Phantomschmerzen sind ein komplexes und oft belastendes Phänomen, das nach Amputationen auftreten kann. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Nervenschmerzen nach Amputation und die verschiedenen Behandlungsansätze, um Betroffenen zu helfen, ihre Lebensqualität zu verbessern.
Einführung
Nach einer Amputation erleben viele Menschen Schmerzen in dem Körperteil, der nicht mehr vorhanden ist. Dieses Phänomen wird als Phantomschmerz bezeichnet und kann erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben. Es ist wichtig, Phantomschmerzen von Stumpfschmerzen zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Ursachen haben und unterschiedliche Behandlungsansätze erfordern.
Was sind Phantomschmerzen?
Phantomschmerzen sind Schmerzen, die in einem Körperteil wahrgenommen werden, der nicht mehr vorhanden ist. Sie treten meist nach Amputationen von Gliedmaßen auf, können aber auch nach Brustamputationen oder Zahnentfernungen auftreten. Etwa 60-80 % der Amputierten nehmen Schmerzen im amputierten Körperteil wahr. Die Empfindungen können vielfältig sein und von Kribbeln und Berührungsgefühlen bis hin zu intensiven Schmerzen reichen.
Wahrnehmungen und Empfindungen
Die meisten Betroffenen spüren weiterhin die nicht mehr vorhandene Gliedmaße, beispielsweise ihre Länge, ihren Umfang und oft auch eine bestimmte Haltung. Gelegentlich wird über nicht-schmerzhafte Empfindungen wie Kribbeln, Berührungsempfindungen oder Zucken berichtet. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass durch Berührung an anderer Stelle im Körper Schmerzen im amputierten Körperteil ausgelöst werden. Das Phantomglied kann in einer ungewöhnlichen Position wahrgenommen werden oder in der Wahrnehmung verkürzt erscheinen und zum Stumpf „hingewandert“ sein.
Unterscheidung von Stumpfschmerzen
Es ist wichtig, Phantomschmerzen von Stumpfschmerzen bzw. nicht-schmerzhaften Stumpfempfindungen zu unterscheiden, die im noch vorhandenen Körperteil auftreten. Obwohl Phantomschmerzen und Stumpfschmerzen oft zusammen auftreten, haben sie unterschiedliche Ursachen. Stumpfschmerzen haben ihre Ursache direkt am Ort der Amputation und können durch Blutergüsse, kleine Wunden oder Infektionen entstehen.
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Ursachen von Phantomschmerzen
Früher ging man davon aus, dass sich Amputierte den Phantomschmerz „einbilden“. Ein späterer Erklärungsversuch ging davon aus, dass Veränderungen im Stumpf, wie eine schlechte Vernarbung bzw. Störungen an Blutgefäßen und Nerven, oder aber an den Nerven, die zum Rückenmark ziehen, eine Rolle spielen. Obwohl diese Faktoren von Bedeutung sein können und untersucht werden sollten, geht man heute davon aus, dass Phantomschmerzen auf Veränderungen im Gehirn zurückzuführen sind.
Veränderungen im Gehirn
Im sogenannten sensomotorischen Kortex, dem Teil der Gehirnrinde, der für das Fühlen verantwortlich ist, ist der amputierte Körperteil bei Patienten mit Phantomschmerz weiter abgebildet. Es findet allerdings eine Umorganisation dieser Gehirnregion statt, in der Berührungs- und Schmerzreize verarbeitet werden. Der Anteil der „sensorischen Landkarte“, der vor der Amputation Nervenimpulse erhielt, bleibt nach dem Eingriff ohne Zustrom. Er bleibt jedoch nicht leer, sondern erhält nach der Amputation Impulse aus Nachbarregionen. Je größer diese Umorganisation, desto größer ist der Phantomschmerz.
Auch Regionen im Gehirn, die eher mit der emotionalen Komponente von Schmerz zu tun haben, d.h. der Bewertung, wie unangenehm der Schmerz ist, können sich verändern. Diese Umorganisation im Gehirn ist besonders ausgeprägt, wenn im betroffenen Körperteil bereits vor der Amputation Schmerzen auftraten und eine Art zentrales Schmerzgedächtnis hinterlassen haben. Dann kann es nach der Amputation zum Verlust von den Schmerz hemmenden Mechanismen und damit dem Auftreten früherer Schmerzen im Phantomglied kommen.
Weitere mögliche Ursachen
Neben den Veränderungen im Gehirn können auch andere Faktoren zur Entstehung von Phantomschmerzen beitragen:
- Periphere Mechanismen: Mangelhafte Durchblutung, Wundheilungsstörungen oder eine sich anbahnende Polyneuropathie können bei anhaltenden Reizen zu einer zentralen Sensibilisierung führen.
- Veränderungen im Rückenmark: Die Nervendurchtrennung bei der Amputation verändert das im Rückenmark ankommende neuronale Erregungsmuster. Auch die für die Schmerzwahrnehmung verantwortlichen Neurotransmitter werden in veränderter Weise exprimiert, was zu einer Übererregbarkeit für Schmerzsignale im Rückenmark führt.
- Psychologische Faktoren: Eine Amputation stellt eine seelische Belastung dar, die Existenzängste und Depressionen nach sich ziehen kann. Obwohl psychische Ursachen nicht direkt für die Entstehung von Phantomschmerzen verantwortlich sind, können sie das Schmerzerleben verstärken.
Behandlung von Phantomschmerzen
Die Behandlung von Phantomschmerzen ist oft komplex und erfordert einen multidisziplinären Ansatz. Es gibt verschiedene Therapieoptionen, die je nach individueller Situation des Patienten eingesetzt werden können.
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Medikamentöse Therapie
Wie andere neuropathische Schmerzsyndrome (Nervenschmerzen) spricht auch der Phantomschmerz auf Medikamente an, die die Funktion des Zentralnervensystems beeinflussen. Jedoch sind die Erfolge der medikamentösen Behandlung begrenzt. Positive Berichte gibt es zu:
- Antidepressiva: Diese Medikamente können bei dumpfen Dauerschmerzen, brennenden Schmerzen, Schlafstörungen und Stimmungsproblemen helfen.
- Opioide: Diese starken Schmerzmittel können bei schweren Schmerzattacken eingesetzt werden.
- Antikonvulsiva: Diese Medikamente werden oft bei elektrisierenden, stechenden und einschießenden Schmerzen eingesetzt.
Nicht-medikamentöse Therapien
Neben der medikamentösen Therapie gibt es eine Reihe von nicht-medikamentösen Therapien, die bei Phantomschmerzen helfen können:
- Myoelektrische Prothese: Durch Tragen der Prothese wird die Hirnregion, die aufgrund der Amputation verändert wurde, wieder aktiviert. Die Funktion der verlorenen Gliedmaße wird zum Teil wiederhergestellt, das Gehirn erhält Reize, die negativen Umbauprozesse werden rückgängig gemacht.
- Sensorisches Wahrnehmungstraining: Dabei wird die Reizung des Stumpfes mit bewusster Wahrnehmung der Reize kombiniert, was sowohl den Schmerz als auch die Umbauprozesse günstig beeinflusst.
- Spiegeltraining: Wenn der Patient die noch vorhandene Gliedmaße vor dem Spiegel bewegt, wird dies durch die Reflexion als Bewegung der amputierten Gliedmaße wahrgenommen. Die Repräsentanz in der Tastrinde normalisiert sich; der Phantomschmerz verringert sich.
- Visualisierungen: Vorstellungsübungen zu Bewegungen der Phantomgliedmaße führen zu ähnlichen Erfolgen.
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Über Elektroden werden elektrische Impulse auf die Hautoberfläche übertragen. Die stetige Stimulation der irritierten Nerven kann den Phantomschmerz verringern bzw. verhindern.
- Biofeedback: Kann über eine Beeinflussung der Temperatur und Durchblutung im Stumpfbereich hilfreich sein.
- Psychotherapie: Kann helfen, den emotionalen Stress und die psychischen Belastungen im Zusammenhang mit der Amputation zu bewältigen.
- Akupunktur: Kann bei der Schmerzlinderung helfen und den Bedarf an Medikamenten senken.
- Hypnose: Kann ebenfalls bei der Schmerzlinderung helfen und die Entspannung fördern.
Weitere Behandlungsansätze
- Multimodale Schmerztherapie: Eine gleichzeitige, inhaltlich eng aufeinander abgestimmte Behandlung durch unterschiedliche therapeutische Disziplinen (z. B. Ärzte, Physiotherapeuten, Psychologen).
- Komplementärmedizinische Behandlungen: Z. B. Akupunktur.
- Invasive Schmerztherapieverfahren: In Form rückenmarksnaher Anästhesieverfahren oder peripherer Nervenblockaden.
Was man vermeiden sollte
Als negativ und sogar schädlich haben sich Versuche erwiesen, durch weitere Amputation den Schmerz auszuschalten. Dies wäre nur sinnvoll, wenn der Schmerz im Stumpfbereich selbst ausgelöst würde. Dies ist aber nicht der Fall, sondern er entsteht erst im Gehirn.
Vorbeugung von Phantomschmerzen
Es gibt einige Maßnahmen, die helfen können, Phantomschmerzen vorzubeugen:
- Konsequente Schmerztherapie vor und nach der Amputation: Um dem Schmerzgedächtnis entgegenzuwirken.
- Frühzeitige Rehabilitation: Eine gute Prothesenversorgung und frühzeitige Rehabilitation können das Risiko für Phantomschmerzen senken.
- Positive Einstellung zur Amputation: Eine positive Einstellung zur Amputation und den damit einhergehenden Körperveränderungen kann den Heilungsprozess fördern und ihn auch langfristig positiv beeinflussen.
Leben mit Phantomschmerzen
Phantomschmerzen können eine erhebliche Belastung für die Betroffenen darstellen. Es ist wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen und verschiedene Therapieoptionen auszuprobieren, um den besten Weg zur Schmerzlinderung zu finden.
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Tipps für den Alltag
- Führen Sie ein Schmerztagebuch: Um die Intensität, Dauer und Häufigkeit der Schmerzen zu dokumentieren und einen Überblick für sich und den behandelnden Arzt zu schaffen.
- Entspannungsübungen: Regelmäßige Entspannungsübungen wie Meditation oder Atemtechniken können helfen, Stress abzubauen und die Schmerzempfindung zu verringern.
- Wärmeanwendungen: Selbständige Wärmeanwendungen am Stumpf fördern die Durchblutung und lindern Beschwerden.
- Austausch mit anderen Betroffenen: Der Austausch mit anderen Menschen, die unter Phantomschmerzen leiden, kann hilfreich sein, um sich verstanden zu fühlen und neue Strategien zur Schmerzbewältigung zu erlernen.
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