Nervenschmerzen, auch bekannt als neuropathische Schmerzen, können eine Vielzahl von Ursachen haben. Eine davon ist der Mangel an bestimmten Vitaminen, insbesondere der B-Vitamine. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Vitaminmangel und Nervenschmerzen, die Ursachen, Diagnosemöglichkeiten und Therapieansätze.
Nervenschädigung und ihre Folgen
Eine Nervenschädigung stört die Weiterleitung elektrischer Informationen. Dies führt dazu, dass Empfindungen entweder gar nicht, vermindert oder verstärkt an das Gehirn gemeldet werden. Betroffene können Taubheit, Kribbelgefühle oder elektrisierende Schmerzen verspüren.
Polyneuropathie
Die Polyneuropathie, eine Erkrankung, die mehrere periphere Nerven betrifft, beginnt typischerweise schleichend. Häufige Auslöser sind Diabetes mellitus und chronischer Alkoholmissbrauch. Seltener sind Infektions- und Stoffwechselkrankheiten, Vitaminmangel oder Erbkrankheiten die Ursache.
Ursachenforschung und Therapie
Eine umfassende Suche nach den Ursachen ist entscheidend für die Behandlung von Polyneuropathien. Infektiöse Polyneuropathien können oft mit Antibiotika behandelt werden. Bei diabetischer Polyneuropathie ist eine optimale Blutzuckereinstellung wichtig. Bei Vitaminmangel können hochdosierte Vitamine, wie z.B. Vitamin B12, verabreicht werden. Schmerzen oder Gangstörungen können medikamentös oder durch Physiotherapie gelindert werden. In etwa 20 Prozent der Fälle bleibt die Ursache trotz umfangreicher Abklärung unklar.
Vitamin B12: Aufnahme, Funktion und Bedeutung für das Nervensystem
Vitamin B12 spielt eine zentrale Rolle für die Gesundheit des Nervensystems. Es ist an der Bildung der Myelinscheide beteiligt, die die Nervenfasern umgibt und für eine reibungslose Reizweiterleitung sorgt. Ein Mangel kann zu Nervenschäden und neurologischen Symptomen führen.
Lesen Sie auch: Hüft-TEP und Nervenschmerzen
Aufnahme und Verwertung von Vitamin B12
Die Aufnahme von Vitamin B12 ist ein komplexer Prozess:
- Abspaltung: Im Magen wird Vitamin B12 durch Pepsin und Magensäure von Proteinen abgespalten.
- Bindung an R-Proteine: Das freie Vitamin B12 bindet im Magen an R-Proteine (Haptocorrine).
- Abspaltung der R-Proteine: Im Dünndarm werden die R-Proteine durch Pankreasenzyme abgespalten.
- Bindung an Intrinsic Factor (IF): Vitamin B12 bindet an den Intrinsic Factor, der von den Parietalzellen des Magens gebildet wird.
- Resorption: Der an IF gebundene Vitamin B12 wird im terminalen Ileum (letzter Abschnitt des Dünndarms) resorbiert. Eine geringe passive Resorption (ca. 1 %) findet im gesamten Dünndarm statt.
Im Körper wird Vitamin B12 in verschiedenen Formen gebunden: Holotranscobolamin (biologisch aktive Form), Haptocorrin und Transcobalamin.
Funktionen von Vitamin B12 im Stoffwechsel
Vitamin B12 ist ein Katalysator für die Umwandlung von Methylmalonyl-Coenzym A zu Succinyl-Coenzym A. Bei einem Mangel steigt die Methylmalonsäure (MMA) an. Zudem ist es an der Synthese von Methionin aus Homocystein beteiligt, wofür auch Folsäure benötigt wird. Methionin ist wichtig für die Blutbildung (Hämatopoese). Ein Mangel an Methionin führt zu einem erhöhten Homocysteinspiegel.
Bedarf und Speicherung
Der tägliche Bedarf an Vitamin B12 beträgt etwa 3-4 µg. Der Körper speichert Vitamin B12 hauptsächlich in der Leber, in geringeren Mengen auch in Nieren, Muskulatur, Gehirn und Milz. Die Körperspeicher reichen für mehrere Jahre.
Neuropathien und Vitamin B12-Mangel
Ein Vitamin B12-Mangel kann verschiedene neurologische Symptome verursachen, die oft unspezifisch sind und die Diagnose erschweren.
Lesen Sie auch: Nervenschaden nach Zahnbehandlung: Symptome und Therapie
Symptome
- Polyneuropathie: Sensible oder sensomotorische Störungen, oft in Form von handschuh- und/oder strumpfförmigen Hypästhesien (verminderte Berührungsempfindlichkeit).
- Eingeschränktes Lage- und Vibrationsempfinden: Betroffene haben Schwierigkeiten, die Position ihrer Gliedmaßen im Raum wahrzunehmen.
- Gangunsicherheit: Aufgrund der beeinträchtigten Sensibilität und Koordination kommt es zu Unsicherheiten beim Gehen.
- Parästhesien: Kribbeln, Taubheitsgefühle oder brennende Schmerzen in den Extremitäten.
- Optikusatrophie: Schädigung des Sehnervs, die zu Sehstörungen führen kann.
- Funikuläre Myelose: Degeneration der Seiten- und Hinterstränge im Rückenmark, beginnend im zervikothorakalen Übergang. Dies führt zu einer Schädigung der Myelinscheiden und im Verlauf auch der Axone. Die Manifestation ist oft subakut. Symptome sind Parästhesien der Hände und später Füße, Störung der Tiefensensibilität und im Verlauf spastische Ataxie (Koordinationsstörung).
Diagnostik bei Verdacht auf Vitamin B12-Mangel
Die Diagnose eines Vitamin B12-Mangels basiert auf verschiedenen Untersuchungen:
- Vitamin B12-Spiegel im Serum:
- Normwerte für Erwachsene: 191 - 738 pmol/l bzw. 200-1000 pg/ml
- Manifester Mangel: <200 pg/ml
- Niedrig-normaler Spiegel: 200-400 pg/ml
- Behandlungsempfehlung bei Werten <450 pg/ml, insbesondere bei neurologischen Symptomen.
- Methylmalonsäure (MMA) im Serum oder Urin: Erhöhte Werte (Serum >280 nmol/l, Urin >4mg/g Kreatinin) weisen auf einen Vitamin B12-Mangel hin.
- Holotranscobalamin (Holo-TC): Ein erniedrigter Holo-TC-Spiegel (<40 pmol/l) ist ein sensitiver Indikator für einen Vitamin B12-Mangel. Werte zwischen 35-70 pmol/l sind grenzwertig. Bei Niereninsuffizienz sind die Spiegel oft erniedrigt.
- Antikörper: Parietalzell-Antikörper und IF-Autoantikörper können auf eine Autoimmunerkrankung hinweisen, die die Vitamin B12-Aufnahme beeinträchtigt.
- Blutbild: Eine Anämie mit erhöhtem MCV (mittleres korpuskuläres Volumen) und MCH (mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration), hypersegmentierte Granulozyten und Retikulopenie können auf einen Vitamin B12-Mangel hindeuten. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Laborwerte trotz neurologischer Manifestation normal sein können.
Bildgebung und neurologische Untersuchungen
Zusätzlich zu den Blutuntersuchungen können bildgebende Verfahren und neurologische Untersuchungen durchgeführt werden:
- MRT des zervikalen Myelons: Zum Nachweis hyperintenser Darstellungen der Hinter- und/oder Seitenstränge bei funikulärer Myelose.
- MRT des Kopfes: Bei psychiatrischen oder dementiellen Symptomen.
- Neurographie: Messung der motorischen und sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit zur Diagnose einer demyelinisierenden sensiblen oder sensomotorischen Polyneuropathie.
- Elektromyographie: Zur Beurteilung einer axonalen Schädigung.
- Evozierte Potentiale: Sensibel evozierte Potentiale (SEP), visuell evozierte Potentiale (VEP) bei Verdacht auf Optikusatrophie und magnetisch evozierte Potentiale (MEP) bei Verdacht auf eine Pyramidenbahnschädigung.
- Augenärztliche Untersuchung: Bei Verdacht auf Optikusatrophie.
- HNO-ärztliche Untersuchung: In bestimmten Fällen.
Therapie des Vitamin B12-Mangels
Eine frühzeitige Therapie ist entscheidend, um irreversible neurologische Schäden zu verhindern.
- Indikation: Eine dringende Therapieempfehlung besteht bei Spiegeln < 450 pg/ml, insbesondere bei Auftreten neurologischer Symptome, auch wenn die Blutwerte im "normalen" Bereich liegen.
- Dosierung:
- Orale Therapie: Ist der parenteralen Therapie gleichwertig. Therapiebeginn mit 1000-2000 µg/Tag über eine Woche, abhängig vom Spiegel. Bei Spiegeln < 200 pg/ml Therapiebeginn mit 2000 µg/Tag. In den Wochen 2-4 1000µg/Woche, ab dem 2. Monat 1000µg/Monat.
- Parenterale Therapie: Empfehlenswert bei neurologischer Manifestation mit funikulärer Myelose oder Optikusatrophie. Therapiebeginn 1-2x /Woche 1000µg intramuskulär oder (abhängig von der Schwere der Symptome) 5-7 Tage 1000µg Hydroxycobalamin intramuskulär oder intravenös/subkutan. Danach 2x1000µg in den Wochen 2-4. Erhaltungsdosis 1000µg/Monat.
- Wichtige Hinweise:
- Keine Toxizität bei Überdosierung.
- Bei Therapiebeginn Kombination mit Folsäure 1,5-5 mg/Tag.
- Kontrolle des B12-Spiegels nach ca. 4 Wochen.
- Hämatologische Symptomatik mit Besserung des Blutbildes innerhalb einer Woche (Anstieg der Retikulozyten), danach monatliche Kontrollen.
- Besserung der neurologischen Symptomatik abhängig von Dauer und Schwere der Symptomatik, meist innerhalb der ersten drei Monate.
Weitere Ursachen für Vitaminmangel und Nervenschmerzen
Neben Vitamin B12 können auch andere Vitaminmängel zu Nervenschmerzen und neurologischen Symptomen führen.
Vitamin B1 (Thiamin)
Vitamin B1 ist wichtig für den Energiestoffwechsel und die Funktion des Nervensystems. Ein Mangel kann zu Beriberi führen, einer Erkrankung, die durch Nervenschäden, Herzprobleme und Ödeme gekennzeichnet ist. Gute Quellen für Vitamin B1 sind Erbsen, Haferflocken, Sonnenblumenkerne und Vollkornbrot.
Lesen Sie auch: Medikamentenfreie Schmerzlinderung bei Nervenschmerzen
Vitamin B6 (Pyridoxin)
Vitamin B6 spielt eine Rolle bei der Bildung von Neurotransmittern und der Funktion des Immunsystems. Ein Mangel kann zu Hautausschlägen, Taubheit in den Gliedmaßen und Entzündungen der Lippen führen. Vitamin B6 ist in vielen Lebensmitteln enthalten, vor allem in Fleisch und grünem Gemüse.
Vitamin B9 (Folsäure)
Folsäure ist essentiell für die Entwicklung des Nervensystems, insbesondere während der Schwangerschaft. Ein Mangel kann zu Neuralrohrdefekten beim ungeborenen Kind führen.
Seltene Vitaminmängel
Auch andere Vitaminmängel können in seltenen Fällen zu Nervenschäden führen. Skorbut, verursacht durch einen Mangel an Vitamin C, kann Wundheilungsstörungen und neurologische Symptome verursachen. Ein Mangel an Vitamin E kann ebenfalls zu Nervenschäden führen.
Vitaminmangel erkennen und behandeln
Ein Vitaminmangel kann sich durch unspezifische Symptome wie Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Konzentrationsschwäche und Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses äußern. Auch Anämie, Schwächung des Immunsystems und erhöhte Infektanfälligkeit können Anzeichen sein.
Risikogruppen
Besonders gefährdet für einen Vitaminmangel sind:
- Ältere Menschen
- Veganer
- Schwangere und Stillende
- Menschen mit chronischen Magen-Darm-Erkrankungen
- Alkoholabhängige
- Sportler
- Personen mit einseitiger Ernährung
Vorbeugung
Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, Milchprodukten, Fisch und Nüssen ist die beste Vorbeugung gegen Vitaminmangel. Bei Risikogruppen kann eine Nahrungsergänzung sinnvoll sein, jedoch nur in Absprache mit einem Arzt.
Diagnose
Die Diagnose eines Vitaminmangels erfolgt in der Regel durch eine Blutuntersuchung. Dabei werden die Serumspiegel der verschiedenen Vitamine bestimmt. Auch die Messung von Stoffwechselprodukten wie Methylmalonsäure kann Hinweise auf einen Vitaminmangel liefern.
Therapie
Die Therapie eines Vitaminmangels besteht in der Regel in der Zufuhr des fehlenden Vitamins. Dies kann durch eine Ernährungsumstellung, die Einnahme von Vitaminpräparaten oder in schweren Fällen durch Injektionen erfolgen.
Diabetes und Nervenschäden
Mehr als die Hälfte der Diabetiker entwickeln im Laufe der Erkrankung Nervenschäden (diabetische Neuropathie), die sich meist zuerst an den Füßen zeigen. Symptome sind Kribbeln, Brennen, Schmerzen oder Taubheit.
Ursachen und Vorbeugung
Nervenschäden entstehen, wenn der Blutzucker über lange Zeit unzureichend eingestellt ist. Dann lagern sich Abbauprodukte in den Nervenzellen ab und beeinträchtigen ihre Funktion. Die beste Möglichkeit, Nervenschäden vorzubeugen und ein Fortschreiten zu verhindern, sind gut eingestellte Blutzuckerwerte und der Verzicht auf Nervengifte wie Alkohol und Nikotin.
Therapie
Neben einer guten Blutzuckereinstellung gibt es verschiedene Behandlungsansätze für diabetische Neuropathie:
- Medikamente: Zur Schmerzlinderung und Verbesserung der Nervenfunktion.
- TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation): Elektrische Impulse stimulieren die Nerven.
- B-Vitamine: Die Einnahme von Vitamin B1, B6, B12 und Folsäure kann bei Nervenschmerzen sinnvoll sein.
- Alpha-Liponsäure: Fängt schädigende Abbauprodukte ab und verbessert die Blutversorgung der Nerven.
- Fußpflege: Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Verletzungen, spezielle Fußcremes für Diabetiker und medizinische Fußpflege.
tags: #Nervenschmerzen #Vitaminmangel #Ursachen