Nervengesteuerte Prothesen: Funktionsweise und Fortschritte

Die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und ist längst zu einem Massenphänomen geworden. Was oft vergessen wird: Um KI auf das heutige Niveau zu heben, musste zunächst die Funktionsweise von natürlicher Intelligenz erforscht und verstanden werden. Ein wichtiger Bereich, in dem dieses Wissen Anwendung findet, ist die Entwicklung nervengesteuerter Prothesen. Dank bionischer Technik können Prothesen heutzutage viele komplexe Bewegungsfunktionen übernehmen.

Die "Maschine" Mensch: Ein biologisches Wunderwerk

Unser Körper ist ein Meisterwerk der Natur. Allein unser Bewegungsapparat hat sich in Millionen Jahren der Evolution zu einem motorischen Wunder entwickelt. Etwa 400 Skelettmuskeln sorgen dafür, dass wir unsere Gliedmaßen schnell, kraftvoll und mit tänzerischer Leichtigkeit bewegen können. Gelenke, Sehnen und Knorpel sind von Geburt an passgenau darauf abgestimmt, uns zu schützen, abzufedern und bis ins hohe Alter beweglich zu halten. Menschen, die nach Unfall, Krankheit oder von Geburt an einzelne Gliedmaßen ersetzen müssen, greifen hier auf die Hilfe orthopädischer Prothesen zurück.

Was sind Prothesen?

Der Begriff „Prothese“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „vor etwas setzen“ oder „anstelle von etwas“. Eine Prothese ist ein Ersatzobjekt, das dem echten Körperteil vorgesetzt ist oder stattdessen verwendet wird. Eine ideale Prothese würde wie ein exakter "Doppelgänger" funktionieren und die natürlichen Funktionen des fehlenden Körperteils vollständig nachahmen. Moderne Prothesen sind hochkomplexe Apparate, die durch Bauart, Technik und Design natürliche Körperfunktionen mittlerweile erstaunlich exakt nachahmen. Sie dienen dem adäquaten Ausgleich für fehlende Extremitäten und verlorene Mobilität.

Historische Entwicklung der Prothesen

Die ersten Prothesen waren einfache Hilfskonstruktionen aus Holz oder Metall, die im antiken Ägypten, China und dem Römischen Reich Verwendung fanden. Als erstes Beispiel einer ausgefeilten Prothese gilt die „Eiserne Hand“ des Ritters Götz von Berlichingen im 16. Jahrhundert. Im Zuge des Ersten Weltkriegs (1914 - 1918) wurde es notwendig, Prothesen auch massenhaft zu produzieren. 1915 entwickelte der Chirurg Ferdinand Sauerbruch die erste muskelsteuerbare Handprothese - den „Sauerbruch-Arm“. Er verband die Muskeln im Armstumpf durch einen Hauttunnel mit den Fingergelenken einer künstlichen Hand.

Prothesen und Bionik: Hightech aus der Natur

Moderne Prothesen sind Hightechapparate, die Funktionen des menschlichen Körpers durch komplexe Technik nachahmen. Die Bionik spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie vereint medizinische Forschung, Ingenieurskunst und Design, um Biologie und Technik miteinander zu verschmelzen. Beispiele aus der Natur, die perfekt funktionieren, werden dabei auf Alltagstechnologie übertragen. Im Falle der Prothesen dient der menschliche Bewegungsapparat der Verbesserung künstlicher Mobilität. Es gibt unterschiedliche Modelle, die gezielt auf bestimmte Körperteile, Bewegungsabläufe und Tätigkeiten zugeschnitten sind, darunter anatomisch korrekte („kosmetische“) Prothesen, Alltagsprothesen und hochleistungsfähige Sportprothesen.

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Führende Hersteller und Innovationen

Große Firmen haben sich der weltweiten Produktion komplexer Prothesen verschrieben, um Menschen ein Leben ohne Einschränkungen zu ermöglichen. Der isländische Prothesenhersteller Össur entwickelte die allererste Silikonverbindung zwischen einer Prothese und dem menschlichen Körper. Mit der aus Carbon hergestellten Fußprothese „Cheetah“ hat die Firma aus Reykjavík bereits berühmten Paralympic-Sportlern zu Höchstleistungen verholfen.

Die niedersächsische Firma Otto Bock treibt gemeinsam mit Össur die Entwicklung impulsgesteuerter Prothesen voran, die sich nahtlos in organische Bewegungen integrieren. Otto Bock leistete schon 1919 Pionierarbeit, indem er erstmals Prothesen für Kriegsveteranen maschinell herstellte. In den 60er/70er Jahren entwickelte Otto Bock Armprothesen, die durch Elektroden auf der Haut Muskelspannungen messen und über künstliche Gelenke in Bewegungen umwandeln konnten. 1997 entwickelte die Firma Otto Bock die weltweit erste durch Mikroprozessoren gesteuerte Beinprothese und zehn Jahre später den Prototyp einer gedankengesteuerten Armprothese.

Wie funktionieren nervengesteuerte Prothesen?

Myoelektrische Prothesen

Gängig sind heutzutage sogenannte myoelektrische Prothesen. Hier funktioniert die Steuerung über die Muskeln des nach der Amputation verbliebenen Stumpfes, der in Silikon eingebettet wird. Elektroden erfassen die Muskelaktivität im Stumpf und steuern elektrische Motoren an, die Greif- und Umwendebewegungen der Hand und Funktionen des Ellenbogens ermöglichen. Die Stärke der Muskelkontraktion entscheidet über die Geschwindigkeit und die Greifkraft.

Gedankensteuerung

Die Steuerung von Prothesen mithilfe von Gedanken ist noch nicht Standard, aber es gibt bereits einige Prototypen. Wissenschaftler an der Chalmers University of Technology in Göteborg haben beispielsweise den Prototyp einer robotischen Armprothese vorgestellt, die - direkt am Skelett verankert - eine natürliche Gedankensteuerung ermöglichen soll. Das System erlaubt problemlosen Zugang zu direkt an Nervenenden und in Muskelgewebe verankerten Elektroden. Dadurch sollen die Steuersignale der Nerven fehlerfrei an die Prothese übertragen werden, um eine natürliche Steuerung zu ermöglichen.

Funktionsprinzip von Prothesen mit Künstlicher Intelligenz

Denkt ein Mensch an eine bestimmte Handbewegung oder einen Handgriff, sendet das Gehirn dazugehörige Nervensignale an die Muskulatur. Nach einer Amputation ist die Hand und deren Funktion immer noch im Gehirn angelegt. Amputierte können sich weiterhin vorstellen, ihre Hand zu bewegen. Mit Hilfe von Elektroden misst die Prothese die eingehenden Signale am Unterarm und erkennt daraus Muster, die charakteristisch für einzelne Bewegungen sind. Mittels komplexer Algorithmen erlernt die Maschine, die Signale und Muster zu klassifizieren und zu verstärken, sodass sie einer Prothesenbewegung zugeordnet werden können. Der große Vorteil liegt darin, dass die Prothese vom Anwender lernt und nicht umgekehrt.

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Beispiele für Fortschritte und Erfolge

  • Zac Vawter: Der 31-jährige Zac Vawter, der sein rechtes Bein bei einem Motorradunfall verloren hatte, schaffte es im November 2012, die 2107 Treppenstufen zum Skydeck des Willis Tower in Chicago mit einer neural-kontrollierten bionischen Beinprothese zu erklimmen.
  • Hugh Herr: Der US-Amerikaner Hugh Herr vom MIT setzt sich für die Weiterentwicklung bionischer Prothesen ein. Er trägt selbst Beinprothesen und widmet sich dem Ziel, Behinderungen durch Technik gänzlich zu „eliminieren“.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Ein großer Zukunftstraum der Prothetik ist die funktionsgleiche Nachbildung der menschlichen Hand. Das wohl komplexeste Werkzeug der Natur besitzt sechs Griffarten, über 20 Bewegungsvarianten und etwa 17.000 körpereigene Sensoren. Mithilfe implantierter Elektroden soll ein Austausch von sensorischem Feedback zwischen Hirn und bionischer Prothese entstehen: die erste Roboterhand mit „echten“ Gefühlen.

Endo-Exoprothesen

Eine verbesserte Bewegung der Prothese kann über Endo-Exoprothesen möglich gemacht werden. Hier werden Mikrosensoren direkt an die Nerven eines Oberschenkels oder Arms angesetzt. So kann die Steuerung noch schneller und genauer erfolgen, da kleinere Bewegungen erfasst werden können.

Fühlen mit Prothesen

Auch Handprothesen werden immer genauer und können potenziell sogar Gefühle nachempfinden. Einige Prothesen haben eine Vibrationsfunktion, die ausgelöst wird, wenn die Prothese in Kontakt mit einem Gegenstand kommt. Ein tatsächliches Gefühl in der Prothese zu kreieren, ist jedoch schon schwieriger. Denkbar ist eine Umsetzung mit einer Endo-Exo-Prothese und der Übertragung von dem Gefühl über die Nervenbahnen.

Materialien der Zukunft

Inzwischen verwendet man für Prothesen leichte Materialien wie Silikon, Karbonfasern oder Kunstharz. Und teilweise stammen Prothesen aus dem 3D-Drucker. In der Zukunft könnten Implantate und Exo-Prothesen aus organischem Material gefertigt werden. Auch diese könnte man mit einem 3D Drucker passgenau drucken. Das organische Material bringt den Vorteil mit sich, dass es vom Körper schneller akzeptiert wird und zudem biologisch abbaubar ist. Eine weitere Forschung beschäftigt sich mit Implantaten aus organischem Material, die sich an den Körper anpassen und sogar mitwachsen.

Phantomschmerz

Wie viel Potenzial in den durch eine Amputation gekappten Nervenbahnen immer noch steckt, bekommen nahezu jeder Betroffene zu spüren: durch die sogenannten Phantomschmerzen. Professor Thomas Weiß von der Universität Jena hat untersucht, ob es im Gehirn von Amputierten irgendwelche anatomische Veränderungen gibt. Er fand heraus, dass nach einer Amputation das Volumen in jenen Kortexarealen zunimmt, die den visuellen Pfaden zugerechnet werden. Eine solche Volumenzunahme im Gehirn fällt bei Patienten mit starken Phantomschmerzen jedoch geringer aus.

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