Nervenschmerzen nach Covid: Ursachen und Behandlung

Das Coronavirus Sars-CoV-2 kann nicht nur die Atemwege und andere Organe befallen, sondern auch das Nervensystem schädigen. Die neurologischen Folgen einer Covid-19-Erkrankung können vielfältig sein und sowohl während der akuten Infektion als auch langfristig auftreten. In diesem Artikel werden die Ursachen von Nervenschmerzen nach Covid und die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten beleuchtet.

Neurologische Auswirkungen von Covid-19

Eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 kann verschiedene neurologische Symptome verursachen. Prof. Paul Lingor von der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München erklärt, dass Patienten während einer Corona-Infektion häufig über Kopfschmerzen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit sowie Geruchs- und Geschmacksstörungen klagen. Etwa ein Drittel der Corona-Patienten leidet unter solchen neurologischen Beschwerden.

Das Virus kann über verschiedene Eintrittspforten in das zentrale Nervensystem gelangen und dort Schäden verursachen. In seltenen Fällen kann es zu Entzündungen des Hirngewebes (Enzephalitis) oder zu Schädigungen an peripheren Nerven kommen. Die Erholung von solchen Schäden kann viele Monate dauern.

Auch Patienten, die eine Corona-Infektion ohne schwere Beteiligung des Nervensystems durchgemacht haben, können über anhaltende Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen, kognitive Einschränkungen, Herzrasen oder Schwindel berichten.

Long-Covid und Post-Covid: Langzeitfolgen einer Corona-Infektion

Prof. Andrea Winkler, ebenfalls von der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, weist darauf hin, dass einige genesene Patienten langanhaltende Schäden davontragen. Diese können entweder als "Long-Covid" bezeichnet werden, wenn neurologische Symptome, die während der akuten Covid-19-Erkrankung aufgetreten sind, weiterhin bestehen, oder als "Post-Covid", wenn Symptome nach einer symptomfreien Phase neu auftreten. Die Ursachen für diese Langzeitfolgen sind noch nicht vollständig geklärt.

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Definitionen von Long-Covid und Post-Covid

  • Post-Covid-Syndrom: Symptome, die im Zusammenhang mit Covid-19 oder danach aufgetreten sind und mehr als 12 Wochen nach Beginn der Covid-19-Erkrankung noch vorliegen und sich nicht durch andere Gründe erklären lassen.
  • Long-Covid-Syndrom: Symptome, die mehr als 4 Wochen nach Beginn der Erkrankung an Covid-19 fortbestehen oder neu auftreten. Das Long-Covid-Syndrom schließt sowohl die subakute Covid-19-Phase (4 bis 12 Wochen nach Symptombeginn) als auch das Post-Covid-19-Syndrom mit ein.

Es ist wichtig zu beachten, dass es sich auch um eine Verschlechterung einer vorbestehenden Grunderkrankung handeln kann, z. B. einer rheumatoiden Arthritis, einer anderen Autoimmunerkrankung oder einer Lungenerkrankung.

Symptome des Long-Covid-Syndroms

Das Long-Covid-Syndrom kann ganz unterschiedliche Beschwerden hervorrufen, die einzeln oder in Kombination auftreten können. Die Intensität der Symptome kann von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde sehr unterschiedlich sein. Viele Beschwerden beim Long-Covid-Syndrom ähneln den Symptomen bei der Myalgischen Enzephalomyelitis/dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS).

Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit: Viele Menschen mit Long-Covid-Syndrom leiden an einer massiven Erschöpfung mit Müdigkeit, Schwäche und Leistungsminderung. Die Betroffenen sind oft schon nach kleinen alltäglichen Anstrengungen massiv und anhaltend erschöpft.
  • Post-Exertionelle Malaise (PEM): Nach jedem Überschreiten der individuellen Belastungsgrenze droht ein tagelanger oder sogar wochenlanger weiterer körperlicher Einbruch.
  • Husten und Atembeschwerden: Die Erkrankten klagen häufig über Atem- und Lungenbeschwerden wie Husten und das Gefühl, nicht mehr richtig durchatmen zu können. Weitere Symptome sind Beklemmungsgefühle, Schmerzen im Brustkorb oder Kurzatmigkeit und Luftnot.
  • Kopfschmerzen und andere neurologische Symptome: Neurologische Beschwerden äußern sich u. a. in Kopfschmerzen, Störungen von Hören, Sehen und Riechen oder Konzentrationsstörungen, Wortfindungs- und Koordinationsstörungen. Darüber hinaus können Schwindel oder neuropathische Schmerzen auftreten.
  • Herz-Kreislauf-Probleme: Nach schweren Krankheitsverläufen ist das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen erhöht, z. B. für die Entstehung venöser Thrombosen und Thromboembolien, Schlaganfällen und Herzinfarkten. Nach Herzmuskelentzündungen im Rahmen der akuten Erkrankung tritt nicht selten eine Herzschwäche auf.
  • Autonome Dysfunktion: Regulationsstörungen des autonomen Nervensystems können sehr belastend sein und sich in Blutdruckschwankungen, Herzrasen oder Herzstolpern äußern, oft einhergehend mit Schwindel und Schwächegefühl.
  • Muskelschmerzen, Krankheitsgefühl, Schlafstörungen und weitere Symptome: Auch Muskelschmerzen werden häufig beschrieben. Viele Patienten mit Long-Covid-Syndrom beklagen außerdem ein wiederkehrendes Krankheitsgefühl wie bei einem grippalen Infekt. Anhaltende Schlafstörungen werden berichtet, ebenso Probleme mit der Verdauung, Haarausfall und Tinnitus. Auch psychische Störungen, v. a. depressive Verstimmungen und Ängstlichkeit, können auftreten.

Risikofaktoren für Long-Covid

Grundsätzlich kann nach jeder Covid-19-Erkankung ein Long-Covid-Syndrom auftreten, auch nach einem milden, symptomarmen oder sogar symptomlosen Verlauf. Langzeitfolgen können auch bei Kindern und jungen Menschen sowie bei Personen ohne andere Vorerkrankung auftreten. Wer genau erkrankt und wie schwer, ist nicht genau vorherzusagen.

Dennoch gibt es einige Patienten, die ein höheres Risiko für ein Long-Covid-Syndrom haben:

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  • Menschen, die schwer an Covid-19 erkrankt waren und z. B. eine Lungenentzündung (Pneumonie) entwickelt haben oder auf der Intensivstation behandelt werden mussten
  • Ältere Menschen
  • Stark Übergewichtige
  • Personen mit Vorerkrankungen z. B. von Lunge und Herz
  • Frauen sind unabhängig vom Alter besonders häufig von einem Erschöpfungssyndrom (Fatigue) betroffen.

Diagnose von Long-Covid

Die Symptome des Long-Covid-Syndroms beginnen meist schleichend innerhalb von wenigen Wochen nach einer überstandenen Covid-19-Infektion. Bei einigen Betroffenen bleiben von Anfang an vorhandene Symptome auch nach Abklingen der akuten Erkrankungsphase weiter bestehen.

Die zeitliche Nähe zu einer Corona-Infektion ist der bislang einzige objektivierbare Hinweis auf ein Long-Covid-Syndrom. Es gibt keinen Blutwert, der charakteristisch für das Long-Covid-Syndrom ist. Die Untersuchung von Lunge, Herz-Kreislaufsystem und Nervensystem bleiben in der Regel unauffällig.

Je nach vorherrschenden Symptomen kann es trotzdem geboten sein, bestimmte Untersuchungen wie beispielsweise Blutwerte, Lungenfunktion, EKG oder Ultraschall durchzuführen, da es sich beim Long-Covid-Syndrom bisher um eine so genannte Ausschlussdiagnose handelt, d. h. andere mögliche Erkrankungen, die zu ähnlichen Symptomen führen könnten, müssen ausgeschlossen werden.

Klar zu trennen von den Long-Covid-Patienten sind diejenigen, die sich von einem schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung, ggf. mit Langzeitbeatmung und Multiorganversagen, erholen müssen. Bei schweren Covid-Erkrankungen kann es zu dauerhaften Organschäden wie einer Lungenschädigung mit Verschlechterung der Lungenfunktion oder einer anhaltenden Herzschwäche kommen.

Ursachen von Long-Covid

Noch herrscht Unklarheit über die genaue Ursache des Long-Covid-Syndroms. Vieles deutet dabei auf eine anhaltende fehlgeleitete Immunantwort des Körpers auf das Coronavirus hin. Vermutlich spielen mehrere Mechanismen und Faktoren bei der Krankheitsentstehung eine Rolle.

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Weltweit wird intensiv an der Erforschung des Long-Covid-Syndroms gearbeitet. Folgende Theorien für die Entstehung von Long-Covid haben sich dabei u. a. herauskristallisiert:

  • Viruspersistenz im körpereigenen Gewebe: Dem Immunsystem gelingt es nicht, das Coronavirus vollständig zu entfernen. Ein Teil der Viren verbleibt also im Körper und kann und von dort aus immer wieder das Immunsystem herausfordern, vergleichbar mit einer chronischen Infektion mit z. B. wellenartigem Verlauf.
  • Virenfragmente: Teile des Coronavirus könnten im Gewebe zurückbleiben und noch Monate nach der ursprünglichen Infektion eine Reaktion des Immunsystems auslösen, die dann in eine langanhaltende Immunreaktion des Körpers mündet. Die Symptome sind nach dieser Hypothese also Folge einer überschießenden Immunreaktion, die durch Virusbestandteile getriggert wird.
  • Bildung von Autoantikörpern: Drittens könnten sich infolge der Viruserkrankung so genannte Autoantikörper bilden, die sich gegen das körpereigene Gewebe richten und dann bei manchen Patienten eine Autoimmunerkrankung auslösen. Auch nach dieser Hypothese würde das Coronavirus nicht direkt den Körper angreifen.

Auch weitere mögliche Ursachen werden untersucht und diskutiert, z. B. starke oder übermäßige Entzündungen, Gerinnungsstörungen/Gefäßerkrankungen, Störungen des Nervensystems und Stoffwechsel- oder hormonelle Veränderungen. Vermutlich beeinflussen sich die einzelnen Entstehungsmechanismen auch gegenseitig.

Behandlung von Nervenschmerzen und Long-Covid

Da die Entstehung des Long-Covid-Syndroms noch nicht ausreichend geklärt ist, gibt es dementsprechend auch noch keine ursächlichen Therapieansätze. Die Erkrankung wird symptomatisch behandelt.

Symptomorientierte Behandlung

Die Behandlung des Long-Covid-Syndroms konzentriert sich auf die Linderung der Symptome. Es gibt keine spezifische Therapie, die alle Beschwerden beseitigt, daher wird ein individueller Behandlungsplan erstellt, der auf die spezifischen Symptome des Patienten zugeschnitten ist.

  • Atemtherapie: Aktive Atemübungen sowie die reflektorische Atemtherapie können bei Kurzatmigkeit und Atemnot sehr hilfreich sein.
  • Physiotherapie: Kann helfen, Kraft und Kondition wieder aufzubauen.
  • Ergotherapie: Hilft bei Sprach- oder Schluckstörungen sowie bei Kribbeln oder Gefühlsstörungen in Armen und Beinen.
  • Logopädie: Kann bei Sprach- oder Schluckstörungen zum Einsatz kommen.
  • Psychotherapie: Eine Verhaltenstherapie kann helfen, mit den Symptomen besser umzugehen und die psychische Resilienz zu stärken.
  • Medikamentöse Therapie: Je nach Symptom können verschiedene Medikamente zum Einsatz kommen, die für andere Erkrankungen zugelassen sind, z. B. Kortisonspray bei Lungenbeschwerden.
  • Pacing: Eine wichtige Behandlungsmethode, bei der Betroffene lernen, Überanstrengung zu vermeiden und sich das richtige Tempo vorzugeben.
  • Naturheilkundliche Komplexbehandlung: Die Kombination verschiedener Verfahren aus der Naturheilkunde kann therapieunterstützend wirken und dazu beitragen, die chronische Erschöpfung zu lindern, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu steigern, Atembeschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.

Integrative Behandlungsansätze

Ein integrativer Behandlungsansatz, der konventionelle Schulmedizin mit bewährten Therapiemaßnahmen aus der Naturheilkunde und der Homöopathie kombiniert, kann therapeutische Synergieeffekte erzielen, die durch Einzelmaßnahmen so nicht erreicht werden können.

Rehabilitation

Die Deutsche Rentenversicherung und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung raten zu einer interdisziplinär ausgerichteten Rehabilitation, um die Chancen zu erhöhen, die Beschwerden zu lindern. Bei der Long-Covid-Reha werden alle Patientinnen und Patienten zunächst komplett untersucht. Dazu gehören Herz, Lunge, Gehirn und auch die Psyche. Betroffene erhalten eine ganzheitliche, aber auch sehr individuelle Behandlung.

Neurologische Komplikationen und ihre Behandlung

Neben den allgemeinen Symptomen des Long-Covid-Syndroms können auch spezifische neurologische Komplikationen auftreten, die eine gezielte Behandlung erfordern.

Geruchs- und Geschmacksstörungen

Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns sind häufige neurologische Symptome bei einer Infektion mit SARS-CoV-2. In den meisten Fällen bilden sich diese Störungen wieder zurück, aber es gibt auch Fälle, in denen sie länger anhalten. Ein Riechtraining kann helfen, den Geruchssinn wiederherzustellen.

Enzephalopathie

In schweren Fällen kann es zu einer Enzephalopathie kommen, einer Erkrankung des Gehirns, die mit Verwirrtheit, Agitation, Ataxie und Bewusstseinstrübungen einhergehen kann. Die Behandlung der Enzephalopathie richtet sich nach der Ursache und kann die Gabe von Medikamenten zur Reduzierung der Entzündung oder zur Behandlung von Komplikationen wie Krampfanfällen umfassen.

Schlaganfall

Bei COVID-19-Patienten wurden auch Schlaganfälle beobachtet. Diese können ischämisch (durch ein Blutgerinnsel verursacht) oder hämorrhagisch (durch eine Blutung im Gehirn verursacht) sein. Die Behandlung des Schlaganfalls hängt von der Art und Schwere des Schlaganfalls ab und kann die Gabe von Medikamenten zur Auflösung von Blutgerinnseln, die Durchführung einer Operation zur Entfernung des Blutgerinnsels oder zur Reparatur des blutenden Gefäßes sowie Rehabilitationsmaßnahmen umfassen.

Guillain-Barré-Syndrom (GBS)

Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der die Myelinschicht der peripheren Nerven geschädigt wird. Dies kann zu Muskelschwäche, Taubheitsgefühl und Lähmungen führen. Die Behandlung des GBS umfasst die Gabe von Immunglobulinen oder die Durchführung einer Plasmapherese, um die schädlichen Antikörper aus dem Blut zu entfernen.

Polyneuropathie

Polyneuropathien können im Rahmen einer Covid-19-Infektion erstmalig auftreten und z.T. dauerhaft bestehen bleiben. Vorbestehende Polyneuropathien können sich nach einer Covid-19-Infektion auch verschlechtern. Nervenentzündungen und Nervenausfälle können mit Cortisonstoß-Therapie oder Anwendung von Immunglobulinen oder in schweren Fällen auch durch Plasmaaustausch behandelt werden und werden zusätzlich physiotherapeutisch und mittels Akupunktur oder auch medikamentöser Schmerztherapie, falls notwendig, behandelt.

Forschung und Leitlinien

Das Long-Covid-Syndrom ist eine Erkrankung, die es erst seit kurzem gibt. Täglich werden neue Erkenntnisse dazugewonnen. Für Betroffene, ihre Angehörigen und Interessierte haben Experten verschiedener Fachgesellschaften eine Long-Covid-Syndrom Leitlinie (AWMF-Leitlinie) erstellt. Die Leitlinie „Long-/Post-Covid“ für Patienten gibt dabei einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand und ein paar grundsätzliche Empfehlungen zur Long-/Post-Covid-Syndrom Therapie sowie Verhaltenshinweise.

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