Neue Behandlungsansätze in der Alzheimer-Forschung

Die Alzheimer-Krankheit stellt eine der größten Herausforderungen im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen dar. Weltweit arbeiten Wissenschaftler und Forscher intensiv daran, die Ursachen dieser komplexen Krankheit besser zu verstehen, neue Diagnoseverfahren zu entwickeln und Therapien zu finden, die den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen können. Obwohl es noch keine Heilung gibt, wurden in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt, insbesondere bei der Entwicklung von Medikamenten, die gezielt in die Krankheitsprozesse eingreifen.

Fortschritte in der medikamentösen Therapie: Leqembi (Lecanemab)

Ein vielversprechender neuer Ansatz in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit ist die Entwicklung von Antikörper-Medikamenten, die direkt an den grundlegenden Mechanismen der Erkrankung ansetzen. Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) ist ein solches Medikament, das speziell für die Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit entwickelt wurde. Es richtet sich an Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) aufgrund von Alzheimer oder im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit.

Zulassung und Verfügbarkeit

Leqembi erhielt im April 2025 die Zulassung durch die Europäische Kommission. Seit dem 25. August 2025 ist Leqembi in Österreich erhältlich, und in Deutschland ist es seit dem 1. September 2025 verfügbar. Damit sind Österreich und Deutschland die ersten EU-Länder, in denen dieses neue Alzheimer-Medikament erhältlich ist.

Wirkmechanismus

Der Wirkstoff Lecanemab ist ein Antikörper, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert, um die Plaques abzubauen bzw. die Bildung neuer Plaques zu verhindern. Leqembi reduziert somit schädliche Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn.

Studienergebnisse

Die Wirksamkeit von Leqembi wurde in der großen Phase-3-Studie CLARITY AD untersucht. Diese Studie zeigte, dass die Erkrankung bei den Teilnehmern, die Leqembi erhielten, langsamer fortschritt als in der Placebo-Gruppe. Konkret verlangsamte sich der Krankheitsverlauf um 27 Prozent. Trotz dieser messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Experten eher als moderat eingeschätzt. Es bleibt fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.

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Für wen ist Leqembi geeignet?

Nicht jeder Alzheimer-Patient kann mit Leqembi behandelt werden. Der Wirkstoff kommt nur für Menschen infrage, die sich im frühen Stadium der Erkrankung befinden und bislang nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit haben. Dazu zählen vor allem Personen mit einer Alzheimer-Diagnose im Stadium eines Mild Cognitive Impairment (MCI) oder im frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz.

Zusätzlich müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Nachweis von Amyloid-beta-Ablagerungen: Die krankhaften Amyloid-beta-Ablagerungen müssen im Gehirn nachgewiesen werden - entweder durch eine Lumbalpunktion oder mittels Amyloid-PET.
  • Genetische Voraussetzungen: Erkrankte dürfen höchstens eine Kopie des sogenannten ApoE4-Gens tragen. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen.
  • Keine Gerinnungshemmer: Leqembi eignet sich nicht für Menschen, die Gerinnungshemmer einnehmen, da in Kombination mit dem Medikament das Risiko für eine Hirnblutung deutlich steigt.

Gentest vor Behandlungsbeginn

Vor dem Beginn der Behandlung mit Leqembi wird geprüft, ob die Patientin oder der Patient das so genannte ApoE4-Gen besitzt. Menschen mit einer doppelten Kopie dieses Gens (ApoE4-Homozygote) haben ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen und können deshalb nicht mit Leqembi behandelt werden. Der Gentest macht die Therapie sicherer.

Verabreichung und Kontrolle auf Nebenwirkungen

Leqembi wird als Infusion (Tropf) alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde. Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung beendet werden. Treten Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit auf, entscheiden die behandelnden Ärzte über weitere Untersuchungen.

Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollprogramm

Nur Patientinnen und Patienten, die alle Voraussetzungen erfüllen, dürfen mit Leqembi behandelt werden. Vor Beginn der Therapie erhalten sie ebenso wie ihre behandelnden Ärzte ausführliche Informationen, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und richtig einzuordnen. Zusätzlich ist die Teilnahme an einem EU-weiten Kontrollprogramm verpflichtend (Controlled Access Program, CAP). Patientinnen und Patienten sowie ihre behandelnden Ärzte müssen in ein zentrales Register eingeschrieben werden. Zu Beginn der Therapie erhalten die Erkrankten eine Patientenkarte und ausführliche Aufklärungsunterlagen. Die Behandlung mit Leqembi wird beendet, wenn sich die Alzheimer-Erkrankung deutlich verschlechtert und in ein mittelschweres Stadium übergeht.

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Mögliche Nebenwirkungen

In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Das Risiko für solche Nebenwirkungen hängt stark vom ApoE4-Gen ab: Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind besonders gefährdet und daher von der Behandlung ausgeschlossen. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden.

Auswirkungen auf die ärztliche Versorgung

Die Behandlung mit Leqembi stellt neue Anforderungen an die ärztliche Versorgung. Es braucht eine frühzeitige Diagnose sowie spezialisierte Einrichtungen mit ausreichender personeller und technischer Ausstattung. Um die Behandlung zu ermöglichen, hat die kooperative Gedächtnissprechstunde der Universitätsmedizin Magdeburg gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen Magdeburg (DZNE) eine neue Infusionsstruktur geschaffen: Vier moderne Infusionsplätze stehen dort nun für Patientinnen und Patienten bereit.

Kosten und Nutzen

Die Kosten für die Behandlung mit Leqembi sind beträchtlich. Es ist davon auszugehen, dass jährlich ungefähr 24.000 € Medikamentenkosten entstehen. Hinzu kommen im Vorfeld einmalige Kosten für die Diagnostik in Höhe von geschätzt 1.400 bis 5.000 Euro. Nach den Ergebnissen der Zulassungsstudien verzögert Leqembi den Fortschritt der Demenz nur um wenige Monate. Momentan rechnet man damit, die Uhr um etwa sechs Monate zurückdrehen. Trotz der hohen Kosten und der moderaten Wirksamkeit wird Leqembi von Neurologen wie Thorsten Bartsch als ein "Meilenstein" in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit bezeichnet, da erstmals direkt in den Krankheitsprozess eingegriffen werden kann.

Weitere zugelassene Antikörper-Medikamente: Kisunla (Donanemab)

Seit dem 25. September 2025 ist in der EU ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament zugelassen: Kisunla (Wirkstoff: Donanemab). Auch dieses Medikament kann Studien zufolge bei einer Anwendung im Frühstadium der Erkrankung das Fortschreiten verlangsamen. Donanemab ist ein Antikörper mit hoher Affinität für die modifizierte, N-terminal verkürzte Form des Beta-Amyloids (N3pE-Aβ). N3pE-Aβ ist in geringen Mengen in Amyloid-Plaques im Gehirn vorhanden und wurde im Plasma und im Liquor nicht nachgewiesen.

Unterschiede zu Leqembi

Während Lecanemab alle zwei Wochen infundiert wird, erfolgt die Infusion bei Donanemab nur alle vier Wochen. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Antikörpern ergibt sich beim Thema Therapiedauer. Laut Fachinformation von Kisunla soll die Behandlung nur so lange fortgesetzt werden, bis die Amyloid-Plaques entfernt sind, zum Beispiel bis zu sechs oder zwölf Monate. Die maximale Behandlungsdauer beträgt 18 Monate und sollte nicht überschritten werden, auch wenn die Plaque-Entfernung nicht bestätigt wird. Wie Leqembi darf auch Kisunla nicht bei Personen mit Blutungsstörungen, die nicht angemessen kontrolliert sind, zum Einsatz kommen. Tabu ist auch der Beginn der Behandlung bei Patienten, die eine laufende Therapie mit Antikoagulanzien erhalten.

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EMA-Entscheidung zu Donanemab

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hatte zunächst Bedenken hinsichtlich der Zulassung von Donanemab geäußert, vor allem aufgrund von Nebenwirkungen wie ARIA (Amyloid-Related Imaging Abnormalities), die sich auf MRT-Bildern feststellen lassen und z.B. auf Hirnschwellungen zurückgehen. In 1,6 Prozent der Fälle handelte es sich um schwerwiegende Ereignisse, die in drei Fällen zum Tode führten. Trotz dieser Bedenken wurde Donanemab schließlich zugelassen, allerdings unter strengen Auflagen und für eine eng definierte Patientengruppe.

Andere Therapieansätze und Medikamente

Neben den Antikörper-Medikamenten gibt es auch andere Therapieansätze und Medikamente, die bei der Behandlung der Alzheimer-Krankheit eingesetzt werden können.

Antidementiva

Antidementiva können helfen, den geistigen Abbau zu verlangsamen und die Selbstständigkeit länger zu erhalten. Es gibt zwei Wirkstoffgruppen, die je nach Stadium der Erkrankung zur Anwendung kommen: Acetylcholinesterase-Hemmer und Glutamat-Antagonisten.

  • Acetylcholinesterase-Hemmer: Diese Medikamente verbessern die Signalübertragung im Gehirn, indem sie den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin hemmen. Sie kommen bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz zum Einsatz. Beispiele sind Donepezil, Rivastigmin und Galantamin.
  • Glutamat-Antagonisten: Memantin wird bei mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz verordnet. Es schützt Nervenzellen vor einer Überstimulation durch Glutamat, einen wichtigen Botenstoff im Gehirn.

Ginkgo biloba

Neben Antidementiva kann auch der pflanzliche Wirkstoff Ginkgo biloba zur Unterstützung der kognitiven Funktionen eingesetzt werden. Der Extrakt aus den Blättern des Ginkgo-Baums gilt als gut verträglich, kann aber Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben. Deshalb sollte die Einnahme immer ärztlich abgeklärt werden. Laut der aktuellen S3-Leitlinie Demenzen gibt es Hinweise auf eine Wirksamkeit bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz.

Neuroleptika und Antidepressiva

Neuroleptika werden bei bestimmten Begleiterscheinungen der Alzheimer-Krankheit eingesetzt, wie z.B. herausfordernden Verhaltensweisen, Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Wegen möglicher Nebenwirkungen ist der Einsatz von Neuroleptika mit Vorsicht zu bewerten. Depressionen treten bei Menschen mit Demenz häufig auf und sollten behandelt werden, da sie sich negativ auf die Lebensqualität und die geistige Leistungsfähigkeit auswirken können. Die S3-Leitlinie Demenzen empfiehlt zur Behandlung von Depressionen bei Alzheimer-Demenz den Einsatz von Mirtazapin oder Sertralin.

Prävention und Lebensstilfaktoren

Unabhängig von neuen Antikörper-Medikamenten ist die Prävention durch eine Veränderung des Lebensstils ein wichtiger Faktor, um das Risiko für eine Demenz zu reduzieren. Auch andere Risikofaktoren für eine Demenz sind beeinflussbar: Diabetes und Übergewicht lassen sich ebenso behandeln wie Bluthochdruck und ein erhöhter Cholesterinspiegel. Hörgeräte sorgen für soziale Teilhabe - auch das ein wichtiger Faktor, um die grauen Zellen fit zu halten. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass die Impfung gegen Gürtelrose-Viren das Risiko für eine Demenz reduzieren kann.

Forschungsschwerpunkte in der Demenzforschung

Die Demenzforschung betrachtet heute viele verschiedene Mechanismen und verfolgt unterschiedliche Ansätze - von der Diagnostik bis zur Therapie. Zu den wichtigsten Schwerpunkten gehören:

  1. Früherkennung: Neue Bluttests, bildgebende Verfahren und digitale Methoden sollen es ermöglichen, die Krankheiten deutlich früher und zuverlässiger zu erkennen.
  2. Antikörper-Medikamente: Forschungsteams arbeiten daran, ob sich die Antikörper künftig mit anderen Wirkstoffen kombinieren lassen und wie Nebenwirkungen am besten kontrolliert werden können.
  3. Krankheitsmechanismen verstehen: Forschende untersuchen zentrale Prozesse wie die Ablagerung der Proteine Amyloid-beta und Tau, entzündliche Vorgänge, die Bedeutung von Umwelteinflüssen und genetische Aspekte.
  4. Vorbeugung: Die Forschung versucht, Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Hörverlust, Depressionen oder soziale Isolation und Demenzerkrankungen besser zu verstehen und Menschen dabei zu unterstützen, ihr persönliches Risiko zu senken.
  5. Pflege und Lebensqualität: Studien befassen sich damit, wie die Versorgung individueller, die Belastung für Angehörige geringer und die Selbstständigkeit der Erkrankten länger erhalten werden kann.

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