordinationsstörungen auftreten.
- Sensibilitätsstörungen: Das Gefühlsempfinden in bestimmten Körperbereichen kann gestört sein.
- Gesichtsfeldausfälle (Hemianopsien): Schädigungen im Bereich der Sehrinde können zu halbseitigen Gesichtsfeldausfällen führen.
- Neglect: Patienten vernachlässigen eine ihrer Körperhälften oder eine Raumhälfte, obwohl das Sehvermögen intakt ist.
- Sprechstörungen (Dysarthrien): Die Sprechmotorik ist gestört, was zu undeutlicher Aussprache führt.
- Schluckstörungen (Dysphagien): Schwierigkeiten beim Essen, Trinken und Abhusten können auftreten.
Kognitive und Psychische Störungen
- Konzentrationsschwierigkeiten: Es fällt schwer, sich zu konzentrieren und mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen.
- Gedächtnisstörungen (Amnesie): Sowohl das Erinnern an Vergangenes (retrograde Amnesie) als auch das Speichern neuer Informationen (anterograde Amnesie) können beeinträchtigt sein.
- Orientierungsstörungen: Patienten sind sich über Zeit, Ort und Situation nicht im Klaren.
- Persönlichkeitsveränderungen: Aggressivität, Distanzlosigkeit, Reizbarkeit oder depressive Verstimmungen können auftreten.
- Sprachstörungen (Aphasie): Die Fähigkeit zu sprechen, zu verstehen, zu lesen oder zu schreiben kann beeinträchtigt sein.
- Störungen beim Umsetzen von Handlungsabsichten (Apraxie): Trotz erhaltener Bewegungsfähigkeit können Handlungen nicht korrekt ausgeführt werden.
- Rechenstörungen (Dyskalkulien): Die Fähigkeit, Zahlen zu schreiben und zu lesen, ist beeinträchtigt.
Langzeitfolgen von COVID-19
Die anhaltende Aktivierung des Immunsystems im Gehirn nach einer COVID-19-Infektion könnte zu langfristigen neurologischen Beschwerden beitragen, wie z.B. Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Gedächtnisprobleme.
Diagnose
Narben im Gehirn lassen sich in der Regel gut mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT) darstellen. Die MRT kann die Lokalisation und das Ausmaß der Schädigung zeigen. Weitere Untersuchungen, wie z.B. neurologische Tests und neuropsychologische Untersuchungen, können helfen, die Auswirkungen der Narben auf dieFunktionsfähigkeit des Patienten zu beurteilen.
Behandlung
Die Behandlung von Narben im Gehirn zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und dieFunktionsfähigkeit des Patienten zu verbessern. Die Behandlungsmöglichkeiten hängen von der Ursache und den Folgen der Narben ab. Einige mögliche Behandlungsansätze sind:
- Medikamentöse Therapie: Medikamente können eingesetzt werden, um epileptische Anfälle zu kontrollieren, Schmerzen zu lindern oder depressive Verstimmungen zu behandeln.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, motorische Fähigkeiten wiederherzustellen und Spastik zu reduzieren.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann Patienten helfen, alltägliche Aktivitäten wieder selbstständig auszuführen.
- Logopädie: Logopädie kann bei Sprach- und Schluckstörungen helfen.
- Neuropsychologische Therapie: Neuropsychologische Therapie kann Patienten helfen, kognitive Defizite zu bewältigen und Strategien zur Kompensation zu entwickeln.
- Chirurgische Entfernung: In einigen Fällen kann es möglich sein, das Narbengewebe operativ zu entfernen, insbesondere wenn es zu epileptischen Anfällen führt.
Aktuelle Forschung
Die Forschung zu Narben im Gehirn ist ein aktives Feld. Wissenschaftler arbeiten daran, die Mechanismen der Narbenbildung besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln, die die Regeneration des Hirngewebes fördern und dieFunktionsfähigkeit des Patienten verbessern können.
Lesen Sie auch: Behandlungsmöglichkeiten für Ganglionzysten
Ein vielversprechender Ansatz ist die Modulation von Immunreaktionen im Gehirn. Studien haben gezeigt, dass eine anhaltende Aktivierung des Immunsystems zu chronischen Entzündungen und weiteren Schädigungen des Hirngewebes führen kann. Therapien, die diese Immunreaktionen modulieren, könnten helfen, die langfristigen Folgen von Narben im Gehirn zu reduzieren.
Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Förderung der Neuroplastizität. Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, sich an neue Situationen anzupassen und neue Verbindungen zwischen Nervenzellen zu bilden. Therapien, die die Neuroplastizität fördern, könnten Patienten helfen, verlorene Funktionen wiederzuerlangen und neue Fähigkeiten zu erlernen.
Die Rolle von Astrozyten
Astrozyten, die häufigsten Gliazellen im zentralen Nervensystem, spielen eine zentrale Rolle beim Schutz des umliegenden Gewebes nach Hirnverletzungen. Sie unterstützen die Narbenbildung und helfen so, die Verbreitung von Entzündungen zu verhindern und Gewebeschäden einzudämmen. Gleichzeitig können Astrozyten das Überleben von Nervenzellen in unmittelbarer Nähe zu Gewebsverletzungen sichern und die Neuausrichtung neuronaler Netzwerke unterstützen.
Forschungen der Charité - Universitätsmedizin Berlin haben gezeigt, dass das Protein Drebrin bei Hirnverletzungen die Astrogliose steuert. Drebrin wird benötigt, damit Astrozyten als Kollektiv Narben bilden und das umliegende Gewebe schützen können. Der Verlust von Drebrin führt zu einer Unterdrückung der normalen Astrozyten-Aktivierung, wodurch sich eigentlich harmlose Verletzungen ohne die schützende Narbenbildung ausbreiten und immer mehr Nervenzellen absterben.
Langzeitfolgen von Misshandlung in der Kindheit
Studien haben gezeigt, dass Menschen, die als Kind misshandelt wurden, ein erheblich höheres Risiko haben, an psychischen Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen zu erkranken. Wissenschaftler der Universität Münster haben mittels Magnetresonanztomografie (MRT) nachgewiesen, dass die Folgen von Gewalterfahrungen im Kindesalter noch Jahrzehnte später in den Gehirnen der Betroffenen nachweisbar sind. Die Ergebnisse zeigten, dass über je mehr Gewalterfahrungen oder Vernachlässigung die Probanden berichteten, desto kleiner wichtige Gehirnstrukturen wie zum Beispiel der für Lernen- und Gedächtnis wichtige Hippocampus oder der für die Emotionsregulation zuständige Stirnlappen waren.
Lesen Sie auch: Behandlung von Taubheitsgefühl an der Kaiserschnittnarbe