Die Vagusnervstimulation (VNS) ist eine etablierte und zunehmend anerkannte Behandlungsmethode für Menschen mit Epilepsie, insbesondere wenn Medikamente und andere Therapien keine ausreichende Anfallskontrolle ermöglichen. Sie stellt zudem eine ergänzende Behandlungsmethode bei therapieresistenten Depressionen dar.
Was ist die Vagusnervstimulation?
Die Vagusnervstimulation ist ein Verfahren, bei dem der Nervus vagus, ein wichtiger Hirnnerv, elektrisch stimuliert wird, um die Anfallshäufigkeit bei Epilepsie zu reduzieren oder depressive Episoden zu vermeiden. Der Nervus vagus, auch bekannt als zehnter Hirnnerv, ist eine Art "Datenautobahn" im Körper. Er verbindet lebenswichtige Organe wie Verdauungstrakt, Lunge und Herz mit dem Gehirn und dem Hirnstamm. Er übermittelt Informationen über den Zustand der Organe an das Gehirn und hilft uns, schnell das passende Verhalten auszuwählen.
Wie funktioniert die Vagusnervstimulation?
Bei der Vagusnervstimulation wird ein kleines Gerät, ähnlich einem Herzschrittmacher, unter die Haut im oberen Brustbereich (meist links unterhalb des Schlüsselbeins) implantiert. Eine Elektrode verbindet dieses Gerät mit dem Vagusnerv im Halsbereich. Das Gerät sendet in regelmäßigen Abständen (z.B. alle fünf Minuten) für eine bestimmte Dauer (z.B. 30 Sekunden) elektrische Impulse an den Vagusnerv. Diese Impulse werden dann an das Gehirn weitergeleitet. Die Stimulation kann individuell angepasst werden, um die bestmögliche Wirkung bei minimalen Nebenwirkungen zu erzielen. Patienten können den Stimulator zudem selbst beeinflussen, indem sie mit einem Magneten eine zusätzliche Stimulation auslösen, wenn sie eine Aura wahrnehmen oder Angehörige frühe Anzeichen eines Anfalls bemerken.
Neurostimulation bei Epilepsie
Bei der Neurostimulation schützen Schrittmacher Gehirnzellen vor Fehlentladungen. Es gibt verschiedene Arten der Neurostimulation:
- Vagusnerv-Stimulation: Hier befindet sich der Schrittmacher auf einem Nerv außerhalb des Gehirns.
- Tiefe-Hirn-Stimulation: Bei dieser Methode wird der Schrittmacher direkt im Gehirn platziert.
Die Neurostimulation allein führt nur sehr selten zur vollständigen Anfallsfreiheit. Sie kann jedoch oft eine medikamentöse Therapie ergänzen, insbesondere wenn die Nebenwirkungen der Medikamente vermindert oder gestoppt werden sollen. Bei Vorliegen von Begleiterkrankungen kann die Neurostimulation diese manchmal ebenfalls bessern.
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Wann kommt eine Vagusnervstimulation in Frage?
Die Vagusnervstimulation ist eine mögliche Behandlungsoption für Patienten,
- deren Epilepsie durch Medikamente nicht ausreichend kontrolliert werden kann.
- bei denen ein epilepsiechirurgischer Eingriff nicht in Frage kommt.
- bei denen Begleiterkrankungen wie Depressionen vorliegen, die ebenfalls von der VNS profitieren könnten.
Ablauf der Implantation
Schrittmacher gegen Epilepsie werden in der Regel von Neurochirurginnen/Neurochirurgen eingesetzt. Schrittmacher, die direkt ins Gehirn eingesetzt werden, werden ausschließlich von ihnen eingesetzt. Die Operation dauert in der Regel bis zu sechs Stunden. Eine Gehirnoperation ist im Allgemeinen aufwendiger als eine Operation am restlichen Körper.
Die Implantation des Vagus-Nerv-Stimulators erfolgt in Vollnarkose und dauert ca. 1 bis 1,5 Stunden. Im Anschluss an die Operation ist ein längerer Krankenhausaufenthalt für gewöhnlich nicht notwendig.
Vorteile der Vagusnervstimulation
- Reduzierung der Anfallshäufigkeit: Die VNS kann bei etwa vier von zehn Patienten die Anfallshäufigkeit senken.
- Verbesserung der Lebensqualität: Viele Patienten berichten von einer verbesserten Wachheit und Stimmungslage. Die VNS wird seit einigen Jahren auch primär zur Behandlung von Depressionen eingesetzt.
- Ergänzung zur medikamentösen Therapie: Die VNS kann die Wirkung von Medikamenten unterstützen und möglicherweise die Dosis der Medikamente reduzieren.
- Gute Verträglichkeit: Die meisten Patienten vertragen die VNS gut und wünschen keine Beendigung der Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen.
Mögliche Nebenwirkungen
Schrittmacher am Vagusnerv können gelegentlich zu Heiserkeit und Kitzeln führen, während Schrittmacher im Gehirn meist kaum bemerkt werden. Wie bei allen operativen Eingriffen kann es auch beim Einsetzen des Schrittmachers zu Blutungen und Infektionen kommen.
Hinsichtlich der Nebenwirkungen berichten über die Hälfte der behandelten Patienten von Heiserkeit während der Stimulation. In der Regel wird diese jedoch nicht als störend empfunden. Sofern erforderlich kann der Stimulator vorübergehend inaktiviert werden. Weitere Nebenwirkungen können Schmerzen im Kehlkopfbereich und Schluckstörungen sein. In Kombination mit Medikamenten kommt es nicht zu einer Zunahme von Nebenwirkungen.
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Batteriewechsel
Schrittmacher benötigen Strom und müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Moderne Schrittmacher müssen etwa alle 5 - 8 Jahre ausgetauscht werden. Einigen Betroffenen bereitet der Gedanke Sorge, alle 5 - 8 Jahre die Schrittmacher warten lassen zu müssen. Beim Batterietausch wird tatsächlich nur der Generatorteil Ihres Schrittmachers bearbeitet.
Responsive Hirnstimulation
Gezielter wirkt die sogenannte Responsive Hirnstimulation, bei der Schrittmacher sich anbahnende Anfälle erkennen und gezielt unterbinden. Bisher ist die Responsive Hirnstimulation in Deutschland und Österreich noch nicht zugelassen.
Forschung und Studienlage
Die Wirksamkeit der Vagus-Nerv-Stimulation ist wissenschaftlich nachgewiesen. Es soll jedoch betont werden, dass in den meisten Fällen keine Anfallsfreiheit erreicht werden kann, sondern stattdessen eine Reduzierung der Häufigkeit bzw. der Schwere von epileptischen Anfällen erzielt wird. Allerdings profitieren nicht alle Patienten von dieser Behandlung. Bei bis zu 50% der Patienten kann durch den VNS ein Erfolg erzielt werden.
Die Forschung weiß aktuell noch zu wenig darüber, wie und wann man die Vagusnervstimulation bei grundsätzlich gesunden Menschen gezielt einsetzen kann, um das Wohlbefinden zu steigern. Den Versprechungen sollte man also nicht ohne weiteres glauben.
Vagusnervstimulation im Trend
Die Stimulation des Vagusnervs liegt im Trend. Der Vagusnerv leitet wichtige Informationen von Organen und Systemen an das Gehirn und den Hirnstamm weiter. Bei bestimmten Symptomen oder Erkrankungen kann es daher sinnvoll sein, diese Verbindung entweder zu verstärken oder zu hemmen.
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Vagusnerv-Stimulation zur verbesserten Erholung nach Anstrengung
Teilnehmen können Personen mit der Diagnose Long/Post COVID. In der Studie wird untersucht, ob sich durch die selbstständige Anwendung der nicht-invasiven Stimulation des Vagusnervs am Ohr die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verbessert. DDie Studie beinhaltet drei Termine im Labor. Zudem wird die Wirkung der Vagusnerv-Stimulation in zwei verschiedenen Intensitäten über jeweils 12 Wochen gemessen.
Vagusnerv-Stimulation zur Behandlung von körperlichen Symptomen bei Depression
Teilnehmen können Personen, die unter Depressionen leiden, sowie gesunde Teilnehmende. Die Studie umfasst sechs Termine im Labor. Gemessen wird die Wirkung der Vagusnerv-Stimulation auf das Gehirn und den Magen.
Stimulation des Vagusnervs kann Epilepsie lindern
Eine Übersichtsstudie kommt zu dem Schluss: Die VNS kann bei Patientinnen und Patienten mit schwer kontrollierbarer Epilepsie die Häufigkeit und Schwere von Anfällen in Kombination mit Medikamenten reduzieren. Bei diesen Anfällen ist das Zusammenspiel der Nervenzellen im Gehirn vorübergehend gestört. Das führt dazu, dass einzelne Hirnbereiche übermäßig aktiv sind und zu viele Signale abgeben.
Es gibt Hinweise darauf, dass die Stimulation des Vagusnervs die Erregbarkeit von Gehirnzellen reduzieren kann. „Die genaue Wirkungsweise der VNS bei Epilepsie ist noch nicht vollständig verstanden“, sagt Professorin Susanne Knake, Fachärztin für Neurologie und Expertin für Epilepsien am Universitätsklinikum Marburg. Auch bei Migräne ist die Stimulation als Therapie zugelassen, ebenso bei Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen, wenn andere Behandlungen nicht erfolgreich waren. Der Vagusnerv ist mit vielen Organen verbunden. Was seine Stimulation genau bewirkt, ist nicht ganz klar. „Auch hier verstehen wir die Wirkweise noch nicht ganz genau“, sagt Knake. „Wir nehmen an, dass die VNS die Freisetzung von Neurotransmittern im Gehirn beeinflusst, die für die Stimmung und das Wohlbefinden verantwortlich sind.“ Allerdings, so gibt die Expertin zu bedenken, könne die Methode keine Heilung bieten, sondern nur dazu beitragen, Symptome zu lindern. Klingt trotzdem vielversprechend.
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