Neurogenes Stottern nach Schlaganfall: Ursachen und Therapie

Stottern ist eine Redeflussstörung, die für Betroffene sehr belastend sein kann. Sie äußert sich in unfreiwilligen Wiederholungen von Silben und Lauten, Dehnungen von Lauten sowie wahrnehmbaren oder stummen Blockaden. Stottern lässt keinerlei Rückschlüsse auf den Charakter oder die Intelligenz der betroffenen Person zu. Lange Zeit wurde Stottern als psychische oder seelische Störung betrachtet, doch moderne Forschung zeigt, dass neurologische Ursachen eine wesentliche Rolle spielen können.

Ursachen des Stotterns

Die Ursachen für Stottern sind vielfältig. Es gibt eine genetische Veranlagung, die das Auftreten von Stottern wahrscheinlicher macht, aber nicht zwangsläufig dazu führt. Neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder Schlaganfälle können ebenfalls Stottern verursachen.

Neurogenes Stottern nach Schlaganfall

Ein Schlaganfall kann zu einer Schädigung des Gehirns führen, die sich in Form von Stottern äußert. Dieses sogenannte neurogene Stottern unterscheidet sich von dem idiopathischen Stottern, das bereits im Kindesalter auftritt.

Eine Studie der Universität Turku hat strukturelle Veränderungen in Knotenpunkten eines Gehirnbereichs, dem Putamen, bei stotternden Menschen festgestellt. Das Putamen gehört zu den Kerngebieten des Großhirns und ist Teil der grauen Substanz des Gehirns. Diese Veränderungen waren sowohl bei Menschen mit frühkindlichem Stottern als auch bei Patienten, die nach einem Schlaganfall zu stottern begannen, zu beobachten.

Prof. Martin Sommer von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) betont, dass die Studie die Bedeutung der linken Gehirnhemisphäre für die Sprechcodierung und die Umsetzung von Gedanken in Sprache unterstreicht.

Lesen Sie auch: Therapie bei Stottern

Weitere Ursachen

Neben genetischen und neurologischen Faktoren können auch belastende Erlebnisse in der Kindheit oder "Erziehungsfehler" als Auslöser für Stottern wirken, jedoch nicht als eigentliche Ursache. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Stottern familiär gehäuft auftritt, was auf erbliche Faktoren hindeutet. Allerdings wird nicht das Stottern selbst vererbt, sondern lediglich die Veranlagung dazu.

Sprechen ist ein komplexer Vorgang, bei dem über 200 Muskeln beteiligt sind, die vom Gehirn gesteuert werden müssen. Bei stotternden Menschen sind bestimmte Bereiche und Nervenbahnen in der linken Hirnhälfte, die für den reibungslosen Ablauf des Sprechens zuständig sind, weniger gut ausgebildet.

Symptome des Stotterns

Stottern tritt in unterschiedlicher Art und Weise auf. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Wiederholungen von Lauten oder Silben: (z.B.: a-a-a-a-anfangen oder si-si-si-si-sitzen)
  • Dehnungen von Lauten: (z.B. aaaaaaber)
  • Blockierungen von Lauten: (z.B. "ich heiße (------- gepresste Pause) Peter")
  • Verwendung von Ersatzwörtern: um ein vermeintlich gestottertes Wort zu vermeiden (z.B. "Ich fahre mit dem A-a-a-a --- Wagen!" anstelle von "Auto")
  • Verwendung von Füllwörtern
  • Anspannungen im Gesichts-, Kiefer-, Hals-, Brust- bzw. Bauchbereich
  • Mitbewegungen bestimmter Körperteile: (Kopf-, Oberkörper-, Arm- bzw. Beinbewegungen)
  • Atemauffälligkeiten: (starke Einatmung, Vorschieben von Atemluft)

Neben den sicht- und hörbaren Symptomen gibt es auch nicht eindeutig sichtbare Anteile des Stotterns, die für viele Betroffene eine größere Belastung darstellen. Dazu gehören:

  • Angst oder Scham vor bestimmten Sprechsituationen (Telefonieren, Ansprechen Fremder, mündliche Mitarbeit/Referate)
  • Gefühle der Hilflosigkeit und Frustration
  • Grübeln darüber, wie stark das Stottern in bestimmten Sprechsituationen sein wird und wie der Gesprächspartner reagieren wird
  • Sprachlicher Rückzug in bestimmten Situationen bzw. gegenüber bestimmten Personen

Diagnose des Stotterns

Die Diagnose wird oft von Haus- oder HNO-Ärzten gestellt, nachdem Auffälligkeiten im Sprechen langanhaltend auftreten. Diagnostiziert wird das Stottern meist im Kindesalter bis fünf Jahren. Rund fünf Prozent aller Kinder stottern. Bei bis zu 80 Prozent legt es sich nach einiger Zeit wieder. Die restlichen 20 Prozent behalten ihr Stottern ein Leben lang.

Lesen Sie auch: Hüft-TEP und Nervenschmerzen

Therapie des Stotterns

Obwohl Stottern nicht heilbar ist, können Betroffene mit einer Therapie Techniken erlernen, die ihnen das Sprechen erleichtern. Es gibt verschiedene Therapieansätze, die auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind. Medikamente, Atem- oder Entspannungstherapien oder irgendwelche Heiltherapien wirken nicht wirklich gegen Stottern.

Fluency Shaping

Die Fluency Shaping-Methode verändert die Sprechweise, etwa durch einen "weichen Stimmeinsatz" zu Beginn eines Wortes oder das bewusste Dehnen einer Silbe oder eines Lautes. Hierbei wird der weiche Stimmeinsatz trainiert, der die Aussprache von Lauten zu Beginn eines Wortes oder einer Silbe erleichtern soll. Hinzu kommt die bewusste Dehnung von Lauten, Silben oder Worten, um Stottersymptome beim Sprechen zu vermeiden.

Stottermodifikation

Bei der Methode der Stottermodifikation lernen Betroffene sogenannte Blocklösetechniken, um aus einer Stresssituation "kontrolliert und einigermaßen überschaubar wieder rauszukommen. Das ist eine interessante Methode, die sozusagen das Kennenlernen der Stotterereignisse beinhaltet", so Neurophysiologe Sommer. So werde die Anspannung gesenkt und der Stottermoment überwunden. Die Therapie teilt sich in vier Phasen auf.

Weitere Therapieansätze

  • Logopädische Stotter-Therapie: hilft Betroffenen Sprech- und Atemtechniken zu erlernen.
  • Bonner Stottertherapie: Im Rahmen der Bonner Stottertherapie werden auch Patientinnen und Patienten mit neurogenem bzw. psychogenem Stottern erfolgreich behandelt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass auch in diesem Bereich durch einen sehr intensiven und individuellen Zugang sehr gute Therapieerfolge möglich sind.
  • Traditionelle Stottertherapie nach Charles van Riper: Zur Behandlung des Stotterns orientieren wir uns überwiegend an der traditionellen Stottertherapie nach Charles van Riper („Nicht-Vermeidungs-Ansatz“), wobei die darin enthaltenen Behandlungsmethoden und -techniken durch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen ergänzt werden. Unter gezielter Anleitung des Therapeuten erfolgt eine schrittweise direkte Auseinandersetzung mit dem Stottern. Der Betroffene lernt, seine individuellen Symptome beim Stottern zu erkennen (Identifikation), seine Angst davor abzubauen und seine Sprechweise anzunehmen (Desensibilisierung) und mithilfe einer Sprechtechnik gezielt und bewusst zu flüssigerem Sprechen hin zu verändern (Modifikation) und diese veränderte Sprechweise mehr und mehr in den Alltag zu integrieren. Besondere Aufmerksamkeit legen wir hierbei auf die „Enttabuisierung“ des Stotterns, da eine positive gelassene Einstellung des Betroffenen selbst und seiner Umgebung, also v.a.

Umgang mit Stottern im Alltag

Betroffene versuchen oftmals, bestimmte Wörter oder Sprechsituationen zu vermeiden, aus Scham oder Angst, sich lächerlich zu machen. Stotternde Menschen lernen deshalb auch, sich schwierigen Situationen zu stellen. "Die größte Gefahr beim Stottern ist, den Mund zu halten, das machen auch viele. Aber das ist sehr schade, denn wenn man den Mund hält, dann sieht und hört es keiner. Wer den Mund hält, kommt auch nicht sehr weit. Das Vermeidungsverhalten ist unglücklich, weil es den Menschen in seinen Entwicklungsmöglichkeiten deutlich einschränkt.

Selbsthilfegruppen können helfen, die Scheu vor dem Sprechen zu überwinden. Auf - oftmals gut gemeinte - Ratschläge können stotternde Menschen gut verzichten. Sie müssen nicht tief durchatmen, sich konzentrieren oder sich beruhigen. "Also am besten ist Abwarten, Anschauen und Zuhören. Stotternde Menschen brauchen mehr Zeit, das ist halt so! Es gibt immer wieder Leute, die versuchen, dann das Wort oder den Satz fortzusetzen. Das ist erstens sehr verletzend, jemanden zu unterbrechen. Außerdem ist das vielleicht gar nicht das, was ich eigentlich sagen wollte.

Lesen Sie auch: Rehabilitation bei Gesichtsfeldausfall

Selbsthilfegruppen

Sich mit anderen Betroffenen über Herausforderungen auszutauschen, kann helfen. Die Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe e.V. (BVSS) bietet lokale und digitale Angebote, um sich mit anderen stotternden Menschen zu vernetzen.

Weitere Sprach- und Sprechstörungen

Neben dem Stottern gibt es noch weitere Sprach- und Sprechstörungen, die nach einem Schlaganfall auftreten können:

  • Aphasie: Eine erworbene zentrale Sprachstörung, welche nach abgeschlossenem Spracherwerb durch hirnorganische Schäden z.B. verursacht durch einen Schlaganfall entsteht. Da sich die Sprachzentren bei den meisten Menschen in der linken Hirnhälfte befinden, kommt es häufig nach einer linksseitigen Läsion zu einer Aphasie. Hierbei können alle Sprachmodalitäten betroffen sein: Sprachproduktion, Sprachverständnis, Schreiben und Lesen. Es ist somit keine Denk- oder Hörstörung. Die Ausprägung einer Aphasie kann von minimalen Defiziten bis zu schwersten Störungen reichen.
    • Globale Aphasie: Hierbei zeigen sich meist deutliche Beeinträchtigungen in allen Sprachmodalitäten. Das Leitsymptom sind Sprachautomatismen z.B. eine Aneinanderreihung von Silben „dododo“, Wörtern „Auto Auto“ oder Phrasen „passt schon“. Sprechversuche des Patienten enden häufig in der Produktion des für ihn typischen Automatismus.
    • Wernicke-Aphasie: Das Leitsymptom ist der Paragrammatismus, bei dem komplexe Sätze mit Satzteilverschränkungen, -dopplungen und -vertauschungen, sowie falschen Flexionsformen (z.B. „Mein Freund will mir morgen besuchen.“) gebildet werden. Außerdem kommt es zu semantischen (z.B. „Tisch“ statt „Stuhl“) und phonematischen (z.B. „Tinsch“ statt „Tisch“) Verwechslungen. Häufig treten ebenfalls Wortneuschöpfungen (Neologismus) z.B. „Eiergarten“ oder „Uksenstein“ auf.
    • Broca-Aphasie: Das Leitsymptom ist der Agrammatismus. Hier produzieren die Patienten meist Ein- bis Zweiwort-Sätze z.B. „Ich Auto“ oder „Krankenhaus fahren“. Dabei fehlen Funktionswörter (z.B. Präpositionen) und Flexionsformen.
    • Amnestische Aphasie: Das Leitsymptom sind Wortfindungsstörungen. Der Patient kommt beim Sprechen ins Stocken und es zeigen sich Wiederholungen, Satzabbrüche oder Redefloskeln. Dies lässt auf eine ungenaue Bedeutung des Zielwortes (z.B. „Ich gehe ins Kino…nein, nicht Kino…ich meine…ach egal.“ Zielwort: Oper) oder auf Schwierigkeiten bei der Wortformaktivierung schließen. Bei Letzterem ist dem Patienten die Bedeutung des Zielwortes klar und er kann dieses gut umschreiben. Es liegt ihm sozusagen „auf der Zunge“ (z.B. Ich habe meine Mu, nein nicht Mutter.
  • Dysarthrie: Eine erworbene Störung des Sprechens. Dabei können die Bereiche Atmung (Respiration), Stimmgebung (Phonation) und Lautbildung (Artikulation) infolge einer Schädigung von Hirnregionen, der Hirnnerven oder des neuromuskulären Übergangs meist nach einem Schlaganfall, einem Schädelhirntrauma oder verschiedenen neuronalen Erkrankungen beeinträchtigt sein. Dadurch kommt es zu einer verringerten Verständlichkeit des Patienten.
  • Sprechapraxie: Die Sprechapraxie ist eine erworbene neurogene Sprechstörung, die durch eine zentrale Schädigung des Nervensystems verursacht wird. Beeinträchtigt ist die Planung und Programmierung von Sprechbewegungen.
  • Poltern: Die Symptome des Polterns entstehen weniger beim Sprechvorgang selbst als vielmehr in dessen gedanklicher Vorbereitung. Aufgrund einer mangelhaften Integration aller Sprachelemente kommt es hierbei zu einer sehr schnellen, überhasteten Sprechweise mit Beschleunigungen des Sprechtempos innerhalb längerer Wörter oder Redewendungen. Die Aussprache klingt aufgrund diverser wechselhafter Artikulationsfehler häufig sehr undeutlich und verwaschen. Teilweise werden ganze Wörter, unbetonte Silben, Wortendungen oder Lautverbindungen ausgelassen, umgestellt oder miteinander verschmolzen. Die Sprechflüssigkeit ist durch Wiederholungen von Wörtern und Phrasen sowie durch Satzabbrüche und -umstellungen und das Einschieben von Wörtern herabgesetzt. Den Äußerungen fehlt teilweise der logische Zusammenhang, so dass der Zuhörer den Erzählungen nur mit Mühe folgen kann. Sehr selten besteht ein Störungsbewusstsein oder gar ein Leidensdruck bei Menschen, die poltern. Meist leidet eher die Umwelt unter der mangelhaften Verständlichkeit der Äußerungen. Die Ursachen des Polterns sind bislang noch nicht sicher geklärt.

tags: #neurogenes #stottern #nach #schlaganfall #ursachen #therapie