Nerven- und Muskelsonographie: Ein umfassender Überblick

Die Sonographie, auch bekannt als Ultraschall, spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der Neurologie. Sie wird nicht nur zur Gefäßdiagnostik der Hals- und Hirngefäße eingesetzt, sondern auch zur detaillierten Darstellung von Muskeln und Nerven mittels Muskelsonographie und Nervensonographie. Diese Techniken ermöglichen die Erkennung von Engstellen und potenziellen Veränderungen in den Gewebestrukturen.

Gefäßdiagnostik mittels Sonographie

Mithilfe unterschiedlicher Schallsonden ist die Untersuchung der Strömungsverhältnisse verschiedener Gefäße möglich. Dazu gehören die periorbitalen Arterien (A. supratrochlearis), die extrakraniellen hirnversorgenden Halsarterien (Arteria carotis interna, Arteria carotis externa, A. vertebralis beidseits) und intrakranielle Gefäße (ACA, ACM, ACP, A. vertebralis, A. basilaris). Diese Untersuchungen sind entscheidend für die Schlaganfallvorsorge und die Erkennung von Gefäßveränderungen.

Schlaganfallvorsorge

Die Schlaganfallvorsorge beinhaltet ein ausführliches Gespräch inklusive Präventionsmaßnahmen, eine neurologische Untersuchung, eine Ultraschalluntersuchung und gegebenenfalls eine EEG-Untersuchung sowie spezielle Blutuntersuchungen und ein Abschlussgespräch. Besonders empfohlen wird diese Vorsorge bei familiärer Vorbelastung durch Schlaganfälle oder bei vaskulären und kardialen Vorerkrankungen.

Nervensonographie: Hochauflösende Darstellung peripherer Nerven

Mithilfe hochauflösender Schallsonden können verschiedene Nerven im Längsschnitt und Querschnitt dargestellt werden. Die Beurteilung und Ausmessung des Nervenquerschnitts und der Faszikelbeschaffenheit ermöglicht die frühzeitige Erkennung von Veränderungen, beispielsweise bei Nervenengpass-Syndromen wie dem Karpaltunnelsyndrom oder dem Sulcus ulnaris-Syndrom. Die Nervensonographie ist eine ergänzende Methode zur klinischen Untersuchung und elektrophysiologischen Diagnostik.

Indikationen für die Nervensonographie

Die Nervensonographie wird bei verschiedenen Indikationen eingesetzt, darunter:

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  • Nervenkompressionssyndrome: Karpaltunnelsyndrom, Kubitaltunnel-/Sulcus ulnaris Syndrom, Tarsaltunnelsyndrom
  • Lokalisation der Schädigung
  • Empfehlung geeigneter Therapieverfahren: Konservativ mit Schiene bzw. Physiotherapie oder Nerven-Nervendekompression durch OP
  • Nachoperativ: Hinweise auf Ursachen anhaltender Beschwerden (z.B. unvollständige Durchtrennung des Retinaculums bei Karpaldachspaltung, Rezidiv durch überschießende Narbenbildung)
  • Nervenverletzungen: Visualisierung des Verletzungsausmaßes und entsprechende Therapieempfehlung (z.B. Physiotherapie bei inkompletter Schädigung des Nervs; OP (Nervennaht) bei kompletter Durchtrennung des Nerven und Anteilen des Nerven)
  • Nachoperativ: Hinweise auf Ursachen ausbleibender Heilungsfortschritte nach erfolgter Nervenoperation (z.B. Nahtinsuffizienz, Neurombildung, Kompression durch Narben)
  • Bei unklarer Erkrankung des peripheren Nervensystems als Baustein zur Differentialdiagnostik: z.B. demyelinisierende Polyneuropathien, Motoneuronerkrankung etc.

Vorteile der Nervensonographie

Die intensive Differenzialdiagnostik und insbesondere die Nervensonographie ermöglichen es, Art und Ausmaß der Nervenschädigung häufig direkt zu visualisieren. Dies ermöglicht eine gezieltere Behandlung und eine bessere Abschätzung der Prognose. Bei notwendigen chirurgischen Eingriffen kann die behandelnde Chirurgin bzw. der Chirurg mithilfe der Informationen aus der Nervensonographie den Eingriff exakter planen.

Muskelsonographie: Beurteilung der Muskelstruktur

Durch Muskelultraschall kann die Muskelstruktur genauer beurteilt werden. Auch gelingt es durch Einsatz des Muskelultraschalls Faszikulationen zu erkennen. Mit Hilfe des Muskelultraschalls werden gezielt Botulinumtoxininjektionen z.b. zur Reduktion der Muskelspannung durchgeführt.

Anwendung der Muskelsonographie

Die Muskelsonographie findet Anwendung bei:

  • Beurteilung der Muskelstruktur
  • Erkennung von Faszikulationen
  • Gezielte Botulinumtoxininjektionen

Elektrophysiologische Untersuchungen

Neben der Sonographie werden in der Neurologie auch elektrophysiologische Untersuchungen durchgeführt, um die Funktion von Nerven und Muskeln zu beurteilen.

Elektroneurographie (ENG)

Mittels Elektroneurographie erfolgt eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit an Armen und Beinen mit Ableitung und Analyse elektrisch ausgelöster Potentiale von Nerven und Muskeln. Stimuliert wird ein motorischer oder sensibler Nerv an einer bzw. mehreren Stellen und mit Ableitung des Nerven- oder Muskelimpulses an einer anderen Stelle. Durchgeführt wird eine Elektroneurographie bei verschiedensten neurologischen Krankheitsbildern und Symptomen wie bei Polyneuropathien, Nervenläsionen und häufig zur Abklärung von Nervenengpass-Syndromen (z.B. Karpaltunnelsyndrom).

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Bestimmt werden verschiedene Parameter wie distal motorische Latenz, motorische und sensible Nervenleitgeschwindigkeit, Potentialamplituden sowie ggf. F-Wellen-Latenz.

Elektromyographie (EMG)

Mittels Elektromyographie wird die elektrische Aktivität eines Muskels registriert und ausgewertet. Im Muskel entstehen elektrische Impulse, die mit einer dünnen Nadelelektrode direkt aus dem Muskel abgeleitet werden können. Die Untersuchung hilft zur Unterscheidung zwischen neurogener (Nerven) und myogener (Muskel) Veränderung. Anwendung findet die EMG bei Nervenschädigung, um Erkenntnisse über Ausmaß und Zeitpunkt der Nervenschädigung zu geben sowie zur besseren Lokalisation z.B. bei Bandscheibenvorfällen.

Evozierte Potentiale

Evozierte Potentiale werden gemessen, um Auskunft über die Funktion von Nervenbahnen zu erhalten. Es gibt verschiedene Arten von evozierten Potentialen:

  • SEP (Somatosensibel evozierte Potentiale): Untersuchung der somatosensiblen Bahn (Gefühlsbahn). Abhängig von Beschwerden werden SEP-Untersuchungen im Gesicht (Trigeminus-SEP), am Arm (Medianus-/Ulnaris-SEP) oder Bein (Tibialis-SEP) durchgeführt.
  • VEP (Visuell evozierte Potentiale): Untersuchung der Sehbahn. Durch ein wechselndes schwarz-weißes Schachbrettmuster wird ein visueller Reiz gesetzt, das Antwortpotential des Gehirns wird mittels Oberflächenelektroden an der Kopfhaut gemessen und ausgewertet. Bestimmung Potentiallatenz und Amplitude.
  • AEP (Akustisch evozierte Potentiale): Untersuchung der Hörbahn. Setzung eines akustischen Reizes durch Klicklaut über einen Kopfhörer, das Antwortpotential des Gehirns wird mittels Oberflächenelektroden an der Kopfhaut gemessen und ausgewertet. Bestimmung der einzelnen Potentiale sowie Interpeaklatenzen, wodurch Rückschlüsse auf Hörbahnstrukturen gezogen werden können und periphere bzw. zentrale Läsionen unterschieden werden können. Anwendung bei z.B. Multipler Sklerose.

Blinkreflex

Nach elektrischer Stimulation im Bereich des Auges wird das elektrisch ausgelöste Potential abgeleitet und ausgewertet. Der Blinkreflex wird vor allem zur Beurteilung verschiedener Bahnsysteme (Hirnstammreflex) eingesetzt.

Repetitive Nervenstimulation

Die repetitive Nervenstimulation untersucht neuromuskuläre Übertragung und wird bei V.a. neuromuskuläre Übertragungsstörungen eingesetzt. Es erfolgt durch wiederholte elektrische Nervenstimulation im Gesicht/Halsbereich eine Aufzeichnung der Muskelpotentiale, die hinsichtlich Ausprägung und Amplitude beurteilt werden, was Rückschlüsse der Endplattenfunktion erlaubt. Wichtig ist die Untersuchung bei z.B. Myasthenia gravis.

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Elektroenzephalographie (EEG)

Die EEG-Untersuchung, auch „Hirnstrommessung“ genannt, ist wichtig bei Anfallserkrankungen (Epilepsie), aber auch bei unklarer Bewusstlosigkeit, Stürzen und hirnorganischen Veränderungen. Sie kann Hinweise auf Hirnfunktionsstörungen bei anderen neurologischen Erkrankungen oder Beschwerden liefern. Daher wird sie auch zur Abklärung bei z.B. Gedächtnisstörungen eingesetzt.

Weitere diagnostische und therapeutische Verfahren

Gedächtnisabklärung und -vorsorge

Empfohlen wird die Gedächtnisabklärung/Vorsorge bei familiärer Vorbelastung durch eine Demenzerkrankung oder falls leichtere Störungen vorhanden bzw. auftreten. Die Gedächtnisabklärung beinhaltet ein ausführliches Gespräch, eine neurologische und psychiatrische Untersuchung, neuropsychologische Testungen und abhängig von Ergebnissen und Beschwerden eine EEG-Untersuchung, Ultraschalluntersuchung (ECD, TCD) und ggf. Laborparameter.

Laboruntersuchungen

Laborparameter gehören zur Abklärung bei z.B. Gedächtnisstörung, Kopfschmerzen, Nervenschmerzen, Polyneuropathien, zum Ausschluss anderer Erkrankungen bei vermuteter Multipler Sklerose, Restless-Legs-Symptome, u.a. dazu. In der Praxis werden Basislabor, spezielle Laborparameter wie auch Medikamentenspiegel und Labormonitoring bei speziellen Medikamenten durchgeführt.

Ambulante Nervenwasseruntersuchung (Lumbalpunktion)

Eine ambulante Nervenwasseruntersuchung wird in der Praxis durchgeführt. Hier wird mittels Punktion des Nervenwasserraumes im Bereich der unteren Wirbelsäule Nervenwasser entnommen. Dies geschieht nach ausführlicher Aufklärung, die Untersuchung und Nachbeobachtung erfolgt in der Praxis. Eingesetzt wird die Lumbalpunktion in ausgewählten Fällen, z.B. bei Verdacht auf entzündliche Erkrankungen des Nervensystems.

Botulinumtoxin-Therapie

Botulinumtoxin wird in hochgereinigter und stark verdünnter Form in der Therapie neurologischer Erkrankungen angewendet. Es ist ein sehr wertvolles Medikament zur Reduktion der Muskelspannung. Lokal angewendet und gezielt injiziert wirkt es nur dort, wo es wirken soll. Die Wirkung ist langanhaltend (mehrere Monate), endet jedoch im Verlauf und muss daher regelmäßig erfolgen. Typische Einsatzgebiete sind:

  • Zervikale Dystonie
  • Fokale Dystonie
  • Blepharospasmus
  • Spasmus Hemifazialis
  • Spastik der oberen und unteren Extremität
  • Chronische Migräne
  • Hyperhidrosis Axillaris
  • Sialorrhoe
  • Zerebralparese
  • Aufgabenspezifische Dystonie
  • oromandibuläre Dystonie

Auch bei Bruxismus und craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) kann eine Therapie mit Botulinumtoxin off-label angewendet werden und die Symptome lindern.

Infiltrationen

Zur Differenzierung und Lokalisationsbestimmung chronischer neuropathischer Schmerzen sind lokale perineurale Infiltrationen mit einem Lokalanästhetikum hilfreich. Hierbei wird der Nerv mittels Ultraschall dargestellt und die Infiltration kann gezielt neben den betroffenen Nerv gesetzt werden. Typische Einsatzgebiete sind:

  • R. infrapatellaris am Knie sowie der N. saphenus des N. femoralis bei Austritt aus dem Adduktorenkanal
  • N. cutaneus femoris lateralis in der Leiste
  • Tarsaltunnel
  • Kleine Äste des N. suralis.

Tremoranalyse

Ein Tremor ist ein unwillkürliches Zittern, dass verschiedene Ursachen haben kann. Bei der Differenzierung der Tremorursachen ist die Tremorfrequenz wegweisend. Diese kann mittels apparativer Diagnostik gemessen werden und Aufschluss über die Ursache geben. Dabei kann sowohl das EMG-Gerät als auch das Ultraschallgerät zum Einsatz kommen.

Zertifizierung und Qualitätssicherung

Die hohe Qualität der Nerven- und Muskelsonographie wird durch Zertifizierungen und Fortbildungen sichergestellt. Die DEGUM (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin) und die DGKN (Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung) bieten Zertifizierungen im Bereich der Muskel-Nerven-Sonographie an. Die DEGUM-Stufe I "Muskel-Nerven-Sonografie" bzw. das DGKN-Zertifikat "Muskel-Nerven-Sonografie" wird von der jeweils anderen Gesellschaft anerkannt.

Um die DEGUM-Stufe I zu erlangen, sind folgende Voraussetzungen erforderlich:

  • Teilnahmebescheinigungen über a. DEGUM-Aufbaukurs Muskel-Nerven-Sonografie 1 "Untersuchungstechnik und sonografische Anatomie" (8 Unterichtseinheiten) b. DEGUM-Aufbaukurs Muskel-Nerven-Sonografie 2 "fokale Neuropathien der oberen und unteren Extremitäten, Muskelsonografie" (8 Unterichtseinheiten)
  • Werden die Voraussetzungen von einem Gutachter der Sektion bestätigt, erfolgt in einem Fachgespräch - mit praktischer Ultraschalluntersuchung und anhand von 20 mitgebrachten, persönlich erhobenen pathologischen Befunden - die Überprüfung der Kenntnisse und Fertigkeiten in der neurologischen Ultraschalldiagnostik.

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