Neuritis nervi optici Leitlinie

Definition

Die Neuritis nervi optici ist eine Entzündung des Sehnervs, die meist mit Demyelinisierung und axonaler Beteiligung einhergeht. In etwa der Hälfte der Fälle entwickelt sich daraus eine Multiple Sklerose. Aber auch andere Systemerkrankungen sowie toxische und genetische Ursachen können eine Optikusneuritis verursachen.

Häufigkeit

Die Inzidenz beträgt 5 Fälle pro 100.000 pro Jahr. Die Optikusneuritis ist die häufigste Sehnervenerkrankung im jungen Erwachsenenalter. Das Durchschnittsalter liegt bei 36 Jahren, wobei die Erkrankung unter 18 und über 50 Jahren selten auftritt. Mehr als 70% der Betroffenen sind Frauen. In der nördlichen Hemisphäre ist die Inzidenz im Frühjahr am höchsten und im frühen Winter am niedrigsten.

Ursachen

Die Ursachen einer Optikusneuritis sind vielfältig und unterscheiden sich nach der Form der Sehnervenentzündung.

Typische Optikusneuritis - MS-assoziiert oder idiopathisch

In den westlichen Ländern ist Multiple Sklerose die häufigste Ursache für eine Optikusneuritis (typische Form). Bis zu 70% der MS-PatientInnen erleiden im Krankheitsverlauf mindestens eine Sehnervenentzündung; in etwa einem Drittel der Fälle tritt diese als Erstmanifestation auf. In Regionen mit hoher MS-Prävalenz wird selbst bei einem normalen Ausgangs-Magnetresonanztomogramm (MRT) des Gehirns bei 25% der PatientInnen mit Optikusneuritis nach einer Nachbeobachtungszeit von 15 Jahren eine MS diagnostiziert. Wenn die MRT-Basisuntersuchung eine oder mehrere MS-typische enzephalische Läsionen zeigt, erhöht sich die kumulative Wahrscheinlichkeit auf 72%, selbst bei Verwendung unempfindlicher Diagnosekriterien. Die zweite typische Sehnervenentzündung ist die idiopathische Optikusneuritis, bei der trotz gründlicher Evaluation keine Ursache gefunden werden kann. Dies sollte allerdings nur eine vorläufige Diagnose sein.

Atypische Optikusneuritis - autoimmunbedingt und infektionsassoziiert

Atypische Optikusneuritiden treten auf als Manifestation einer Autoimmunerkrankung, zum Beispiel bei:

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  • Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen (NMOSD)
  • Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierter Erkrankung (MOGAD)
  • Chronisch rezidivierender Immunoptikusneuropathie (CRION)
  • Sarkoidose
  • Systemischem Lupus erythematodes (SLE)

infektiös/parainfektiös, unter anderem bei:

  • Lyme-Borreliose
  • Syphilis
  • Neuroretinitis
  • Akuter disseminierter Enzephalomyelitis (ADEM)
  • Meningitis
  • Tuberkulose
  • Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV)
  • lokaler Ausbreitung einer Sinusitis, Retinitis und Uveitis

postinfektiös bzw. postvakzinal.

Daneben gibt es noch seltene Ursachen, dazu gehören:

  • Diabetes
  • Perniziöse Anämie
  • Arteriitis temporalis
  • Insektenstiche
  • Traumata
  • Tumormetastasen im Sehnerv
  • Strahlentherapie im Schädelbasisbereich
  • Noxen wie Blei, Thallium, Methanol, Nikotin und Arsen
  • Arzneimittel, insbesondere Ethambutol und Tamoxifen

Risikofaktoren

Risikofaktoren, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Optikusneuritis in Verbindung gebracht werden, sind:

  • Geschlecht: Optikusneuritis tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf.
  • Alter: Junge Erwachsene sind häufiger von einer Optikusneuritis betroffen.
  • Rauchen
  • Bestimmte Infektionen: Eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus oder Mycoplasma pneumoniae wurden mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Optikusneuritis in Verbindung gebracht.
  • Autoimmunerkrankungen: Optikusneuritis ist oft mit Autoimmunerkrankungen assoziiert.
  • Familienanamnese: Eine positive Familienanamnese von Optikusneuritis oder Multipler Sklerose kann das Risiko für das Auftreten von Optikusneuritis erhöhen.
  • bestimmte HLA-Polymorphismen

Insgesamt hängt die Pathogenese davon ab, ob es sich um eine typische oder atypische Optikusneuritis handelt.

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Typische Optikusneuritis - T- und B-Zell-vermittelte Immunreaktionen

Bei der typischen Optikusneuritis (idiopathisch oder im Rahmen einer MS) kommt es zu einer T-Zell-vermittelten Immunreaktion gegen Myelinproteine, die den Sehnerv umgeben (speziell das Myelin-Grundprotein [MBP]) und das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein [MOG]). Die aktivierten T-Zellen produzieren proinflammatorische Zytokine (zum Beispiel Interferon-gamma, TNF-alpha), die eine lokale Entzündungsreaktion verursachen und die Myelinscheide und Axone des Sehnervs schädigen. Aktivierte Mikrogliazellen unterhalten das Entzündungsgeschehen weiter. Zusätzlich werden B-Zell-vermittelte Autoantikörper gegen Myelinproteine produziert, die ihrerseits die Myelinscheide und Axone zerstören. Das Zusammenspiel dieser Faktoren resultiert in einer Sehstörung. Nach wenigen Wochen lässt die Entzündungsaktivität spontan nach und die Sehfunktion bessert sich. Oft ist der pathologische Prozess aber nicht vollständig reversibel, sodass trotz weitgehend wiederhergestellter Tagessehschärfe eine verzögerte Leitgeschwindigkeit und partielle Optikusatrophie persistieren. Die mit der optischen Kohärenztomografie (OCT) messbare Verdünnung der retinalen Nervenfaserschicht (retinal nerve fiber layer [RNFL]) beträgt im Durchschnitt 20%.

Atypische Optikusneuritis

Bei einer atypischen Optikusneuritis hängen die pathogenetischen Mechanismen von der Art der zugrunde liegenden Erkrankung bzw. Ursache ab.

Pathogenese bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen und Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierte Erkrankung

Bei MOGAD und insbesondere bei der NMOSD spielen AQP4-Antikörper eine wichtige Rolle bei der Pathogenese der Optikusneuritis. Diese Antikörper sind gegen das Aquaporin-4-Protein gerichtet, das in hoher Konzentration in den Astrozyten des zentralen Nervensystems (ZNS), einschließlich des Sehnervs, exprimiert wird. Dies führt zu einer Entzündungsreaktion. Durch die Aktivierung von Immunzellen und proinflammatorischen Zytokinen werden die Myelinscheide und Axone des Sehnervs geschädigt, was Sehstörungen verursacht. Bei der Optikusneuritis im Rahmen der MOGAD sind neben AQP4-Antikörper T-Zell-vermittelte Mechanismen, die sich gegen das Myelin oder die Axone des Sehnervs richten, entscheidend.

Optikusneuritis in Zusammenhang mit Infektionen

Bei Infektionen wird die Optikusneuritis vor allem durch eine T-Zell-vermittelte Immunreaktion gegen den Erreger ausgelöst, was wiederum zu einer Schädigung der Myelinscheide und Axone des Sehnervs führt.

Optikusneuritis in Zusammenhang mit Toxinen

Toxine können auf verschiedene Arten eine atypische Optikusneuritis verursachen. Ein Beispiel ist Methanol. Methanol wird in der Leber zu Formaldehyd und Ameisensäure abgebaut, die toxische Wirkungen auf den Sehnerv haben können. Formaldehyd kann direkt die Nervenfasern schädigen, während Ameisensäure eine Entzündungsreaktion auslösen kann.

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Optikusneuritis in Zusammenhang mit vaskulären Störungen

Am Beispiel der Arteriitis temporalis können die den Sehnerv versorgenden Arterien entzündungsbedingt verengt sein, was eine Ischämie des Sehnervs und eine Schädigung der Nervenfasern zur Folge hat.

Optikusneuritis in Zusammenhang mit perniziöser Anämie

Perniziöse Anämie ist eine Autoimmunerkrankung, die durch einen Mangel an Vitamin B12 verursacht wird. Vitamin B12 ist für die Bildung und Aufrechterhaltung der Myelinscheide des Sehnervs essenziell. Ein Mangel an Vitamin B12 kann das Wachstum und die Differenzierung von Oligodendrozyten beeinträchtigen, wodurch sich die Myelinisierung des Sehnervs verzögert oder unvollständig bleibt.

Symptome

Häufig subakute einseitige Verschlechterung des Sehvermögens; es kann aber auch zum Verlust der Sehstärke auf beiden Augen kommen, gleichzeitig oder sequenziell. Klinische Befunde sind gering. Meist reduzierter Visus und Gesichtsfeldausfälle sowie gestörtes Farbensehen. Bei etwa 1/3 der Patient*innen Papillenveränderungen wie Ödem oder temporale Blässe.

Eine typische Optikusneuritis ist mit einer subakuten unilateralen Sehstörung und schmerzenden Augenbewegungen assoziiert. Der Patient sieht die Umgebung dunkler, unscharf und kontrastarm. Die Sicht wird oft als verschwommen oder „Sehen wie durch einen Schleier“ beschrieben. Das Gesichtsfeld ist in der Hälfte der Fälle diffus beeinträchtigt, charakteristisch sind zentrale oder parazentrale Schatten. Selten berichten die Betroffenen auch über:

  • das Fehlen von bestimmten Bereichen des Sichtfelds (Hemianopsie)
  • die Unfähigkeit, vertikale Linien zu sehen (Höhenagnosie)
  • das Unvermögen, visuelle Muster in bestimmten Formen wahrzunehmen (Bogen-, Nasen-, Quanten- und Quantanopsie)
  • einen vollständigen Sehverlust (Amaurose)

Darüber hinaus werden Farben weniger intensiv wahrgenommen, wirken schmutzig und blass. Mehrere Arten von Dyschromatopsien wurden beschrieben, zum Beispiel Rot-Grün- und Blau-Gelb-Defizite. Blau-gelbe Defizite sind in der akuten Phase häufiger und rot-grüne Defizite nach sechs Monaten. Die Sehverschlechterung entwickelt sich innerhalb von Stunden bis Tagen. Sie erreicht innerhalb von ein bis zwei Wochen einen Tiefpunkt und bessert sich danach wieder. Die Genesung setzt nach einigen Wochen ein und kann sich langsam über ein Jahr hinziehen. Die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen gibt Schmerzen bei der Augenbewegung an. Mitunter werden auch nur Missempfindungen wahrgenommen. Die Beschwerden können der Sehminderung vorausgehen und verschwinden meist innerhalb einer Woche. Der Augenbewegungsschmerz ist nicht vorhanden, wenn der Entzündungsherd außerhalb des beweglichen Anteils des Sehnervs (also überwiegend intrakraniell) liegt. Etwa 30% der Menschen mit einer Optikusneuritis nehmen positive visuelle Phänomene (sogenannte Phosphene) wahr. Diese treten besonders bei Augenbewegungen auf - werden jedoch oft nur bei gezieltem Nachfragen oder bei einer Nachuntersuchung vom Patienten angegeben. Eine Optikusneuritis ist mit zwei Phänomen assoziiert: dem Pulfrich-Phänomen und dem Uhthoff-Phänomen. Beim Pulfrich-Phänomen wird das Hin- und Herpendeln eines Gegenstands parallel zur Gesichtsebene als elliptische oder schraubenförmige Bewegung erlebt. Das Auge mit der verzögerten Reaktion nimmt das Objekt anders wahr als das gesunde Auge, was zu einer falschen räumlichen Wahrnehmung führt. Da diese Illusion auch beim Gesunden auftritt, wenn man ein Auge mit einem Graufilter (beispielsweise eine getönte Brille) bedeckt, wird es als unspezifisches Diagnose-Zeichen gewertet. Beim Uhthoff-Phänomen verschlechtert sich das Sehvermögen am betroffenen Auge, wenn sich die Körpertemperatur erhöht, etwa durch sportliche Aktivitäten oder Saunagänge. Es kommt vornehmlich in der Abklingphase der Optikusneuritis oder bei chronischem Verlauf vor. Hierbei handelt es sich um ein spezifisches Diagnose-Zeichen, das bei der Hälfte der Betroffenen auftritt. Abweichende Beschwerden der beschriebenen Klinik können auf eine atypische Form hinweisen.

Besonderheiten bei der atypischen Optikusneuritis

Postinfektiöse oder postvakzinale Sehnervenentzündungen treten vor allem bei Kindern auf. Das gilt auch für eine Optikusneuritis im Rahmen einer akuten disseminierten Enzephalomyelitis (ADEM). Im Gegensatz zur typischen Form sind häufiger beide Augen betroffen. Gleiches gilt für die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen (NMOSD). Im Gegensatz zur typischen Form verschwinden atypische Optikusneuritiden oft nicht spontan und können nach Absetzen von Glukokortikoiden erneut auftreten, insbesondere bei der NMOSD und der chronisch rezidivierenden Immunoptikusneuropathie (CRION). Auch andere, nicht entzündliche Optikusneuropathien zeigen meist eine von der typischen Optikusneuritis abweichende Klinik. Die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON) beispielsweise bessert sich nicht im Verlauf und nicht nach einer Glukokortikoid-Therapie.

Diagnostik

Bei Verdacht auf eine Optikusneuritis folgen eine klinische Anamnese und die neuro-ophthalmologische Untersuchung. Diese geben erste Anhaltspunkte. Zur Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ursachen der Optikusneuritis sind vielschichtigere Untersuchungen nötig. Dazu gehören eine Gesichtsfeldperimetrie sowie die multimodale Bildgebung des Sehnervs, einschließlich Fundusfotografie, optischer Kohärenztomographie (OCT) und Magnetresonanztomografie (MRT). Im Zusammenschluss der Methoden hat sich die Diagnose und Nachsorge von PatientInnen mit Optikusneuropathien erheblich verbessert. Weitere paraklinische Tests, die Bildgebung des Gehirns, der Augenhöhle und der Netzhaut, Liquoranalysen sowie Antikörper- und andere Protein-Biomarkerdaten können die Diagnosefindung und Abgrenzung zu Differenzialdiagnosen ergänzen. Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) haben in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) eine Leitlinie zur Optikusneuritis erarbeitet. Daran sind die folgenden Diagnoseempfehlungen angelehnt.

Anamnese

Bei Verdacht auf Optikusneuritis sind folgende Punkte zu erfragen bzw. zu verifizieren:

  • Kardinalsymptome (subakute unilaterale Sehstörung und Augenbewegungsschmerz)

  • mögliche Assoziation mit Multipler Sklerose

    • Erstauftreten oder Wiederholungsbeschwerden
    • neurologische Erkrankungen/Symptome (aktuell/früher), zum Beispiel Dys- und Parästhesien, Paresen
  • Hinweise auf andere Optikusneuropathien/Ursachen, unter anderem:

    • schwere Augenerkrankungen in der Familie
    • Tumorerkrankungen
    • rheumatologische Beschwerden (Fieber? Exanthem? Arthralgien?)
    • sonstige internistische Erkrankungen/Symptome

Fallbeispiel

Eine 65-jährige Frau wurde von ihrem niedergelassenen Augenarzt wegen einer bilateralen Papillenschwellung und plötzlicher beidseitiger Sehminderung innerhalb von wenigen Stunden überwiesen. Zusätzlich klagte die Patientin über Übelkeit und Erbrechen. Kopfschmerzen wurden von der Patientin verneint. Die Anamnese ergab außer einem moderaten Nikotinabusus keine Auffälligkeiten. Der Visus war am rechten Auge auf 0,1, am linken auf Fingerzählen reduziert. Der Ishihara-Test zeigte eine bilaterale Rot-Grün-Schwäche und einen relativen afferenten Pupillendefekt links. Am Fundus zeigte sich beidseits eine ausgeprägte Papillenschwellung mit peripapillären flammenförmigen Hämorrhagien ohne Zeichen einer Vaskulitis, Vitritis oder Netzhaut‑/Aderhautbeteiligung. In der Fluoreszeinangiographie (FAG) stellten sich Papillenleckagen dar. Eine kranielle und spinale MRT ergab den Verdacht auf eine bilaterale Sehnervenentzündung ohne Hinweis auf eine transverse Myelitis, zerebrale Beteiligung oder Raumforderung. Eine Biopsie der A. temporalis superficialis, eine Lumbalpunktion mit Liquordruckmessung und eine kardiovaskuläre Abklärung waren unauffällig. Labordiagnostisch zeigten sich keine erhöhten Entzündungs- oder Infektionsparameter (Borrelien, Lues, Bartonellen, Toxoplasmose) Auch Anti-Neutrophile cytoplasmatische Antikörper (ANCA), antinukleärer Antikörper (ANA), nativer Anti-DNA-Ab und extrahierbare nukleäre Antigene(ENA) waren negativ. Die Bestimmung von Aquaporin 4(AQP4)- und Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein(MOG)-Antikörpern ergab schließlich den Nachweis von MOG-IgG. Eine hoch dosierte intravenöse Methylprednisolon-Therapie 1 g/Tag für 5 Tage und anschließend 1 mg/kgKG über 4 Wochen ausschleichend reduziert, führte zu einer Visuserholung auf rechts 0,8 und links 1,0 und einem Rückgang der Papillenschwellung innerhalb von 4 Wochen. Die 30°-Perimetrie war 4 Wochen nach Therapie rechts nahezu regelrecht, links bestand noch ein bogenförmiges Skotom unten mit einem vergrößerten blinden Fleck. In diesem Fall handelte es sich nach den durch das International Panel for NMO Diagnosis (IPND) neu definierten Kriterien von 2015 um eine Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (engl. „neuromyelitis optica spectrum disorders“ [NMOSD]). Die typische Neuritis nervi optici, wie sie bei der multiplen Sklerose (MS) vorkommt, zeigt eine einseitige Visusminderung mit Bulbusbewegungsschmerz, relativem afferentem pupillärem Defizit, Farbentsättigung und Zentralskotom bei Frauen in jungem Alter. Erkrankungsmechanismen, die zu einer atypischen Sehnerventzündung führen können und die mittels MRT und Serologie differenziert werden müssen, sind neben der NMOSD Autoimmunerkrankungen (z. B. Sarkoidose, Lupus erythematodes oder „chronic relapsing inflammatory optic neuropathy“ [CRION]) sowie ein infektiöses (z. B. Der atypischen NNO im Rahmen von NMOSD gehen häufig grippeähnliche Prodromi voraus. Typischerweise kommt es dann zu einem schnellen beidseitigen Visusverlust, wobei das zweite Auge meist wenige Stunden oder Tage nach dem ersten betroffen ist, was bis zur Erblindung führen kann. Die Papillenschwellung kann mild oder stark ausgeprägt sein. Typisch ist ein schubförmiger Verlauf (90 %), selten verläuft die Erkrankung monophasisch. Bei der NMOSD handelt es sich um eine Gruppe seltener chronisch entzündlicher Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS). Sie betrifft bevorzugt Frauen (9:1) im mittleren Alter (Altersgipfel 4. Dekade), wobei Erstmanifestationen vom Kindes- bis ins hohe Erwachsenenalter beschrieben sind. Neben der NNO können eine Myelitis, ein Area-postrema-Syndrom und die klinische Beteiligung von Hirnstamm, Dienzephalon oder Großhirn einzeln oder in Kombination auftreten. Ein wesentliches Diagnosekriterium der NMOSD ist der Serumantikörpernachweis von AQP4-IgG oder MOG-IgG, deren Vorhandensein die Erkrankung klar von der MS abgrenzt. AQP4 ist ein Wasserkanalprotein, das beim Menschen in Astrozyten vorkommt, es kommt also primär zu einem Astrozytenschaden. AQP4-IgG sind bei NNO als Erstmanifestation einer NMOSD in 70 % nachweisbar. MOG ist ein Bestandteil der Myelinscheiden des ZNS. Es spielt wahrscheinlich eine Rolle bei der Adhäsion der Myelinfasern, der Modulation der Interaktion zwischen Myelin und dem Immunsystem und der Stabilität der Oligodendrozyten. Das Vorhandensein der unterschiedlichen Antikörper ist klinisch und prognostisch relevant. Es wird kontrovers diskutiert, ob es sich möglicherweise sogar um unterschiedliche Krankheitsentitäten handelt. Die Patienten mit MOG-IgG vermittelter Erkrankung sind meist etwas jünger (Erkrankungsgipfel 3. Dekade), das Geschlechtsverhältnis ist 1:1. Bei ca. 50 % der Patienten ist eine Neuritis nervi optici erstes Symptom der Erkrankung und tritt auch im weiteren Verlauf häufig auf.

Therapie

In der Akutphase evtl. hochdosierte Kortikosteroide intravenös. Die Therapie der Optikusneuritis zielt darauf ab, die Entzündung zu reduzieren und die Sehfunktion zu erhalten. Die Akuttherapie der NMOSD besteht in Methylprednisolon i.v. 1 g/Tag für 3 bis 5 Tage mit mindestens 4‑wöchiger Ausschleichphase, sofern keine absoluten Kontraindikationen vorliegen. Bei AQP4-IgG-positiver NMOSD ist die unvollständige Remission der Schübe oft Ursache dauerhafter Behinderung, daher ist eine langfristige Immuntherapie zur Schubprävention in den meisten Fällen indiziert. Analog dazu wird auch bei MOG-IgG-positiver NNO mit Azathioprin, Rituximab oder Mycophenolat-Mofetil behandelt, wenn auch eine Langzeittherapie wahrscheinlich nicht bei allen Patienten erforderlich ist und individuell entschieden werden muss.

Die Optikusneuritis als Modell für Multiple Sklerose

Die typische Optikusneuritis ist eine akute, schwere Sehstörung ohne wegweisenden Augenbefund. Sie betrifft in der Regel junge, bis dahin gesunde Menschen. Es handelt sich um eine gegen den Sehnerv gerichtete Autoimmunreaktion. Sie kann erster Schub einer Multiplen Sklerose sein. In klinischen Studien gewinnt die Optikusneuritis zunehmendes Interesse als Schub-Modell der Multiplen Sklerose, weil sich visuelle Funktionen gut messen lassen und es speziell die optische Kohärenztomographie ermöglicht, Veränderungen der retinalen Nervenfaserschicht genau darzustellen. Der Sehnerv dient in dieser Situation als Fenster zum Gehirn.

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