Neurologie, Psychiatrie und Sport: Eine interdisziplinäre Betrachtung

Einleitung

Die Verbindung von Neurologie, Psychiatrie und Sport gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sport und Bewegung sind nicht nur für die körperliche Gesundheit förderlich, sondern spielen auch eine wichtige Rolle bei der Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Forschungsansätze und praktischen Anwendungen dieser interdisziplinären Bereiche.

Forschungsprojekte und Studien

Abgeschlossene Projekte

Eine Vielzahl von Forschungsprojekten hat sich in den letzten Jahren mit den Wechselwirkungen zwischen Neurologie, Psychiatrie und Sport auseinandergesetzt. Einige bemerkenswerte abgeschlossene Projekte umfassen:

  • Bewusstheit von Emotionen: Studien, die das Bewegungsverhalten als Indikator impliziter emotionaler Prozesse bei alexithymen und nicht-alexithymen Frauen und Männern untersuchten (Excellence Initiative der FU Berlin Languages of Emotion).
  • Elektrokortikale und hämodynamische Veränderungen bei extremer Belastung: Eine Studie, die die Korrelation von elektrokortikalen und hämodynamischen Veränderungen während extremer körperlicher Anstrengung mithilfe von fNIRS und EEG untersuchte (Hochschulinterne Forschungsförderung, Deutsche Sporthochschule, Köln).
  • Grammatik der Gestik: Ein Projekt, das die Evolution, das Gehirn und die linguistischen Strukturen der Gestik erforschte (Volkswagenstiftung).
  • Einfluss von Dual-Task-Situationen auf Gangmuster und Hirnfunktionen älterer Menschen: Eine Studie, die untersuchte, wie sich Dual-Task-Situationen während des Gehens auf die Gangmuster und Hirnfunktionen älterer Menschen auswirken (Hochschulinterne Forschungsförderung, Deutsche Sporthochschule, Köln).
  • Hemisphärenspezialisierung in der Praxie und spontanen Gestik: Untersuchungen an Patienten mit kompletter und partieller Kallosotomie (Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft).
  • Hemisphärenspezialisierung bei Pantomime und Demonstration von Objektgebrauch: Eine fMRT-Studie, die die Hemisphärenspezialisierung bei der Pantomime und Demonstration von Objektgebrauch mit Objekt in der Hand untersuchte (Charité - Bonusfinanzierung).
  • Hemisphärenspezialisierung bei der non-verbalen Darstellung bildhafter Szenen: Ein Forschungsprojekt, das die Hemisphärenspezialisierung bei der non-verbalen Darstellung bildhafter Szenen untersuchte (Forschungsförderung der Charité).
  • (Nonverbal behaviour in patients with mental illness): Promotionsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
  • Vergleichende Bewegungsanalyse von vier Patientengruppen mit psychosomatischen Erkrankungen und einer gesunden Kontrollgruppe: Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Laufende Projekte

Ein Forschungsinformationssystem bietet einen Überblick über alle laufenden Projekte in diesem Bereich.

Weitere Studien und Ergebnisse

Zusätzlich zu den oben genannten Projekten wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die die positiven Auswirkungen von Sport und Bewegung auf die psychische Gesundheit belegen. Dazu gehören:

  • Auswirkungen von Marathonläufen: Studien untersuchten die Auswirkungen von Marathonläufen auf neuropsychologische und kardiovaskuläre Parameter.
  • Wechselwirkung von Information und sportlicher Aktivität: Eine longitudinale Untersuchung analysierte die Wechselwirkung zwischen dem Informationsstand zu sportlicher Aktivität und den Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit.
  • Sportangebote in psychiatrischen Kliniken: Eine Umfrage untersuchte das Sportverhalten und den Bedarf an Sportangeboten von Patientinnen und Patienten des BKH Augsburg.
  • Einfluss von Koffeinkonsum bei Depression: Eine Pilotstudie erfasste den Einfluss des Koffeinkonsums auf die sportliche Leistungsfähigkeit bei Depression.

Sportpsychiatrie und -psychotherapie

Entwicklung und Schwerpunkte

Die Sportmedizin und Sportpsychologie haben sich seit den 1960er-Jahren als spezialisierte Fachdisziplinen im Leistungssport etabliert. Während sich Sportpsychologen vorwiegend mit Leistungserhalt und Leistungsoptimierung beschäftigen, widmen sich Sportmediziner den präventiven und therapeutischen Möglichkeiten von Bewegung und Sport sowie der Vorbeugung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Krankheiten und Verletzungen im (Leistungs-)Sport.

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Im deutschsprachigen Raum liegt neben dem Leistungssport ein ebenso großes Augenmerk auf Bewegung und Sport in Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen. Die Interessenlage der beteiligten Akteure ist dabei verschieden, was sich in den unterschiedlichen Bedürfnissen und Zielsetzungen von niedergelassenen und stationär tätigen Psychiatern und Psychotherapeuten widerspiegelt.

Curriculumsstufen der SGSPP

Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) hat einCurriculum entwickelt, das verschiedene Kompetenzstufen umfasst:

  • Stufe 1: Sportpsychiatrische und -psychotherapeutische Basisversorgung SGSPP: Richtet sich an alle Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie psychologische Psychotherapeuten und Sportmediziner.
  • Stufe 2: Klinisch-praktische Sportpsychiatrie und -psychotherapie SGSPP: Baut auf Stufe 1 auf und richtet sich sowohl an psychiatrisch-psychotherapeutische Fachärzte als auch an psychologische Psychotherapeuten.
  • Stufe 3: Sportpsychiatrie und -psychotherapie SGSPP: Vermittelt Kompetenzen in der Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen im Leistungssport und richtet sich an Fachärzte, die Stufe 1 und 2 absolviert haben.

Intervision bzw. Supervision ist ebenso Bestandteil des Curriculums wie der Nachweis von praktischen Erfahrungen.

Sport und Bewegung als Therapie bei psychischen Erkrankungen

Neurophysiologische Effekte

Bewegung führt neurophysiologisch gesehen zu einer Ausschüttung verschiedener Transmitter - u.a. von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin, die Glücksgefühle freisetzen, die Leistungsbereitschaft erhöhen und einen Belohnungseffekt vermitteln. Körperliche Aktivität hat auch neurotrophe Effekte, erhöht z. B. die Konzentration des Brain-derived neurotrophic factor (BDNF), der bei depressiven Menschen verringert ist. Das trägt dazu bei, Nervenzellverbindungen zu stabilisieren und zur gegenseitigen Vernetzung anzuregen, fördert also die neuronale Plastizität.

Auswirkungen auf Angst und Depression

Sportliche Aktivitäten können nicht nur eine gute Ablenkung bieten, sondern auch die Aktivität im präfrontalen Kortex senken, der bei Depressiven hyperaktiv und an endlosem Grübeln und negativen Emotionen beteiligt ist. Auch Ängste, die ebenfalls den präfrontalen Kortex aktivieren, lassen sich durch körperliche Aktivität eher regulieren.

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Bei Panikpatienten könnte körperliches Training unter Umständen Ängste anfänglich auch verstärken, da körperliche Symptome wie z. B. eine Pulssteigerung auftreten, die einer einsetzenden Panikattacke ähneln. Am besten informieren sie sich vorab über mögliche Symptome des Trainings, um gut vorbereitet zu sein. Wenn sie dann beim Training feststellen, dass solche Symptome eigentlich harmlos sind, lernen sie, dass sie ihre aufkommenden Angstgefühle selber regulieren und unter Kontrolle bringen können.

Steigerung der Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins

Ein positiver Effekt von sportlichen Aktivitäten ist auch, dass sie die Selbstwirksamkeit erhöhen. Indem sportlich Aktive schrittweise Leistungsgrenzen überwinden, entwickeln sie Selbstvertrauen und steigern ihr Selbstbewusstsein.

Empfehlungen zur Sportausübung

Bereits einzelne Trainingseinheiten von nur 30 Minuten können Panikattacken reduzieren. Allerdings sind ein regelmäßiges Training und meistens auch eine Anlaufzeit von etwa 8 bis 12 Wochen notwendig, bis sich nachhaltige Effekte beobachten lassen. Es ist nicht entscheidend, welcher Aktivität man nachgeht - sei es nun Ausdauertraining wie Joggen oder Tanzen, Krafttraining oder Yoga.

Sport- und Bewegungsangebote in psychiatrischen Kliniken

Viele psychiatrische Kliniken bieten Sport- und Bewegungsangebote an, um das Körper- und Bewegungsgefühl der Patienten zu fördern und zu verbessern. Die Patienten werden ermutigt, sich in Beziehung zu Raum und Zeit, zu Partnern und zu Sportgeräten neu zu erfahren.

Studienlage und Evidenz

Die Erfolge von Sport- und Bewegungsangeboten in der Psychiatrie und Psychotherapie sind schwer messbar, und die Studienlage ist noch nicht abschließend. Es gibt jedoch Indizien dafür, dass Sport und Bewegung positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben können.

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Empfohlene Sportarten

Für die Therapie werden unter anderem Schwimmen, Walking, Laufen, Radfahren, Skilanglauf, Bergwandern und Mannschaftssportarten empfohlen. Die Frage, ob Kraft- oder Ausdauertraining wirksamer ist, ist dabei noch nicht endgültig geklärt.

Aktuelle Herausforderungen und Zukünftige Forschung

Die psychische Belastung hat während der Covid-Pandemie zugenommen und erfährt aktuell eine zusätzliche Steigerung angesichts des Kriegsgeschehens in der Ukraine. Körperliche Aktivität kann hier eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Stress und der Vorbeugung psychischer Erkrankungen spielen. Zukünftige Forschung sollte sich verstärkt auf die Entwicklung und Evaluation spezifischer Sport- und Bewegungsprogramme für verschiedene psychische Erkrankungen konzentrieren.

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