Nervensystem und Krebs: Symptome, Ursachen und Behandlungsansätze

Krebs und das Nervensystem scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben. Neueste Forschungen zeigen jedoch, dass das Nervensystem eine überraschend wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf von Krebserkrankungen spielen kann. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Nervensystem und Krebs, wobei auf Symptome, Ursachen und aktuelle Behandlungsansätze eingegangen wird.

Die Krebs-Neurowissenschaft: Ein neues Forschungsfeld

Die Krebs-Neurowissenschaft ist ein junges, aber vielversprechendes Fachgebiet, das sich mit dem Zusammenspiel von Nervensystem und Krebszellen befasst. Prof. Dr. Frank Winkler, ein Pionier auf diesem Gebiet und Träger des renommierten Brain Prize 2025, hat herausgefunden, dass Nervenzellen des Gehirns mit den Zellen von Gehirntumoren kommunizieren. Diese Erkenntnis hat das Potenzial, Krebstherapien grundlegend zu verändern.

Das Nervensystem als Meisterregulator

Das Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk, das den gesamten Körper durchzieht und lebenswichtige Funktionen steuert. Es besteht aus dem zentralen Nervensystem (ZNS), das Gehirn und Rückenmark umfasst, dem peripheren Nervensystem, das willkürliche Bewegungen steuert, und dem vegetativen Nervensystem, das unbewusste Körperfunktionen wie Herzschlag und Verdauung reguliert.

Das Nervensystem ist ein Meisterregulator und kann sogar Krebs steuern. Es kann das Wachstum, die Metastasierung und die Resistenz gegen Therapien beeinflussen. Tumore kommunizieren mit dem gesamten Nervensystem und tauschen Informationen aus.

Crosstalks: Die Kommunikation zwischen Tumor und Nervensystem

Tumorzellen und Nervenzellen können Synapsen bilden, also Verbindungsstellen, an denen Nervenzellen Signale weitergeben. Diese Synapsen haben dieselbe Struktur und Funktionsweise wie herkömmliche Synapsen, die nur aus Nervenzellen bestehen. Durch diese Verbindungen ist der Tumor in das menschliche Synapsensystem eingebunden und wird ständig durch Nervenzellimpulse aktiviert.

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Der Tumor "hört" quasi das Nervensystem ab und empfängt Impulse, die ihn anregen, sich zu teilen, zu verbreiten und Metastasen zu bilden. Gleichzeitig helfen diese Verbindungen dem Tumor, sich Krebstherapien zu widersetzen.

Krebsarten im Austausch mit dem Nervensystem

Besonders intensiv kommunizieren Krebsarten im Magen-Darm-Trakt, Prostatakrebs und vermutlich auch Lungenkrebs mit dem vegetativen Nervensystem, insbesondere mit dem Parasympathikus. Je nach Organ und Zelltyp kann der Parasympathikus das Krebswachstum hemmen oder fördern. Der Sympathikus, der Gegenspieler des Parasympathikus, stimuliert in den meisten Fällen das Tumorwachstum, beispielsweise bei Brustkrebs.

Symptome von Krebs, die mit dem Nervensystem zusammenhängen

ZNS-Tumoren können an verschiedenen Stellen auftreten, wie im Gehirn, an den Hirnnerven, im Hirnstamm oder im Rückenmark. Da viele verschiedene Zelltypen im ZNS vorliegen, gibt es eine Vielzahl von verschiedenen ZNS-Tumoren mit jeweils unterschiedlichem Wachstumsverhalten, Therapie und Prognose.

Die Symptome von ZNS-Tumoren sind oft unspezifisch und können Kopfschmerzen, Sehstörungen, Erbrechen, psychische Störungen, Wesensveränderungen, Schwindel oder Krampfanfälle umfassen. Abhängig von der Lokalisation des Tumors können weitere Symptome hinzukommen, die durch die Beeinträchtigung eines bestimmten Hirn- oder Rückenmarkareals oder Hirnnerven ausgelöst werden, wie z.B. eine Halbseitenlähmung, Sprach- oder Hörstörungen.

Allgemeine und Lokale Symptome

Allgemeine Symptome treten unabhängig von der Lage des Tumors auf und können auch bei anderen Krankheiten auftreten. Lokale Symptome hingegen können Hinweise darauf geben, wo sich der Tumor im Zentralnervensystem befindet und welche Aufgabenzentren er dort beeinträchtigt. Es ist wichtig zu beachten, dass das Auftreten eines oder mehrerer dieser Krankheitszeichen nicht bedeuten muss, dass ein Hirntumor vorliegt. Bei entsprechenden Beschwerden ist es jedoch ratsam, so bald wie möglich einen Arzt zu konsultieren, um die Ursache zu klären.

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Neuropathien als Folge von Krebstherapien

Krebspatienten können im Rahmen ihrer Therapie Neuropathien entwickeln, also Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Diese können durch Chemotherapie-Medikamente oder Strahlentherapie verursacht werden, aber auch der Tumor selbst kann eine Nervenschädigung hervorrufen. Besonders Nerven an Händen und Füßen, die für das Tastempfinden, die Schmerzweiterleitung und das Temperaturempfinden zuständig sind, sind von der nervenschädigenden Wirkung der Krebstherapien betroffen.

Symptome einer Neuropathie können Kribbeln, Brennen, Taubheitsgefühle, Muskelschwäche oder Schmerzen in den Fußsohlen oder Fingerspitzen sein. Auch Balance-Störungen, Geh-Probleme und Mobilitäts-Probleme können auftreten. Sehstörungen werden nicht selten durch eine neuropathische Affektion der Sehmuskeln verursacht.

Ursachen und Risikofaktoren für ZNS-Tumoren

Die Auslöser der verschiedenen Hirntumoren sind bisher weitgehend unklar. Patienten mit sehr seltenen erblichen Tumor-Syndromen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, an einem Hirntumor zu erkranken. Nach einer therapeutischen Kopfbestrahlung ist das Risiko leicht erhöht, nach einer langen Latenzzeit an einem Hirntumor zu erkranken. Dies gilt insbesondere bei Bestrahlungen im Kindes- und Jugendalter. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Mobiltelefonnutzung und Hirntumoren ist bislang nicht belegt, aber auch nicht zweifelsfrei auszuschließen. Verwandte ersten Grades von Patienten mit Hirntumoren haben ein leicht erhöhtes Risiko, selbst an einem Hirntumor zu erkranken.

Weitere Risikofaktoren sind bestimmte erbliche Krankheitsbilder wie das Lynch- oder Li-Fraumeni-Syndrom sowie eine Neurofibromatose oder Tuberöse Sklerose. Auch eine Computertomografie (CT) im Kindesalter kann das Risiko für Hirntumoren geringfügig erhöhen.

Diagnose von ZNS-Tumoren

Nach einem ausführlichen Arztgespräch und einer gründlichen körperlichen Untersuchung, die eine genaue neurologische Untersuchung beinhaltet, folgt weitere Diagnostik. Dazu zählen die Durchführung eines Elektroenzephalogramms (EEG), mit dem die Hirnströme gemessen werden, Schnittbildgebung mit Computer- oder besser Kernspintomographie (CT/MRT) sowie gegebenenfalls eine Darstellung der Hirnblutgefäße (Angiographie). Bei einigen Patienten können durch Punktion von Liquor weitere Hinweise auf das Vorliegen einer bösartigen Erkrankung gewonnen werden. Um die Diagnose und den Subtyp definitiv bestimmen zu lassen, ist die Gewinnung einer Gewebeprobe (Biopsie) notwendig.

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Therapie von ZNS-Tumoren

Vor Durchführung der eigentlichen Therapie zur Tumorentfernung kann symptomatisch durch Gabe von Kortison eine Besserung einer oft begleitenden Hirnschwellung erreicht werden. Bei Auftreten von Krampfanfällen werden antiepileptische Medikamente eingesetzt. Die weitere Therapie ist abhängig vom Subtyp des ZNS-Tumors sowie vom Ausbreitungsgrad. Therapie der Wahl ist die operative Entfernung des Tumors. Weitere Optionen sind Strahlen- oder Chemotherapie, wobei häufig Kombinationen der verschiedenen Therapieansätze genutzt werden. Neue Optionen sind der Einsatz von Antikörpern oder Tyrosinkinase-Inhibitoren.

Neue Behandlungsansätze durch die Krebs-Neurowissenschaft

Die Erkenntnisse der Krebs-Neurowissenschaft eröffnen neuartige Behandlungsansätze. Prof. Dr. Winkler plant Studien, in denen Schrittmacherzellen im Tumornetzwerk über das Nervensystem gehemmt werden sollen, um die Strahlentherapie effektiver zu machen. In Australien wird die Wirkung von Beta-Blockern bei Brustkrebs erforscht.

Beta-Blocker hemmen das sympathische Nervensystem, das viele Tumorarten außerhalb des Gehirns beeinflusst. Wird das sympathische Nervensystem gebremst, wachsen die Tumoren nicht weiter. Darüber hinaus gibt es noch über 100 andere "neuroaktive" Medikamente, die in Deutschland bereits zugelassen sind und die Signale des Nervensystems verändern und die Tumoren zum Wohle des Patienten beeinflussen können.

Es ist jedoch wichtig, das Zusammenspiel zwischen Substanzen, Nervensystem und Tumoren weiter zu erforschen, da nicht jede Substanz bei jedem Tumor die gewünschte Wirkung zeigt.

Supportive Therapie

Der Gehirntumor selbst oder Nebenwirkungen einer Therapie können Beschwerden auslösen. Ziel einer supportiven Therapie ist es, solche Beschwerden zu lindern. Sie kann Beschwerden, die durch die Krebserkrankung selbst und/oder die Behandlung entstehen, lindern oder vorbeugen.

Rehabilitation und Nachsorge

Für einen Patienten mit Hirntumor stehen auch nach Abschluss der Krebstherapie und der medizinischen Rehabilitation weiterhin regelmäßige Untersuchungstermine an. Diese fortlaufende Betreuung wird als Nachsorge oder Verlaufskontrolle bezeichnet. Treten zwischen den Terminen Beschwerden auf, sollte man auf jeden Fall schon früher zum Arzt gehen. Regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen helfen dabei, einen Rückfall der Krebserkrankung (Rezidiv) frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Die Untersuchungen dienen auch zur Tumorkontrolle und zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Beschwerden durch den Hirntumor oder aufgrund der Therapie.

Umgang mit Neuropathien

Bei zunehmender Schädigung der Nerven nehmen Betroffene an Händen und Füßen oft keine Schmerzen, Wärme oder Kälte mehr wahr. Diese Taubheit führt zu Schwierigkeiten bei feinmotorischen, alltäglichen Aktivitäten. Sind die Füße betroffen kann es zu Gleichgewichtsstörungen und Stürzen kommen. Sind eher Nerven, die Muskeln aktivieren, betroffen, kann es zu unwillkürlichem Muskelzucken oder zu Muskelkrämpfen kommen. Einige Krebspatienten klagen auch über Kraftlosigkeit in Armen und Beinen, sodass sie Probleme beim Greifen und Gehen haben. Hör- und Sehstörungen können bei Schädigungen von Hirnnerven auftreten.

Die Behandlung von geschädigten peripheren Nerven infolge einer Krebstherapie ist momentan nur bedingt möglich. Ob eine medikamentöse Behandlung möglich ist, hängt davon ab, welche Beschwerden bei den Betroffenen im Vordergrund stehen. Krebspatienten mit Taubheitsgefühlen an Füßen und Händen können mithilfe von Physiotherapie, Ergotherapie und Elektrotherapie oder Bädern behandelt werden. Besonders wichtig ist ausreichende Bewegung, wobei das Gewebe wird unterschiedlichen Reizen ausgesetzt wird, sodass sich die Nervenfunktion in den Gliedern erholen kann.

Tipps für den Umgang mit Neuropathien

  • Kälte vermeiden: Patienten, die mit Probleme mit Kältereizen haben, sollten sich nicht zu lange in kalten Räumen oder bei kaltem Wetter draußen aufhalten, ohne sich entsprechend zu schützen.
  • Für einen guten Stand sorgen: Um sich sicher fortzubewegen, sollten Vorkehrungen wie festes Schuhwerk oder eine Gehhilfe getroffen werden.
  • Verletzungen und Infektionen vorbeugen: Verletzungen, wie Schnittwunden oder Verbrennungen an Händen und Füßen werden später oder gar nicht wahrgenommen, wenn das Empfinden an diesen Stellen stark eingeschränkt ist.
  • Ohrgeräusche minimieren: Wer bei lauten Geräuschen an Tinnitus leidet, sollte laute Umgebungen meiden.

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