Die Vagusnervstimulation (VNS) ist eine vielversprechende Therapieoption für Patienten mit schwer behandelbarer Epilepsie, bei denen andere Behandlungen wie Medikamente oder Operationen keine ausreichende Anfallskontrolle ermöglichen. Dieses Verfahren beinhaltet die elektrische Stimulation des Vagusnervs, um die Anfallshäufigkeit und -schwere zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch eine vorübergehende Störung der elektrischen Aktivität im Gehirn, bei der einzelne Hirnbereiche übermäßig aktiv sind und zu viele Signale abgeben. Medikamente spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Epilepsie, aber etwa 30 % der Betroffenen haben weiterhin regelmäßig Anfälle.
Stimulationsverfahren als Behandlungsalternative
Wenn operative Verfahren nicht in Frage kommen und sich die Epilepsie durch medikamentöse Behandlung nicht kontrollieren lässt, können Hirnstimulationsverfahren wie die Vagusnervstimulation eingesetzt werden.
Vagusnervstimulation (VNS)
Die Vagusnervstimulation (VNS) ist eine etablierte Methode zur Behandlung von therapieresistenten Epilepsien, bei denen Medikamente keine ausreichende Wirkung zeigen. Seit der Zulassung durch die Food and Drug Administration (FDA) im Juli 1997 findet das Verfahren auch in Europa zunehmendAnklang. Weltweit wurde das Gerät bei mehr als 8.000 Patienten implantiert, davon bei etwa 300 Patienten in den deutschsprachigen Ländern.
Wie funktioniert die Vagusnervstimulation?
Bei der Vagusnervstimulation wird der linke Vagusnerv im Halsbereich mit Elektroden gereizt. Diese Elektroden sind durch ein Kabel mit einem Stimulator verbunden, der im Bereich des Schlüsselbeins unter der Haut implantiert wird. Der Vagusnerv ist eine wichtige Verbindung zwischen dem Gehirn und den inneren Organen. Er entspringt direkt aus dem Hirnstamm und kontrolliert Körperfunktionen wie Herzschlag und Verdauung, die nicht dem Willen unterliegen.
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Der Vagusnerv: Eine Datenautobahn im Körper
Der Vagusnerv, auch bekannt als zehnter Hirnnerv, ist ein paarig angelegter Nerv, der dem Gehirn entspringt und in der Tiefe auf beiden Halsseiten bis zum Bauch verläuft. Er vermittelt zwischen einer Vielzahl von Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Verdauung und Atmung. Als "schnelle Datenautobahn" verbindet er den Verdauungstrakt, die Lunge und das Herz mit dem Gehirn und übermittelt Informationen über den Zustand der Organe.
Implantation und Funktionsweise des Vagus-Nerv-Stimulators
Der Vagus-Nerv-Stimulator (VNS) wird unter die Haut im oberen Brustbereich links eingesetzt und durch eine Elektrode mit dem Vagusnerv am Hals verbunden. Die Implantation erfolgt in Vollnarkose und dauert ca. 1 bis 1,5 Stunden. Im Anschluss an die Operation ist ein längerer Krankenhausaufenthalt für gewöhnlich nicht notwendig.
Als puls-gebendes und batteriebetriebenes Gerät hat der VNS gewisse Ähnlichkeiten mit einem Herzschrittmacher. Nach etwa 5-7 Jahren sollten die Batterien ausgetauscht werden. In regelmäßigen Abständen von 5 Minuten gibt der VNS elektrische Reize ab, die an das Gehirn weitergeleitet werden.
Individuelle Anpassung und Selbstkontrolle
Je nach Verträglichkeit und Wirkung auf die Häufigkeit der epileptischen Anfälle kann die Stärke der Stimulation in Monatsabständen individuell angepasst werden. Patienten erhalten außerdem einen Magneten, mit dem sie eine zusätzliche und intensivere Stimulation auslösen können. So können sie beispielsweise, wenn sie eine Aura wahrnehmen, die Ausbreitung epileptischer Aktivität vermindern. Angehörige können ebenfalls eine Stimulation auslösen, wenn sie frühe Anzeichen eines Anfalls bemerken.
Mögliche Vorteile der Vagusnervstimulation
- Reduktion der Anfallshäufigkeit und -schwere: Studien haben gezeigt, dass die VNS bei bis zu 50 % der Patienten die Anfallshäufigkeit reduzieren kann. Bei knapp 30 Prozent der Patienten verringert sich die Anfallshäufigkeit um mehr als 50 Prozent (Response).
- Verbesserung der Lebensqualität: Viele Patienten berichten von einer verbesserten Lebensqualität, einer günstigen Beeinflussung der Wachheit und einer verbesserten Stimmungslage. Verbesserungen der Lebensqualität werden dabei im Verlauf meist früher berichtet als Verbesserungen der Anfallskontrolle.
- Anwendung bei Depressionen: Seit einigen Jahren wird die VNS auch primär zur Behandlung von Depressionen eingesetzt. Ursprünglich wurde die VNS-Stimulation bei Patienten mit Epilepsie eingesetzt und bei diesen eher zufällig auch eine einhergehende deutliche Stimmungsaufhellung festgestellt. Dies legte eine Behandlung von affektiven Störungen, also den Einsatz von VNS bei depressiven oder depressiv-bipolaren Patienten zumindest nahe.
- Geringe Nebenwirkungen: Insgesamt ist die Verträglichkeit der VNS gut. Kaum ein Patient wünscht die Beendigung der Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen. In Kombination mit Medikamenten kommt es nicht zu einer Zunahme von Nebenwirkungen.
Mögliche Nebenwirkungen der Vagusnervstimulation
Hinsichtlich der Nebenwirkungen berichten über die Hälfte der behandelten Patienten von Heiserkeit während der Stimulation. In der Regel wird diese jedoch nicht als störend empfunden. Sofern erforderlich kann der Stimulator vorübergehend inaktiviert werden. Weitere Nebenwirkungen können Schmerzen im Kehlkopfbereich und Schluckstörungen sein.
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Für wen ist die Vagusnervstimulation geeignet?
Die Vagusnervstimulation ist eine mögliche Behandlungsalternative für Patienten, deren Epilepsie durch medikamentöse Behandlung nicht kontrolliert werden kann und für die ein epilepsiechirurgischer Eingriff nicht in Frage kommt. Im Einzelnen muss dies mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.
Studienlage und Forschung
Mehrere kontrollierte multizentrische Studien konnten einen antikonvulsiven Effekt der VNS nachweisen, der mit den Wirkungen von Add-On-Antiepileptika der neuen Generation vergleichbar ist. Darüber hinaus zeigten sich positive Auswirkungen auf das Befinden und die Lebensqualität. Derzeit untersuchen ForscherInnen weitere Anwendungsgebiete.
Kosten und Finanzierung
Die Initialkosten für Gerät und Implantation sind relativ hoch. Kosten-Nutzen-Analysen zufolge amortisieren sich die Initialkosten jedoch in etwa zwei bis drei Jahren; die Nutzungsdauer des Geräts beträgt etwa fünf Jahre.
Fazit
Die Vagusnerv-Stimulation ist ein hinreichend erprobtes, sicheres, gut verträgliches und unter gesundheitsökonomischen Gesichtspunkten vertretbares Verfahren, das Patienten mit pharmakotherapieresistenten Epilepsien nicht vorenthalten werden sollte. Wenngleich dauerhafte Anfallsfreiheit nur in seltenen Fällen eintritt, zeigen sich positive Auswirkungen im Sinne einer deutlichen Absenkung der Anfallsfrequenz. Auch die bei mehr als der Hälfte der Patienten beobachteten positiven Auswirkungen auf Befinden und Lebensqualität sind bei der Indikationsstellung zu berücksichtigen.
Transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS)
Die transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS) ist eine nicht-invasive Alternative zur herkömmlichen VNS, bei der keine Operation erforderlich ist. Bei der t-VNS wird der Vagusnerv über eine am Ohr platzierte Elektrode durch die Haut stimuliert. Die t-VNS kann durch den Patienten selbstständig und während der normalen Tätigkeit im Alltag angewendet werden.
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Studien zur t-VNS
Die TRAVAST-Studie soll klären, ob die transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS) bei Patientinnen und Patienten mit Epilepsie, die auf ihre medikamentöse Behandlung nicht ausreichend ansprechen und für einen epilepsie-chirurgischen Eingriff ungeeignet sind oder diesen ablehnen, zu einer relevanten Veränderung des Anfallsgeschehens führt. Vergleichsintervention ist eine sogenannte Scheinbehandlung, bei der der Vagusnerv nicht oder nicht ausreichend stimuliert wird.
Vorteile der t-VNS
- Nicht-invasiv: Keine Operation erforderlich
- Selbstständig anwendbar: Kann vom Patienten selbstständig im Alltag angewendet werden
- Geringere Risiken: Im Vergleich zur herkömmlichen VNS sind die Risiken geringer
Nachteile der t-VNS
- Weniger Studien: Im Vergleich zur herkömmlichen VNS gibt es weniger Studien zur Wirksamkeit der t-VNS
- Wirksamkeit: Die Wirksamkeit der t-VNS ist möglicherweise geringer als die der herkömmlichen VNS
Weitere Stimulationsmethoden
Neben der VNS und der t-VNS gibt es auch andere Stimulationsmethoden, die zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden können, wie z.B. die Tiefe Hirnstimulation (THS). Bei der THS werden Elektroden direkt in bestimmte Bereiche des Gehirns implantiert, um die Anfallsaktivität zu reduzieren.
Wirkmechanismus der Vagusnervstimulation
Der genaue Wirkmechanismus der VNS bei Epilepsie ist noch nicht vollständig verstanden. Es gibt Hinweise darauf, dass die Stimulation des Vagusnervs die Erregbarkeit von Gehirnzellen reduzieren kann. Tierexperimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass die Stimulation des Nervus vagus eine schnelle Aktivität im abgeleiteten EEG produzieren konnte. Stimulationsabhängige Veränderungen des EEG im Sinne von Desynchronisationen und Synchronisationen konnten in den darauf folgenden Jahrzehnten auch von anderen Autoren repliziert werden, sodass Mitte der 80er-Jahre erstmals erwogen wurde, mit dieser Methode epileptische Anfälle zu behandeln.
Beteiligung verschiedener Hirnareale
Mit bildgebenden Verfahren wie Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und funktioneller Kernspintomographie (fMRI) wurde nachgewiesen, dass VNS eine Vielzahl von Hirnarealen aktiviert. Bisher ist nicht klar, ob die VNS vor allem ipsi- oder kontralaterale Aktivierungen bewirkt. Nur Aktivierungen im Thalamus scheinen mit dem Ausmaß der antikonvulsiven Wirkung zu korrelieren. Im Tierexperiment wurde nachgewiesen, dass eine Läsion des Locus coeruleus die antikonvulsiven Effekte der VNS reduziert, sodass diesem vermutlich eine besondere Funktion für die Anfallsreduktion zukommt.
Einfluss auf Neurotransmitter
Es wird angenommen, dass die VNS die Freisetzung von Neurotransmittern im Gehirn beeinflusst, die für die Stimmung und das Wohlbefinden verantwortlich sind.
Vagusnervstimulation im Trend: Was ist dran?
Die Stimulation des Vagusnervs liegt im Trend. Es gibt viele Ratgeber oder Online-Tutorials, die erklären, wie man den Vagusnerv massieren kann. Auch Geräte zur Selbststimulation sind auf dem Markt. Es ist jedoch wichtig, kritisch zu sein und sich nicht von unbewiesenen Heilsversprechen leiten zu lassen.
Selbstmassage und Atemübungen
Nachweislich entspannend wirken zum Beispiel kontrollierte Atemübungen wie tiefes Atmen oder progressive Muskelentspannung. Wenn die Übungen zusätzlich mit einer Vagusnervstimulation gekoppelt werden, ist die Wirkung besonders gut, dazu gibt es erste Hinweise. Auch die Boxatmung, bei der man auf vier Zählzeiten einatmet, vier Zählzeiten die Atmung hält, auf vier ausatmet und wieder vier Zählzeiten hält oder eine verlängerte Ausatmung können die Entspannung fördern.
Freiverkäufliche Systeme zur Stimulation
Im Internet werden freiverkäufliche Systeme mit großen Versprechen beworben, allerdings gibt es keine nennenswerten Studien zur Wirksamkeit vieler Geräte. Viele Firmen haben ein größeres Budget für Marketing, stellen Forschenden kostenlos die Geräte zur Verfügung und schreiben dann, dass das Gerät von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer bestimmten Universität verwendet wird. Das klingt natürlich gut. In die Forschung investieren sie allerdings weniger Geld als ins Marketing. Viele Geräte sind nicht gefährlich, aber auch nicht als Medizinprodukte zur wirksamen Behandlung zertifiziert. Eine Garantie, dass sie den Vagusnerv tatsächlich stimulieren und eine therapeutische Wirkung haben, gibt es somit nicht.
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