Neurologische Beschwerden durch psychische Ursachen: Ein umfassender Überblick

In der modernen Medizin wird zunehmend erkannt, dass Psyche und Körper untrennbar miteinander verbunden sind. Seelische Belastungen können sich auf vielfältige Weise in körperlichen Beschwerden äußern, die oft als neurologische Symptome wahrgenommen werden. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen psychischen Ursachen und neurologischen Beschwerden, um Betroffenen und Interessierten ein besseres Verständnis zu ermöglichen.

Einführung in die Psychoneurologie

Die Psychoneurologie ist ein interdisziplinäres Feld, das sich mit den Wechselwirkungen zwischen dem Nervensystem und psychischen Prozessen befasst. Sie untersucht, wie psychische Faktoren neurologische Funktionen beeinflussen und umgekehrt. Dabei geht es nicht nur um die Identifizierung von Zusammenhängen, sondern auch um die Entwicklung von Behandlungsansätzen, die sowohl die psychischen als auch die körperlichen Aspekte berücksichtigen.

Grundlagen: Das Zusammenspiel von Körper und Psyche

Psyche und Körper stehen in einer engen Wechselbeziehung. Stress, Trauer, ungelöste Konflikte oder traumatische Erlebnisse können sich körperlich äußern und zu Schwindel, Schmerzen, Herzrasen oder Verdauungsstörungen führen. Umgekehrt können chronische körperliche Leiden Depressionen auslösen. Diese Erkenntnis führt dazu, dass medizinische Fachkräfte heute eher von Mischformen ausgehen, bei denen psychische und körperliche Faktoren in unterschiedlicher Gewichtung zusammenwirken.

Der Begriff Psychosomatik

Der Begriff Psychosomatik leitet sich von den griechischen Wörtern "Psyche" (Seele) und "Soma" (Körper) ab. Er beschreibt das Fachgebiet, das sich mit dem Zusammenspiel von Körper, Psyche und Krankheit beschäftigt. Die psychosomatische Medizin betrachtet den Menschen als eine Einheit und berücksichtigt sowohl körperliche als auch seelische Aspekte bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten.

Das Nervensystem als Schaltzentrale

Das Nervensystem spielt eine zentrale Rolle bei der Verbindung von Körper und Psyche. Es gliedert sich in einen zentralen (Gehirn und Rückenmark) und einen peripheren Bereich (Nervenzellen in anderen Körperteilen). Das Gehirn, bestehend aus etwa 86 Milliarden Nervenzellen, steuert die Körperfunktionen durch elektrische und biochemische Signale. Erkrankungen des Gehirns können sowohl eng umschriebene Hirnfunktionen (z. B. Gedächtnis, Muskelkontrolle) als auch übergeordnete Funktionen (z. B. Stimmung, Bewusstsein) beeinträchtigen.

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Häufige neurologische Beschwerden mit psychischen Ursachen

Viele neurologische Beschwerden lassen sich nicht auf organische Ursachen zurückführen, sondern sind Ausdruck psychischer Belastungen. Zu den häufigsten Beschwerden gehören:

  • Schmerzen: Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Gelenkschmerzen oder Muskelschmerzen können durch Stress, Verspannungen oder emotionale Belastungen verursacht werden.
  • Schwindel: Psychogener Schwindel ist ein häufiges Symptom bei Angststörungen oder Depressionen.
  • Magen-Darm-Beschwerden: Reizdarmsyndrom, Blähungen, Durchfall, Verstopfung und Speiseunverträglichkeiten können durch Stress und psychische Belastungen verstärkt werden.
  • Herz-Kreislauf-Beschwerden: Herzrasen, Atemnot, Schweißausbrüche und Brustschmerzen können Symptome von Angststörungen oder Panikattacken sein.
  • Erschöpfung und Müdigkeit: Chronische Müdigkeit, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme können durch Stress, Depressionen oder andere psychische Erkrankungen verursacht werden.
  • Dissoziative (funktionelle) neurologische Störungen: Muskelschwäche, Lähmungen, Bewegungsstörungen, Krampfanfälle, Missempfindungen, Sehstörungen, Hör- und Riechstörungen, Sprech- und Schluckstörungen.

Somatoforme Störungen

Wenn körperliche Beschwerden auftreten, ohne dass organische Ursachen gefunden werden können, spricht man von einer somatoformen Störung. Betroffene leiden unter realen Symptomen, die jedoch nicht durch eine körperliche Erkrankung erklärt werden können. Stattdessen werden die Beschwerden durch psychische Faktoren wie Stress, Ängste oder Depressionen verursacht oder verstärkt.

Dissoziative (funktionelle) neurologische Störungen

Dissoziative (funktionelle) neurologische Störungen sind gekennzeichnet durch neurologische Symptome, die nicht durch eine bekannte neurologische oder körperliche Krankheit erklärt werden können. Aktuelle Studien zeigen, dass von zehn Patienten in der Neurologie ein bis drei davon betroffen sind. Den Patienten ist dabei oft nicht bewusst, dass diesen Körperbeschwerden emotionale Belastungen zugrunde liegen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für neurologische Beschwerden mit psychischen Ursachen sind vielfältig und oft komplex. Folgende Faktoren können eine Rolle spielen:

  • Stress: Dauerhafter Stress, sei es beruflich oder privat, kann zu Muskelverspannungen, Schlafstörungen und anderen körperlichen Beschwerden führen.
  • Traumatische Erlebnisse: Traumata, wie schwere Unfälle, Naturkatastrophen oder sexuelle Übergriffe, können zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen, die sich in verschiedenen körperlichen Symptomen äußern kann.
  • Emotionale Belastungen: Angst, Wut, Trauer, finanzielle Sorgen und persönliche Konflikte können vom Körper als Stress wahrgenommen werden und zu muskulären Verspannungen und anderen Beschwerden führen.
  • Psychische Erkrankungen: Depressionen, Angststörungen, Panikstörungen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsstörungen können sich in verschiedenen körperlichen Symptomen äußern.
  • Genetische Veranlagung: Es gibt Hinweise darauf, dass eine genetische Veranlagung das Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen und damit auch für neurologische Beschwerden mit psychischen Ursachen erhöhen kann.
  • Soziale Faktoren: Soziale Isolation, mangelnde Unterstützung und belastende Lebensumstände können das Risiko für psychische Erkrankungen und körperliche Beschwerden erhöhen.

Diagnose

Die Diagnose von neurologischen Beschwerden mit psychischen Ursachen kann eine Herausforderung sein. Es gibt keine laborchemische, bildgebende oder medizintechnische Untersuchung, die eine psychosomatische Ursache einer Erkrankung sicher feststellen kann. Daher erfordert die Diagnostik viel Erfahrung und Einfühlungsvermögen.

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Ärztliche Untersuchung und Anamnese

Zunächst ist es wichtig, organische Ursachen für die Beschwerden auszuschließen. Dazu führt der Arzt eine gründliche körperliche Untersuchung durch und erhebt eine ausführliche Anamnese. Dabei werden die Art, Dauer und Intensität der Beschwerden erfragt, sowie mögliche Auslöser und Begleitumstände.

Psychologische Diagnostik

Zusätzlich zur körperlichen Untersuchung kann eine psychologische Diagnostik durchgeführt werden. Diese umfasst Gespräche und Fragebögen, um mögliche psychische Belastungen und Erkrankungen zu identifizieren. Die Experten schauen sich alle körperlichen Vorbefunde an und führen zusätzlich eine psychologische Diagnostik mit Gesprächen und Fragebögen durch. Auf diese Weise verschaffen sich die Ärzte und Ärztinnen ein Bild, ob es plausible Auslöser für die Beschwerden gibt und ob bestimmte Symptomkonstellationen und Verhaltensmuster vorliegen, die mit einem psychosomatischen Krankheits-Modell erklärbar sind.

Ausschlussdiagnostik

Da es keine spezifischen Tests für psychosomatische Erkrankungen gibt, erfolgt die Diagnose oft durch Ausschluss anderer möglicher Ursachen. Das bedeutet, dass der Arzt verschiedene Untersuchungen durchführt, um organische Erkrankungen auszuschließen.

Behandlung

Die Behandlung von neurologischen Beschwerden mit psychischen Ursachen ist oft komplex und erfordert einen ganzheitlichen Ansatz. Ziel ist es, sowohl die körperlichen Symptome zu lindern als auch die zugrunde liegenden psychischen Belastungen zu behandeln.

Psychotherapie

Eine Psychotherapie kann helfen, die Ursachen der Beschwerden aufzudecken und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dabei können unterschiedliche Verfahren zum Einsatz kommen, zum Beispiel eine tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapie oder eine Verhaltenstherapie. In einer Verhaltenstherapie können Strategien entwickelt werden, um mit den körperlichen Beschwerden besser umgehen zu können, was die Lebensqualität verbessert. So kann beispielsweise bei einem Patienten mit Schmerzen ohne organische Ursache ein Training der Aufmerksamkeit von diesem Reiz weg eine deutliche Verbesserung der Beschwerden bewirken.

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Entspannungsverfahren

Entspannungsübungen wie Autogenes Training oder die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson können helfen, Muskelverspannungen zu lösen und Stress abzubauen. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, die unter ähnlichen Symptomen leiden, etwa in einer Selbsthilfegruppe, kann die Angst vor den Symptomen lindern helfen.

Biofeedback

Mit Hilfe des sogenannten Biofeedbacks lernen Betroffene, eigentlich unbewusste Funktionen ihres Körpers gezielt zu beeinflussen. Dafür werden Messwerte wie Muskelspannung, Hautwiderstand oder Herzschlag in sicht- oder hörbare Signale umgewandelt, die den Übenden zum Beispiel ihren Anspannungs- oder Entspannungszustand verdeutlichen.

Medikamentöse Therapie

Abhängig vom Beschwerdebild können auch Medikamente zur Behandlung der Symptome eingesetzt werden, zum Beispiel gegen Schmerzen, Durchfall oder Verstopfung oder Herzrasen. Bei schweren Verläufen ist gegebenenfalls eine interdisziplinäre Kooperation unterschiedlicher Therapeutinnen und Therapeuten nötig.

Körperliche Aktivität und Sport

Regelmäßige körperliche Aktivität und Sport können helfen, Stress abzubauen, Muskelverspannungen zu lösen und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern. Normale Alltagsaktivität, Sport, Hobbys und der soziale Kontakt mit anderen Menschen wirken psychosomatischen Symptomen entgegen.

Multimodaler Therapieansatz

Bei funktionellen neurologischen Störungen bietet ein multimodaler Therapieansatz eine besondere Chance: Es besteht die Möglichkeit, körperbezogene Therapiemodule einzubeziehen, z.B. Physiotherapie oder Ergotherapie.

Prävention

Es gibt verschiedene Maßnahmen, die helfen können, neurologische Beschwerden mit psychischen Ursachen vorzubeugen:

  • Stressmanagement: Erlernen von Stressbewältigungstechniken wie Entspannungsübungen, Achtsamkeitstraining oder Zeitmanagement.
  • Gesunder Lebensstil: Ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßige körperliche Aktivität.
  • Soziale Kontakte: Pflegen von sozialen Beziehungen und Teilnahme an sozialen Aktivitäten.
  • Frühzeitige Hilfe: Bei ersten Anzeichen von psychischen Belastungen oder körperlichen Beschwerden frühzeitig professionelle Hilfe suchen.
  • Katastrophisierung vermeiden: Die Prävention kann auch die sogenannte Katastrophisierung verhindern. Erwarten die Betroffenen die Symptome, kann genau das diese verstärken. Auf diese Weise führt die enge Verzahnung von Körper und Psyche in einen Teufelskreis, der erkannt und durch eine Therapie unterbrochen werden muss, um den Betroffenen wirklich zu helfen.

Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit

Die Behandlung von neurologischen Beschwerden mit psychischen Ursachen erfordert oft eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen. Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten und andere Therapeuten solltenHand in Hand arbeiten, um den Patienten bestmöglich zu betreuen.

Herausforderungen und Stigmatisierung

Ein Problem: Viele Betroffene erleben die Verdachtsdiagnose einer somatischen Belastungsstörung als stigmatisierend. Das liegt unter anderem an der weit verbreiteten, aber längst überholten Vorstellung, dass psychisch bedingte Beschwerden "nur eingebildet" oder weniger schlimm seien. Tatsächlich kritisieren Experten, dass die Diagnose "somatische Belastungsstörung " im medizinischen Alltag mitunter vorschnell und ohne die gebotene fachgerechte Abklärung gestellt wird. Das könne ein Ausdruck von Hilflosigkeit sein, wenn weder Röntgenaufnahmen noch Laborwerte einen Hinweis auf die Ursache geben. Problematisch wird es aber, wenn deshalb eine weiterführende Diagnostik unterbleibt.

Forschung und zukünftige Entwicklungen

Die Forschung im Bereich der Psychoneurologie schreitet stetig voran. Zukünftig könnten neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Psyche und Körper zu besseren Diagnose- und Behandlungsmethoden führen.

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