Nervenschmerzen im Kiefer: Ursachen und Behandlung

Ein plötzlich einschießender, scharfer und stechender Schmerz im Gesicht kann für Betroffene den Beginn einer oft langen und belastenden Suche nach der Ursache bedeuten. Die Abgrenzung zwischen zahnbedingten Schmerzen und neurologischen Ursachen ist dabei oft herausfordernd. Es ist wichtig, die typischen Merkmale zu kennen und die richtigen Schritte zur Abklärung einzuleiten.

Ursachen von Kieferschmerzen

Kieferschmerzen können vielfältige Ursachen haben. Sie können einseitig links oder rechts, sowie beidseitig auftreten und sich durch schmerzende Kaumuskeln, Zähneknirschen, Verspannungen und andere Beschwerden äußern. Die Medizin bezeichnet Kieferschmerzen als Beschwerden, die den Kauapparat betreffen. Dieser setzt sich aus Kiefergelenken (Oberkiefer und Unterkiefer), den Zähnen, dem Kieferknochen und der Kaumuskulatur zusammen. Durch die Schmerzen können Verspannungen entstehen, die bis in den Nacken und in die Schulter ausstrahlen.

Einige der häufigsten Ursachen für Kieferschmerzen sind:

  • Zahnprobleme: Karies, abgenutzter Zahnschmelz, freiliegende Zahnhälse und Parodontitis können Kieferschmerzen verursachen. Von Karies verursachte Zahnschmerzen können bis in den Kiefer ziehen. Von einem Zahn ausgehende Abszesse können Kieferschmerzen auslösen.
  • Kiefergelenkerkrankungen: Die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist eine Fehlregulation des Kauapparates, die durch ein gestörtes Zusammenspiel verschiedener Muskeln, Sehnen und Gelenke ausgelöst wird. CMD kann zu Schmerzen im Bereich des Kiefers, des Unterkiefers, der Zähne und der Gesichtsmuskulatur führen.
  • Entzündungen: Eine Kieferentzündung ist eine häufige Ursache von Kieferschmerzen. Als weitere Symptome können Schwellungen, Fieber, Fließschnupfen, Gesichtsrötungen und Abgeschlagenheit auftreten. Eine Perikoronitis (Entzündung des Zahnfleisches um einen Weisheitszahn) oder eine Sinusitis (Entzündung der Kieferhöhle) können ebenfalls Kieferschmerzen verursachen.
  • Verspannungen: Verspannungen der Kiefermuskulatur können durch Stress oder andere Faktoren verursacht werden. Spüren Sie eine Verspannung, die vom Kiefer bis in den Nacken zieht? Häufig kommen solche Schmerzen vom Zähneknirschen. Drücken Ober- und Unterkiefer zu lang gegeneinander, sorgt das für eine dauerhafte Anspannung der Kiefermuskulatur, die eigentlich nicht länger als 30 Minuten (bei der Nahrungsaufnahme) erfolgen sollte.
  • Weitere Ursachen: Verletzungen, Unfälle im Gesicht oder Kieferbereich, nächtliches Zähneknirschen (Bruxismus), eine schlechte Körperhaltung, Stress, hormonelle Veränderungen während der Schwangerschaft, Fibromyalgie, Entzündungen, Mittelohrentzündung, Nasennebenhöhlenentzündung, Krebs im Kiefer- oder Mundbereich, Rheuma, Menstruation, Weisheitszahn-OP, Zahnextraktion, Wurzelbehandlung, Füllungen, Zahnspangen, Erkältungen, Grippe, Covid-19, Migräne und Alkohol können ebenfalls Kieferschmerzen verursachen.

Nervenschmerzen im Kiefer

Neben den oben genannten Ursachen können Kieferschmerzen auch durch Nervenschmerzen verursacht werden. Hier sind einige wichtige Punkte zu beachten:

Trigeminusneuralgie

Die Trigeminusneuralgie ist eine neurologische Erkrankung, bei der es zu plötzlich auftretenden, meist sehr heftigen Gesichtsschmerzen kommt. Diese Schmerzen betreffen den Nervus trigeminus, der für die sensible Versorgung des Gesichts zuständig ist. Die Schmerzen treten im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus auf - typischerweise im Bereich der zweiten (Oberkiefer) oder dritten (Unterkiefer) Nervenäste. Fast immer ist nur eine Gesichtshälfte betroffen - meist im Bereich von Wange, Ober- oder Unterkiefer. Bewegungen wie Kauen oder Lächeln können die Schmerzen verstärken.

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Die genauen Auslöser können unterschiedlich sein. In vielen Fällen drückt ein Blutgefäß auf den Trigeminusnerv und reizt ihn. Es gibt aber auch sekundäre Formen, etwa im Zusammenhang mit Multipler Sklerose oder nach Verletzungen.

Atypischer Gesichtsschmerz

Ein Gesichtsschmerz, der nicht dem Nervenschmerz (Neuralgie) zugeordnet werden kann, wird als „atypisch“ bezeichnet. Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft wählte dafür die Bezeichnung „idiopathischer anhaltender Gesichtsschmerz“, die sich jedoch noch nicht vollständig durchgesetzt hat. Das Wort „idiopathisch“ bedeutet, dass die Ursache nicht bekannt ist. Der atypische Gesichtsschmerz betrifft Frauen häufiger als Männer und überwiegend das mittlere und höhere Lebensalter. Die Schmerzen werden häufig im Gesicht im Bereich des Oberkiefers oder unterhalb des Auges empfunden. Typisch ist, dass sie sich oft nicht genau zuordnen lassen oder die Zuordnung wechselt. Es handelt sich meist um einen dumpfen, drückenden und in der Tiefe nicht genau einzugrenzenden Schmerz.

Diagnose von Kieferschmerzen

Eine präzise Diagnostik ist entscheidend, um die Ursache von Kieferschmerzen zu ermitteln. Nicht immer liegt die Ursache im Zahn. Vor allem die Trigeminusneuralgie kann mit Zahnschmerzen verwechselt werden und bleibt dadurch oft lange unerkannt. Bei der Diagnose werden verschiedene Aspekte berücksichtigt:

  • Anamnese: Der Arzt oder Zahnarzt erfragt die genaue Schmerzcharakteristik, den Verlauf, die Auslöser und Begleitsymptome.
  • Körperliche Untersuchung: Der Arzt oder Zahnarzt untersucht den Kiefer, die Kaumuskulatur, die Zähne und das Kiefergelenk. Dabei wird auf Verspannungen, Schwellungen, Druckschmerzhaftigkeit und Bewegungseinschränkungen geachtet.
  • Zahnärztliche Untersuchung: Der Zahnarzt untersucht die Zähne auf Karies, Entzündungen, freiliegende Zahnhälse und andere Probleme. Gegebenenfalls werden Röntgenaufnahmen angefertigt.
  • Neurologische Untersuchung: Bei Verdacht auf eine Trigeminusneuralgie oder einen anderen Nervenschmerz wird eine neurologische Untersuchung durchgeführt. In einigen Fällen ist eine Kernspintomografie (MRT) des Kopfes erforderlich.
  • Funktionsanalyse: Bei Verdacht auf eine CMD wird eine Funktionsanalyse durchgeführt, um die Kieferbewegungen und die Funktion des Kiefergelenks zu beurteilen.

Behandlung von Kieferschmerzen

Die Behandlung von Kieferschmerzen richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Beschwerden zu lindern:

Selbsthilfe

  • Wärme oder Kälte: Lokale Wärme kann die Muskulatur lockern und die Schmerzen lindern. Kälte hingegen kann mögliche Schwellungen reduzieren. Wenden Sie ein Wärmekissen an, um die Muskulatur zu lockern und die Schmerzen zu lindern.
  • Weiche Kost: Oft sind Kieferschmerzen beim Kauen stärker, weil das eine zusätzliche Belastung des Kiefers bedeutet. Vermeiden Sie zu starke Kaubewegungen wie beim Kaugummi kauen. Nehmen Sie zum Großteil passierte, weiche Nahrung zu sich.
  • Kiefermassage und Dehnen: Massieren Sie mit den Fingerspitzen mit kreisenden Bewegungen den Kiefer links und rechts. Öffnen Sie danach den Mund so weit wie möglich, ohne dass es unangenehm wird. Halten Sie diese Position für zehn Sekunden und entspannen Sie dann wieder. Wiederholen Sie diese Übung zehn Mal. Gähnen hat übrigens die gleiche Wirkung.
  • Kieferschmerzen-Übungen mit Widerstand: Drücken Sie mit Ihrer starken Hand gegen Ihr Kinn, versuchen Sie, das Kinn für zehn Sekunden nach vorne zu schieben und lassen Sie dann wieder locker. Wiederholen Sie diese Abfolge fünf Mal. Wechseln Sie anschließend zur linken und rechten Seite. Legen Sie dazu Ihre linke Hand an die linke Wange und schieben Sie Ihr Kinn fünf Mal gegen den Widerstand nach links, darauf folgen die rechte Seite und die rechte Hand.
  • Kiefer-Akupressur: Legen Sie auf beiden Seiten des Gesichts Ihre Finger auf die kleine Kuhle hinter Ihren Ohrläppchen - hier beginnt das Kiefergelenk. Drücken Sie beide Punkte etwa 15 bis 30 Sekunden. Wiederholen Sie diesen Vorgang 3 bis 4 Mal.
  • Entspannung: Versuchen Sie zu entspannen, Stress kann Kieferschmerzen verschlimmern. Hier können Meditation und Yoga helfen. Vermeiden Sie Stress und sorgen Sie für ausreichend Schlaf.
  • Schmerzmittel: Schmerzmittel wie Ibuprofen, Paracetamol oder Aspirin können eine wirksame Möglichkeit zur Linderung der Kieferschmerzen sein. Schmerzmittel sollten nur mit Rücksprache Ihres Zahnarztes eingenommen werden.

Medizinische Behandlung

  • Zahnärztliche Behandlung: Bei Zahnproblemen wie Karies oder Parodontitis ist eine zahnärztliche Behandlung erforderlich. Auch eine Wurzelbehandlung kann notwendig sein.
  • Kieferorthopädische Behandlung: Bei Fehlstellungen des Kiefers kann eine kieferorthopädische Behandlung die Schmerzen lindern.
  • Physiotherapie: Eine Physiotherapie kann helfen, die Kiefermuskulatur zu stärken und die Beweglichkeit des Kiefergelenks zu verbessern. Die Anwendung von Fango im Anschluss an die Behandlung kann die erzielte Entspannung noch vertiefen. Achten Sie bei der Wahl Ihrer Physiotherapie-Praxis auf Therapeutinnen und Therapeuten mit CMD-Fortbildungen.
  • Schiene: Eine Schiene kann bei Zähneknirschen oder Kiefergelenkerkrankungen helfen. Die sogenannte Knirscherschiene verhindert nun eine Abnutzung der Zahnsubstanz durch das nächtliche Pressen. Außerdem wird das Kiefergelenk entlastet, indem die Zahnreihen voneinander gelöst werden. Letztendlich soll durch die Kunststoffschiene der krankhafte Regelkreis der Kaumuskulatur unterbrochen werden: verkrampfte Muskeln sollen durch die Positionsänderung entspannt werden.
  • Medikamente: In einigen Fällen können Medikamente wie Muskelrelaxanzien oder Antidepressiva verschrieben werden. Bei einer Trigeminusneuralgie werden in erster Linie Medikamente, sogenannte Antikonvulsiva, eingesetzt. Diese, zur Behandlung der Epilepsie eingesetzten Arzneimittel vermindern die Nervenaktivität und „beruhigen“ so den Schmerz. Auch einige weitere Arzneimittel können erfolgreich eingesetzt werden. In einigen Fällen kann eine kurzfristige Behandlung mit Cortisonpräparaten zur Schmerzbekämpfung beitragen. Cortison ist ein Hormon, das Entzündungen reduzieren und Schmerzen lindern kann.
  • Operation: In seltenen Fällen ist eine Operation erforderlich, z.B. bei einer Trigeminusneuralgie, wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirkt. Operationsverfahren bei Trigeminusneuralgie:
    • Operation nach Jannetta: Im Bereich des Gefäß-Nerven-Austritts aus dem Hirnstamm wird ein Teflonpolster zwischen Gefäß und Nerv eingelegt, um den Nerven zu schützen. Dieser Eingriff hat eine sehr gute Ansprechrate. Der Effekt tritt unmittelbar nach der Operation ein.
    • Thermokoagulation (Erhitzung) oder Ballonkompression im Bereich des Nervenknotens (Ganglion trigeminale): Auch diese Verfahren sind gut wirksam. Häufig kommen die Beschwerden nach einigen Jahren aber wieder. Der Effekt tritt unmittelbar nach der Operation ein.
    • Gammaknifebehandlung (Bestrahlung) des Nerven: Durch diese Behandlung wird häufig erst nach einigen Monaten ein Effekt erzielt, es wird jedoch keine Operation notwendig.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Anhaltende oder starke Kieferschmerzen sollten Sie ernst nehmen. Suchen Sie in diesem Fall einen Arzt oder Zahnarzt auf, um die Ursache abzuklären. Die Ursache der Schmerzen kann vielfältig sein, von harmlosen Verspannungen bis hin zu ernsten Erkrankungen. Nur durch eine genaue Diagnose kann die richtige Behandlung erfolgen. Zögern Sie nicht, Zahnarzt aufzusuchen. Eine schnelle Abklärung und Behandlung kann die Beschwerden lindern und Folgeerkrankungen verhindern.

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Hier ist eine kleine Checkliste mit Fragen zu Kieferschmerzen. Beantworten Sie eine oder mehrere Fragen mit “ja” ist ein Besuch bei einem Arzt oder einer Ärztin zu empfehlen:

  • Leiden Sie unter schmerzenden oder empfindlichen Zähnen?
  • Sind Sie bei der Bewegung des Unterkiefers eingeschränkt, zum Beispiel beim Öffnen des Mundes?
  • Haben Sie Schwellungen im Kieferbereich?
  • Haben Sie Schmerzen in den Kiefergelenken und in der Gesichts- und Kaumuskulatur?
  • Leiden Sie unter dauerhaften Verspannungen der Kopf-, Schulter-, Nacken- und Rückenmuskulatur?
  • Leiden Sie unter Ohrenschmerzen oder Ohrgeräuschen und können HNO-Mediziner*innen keine Ursache finden?

Wie bereits erwähnt können Kieferschmerzen ein Begleitsymptom bei einem Herzinfarkt sein. Fühlen Sie sich unwohl und sind unsicher, ob es sich um Herzbeschwerden handeln könnte, suchen Sie bitte eine medizinische Praxis auf oder wählen Sie den Notruf 112.

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