Blut-Hirn-Schranke: Aufbau, Funktion und Bedeutung

Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) ist eine hochselektive physiologische Barriere, die das Gehirn vor schädlichen Substanzen schützt und gleichzeitig die Versorgung mit essentiellen Nährstoffen gewährleistet. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung eines konstanten inneren Milieus im Gehirn, das für die ungestörte Funktion der Nervenzellen unerlässlich ist.

Einführung

Das Gehirn ist ein komplexes Netzwerk aus Nervenzellen, dessen Gleichgewicht durch Hormone, Ionen und andere Moleküle aus dem Blutstrom gestört werden kann. Um dies zu verhindern, ist der Eintritt von Substanzen in das Nervengewebe streng reguliert. Die Blut-Hirn-Schranke übernimmt diese Aufgabe, indem sie eine dichte Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem Gehirn bildet.

Aufbau der Blut-Hirn-Schranke

Die Blut-Hirn-Schranke ist keine einfache Membran, sondern ein komplexes Gebilde aus verschiedenen Zelltypen und Strukturen. Von außen nach innen (zum Gehirn hin) lassen sich folgende Schichten unterscheiden:

  1. Kapillarendothel: Die innerste Schicht der Blut-Hirn-Schranke wird von den Endothelzellen der Hirnkapillaren gebildet. Diese Zellen sind durch sogenannte "Tight Junctions" (dichte Verbindungsstellen) eng miteinander verbunden. Diese Verbindungen verhindern, dass Stoffe unkontrolliert zwischen den Zellen hindurchschlüpfen können (parazellulärer Transport). Um ins Gehirn zu gelangen, müssen Stoffe die Zellen selbst durchqueren (transzellulärer Transport), was streng kontrolliert abläuft. Für die Etablierung der Tight Junctions sind Membranproteine wie Occludin und Claudin notwendig.
  2. Basalmembran: Die Basalmembran besteht hauptsächlich aus Kollagen und Polysaccharidkomplexen und stabilisiert die Endothelzellen.
  3. Astrozyten: Astrozyten sind sternförmige Zellen, die im Gehirn und Rückenmark vorkommen. Sie bilden zwar keine undurchlässige Schranke, sondern fördern die Bildung der Tight Junctions zwischen den Endothelzellen, indem sie Botenstoffe ausschütten. Zudem sind sie an der Ernährung der Nervenzellen beteiligt.
  4. Perizyten: Perizyten lagern sich den Kapillarwänden an und tragen zur Aufrechterhaltung der engen Zellkontakte des Endothels bei.

Funktion der Blut-Hirn-Schranke

Die Blut-Hirn-Schranke erfüllt im Wesentlichen drei Hauptfunktionen:

  1. Schutz vor schädlichen Substanzen und Krankheitserregern: Die Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass Toxine, Krankheitserreger und andere schädliche Substanzen aus dem Blut in das Gehirn gelangen. Sie wirkt wie eine immunologische Barriere und schützt das zentrale Nervensystem vor Infektionen und Schädigungen.
  2. Versorgung des Gehirns mit Nährstoffen: Die Blut-Hirn-Schranke gewährleistet die Versorgung des Gehirns mit wichtigen Nährstoffen wie Glukose, Aminosäuren und Elektrolyten. Diese Stoffe werden über spezielle Transportsysteme durch die Schranke geschleust.
  3. Aufrechterhaltung des inneren Milieus: Die Blut-Hirn-Schranke trägt zur Aufrechterhaltung eines konstanten inneren Milieus im Gehirn bei. Sie reguliert den Transport von Ionen, Hormonen und anderen Molekülen, um ein stabiles Umfeld für die Nervenzellen zu gewährleisten.

Selektive Durchlässigkeit

Die Blut-Hirn-Schranke ist selektiv durchlässig, d.h. sie lässt bestimmte Stoffe passieren, während sie andere zurückhält. Kleine, fettlösliche (lipophile) Substanzen wie Sauerstoff, Kohlendioxid, Alkohol und Nikotin können die Blut-Hirn-Schranke in der Regel problemlos durch Diffusion überwinden. Wasserlösliche (hydrophile) Substanzen hingegen benötigen spezielle Transportsysteme, um die Schranke zu passieren.

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Transportmechanismen:

  • Diffusion: Kleine, lipophile Substanzen diffundieren aufgrund von Konzentrationsunterschieden durch die Zellmembranen der Endothelzellen.
  • Carrier-vermittelter Transport: Für bestimmte Moleküle wie Glukose gibt es spezielle Transportproteine (Carrier), die diese Moleküle binden und durch die Membran schleusen.
  • Rezeptor-vermittelte Transzytose: Bestimmte Proteine werden über Rezeptoren auf der Zelloberfläche gebunden, in die Zelle aufgenommen, durch die Zelle transportiert und auf der anderen Seite freigesetzt. Dieser Mechanismus spielt eine Rolle beim Transport von größeren Molekülen wie Insulin und Transferrin.
  • Ionenkanäle und -pumpen: Ionen wie Natrium, Kalium und Chlorid werden über Ionenkanäle und -pumpen transportiert, um das электроchemische Gleichgewicht im Gehirn aufrechtzuerhalten.

Störungen der Blut-Hirn-Schranke

Die Blut-Hirn-Schranke kann durch verschiedene Faktoren gestört werden, was zu einer erhöhten Durchlässigkeit und einer Beeinträchtigung ihrer Schutzfunktion führen kann. Mögliche Ursachen für eine Störung der Blut-Hirn-Schranke sind:

  • Entzündungen: Entzündungen des Gehirns oder der Hirnhäute (Meningitis) können die Blut-Hirn-Schranke schädigen und ihre Durchlässigkeit erhöhen.
  • Schlaganfall: Bei einem Schlaganfall kann die Blut-Hirn-Schranke aufgrund von Sauerstoffmangel und Gefäßschäden beeinträchtigt werden.
  • Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen des Schädels und des Gehirns können die Blut-Hirn-Schranke beschädigen.
  • Tumore: Hirntumore können die Blut-Hirn-Schranke unterbrechen und ihre Funktion stören.
  • Multiple Sklerose: Bei Multipler Sklerose greift das Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenfasern an, was auch die Blut-Hirn-Schranke beeinträchtigen kann.
  • Vergiftungen: Bestimmte Giftstoffe können die Blut-Hirn-Schranke schädigen.
  • Sauerstoffmangel: Ein Mangel an Sauerstoff im Gehirn kann die Blut-Hirn-Schranke beeinträchtigen.
  • Chronischer Alkoholkonsum und Nikotin: Chronischer Alkoholkonsum und Nikotin können sich negativ auf die Blut-Hirn-Schranke auswirken.

Eine gestörte Blut-Hirn-Schranke kann zu verschiedenen neurologischen Problemen führen, wie z.B. Hirnödem (Schwellung des Gehirns), Entzündungen, Krampfanfällen und kognitiven Beeinträchtigungen.

Blut-Hirn-Schranke bei Babys und Frühgeborenen

Früher ging man davon aus, dass sich die Blut-Hirn-Schranke bei Babys erst im Laufe der ersten Lebenswochen vollständig ausbildet. Mittlerweile weiß man jedoch, dass die Blut-Hirn-Schranke auch schon bei Neugeborenen vorhanden ist. Es wird jedoch vermutet, dass sie sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt und allmählich immer undurchlässiger wird. Bei Frühgeborenen ist die Blut-Hirn-Schranke noch nicht voll ausgereift, was sie anfälliger für bestimmte Erkrankungen macht. Beispielsweise kann sich bei Frühgeborenen Bilirubin im Gehirn ansammeln und den gefürchteten Kernikterus verursachen.

Zirkumventrikuläre Organe

Es gibt bestimmte Bereiche im Gehirn, in denen die Blut-Hirn-Schranke fehlt oder durchlässiger ist. Diese Bereiche werden als zirkumventrikuläre Organe bezeichnet und umfassen:

  • Neurohypophyse: Hier werden die Hormone Oxytocin und Vasopressin gespeichert und ins Blut abgegeben.
  • Area postrema: Dieses Areal ist eine Chemorezeptoren-Triggerzone, die Giftstoffe im Blut erkennt und Erbrechen auslösen kann.
  • Epiphyse (Zirbeldrüse): Die Epiphyse produziert Melatonin, ein Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert.
  • OVLT (Organum vasculosum laminae terminalis) und Subfornikalorgan: Diese Organe sind an der Regulation des Flüssigkeitshaushaltes und des Blutdrucks beteiligt.

In diesen Bereichen ist ein direkter Kontakt zwischen Neuronen und Blut notwendig, um ihre spezifischen Aufgaben zu erfüllen.

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Therapeutische Bedeutung der Blut-Hirn-Schranke

Die Blut-Hirn-Schranke stellt eine große Herausforderung bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen dar, da viele Medikamente die Schranke nicht überwinden können. Dies erschwert die Entwicklung von wirksamen Therapien für Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, Hirntumore und Schlaganfall.

Es gibt verschiedene Strategien, um die Blut-Hirn-Schranke für Medikamente durchlässiger zu machen oder Medikamente gezielt ins Gehirn zu transportieren:

  • Verwendung von Prodrugs: Prodrugs sind inaktive Vorstufen von Medikamenten, die die Blut-Hirn-Schranke passieren können und erst im Gehirn in ihre aktive Form umgewandelt werden.
  • Nanopartikel: Medikamente können in Nanopartikel verpackt werden, die an spezielle Rezeptoren auf den Endothelzellen binden und so die Schranke überwinden.
  • Fokussierter Ultraschall: Durch die Anwendung von fokussiertem Ultraschall können vorübergehend kleine Öffnungen in der Blut-Hirn-Schranke erzeugt werden, um Medikamente ins Gehirn zu schleusen.
  • Gezielte Transzytose: Forscher arbeiten daran, die Rezeptor-vermittelte Transzytose zu nutzen, um Medikamente gezielt ins Gehirn zu transportieren.

Forschung zur Blut-Hirn-Schranke

Die Erforschung der Blut-Hirn-Schranke ist ein wichtiges Gebiet der neurowissenschaftlichen Forschung. Wissenschaftler arbeiten daran, die komplexen Mechanismen der Blut-Hirn-Schranke besser zu verstehen und neue Strategien zu entwickeln, um Medikamente gezielt ins Gehirn zu transportieren.

Aktuelle Forschungsansätze:

  • In-vitro-Modelle: Forscher entwickeln in-vitro-Modelle der Blut-Hirn-Schranke, um die Funktion der Schranke zu untersuchen und neue Medikamente zu testen. Diese Modelle bestehen aus verschiedenen Zelltypen, die die Blut-Hirn-Schranke bilden, und ermöglichen es, die Durchlässigkeit der Schranke und den Transport von Substanzen zu untersuchen.
  • Tierversuche: Tierversuche sind nach wie vor notwendig, um die Funktion der Blut-Hirn-Schranke im lebenden Organismus zu untersuchen und die Wirksamkeit neuer Medikamente zu testen.
  • Bildgebende Verfahren: Moderne bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglichen es, die Blut-Hirn-Schranke im lebenden Menschen zu untersuchen und Veränderungen der Durchlässigkeit festzustellen.

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