Seit Ende August 2024 werden in Deutschland vermehrt Fälle von Hunden mit akuten, schweren neurologischen Symptomen beobachtet. Diese Symptome umfassen plötzliche Panikattacken, unkontrollierte Bewegungen, Jaulen und in einigen Fällen auch epileptische Anfälle. Es wird vermutet, dass es sich um Vergiftungserscheinungen handelt, die jedoch nicht zwangsläufig tödlich verlaufen. Der Verlauf der Erkrankung kann über mehrere Tage bis Wochen schwanken, wobei viele Hunde nach symptomatischer Behandlung allmählich Besserung zeigen.
Klinische Symptome
Die betroffenen Hunde zeigen eine Reihe von unspezifischen, aber auffälligen Symptomen:
- Plötzliche Verhaltensänderungen und zeitweise unkoordinierte Bewegungsabläufe
- Episodische, plötzliche und extreme Aufregung, Panikattacken mit Heulen, Unruhe und Schreien
- Versuche, durch Fenster oder Türen zu entkommen
- Gelegentlich phasenweise plötzlich aggressives Verhalten
- Hinweise auf Halluzinationen bei einigen Patienten
- In späteren Phasen: generalisierte epileptische Anfälle
Da diese Symptome unspezifisch sind, befürchten Neurolog*innen, dass es viele unentdeckte Fälle gibt. Eine gründliche Anamnese und differenzialdiagnostische Abklärung sind daher besonders wichtig.
Mögliche Ursachenforschung
Die Ursache dieser Fallserie ist derzeit noch nicht endgültig gesichert. Die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) arbeitet eng mit anderen Tierneurolog*innen in Deutschland zusammen, um die Ursache herauszufinden. Bisher konnten weder eine Phosphin-Vergiftung noch ein Zusammenhang mit Ektoparasitika oder Impfungen bestätigt werden.
Aktuell wird überprüft, ob die Symptome möglicherweise mit der Fütterung von Rinderhautknochen zusammenhängen könnten, da diese viele betroffene Hunde in der Vergangenheit erhalten haben. Es handelt sich dabei um einen rein epidemiologischen Zusammenhang, da seit vergangenem Sommer gehäuft Fälle dieses neuen Syndroms beobachtet wurden und bei der Suche nach Parallelen sich die Fütterung mit Kauknochen als gemeinsames Merkmal herauskristallisierte. Es konnte bisher kein toxikologischer Nachweis erbracht werden, weder bei der Untersuchung der verfütterten Kauknochen noch in Proben der Körperflüssigkeiten betroffener Hunde.
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Die Niederländische Lebensmittel- und Warenaufsichtsbehörde (NVWA) hat eine Sicherheitswarnung für Kauknochen der Marke Barkoo ausgesprochen. Dabei handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme, denn zum aktuellen Zeitpunkt können auch andere Ursachen noch nicht vollständig ausgeschlossen werden.
Um welche Kauknochen handelt es sich?
Die Barkoo Kauknochen wurden von den Online-Shops Zooplus und Bitiba verkauft. Die Rückrufaktion läuft für folgende Artikel:
- Barkoo Käsesorte natur 29 cm, 570 Gramm mit drei Kauknochen, Code 1148655, MHD 04.2027 3200PF027, Barcode 4260077047292
- Barkoo Kauknochen, geknotet, natur, 11 cm, 150 Gramm mit drei Kauknochen, Code 1148592, MHD 07.2027 3200PF027, Barcode 4260077046875
- Barkoo Kauknochen geknotet, 24 cm, 150 Gramm mit drei Kauknochen, Barcode 4260077046899, Code 1148657, MHD 05.2027 3200PF027
- Barkoo Kauknochen geknotet mit Spirulina 12 cm, 180 Gramm mit drei Kauknochen, Barcode 4260077047261, Code 1148654, MHD 06.2027 3200PF027
Was tun bei Verdacht?
Betroffene Hunde sollten zeitnah in der TiHo Hannover oder bei anderen Tierneurologinnen vorgestellt werden, da solchen akuten Auffälligkeiten verschiedene Erkrankungen zugrunde liegen können. Falls behandelnde Tierärztinnen den Verdacht haben, dass die Hunde kürzlich mit Kauspielzeugen oder Rinderhautknochen gefüttert wurden, sollte dies in der Anamnese berücksichtigt werden. Wichtig sei es auch Verpackungen und Reste von Futtermitteln abzufotografieren und Chargennummern sowie MHD zu notieren.
Studie zum "Werwolf-Syndrom"
Die Klinik für Kleintiere der TiHo Hannover, die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und weitere spezialisierte Tierneurologinnen haben eine Umfrage erstellt, die dabei helfen soll, die Ursache der Symptome des „Werwolfsyndroms“ besser zu versehen. Die Online-Umfrage richtet sich an betroffene und nicht betroffene Hundebesitzerinnen und dauert ca. 20 Minuten.
Andere neurologische Erkrankungen bei Hunden
Neben dem aktuellen Fall des "Werwolf-Syndroms" gibt es eine Vielzahl anderer neurologischer Erkrankungen, die bei Hunden auftreten können. Diese können das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) sowie das periphere Nervensystem betreffen.
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Epilepsie
Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen bei Hunden. Sie ist durch wiederkehrende Anfälle (Krampfanfälle) gekennzeichnet, die durch vorübergehende Störungen im Gehirn verursacht werden. Die idiopathische Epilepsie beginnt typischerweise im Alter zwischen 6 Monaten und 6 Jahren. Die Behandlung besteht in der Regel aus Medikamenten, die die Anfälle kontrollieren (Antiepileptika).
Bandscheibenvorfall
Ein Bandscheibenvorfall ist eine häufige Erkrankung, insbesondere bei Hunden wie Dackeln oder Französischen Bulldoggen. Dabei tritt Gewebe aus der Bandscheibe aus und drückt auf das Rückenmark, was zu Schmerzen, Lahmheit oder sogar Lähmungen führen kann. Die Behandlung kann konservativ (Schmerztherapie, Ruhe) oder operativ erfolgen.
Ataxie
Ataxie ist keine Krankheit im engeren Sinn, sondern ein Symptom neurologischer Störungen. Sie entsteht, wenn Nervensignale nicht mehr korrekt verarbeitet oder weitergeleitet werden, wodurch der Hund die Kontrolle über seine Bewegungen verliert. Die Ursachen hängen stark von der betroffenen Struktur im Nervensystem ab.
Vestibularsyndrom
Das Vestibularsyndrom ist eine Gleichgewichtsstörung, die sich durch Kopfschiefhaltung, schwankenden Gang, schnelle Augenbewegungen (Nystagmus), Übelkeit und Erbrechen äußern kann. Die Ursache kann im Innenohr (peripher) oder im Hirnstamm (zentral) liegen.
Degenerative Myelopathie
Degenerative Myelopathie ist eine progressive Erkrankung des Rückenmarks, die vor allem ältere Hunde betrifft. Sie führt zu einer langsamen, fortschreitenden Lähmung der Hinterbeine.
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Tumore
Gehirn- oder Rückenmarktumore können bei älteren Tieren auftreten und neurologische Symptome verursachen, je nachdem, welcher Teil des Nervensystems betroffen ist.
Infektionen
Verschiedene Viren, Bakterien oder Pilze können Nervenerkrankungen bei Hunden auslösen. Dazu gehören Tollwut, Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) und Aujeszky-Krankheit.
Diagnose neurologischer Erkrankungen
Die Diagnose neurologischer Erkrankungen bei Hunden umfasst in der Regel eine Kombination aus:
- Klinische Untersuchung: Beurteilung des allgemeinen Verhaltens, des Gangs und der Reaktion auf Reize.
- Neurologische Untersuchung: Testen von Reflexen, Überprüfung der Reaktion auf Schmerzreize und Beurteilung der Muskelstärke und Koordination.
- Bluttests: Ausschluss anderer Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können.
- Bildgebende Verfahren: Röntgen, Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) zur detaillierten Darstellung des Gehirns, Rückenmarks und anderer Teile des Nervensystems.
- Lumbalpunktion: Entnahme und Untersuchung von Liquor (Rückenmarksflüssigkeit).
- Elektrodiagnostische Tests: Elektromyographie (EMG) zur Messung der elektrischen Aktivität in den Muskeln.
- Biopsien: Entnahme und mikroskopische Untersuchung von Nerven- oder Muskelgewebe.
Therapien bei neurologischen Erkrankungen
Die Behandlung neurologischer Erkrankungen bei Hunden hängt von der spezifischen Diagnose und der Schwere der Erkrankung ab. Zu den möglichen Therapieoptionen gehören:
- Medikamentöse Behandlung: Entzündungshemmende Medikamente, Antiepileptika, Schmerzmittel.
- Physiotherapie: Erhaltung der Muskelmasse und Förderung der Gelenkbeweglichkeit.
- Chirurgische Eingriffe: Druckentlastung des Rückenmarks oder Gehirns bei bestimmten Erkrankungen.
- Akupunktur: Schmerzlinderung und Verbesserung der neurologischen Funktion.
- Ernährungsberatung: Anpassung der Ernährung bei metabolischen oder endokrinen Erkrankungen.
- Verhaltensmodifikation und Umgebungsanpassungen: Unterstützung von Tieren mit kognitiver Dysfunktion.
- Lasertherapie: Schmerzlinderung und Förderung der Heilung.
Aktuelle Forschung
Die Forschung im Bereich neurologischer Erkrankungen bei Hunden schreitet stetig voran. Zu den aktuellen Schwerpunkten gehören:
- Stammzelltherapie: Einsatz von Stammzellen zur Reparatur oder zum Ersatz von geschädigtem Nervengewebe.
- Genetische Untersuchungen: Identifizierung von Risikofaktoren für bestimmte Erkrankungen.
- Erweiterte Bildgebung: Verbesserung der Diagnose durch präzisere Bilder des Gehirns und des Nervensystems.
- Neuroprotektive Medikamente: Entwicklung von Medikamenten, die Nervenzellen vor Schäden schützen.
- Verhaltensforschung: Untersuchung der Auswirkungen neurologischer Erkrankungen auf das Verhalten von Hunden.
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