Nervenregeneration nach Schlaganfall: Möglichkeiten und Perspektiven

Ein Schlaganfall, oft als "Hagelsturm ohne dunkle Wolken" beschrieben, tritt plötzlich auf und kann das Leben der Betroffenen gravierend verändern. In Deutschland werden jährlich über 200.000 Schlaganfälle gemeldet, wobei meist ältere Menschen zwischen 65 und 85 Jahren betroffen sind. Die Folgen reichen von Sprach- und Sehstörungen über Lähmungen bis hin zu Gefühls- und Schluckstörungen, abhängig von der geschädigten Hirnregion. Glücklicherweise hat die medizinische Vorsorge zu einem Rückgang der Schlaganfälle beigetragen, beispielsweise durch die frühzeitige Behandlung von Bluthochdruck, dem größten Risikofaktor. Dieser Artikel beleuchtet die Möglichkeiten der Nervenregeneration nach einem Schlaganfall und gibt einen Überblick über aktuelle Forschungsansätze und Therapieoptionen.

Die Komplexität der Nervenregeneration nach Schlaganfall

Nach einem Schlaganfall sterben Nervenzellen im Gehirn ab, da sie kurzzeitig nicht mit Blut, Sauerstoff und Zucker versorgt werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Organen ist die Fähigkeit des Gehirns zur Regeneration begrenzt, da neue Nervenzellen nur in geringem Umfang aus Hirnstammzellen entstehen können. Diese geringe Anzahl reicht nicht aus, um die verloren gegangenen Neuronen zu ersetzen.

Trotzdem ist es möglich, dass Nervenzellen aus intakten Hirnarealen in die geschädigte Region einsprossen. Dabei wachsen neue Zellfortsätze, die mit gesunden Nervenzellen in Kontakt treten und sich mit ihnen verknüpfen. Ist das verletzte Areal klein, gelingt die Neuinnervierung schneller und besser. Bei größeren Entfernungen wird es mühsamer und die Chance, dass das Gehirn die ausgefallenen Funktionen kompensiert, sinkt.

Kompensation und Reorganisation des Gehirns

Das Gehirn besitzt die bemerkenswerte Fähigkeit zur Kompensation, bei der gesunde Gehirnareale die Funktionen zerstörter Regionen übernehmen. Dies ermöglicht es Patienten, verlorene Fähigkeiten wie Sprache oder Bewegung zurückzugewinnen. Je früher ein Patient diese Funktionen zurückerlangt, desto schneller reorganisiert sich das Gehirn. Training, Rehabilitation und Medikamente können diesen Prozess unterstützen.

Bildgebende Verfahren ermöglichen es Forschern, dem Gehirn bei dieser Arbeit zuzusehen und herauszufinden, in welchen Regionen Nervenzellen nach einem Schlaganfall besonders aktiv sind. Dieses Wissen soll dazu beitragen, Therapien für jeden Patienten und dessen Krankheitsphase maßzuschneidern.

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Phasen der Erholung

Die Erholung des Gehirns nach einem Schlaganfall erfolgt in drei Phasen:

  1. Initialphase: Die gestörten Funktionen verbessern sich kaum.
  2. Phase der erhöhten Aktivität: Das Gehirn ist in den verbliebenen Gehirnbereichen am Rand der geschädigten Region sowie in der anderen, gesunden Hirnhälfte überdurchschnittlich aktiv. Der Patient bemerkt, dass sich sein Gehirn erholt und gewinnt langsam seine Sprach- oder Bewegungsfähigkeit zurück.
  3. Konsolidierungsphase: Die neu erlernten Funktionen werden gefestigt und stabilisiert.

Therapeutische Ansätze zur Förderung der Nervenregeneration

Verschiedene therapeutische Ansätze zielen darauf ab, die Nervenregeneration nach einem Schlaganfall zu fördern und dieFunktionsfähigkeit der Betroffenen zu verbessern.

Rehabilitation: Der Schlüssel zur Wiederherstellung

Die Rehabilitation ist die unabkömmliche und wichtigste Therapie nach einem Schlaganfall. Sie ermöglicht es, den gelähmten Arm wieder zu bewegen oder einige Schritte am Rollator zu schaffen. Der Erfolg der Rehabilitation entscheidet darüber, ob ein eigenständiges Leben gelingt oder ob die Betroffenen auf Hilfe angewiesen sind.

Studien belegen, dass ein Bündel von Reha-Maßnahmen die Sterblichkeit, das Ausmaß an körperlicher und geistiger Beeinträchtigung und den Pflegebedarf vermindert. Bewegungstherapie, tägliches Üben an fünf Tagen die Woche, verbessert die Balance, das Schritttempo und die allgemeine Beweglichkeit.

Förderung der Plastizität des Gehirns

Nach einem Schlaganfall senken Gliazellen den Spiegel von Nogo-A, einem Eiweiß, das die Ausbildung von Zellfortsätzen und neuen Verschaltungen hemmt. Dadurch erhalten Nervenzellen Eigenschaften, die sie schon in der Embryonalphase hatten: Sie sprossen aus. Dies bedingt die verbesserte Plastizität nach einem Schlaganfall und ist die Basis für die Erholung.

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Nervenzellen setzen Wachstumsfaktoren wie VEGF frei, die die Blutgefäße zur Regeneration anregen. In der Folge bildet sich das Blutversorgungssystem im Kopf neu. Das Wachstum der Gefäße ist zentral für die Erholung, und die jungen Gefäßzellen beschleunigen die Nervenzellregeneration, indem sie den Nervenwachstumsfaktor BDNF ausschütten.

Spezifische Therapieansätze

  • Armrehabilitation: Armlähmungen gehören zu den häufigsten Folgen eines Schlaganfalls. Die Therapie zielt darauf ab, die Bewegungsfähigkeit und Geschicklichkeit von Arm, Hand und Fingern wiederherzustellen. Es gibt verschiedene Therapieformen ohne technische Geräte, um den betroffenen Arm aktiv zu trainieren. Hinsichtlich der Dauer und Intensität der Therapie sollte die Rehabilitation der Armmotorik früh nach einem Schlaganfall beginnen. In der späten Krankheitsphase können spezifische Maßnahmen empfehlenswert sein, wie zum Beispiel ein strukturiertes, sich wiederholendes Training.
  • Bewegungsinduktionstherapie (CIMT): Diese Therapie ist speziell für Schlaganfall-Betroffene mit einem "erlernten Nicht-Gebrauch" geeignet. Dabei wird die weniger betroffene Hand ruhiggestellt, um den Einsatz des betroffenen Armes im Alltag zu fördern.
  • Spiegeltherapie: Der Patient betrachtet im Spiegel die Bewegung seiner nicht gelähmten Hand, wodurch der Eindruck entsteht, dass sich die gelähmte Hand normal bewegt.
  • Mentales Training: Hierbei werden Bewegungsabläufe im Geiste geübt, um die Nervenbahnen zu aktivieren.
  • Neuromuskuläre Elektrostimulation: Nerven und Muskeln am Arm werden elektrisch stimuliert, um eine Bewegung zu erzeugen, die der Betroffene noch nicht selbst ausführen kann.
  • Robot-Therapie: Arm-Therapie-Roboter können Schulter-, Ellenbogen-, Unterarm-, Handgelenks- oder Fingerbewegungen mechanisch unterstützen und den Betroffenen helfen, die gezielte Bewegungsfähigkeit in den einzelnen Armabschnitten zu trainieren und zu verbessern.
  • Sensible Stimulation und Akupunktur: Diese Ansätze können als Zusatztherapie zur Behandlung von Armlähmungen erwogen werden.
  • Musiktherapie: Musik und Rhythmus können die Regeneration vieler Schlaganfallpatienten beflügeln. Studien haben gezeigt, dass Patienten, die im Takt der Musik Hände und Füße bewegen, danach besser greifen und die Balance halten können. Auch die Aufmerksamkeitsspanne und die Merkfähigkeit für Wörter können sich verbessern. Rhythmische Musik unterstützt das Gangtraining von Schlaganfallpatienten, die dann schneller laufen und längere Wegstrecken schaffen.

Pharmakologische Unterstützung der Rehabilitation

Forscher arbeiten daran, Medikamente zu entwickeln, die die Erholung des Gehirns fördern und die Rehabilitation effektiver machen.

  • Dämpfung der Entzündung: Mikroblutgerinnsel, die nach einem Schlaganfall auftreten können, ziehen eine ständige Entzündung nach sich. Bestimmte Immunzellen, die neutrophilen Granulozyten, finden sich dann am Infarktherd in abnorm großer Zahl. Eine Dämpfung der schädlichen langanhaltenden Entzündung könnte die Nervenregeneration fördern.
  • Anregung der Wachstumsprozesse: Nervenzellen setzen Wachstumsfaktoren frei, die die Blutgefäße zur Regeneration anregen. Medikamente könnten diese Wachstumsprozesse verstärken.
  • Nogo-A-Antikörper: Der Neurowissenschaftler Martin Schwab von der ETH Zürich nutzte einen Antikörper, um den Pegel des Eiweißes Nogo-A herunterzufahren. Dies löst die Bremse in den Nervenzellen, die dann beginnen, auszusprossen und neue Verknüpfungen zu bilden. Klinische Studien an Schlaganfallpatienten sind geplant, um die Wirksamkeit dieser Therapie zu untersuchen.

Bedeutung von Uridinmonophosphat (UMP) für die Nervenregeneration

Uridinmonophosphat (UMP) ist ein Nukleotid, das eine wichtige Rolle bei der Regeneration peripherer Nerven spielt. Bei einer peripheren Nervenschädigung sind meist die Myelin produzierenden Schwann-Zellen betroffen, sodass ein wesentlicher Aspekt der Behandlung in der Regeneration und dem Schutz der Myelinscheide besteht. UMP unterstützt den Wiederaufbau der Myelinschicht und fördert die Biosynthese von Strukturproteinen und Enzymen. In Kombination mit Vitamin B12 und Folsäure kann UMP als Nahrungsergänzungsmittel die Nervenregeneration unterstützen.

Stammzelltherapie: Ein Blick in die Zukunft

Forscher verfolgen die Idee, neurale Stammzellen außerhalb des Körpers zu erzeugen und in die zerstörten Areale des Gehirns zu transplantieren. Solche künstlich erzeugten neuralen Stammzellen werden aus fötalem Gewebe oder aus einer Hautprobe gewonnen. In Tiermodellen integrierten sich solche menschlichen neuralen Stammzellen in das Gehirn, und Forscher beobachteten nach künstlich gesetzten Schlaganfällen positive Effekte der Zelltherapie. Das britische Unternehmen ReNeuron vermeldete, dass sich die Situation eines Teils von Schlaganfallpatienten nach einer Transplantation von neuralen Zellen verbesserte.

Besonderheiten bei Sehstörungen nach Schlaganfall

Ein Schlaganfall kann auch den Sehnerv betreffen und zu Sehstörungen oder Gesichtsfeldeinschränkungen führen. Dies kann durch neuromuskuläre Schädigungen (z.B. Doppelsichtigkeit) oder durch eine mangelnde Verarbeitungsfähigkeit visueller Signale im Gehirn (Gesichtsfeldverlust) verursacht werden. In letzterem Fall handelt es sich nicht um eine Schädigung der Augen, sondern um eine Aufmerksamkeitsstörung. Auch ein Hemineglect, eine einseitige Störung der Wahrnehmung aller Sinne, kann Folge eines Schlaganfalls sein.

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Einschränkungen der neuronalen Reparatur im Hippocampus

Neurologen des Universitätsklinikums Jena relativieren das Reparaturpotential der neuen Neuronen nach einem Schlaganfall weiter. In einer tierexperimentellen Studie untersuchten sie, wie die Neuronen nach einem induzierten Schlaganfall im Hippocampus heranreifen. Sie zeigten, dass Entwicklung und Funktion der neuen Nervenzellen gestört ist, wohingegen ihre Zellgestalt unbeeinträchtigt bleibt. Die Neuronen werden beschleunigt in das neuronale Netzwerk eingebaut, während sie noch ‚unerfahren und übererregbar‘ sind. Für Schlaganfallpatienten in der Rehabilitation könnte demzufolge ein gezieltes Training hilfreich sein, das die Vernetzung im Hippocampus unterstützt.

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