Neuritis Vestibularis: Verlauf, Diagnose und Therapie

Die Neuritis vestibularis, auch bekannt als Entzündung des Gleichgewichtsnervs, ist eine der häufigsten Ursachen für akute periphere Schwindelsyndrome. Sie manifestiert sich typischerweise durch plötzlichen Drehschwindel, der oft von Übelkeit, Erbrechen und Gleichgewichtsstörungen begleitet wird. Die Erkrankung betrifft hauptsächlich Erwachsene im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.

Definition und Häufigkeit

Die Neuritis vestibularis ist eine Entzündung des Nervus vestibularis (VIII. Hirnnerv), der für die Übertragung von Gleichgewichtsinformationen vom Innenohr zum Gehirn verantwortlich ist. Durch die Entzündung werden die Nervensignale gestört, was zu einem Ungleichgewicht zwischen den Informationen der beiden Gleichgewichtsorgane führt. Dies resultiert in einem intensiven Drehschwindel.

International treten etwa 13,6 Fälle pro 100.000 Einwohner auf. In Spezialambulanzen für Schwindel macht die Neuritis vestibularis etwa 7 % der Diagnosen aus. Sie ist die dritthäufigste Ursache für Drehschwindel nach dem gutartigen Lagerungsschwindel und dem Morbus Menière.

Ursachen und Pathogenese

Die genaue Ursache der Neuritis vestibularis ist bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch vermutet, dass eine Reaktivierung von Herpes-Viren (insbesondere Herpes-simplex-Virus Typ 1) eine entscheidende Rolle spielt. Diese Viren können eine Entzündung des Nervus vestibularis auslösen, was zu einer vorübergehenden Störung der Nervensignale führt.

Es wird angenommen, dass die Entzündung zu einerBlockade der Nervenleitung führt, was den Ausfall der Gleichgewichtsfunktion zur Folge hat. Nach dem initialen Ausfall setzt eine zentrale Kompensation ein, bei der das zentrale Nervensystem versucht, die Funktionsstörung durch Anpassung der vestibulären Bahnen zu kompensieren.

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Symptome

Die Symptome einer Neuritis vestibularis treten plötzlich und heftig auf. Typischerweise berichten Betroffene von:

  • Plötzlichem Drehschwindel: Die Umgebung scheint sich unaufhörlich zu drehen.
  • Übelkeit und Erbrechen: Begleiten den Schwindel oft.
  • Gleichgewichtsstörungen: Unsicherheit beim Gehen und Stehen, Fallneigung zur betroffenen Seite.
  • Nystagmus: Unwillkürliche, rhythmische Augenbewegungen, bei denen die Augen zur gesunden Seite gleiten und dann ruckartig zurückspringen.
  • Oszillopsien: Scheinbewegungen der Umgebung.

Es ist wichtig zu betonen, dass das Gehör bei einer Neuritis vestibularis in der Regel nicht beeinträchtigt ist. Das Fehlen von Hörproblemen hilft bei der Unterscheidung von anderen Innenohrerkrankungen wie dem Morbus Menière.

Diagnose

Die Diagnose der Neuritis vestibularis basiert auf der Anamnese, der klinischen Untersuchung und gegebenenfalls apparativen Tests.

Anamnese

Eine ausführliche Anamnese ist entscheidend, um die Art, Dauer, modulierenden und zusätzlichen Faktoren des Schwindels zu erfassen. Typische Fragen umfassen:

  • Wie würden Sie den Schwindel beschreiben (drehend, schwankend, Benommenheit)?
  • Wie lange dauert der Schwindel an (Sekunden, Minuten, Stunden, Tage)?
  • Gibt es bestimmte Auslöser oder Situationen, die den Schwindel verstärken (Kopfbewegungen, Laufen, Aufrichten)?
  • Haben Sie zusätzliche Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Hörstörungen, Tinnitus oder Sehstörungen?

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung umfasst:

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  • Allgemeinen Status: Beurteilung des allgemeinen Gesundheitszustands und der Kreislaufsituation.
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Reflexe, Sensibilität, Koordination und des Gleichgewichts (Romberg-Stehversuch, Unterberger-Tretversuch).
  • HNO-ärztliche Untersuchung: Inspektion der Gehörgänge und des Trommelfells, Untersuchung auf Nystagmus (mit und ohne Frenzelbrille), Lagerungs-Provokationstests und Durchführung des Kopfimpulstests.

Der Kopfimpulstest ist ein wichtiger klinischer Funktionstest zur Überprüfung des vestibulo-okulären Reflexes (VOR). Bei einer Neuritis vestibularis ist der Kopfimpulstest auf der betroffenen Seite pathologisch. Der Patient kann die Blickrichtung während rascher Kopfbewegungen nicht halten, was zu einer Korrektursakkade (Catch-up-Sakkade) führt.

Apparative Untersuchungen

In einigen Fällen können apparative Untersuchungen erforderlich sein, um die Diagnose zu sichern und andere Ursachen für den Schwindel auszuschließen. Dazu gehören:

  • Elektronystagmographie (ENG) mit kalorischer Prüfung: Beurteilung der Funktion der horizontalen Bogengänge. Bei einer Neuritis vestibularis zeigt sich eine Unter- oder Unerregbarkeit des betroffenen Bogengangs.
  • Vestibulär evozierte myogene Potenziale (VEMPs): Überprüfung der Funktion von Sacculus und Utriculus.
  • Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels: Ausschluss zentraler Ursachen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Akustikusneurinom.
  • Liquorpunktion: Bei Verdacht auf eine Entzündung des Gehirns oder der Hirnhäute.

Differentialdiagnosen

Es ist wichtig, die Neuritis vestibularis von anderen Erkrankungen abzugrenzen, die ähnliche Symptome verursachen können. Zu den wichtigsten Differentialdiagnosen gehören:

  • Gutartiger paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV): Kurze Schwindelattacken, die durch bestimmte Kopfbewegungen ausgelöst werden.
  • Morbus Menière: Innenohrerkrankung mit Schwindel, Hörverlust und Tinnitus.
  • Labyrinthitis: Entzündung des gesamten Innenohrs, die sowohl das Gleichgewicht als auch das Gehör beeinträchtigen kann.
  • Zentrale Ursachen: Schlaganfall, Multiple Sklerose, Tumore im Kleinhirnbereich.
  • Vestibularisparoxysmie: Kurze, anfallsartige Schwindelattacken aufgrund einer Gefäßkompression des Nervus vestibulocochlearis.

Therapie

Die Behandlung der Neuritis vestibularis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, den Krankheitsverlauf zu verkürzen und bleibende Folgen zu verhindern. Sie umfasst drei Hauptsäulen:

Symptomatische Therapie

In den ersten Tagen können Antiemetika (Medikamente gegen Übelkeit) und Antivertiginosa (Medikamente gegen Schwindel) eingesetzt werden, um die akuten Symptome zu lindern. Diese Medikamente sollten jedoch nur kurzzeitig angewendet werden, da sie die zentrale Kompensation des Vestibularisausfalls verzögern können.

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Kausale Therapie

Eine kausale Therapie der Neuritis vestibularis erfolgt in der Regel mit Glukokortikosteroiden (Kortison). Studien haben gezeigt, dass eine frühzeitige Behandlung mit Kortikosteroiden die Erholung der peripheren vestibulären Funktion verbessern kann.

Vestibuläre Rehabilitation

Die vestibuläre Rehabilitation ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und zielt darauf ab, die zentrale Kompensation des Vestibularisausfalls zu fördern. Sie umfasst spezifische Übungen, die darauf abzielen, das Gleichgewicht zu verbessern, die Blickstabilisierung zu trainieren und die vestibulospinale Funktion zu optimieren.

Zu den Übungen gehören:

  • Willkürliche Augenbewegungen und Fixation: Verbesserung der Blickstabilisierung.
  • Aktive Kopfbewegungen: Neueinrichtung des vestibulookulären Reflexes.
  • Gleichgewichtsübungen im Stehen und Gehen: Verbesserung der vestibulospinalen Funktion.

Die vestibuläre Rehabilitation sollte von speziell geschulten Physiotherapeuten oder Gleichgewichtstherapeuten durchgeführt werden.

Verlauf und Prognose

Die Prognose der Neuritis vestibularis ist im Allgemeinen gut. Die meisten Patienten erlangen ihren normalen Gleichgewichtssinn zurück. Die akute Symptomatik dauert selten länger als ein paar Tage, manchmal bis zu ein paar Wochen. Die Beschwerden klingen nach etwa zwei bis vier Wochen langsam ab. Viele Patienten benötigen jedoch ein bis zwei Monate, bis sie wieder voll arbeitsfähig sind und Beschwerdefreiheit erreichen.

In etwa 40 bis 50 % der Fälle tritt eine vollständige Restitution der Gleichgewichtsfunktion ein. Bei 20 bis 30 % der Betroffenen kommt es nur zu einer partiellen Restitution. In der Regel bilden sich die statischen Symptome wie Spontannystagmus, Schwindel und Fallneigung zurück, während dynamische Funktionsstörungen bestehen bleiben können. Bei raschen Kopfbewegungen können beispielsweise Oszillopsien auftreten.

Rezidive der Erkrankung sind selten (etwa 1,9 % der Fälle) und treten in der Regel auf der zuvor nicht betroffenen Seite auf.

Mögliche Komplikationen

  • Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV): Etwa 10 bis 15 % der Patienten entwickeln innerhalb von Wochen nach der Neuritis vestibularis einen BPPV auf dem betroffenen Ohr.
  • Phobischer Schwankschwindel: In einigen Fällen kann sich die Neuritis vestibularis zu einem chronischen phobischen Schwankschwindel entwickeln.
  • Anhaltende vestibuläre Beeinträchtigung: Eine zusätzliche Schädigung des unteren Anteils des Gleichgewichtsnervs kann zu einer verstärkten vestibulären Beeinträchtigung und möglicherweise zu langanhaltenden Symptomen führen.

Neue Erkenntnisse

Eine aktuelle Studie von Best et al. (2025) hat gezeigt, dass bei etwa einem Drittel der Patienten mit Neuritis vestibularis auch der inferiore Anteil des Nervus vestibularis betroffen ist (s+iUVP). Diese Patientengruppe zeigte stärkere Symptome und eine schlechtere Langzeitprognose. Eine frühzeitige Identifikation dieser Patienten mittels SVV, HIT und cVEMP ist daher essenziell, um die Prognose besser einschätzen und eine zielgerichtete vestibuläre Rehabilitation einleiten zu können.

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