Neuritis Vestibularis: Diagnostik, Therapie und aktuelle Leitlinien

Die Neuritis vestibularis, auch bekannt als vestibuläre Neuronitis oder akute unilaterale Vestibulopathie (AUVP), ist eine Entzündung des Nervus vestibularis, des Gleichgewichtsnervs. Diese Erkrankung führt zu plötzlichem, heftigem Schwindel und Gangunsicherheit. Die korrekte Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um die Symptome zu lindern und die langfristige Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Diagnostik, Therapie und aktuellen Leitlinien zur Behandlung der Neuritis vestibularis.

Einführung

Schwindel ist ein subjektives Symptom mit vielfältigen Ursachen. Er kann auf periphere oder zentrale Funktionsstörungen zurückgehen, aber auch in Zusammenhang mit emotionalen Konflikten, internistischen oder psychischen Erkrankungen sowie unerwünschten Arzneimittelwirkungen stehen. Die Behandlung von Schwindelsyndromen erfordert heute einen multidisziplinären Ansatz. Die interdisziplinäre S2k-Leitlinie „Vestibuläre Funktionsstörungen“ empfiehlt ein interdisziplinäres Management und den rationellen Einsatz von Diagnostik und Therapie.

Diagnostik der Neuritis Vestibularis

Die Diagnose der Neuritis vestibularis basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, einer gründlichen körperlichen Untersuchung und gegebenenfalls apparativen Tests.

Anamnese

Die Anamnese ist der Schlüssel zur Diagnose. Es sollte erfasst werden:

  • Zeitliches Auftreten: Akuter oder subakuter Beginn eines Dauerdrehschwindels, der mindestens 24 Stunden bis mehrere Tage anhält. Kurze Schwindelattacken können dem akuten Beginn vorausgehen.
  • Charakter: Spontane Scheinbewegungen der Umgebung, Stand- und Gangunsicherheit, die sich bei Augenschluss verstärkt.
  • Begleitsymptome: Übelkeit bis hin zum Erbrechen, die sich bei Bewegung verstärkt. Wichtig ist, dass keine akuten Hörstörungen, Tinnitus oder zentrale neurologische Symptome vorliegen.

Die Anamnese sollte auch Aspekte der verbalen und nonverbalen Kommunikation berücksichtigen. Standardisierte Fragebögen wie der Dizziness Handicap Inventory (DHI) können zur Analyse und Graduierung der Beschwerden eingesetzt werden.

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Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung umfasst typischerweise folgende Befunde:

  • Spontannystagmus: Horizontal-torsioneller peripherer vestibulärer Spontannystagmus, dessen schnelle Phase zur mutmaßlich nicht-betroffenen Seite schlägt. Der Nystagmus wird durch visuelle Fixation partiell oder vollständig unterdrückt.
  • Kopfimpulstest (KIT): Pathologischer „Bedside-KIT“ bei Kopfdrehung zur mutmaßlich betroffenen Seite, der eine Refixationssakkade zeigt, die ein VOR-Defizit anzeigt.
  • Subjektive Visuelle Vertikale (SVV): Pathologische mono- und binokuläre Auslenkung der SVV zur Seite des mutmaßlich betroffenen Labyrinths.
  • Romberg-Test: Vermehrtes Schwanken, typischerweise zur Seite der Läsion, mit Zunahme nach Augenschluss.

Es ist wichtig zu beachten, dass bei zentralen Ursachen ein Befundmuster vorliegen kann, das die Differenzierung zwischen peripheren und zentralen Ursachen erschwert.

Apparative Diagnostik

  • Vestibuläre Testung: Der Nachweis einer einseitig deutlich reduzierten Funktion des VOR ist für die Diagnosesicherung erforderlich. Dies kann quantifiziert werden mit dem Video-Kopfimpulstest (vHIT) oder der kalorischen Testung.
  • Audiologische Testung: Bei Hinweisen auf eine akut aufgetretene Hörstörung ist ein Reintonaudiogramm indiziert, um einen Morbus Menière oder einen AICA-Infarkt auszuschließen.
  • Bildgebung: Bei Hinweisen auf eine zentrale Ursache der Symptome ist eine notfallmäßige Bildgebung indiziert, idealerweise mittels MRT inklusive diffusionsgewichteter Sequenzen.

Differentialdiagnosen

Wichtige Differentialdiagnosen der Neuritis vestibularis sind:

  • Cogan Syndrom
  • Herpes zoster oticus (Ramsay-Hunt Syndrom)
  • Ischämie/Blutung/Entzündung im Bereich des Hirnstamms oder Kleinhirns
  • Cupulolithiasis des horizontalen Bogengangs
  • Labyrinthitis
  • Morbus Menière
  • Vestibularisparoxysmie
  • Vestibuläre Migräne
  • Vestibularisschwannom

Therapie der Neuritis Vestibularis

Die Therapie der akuten unilateralen Vestibulopathie beruht auf drei Prinzipien: symptomatische, kausale und physiotherapeutische Behandlung.

Symptomatische Therapie

In der akuten Phase können Antivertiginosa gegeben werden, die mit verschiedenen Rezeptoren interagieren. Sedierende Antivertiginosa sollten nur maximal ein bis drei Tage und nur bei schwerer Übelkeit und Erbrechen gegeben werden, um die zentrale Kompensation nicht zu verzögern.

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Kausale Therapie

Die kausale Therapie der Neuritis vestibularis erfolgt meist mit Corticosteroiden. Studien haben gezeigt, dass eine frühzeitige Behandlung mit Methylprednisolon die Erholung der peripheren vestibulären Funktion verbessern kann. Die Effektivität von Steroiden scheint von der Latenz zwischen Symptombeginn und Therapiebeginn abzuhängen. Die aktuellen Leitlinien der „American Society for Academic Emergency Medicine” empfehlen den Einsatz von Steroiden in der Akutphase der AUVP.

Gleichgewichtstraining

Physikalische Therapie mit aktivem Gleichgewichtstraining ist ein wichtiges Behandlungsprinzip zur Förderung der zentralen Kompensation. Das Training sollte so früh wie möglich nach Einsetzen der Symptomatik begonnen werden. Besonders wichtig sind horizontale Drehungen des Kopfes, um die vestibuläre Tonusimbalance zu erhöhen.

Aktuelle Leitlinien

Die S2k-Leitlinie „Vestibuläre Funktionsstörungen“ (AWMF-Register-Nr.) bietet eine umfassende Grundlage für die Diagnostik und Therapie der Neuritis vestibularis. Die Leitlinie betont die Bedeutung einer interdisziplinären Zusammenarbeit und den rationellen Einsatz von Diagnostik und Therapie.

Verlauf und Komplikationen

Die Beschwerden klingen nach 2-4 Wochen langsam ab, wobei die Patienten oft 1-2 Monate Zeit benötigen, bis sie wieder voll arbeitsfähig sind. In 40-50% der Fälle tritt eine vollständige Restitution der Gleichgewichtsfunktion ein, während 20-30% der Betroffenen nur eine partielle Restitution erreichen.

Komplikationen können sein:

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  • Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)
  • Phobischer Schwankschwindel
  • Rezidive (selten)

Schlussfolgerung

Die Neuritis vestibularis ist eine häufige Ursache für akuten Schwindel. Eine frühzeitige und korrekte Diagnose sowie eine gezielte Therapie sind entscheidend, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Therapie umfasst in der Regel symptomatische Maßnahmen, Corticosteroide und Gleichgewichtstraining. Die S2k-Leitlinie „Vestibuläre Funktionsstörungen“ bietet eine wertvolle Orientierung für die Diagnostik und Therapie der Neuritis vestibularis.

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