Die neurologische Komplexbehandlung ist ein wichtiger Bestandteil der Versorgung von Patienten mit komplexen neurologischen Erkrankungen. Sie zielt darauf ab, durch einen multidisziplinären Ansatz die bestmögliche Rehabilitation und Lebensqualität der Betroffenen zu erreichen. Dieser Artikel beleuchtet die Kriterien und Definitionen verschiedener neurologischer Komplexbehandlungen, um ein umfassendes Verständnis dieser Therapieform zu ermöglichen.
Definition und allgemeine Kriterien
Eine neurologische Komplexbehandlung ist eine multidisziplinäre Therapieform, die auf die Behandlung von Patienten mit komplexen neurologischen Erkrankungen abzielt. Sie beinhaltet in der Regel die Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche wie Neurologie, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Neuropsychologie und gegebenenfalls weitere Disziplinen. Ziel ist es, die individuellen Bedürfnisse des Patienten umfassend zu berücksichtigen und einen maßgeschneiderten Therapieplan zu erstellen.
Multidisziplinärer Ansatz
Die Komplexbehandlung zeichnet sich durch einen interdisziplinären Ansatz aus, bei dem verschiedene Fachkräfte zusammenarbeiten, um die bestmögliche Versorgung des Patienten zu gewährleisten. Die wöchentlichen Teambesprechungen, in denen die Behandlungsergebnisse und -ziele dokumentiert werden, sind dabei von großer Bedeutung.
Therapiebereiche
Ein wesentliches Kriterium ist der Einsatz verschiedener Therapiebereiche. Dazu gehören in der Regel Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Sporttherapie, künstlerische Therapie (Kunst- und/oder Musiktherapie) und Psychotherapie. Die Kombination dieser Therapiebereiche wird individuell auf den Patienten abgestimmt.
Spezifische neurologische Komplexbehandlungen und ihre Kriterien
Es gibt verschiedene Arten von neurologischen Komplexbehandlungen, die jeweils spezifische Kriterien und Anforderungen erfüllen müssen. Im Folgenden werden einige Beispiele näher betrachtet:
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Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls
Die neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls ist ein zeitkritischer Prozess, der auf spezialisierten Stroke Units durchgeführt wird.
Strukturmerkmale:
- Spezialisierte Einheit mit einem multidisziplinären Team unter der Leitung eines Facharztes für Neurologie
- 24-stündige ärztliche Anwesenheit (Facharzt für Neurologie oder Assistenzarzt in neurologischer Weiterbildung)
- 24-stündige Verfügbarkeit der zerebralen Angiographie (digitale intraarterielle Subtraktionsangiographie, CT-Angiographie oder MR-Angiographie)
- 24-stündige Verfügbarkeit der Möglichkeit zur Rekanalisation durch intravenöse Thrombolyse
- 24-stündige Verfügbarkeit der Möglichkeit zur neurosonologischen Untersuchung der hirnversorgenden Gefäße
- Zentrale, kontinuierliche Erfassungsmöglichkeit von Blutdruck, Herzfrequenz, EKG (3-Kanal), Atmung und Sauerstoffsättigung
- Verfügbarkeit von Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie (auch an Wochenenden und Feiertagen)
Mindestmerkmale:
- Mindestens viermalige Erhebung und Dokumentation des neurologischen Befundes pro 24-Stunden-Intervall durch einen Arzt
- Früherkennung von Schlaganfallprogression, -rezidiv und anderen Komplikationen
- Beginn der Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie spätestens am Tag nach der Aufnahme auf der Spezialeinheit, wenn ein entsprechendes Defizit vorliegt und Behandlungsfähigkeit besteht
- Mindestens eine Behandlungseinheit pro Tag gezielt für das vorliegende Defizit
Besonderheiten:
- Die Behandlungszeit auf der Intensivstation kann für die Kodierung der neurologischen Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls berücksichtigt werden, wenn die Mindestmerkmale des OPS 8-981 erfüllt sind.
- Externe CT- oder MRT-Aufnahmen können zur Abklärung des akuten Schlaganfalls als gleichwertig angesehen werden.
- Bei spinalen Infarkten oder Blutungen ist eine CT- oder MRT-Aufnahme des entsprechenden Wirbelsäulenabschnitts gleichwertig.
Multimodale Komplexbehandlung bei Morbus Parkinson und atypischem Parkinson-Syndrom
Diese Komplexbehandlung zielt auf die Verbesserung der Lebensqualität undFunktionsfähigkeit von Parkinson-Patienten ab.
Strukturmerkmale:
- Team mit Behandlungsleitung durch einen Facharzt für Neurologie
- Vorhandensein von Physiotherapie/Physikalische Therapie und Ergotherapie
Mindestmerkmale:
- Wöchentliche Teambesprechung mit wochenbezogener Dokumentation der Behandlungsergebnisse und -ziele
- Einsatz von mindestens drei Therapiebereichen (Physiotherapie/Physikalische Therapie, Ergotherapie, Sporttherapie, Logopädie, künstlerische Therapie, Psychotherapie) mit mindestens 7,5 Stunden pro Woche, davon 5 Stunden in Einzeltherapie
- Neuropsychiatrische und kognitive Untersuchung mit standardisierten Skalen vor Beginn der Behandlung
- Dosisermittlung für das Levodopa/Carbidopa-Gel durch einschleichende Titrierung (bei Ersteinstellung mit L-Dopa-Gel)
Multimodale nichtoperative Komplexbehandlung des Bewegungssystems
Ziel dieser Behandlung ist die Linderung von Schmerzen und die Verbesserung derFunktionsfähigkeit bei komplexen Erkrankungen des Bewegungssystems.
Strukturmerkmale:
- Fachärztliche Behandlungsleitung
- Interdisziplinäre Diagnostik und Behandlung von komplexen Erkrankungen des Bewegungssystems
Mindestmerkmale:
- Behandlungsdauer von mindestens 12 Tagen
- Anwendung von mindestens fünf diagnostischen Verfahren, darunter neuroorthopädische Strukturdiagnostik, manualmedizinische Funktionsdiagnostik, Schmerzdiagnostik und apparative Diagnostik unter funktionspathologischen Aspekten
Palliativmedizinische Komplexbehandlung
Die palliativmedizinische Komplexbehandlung konzentriert sich auf die Symptomkontrolle und psychosoziale Stabilisierung von Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen und begrenzter Lebenserwartung.
Strukturmerkmale:
- Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin
Mindestmerkmale:
- Durchführung eines standardisierten palliativmedizinischen Basisassessments (PBA) zu Beginn der Behandlung
- Ganzheitliche Behandlung zur Symptomkontrolle und psychosozialen Stabilisierung
- Erstellung und Dokumentation eines individuellen Behandlungsplans
- Patientenindividuelle Verlaufsdokumentation palliativmedizinischer Behandlungsziele und Behandlungsergebnisse
- Wöchentliche multiprofessionelle Teambesprechung
- Einsatz von mindestens zwei Therapiebereichen (Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie, Heilpädagogik, Physiotherapie/Ergotherapie, künstlerische Therapie, Entspannungstherapie) mit insgesamt mindestens 6 Stunden pro Patient und Woche
Weitere Komplexbehandlungen
Neben den oben genannten Beispielen gibt es noch weitere neurologische Komplexbehandlungen, die spezifische Kriterien erfüllen müssen. Dazu gehören beispielsweise:
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- Intensivmedizinische Komplexbehandlung: Diese Behandlung wird auf Intensivstationen durchgeführt und erfordert eine ständige ärztliche Anwesenheit sowie eine kontinuierliche Überwachung der Patienten.
- Komplexbehandlung bei Besiedelung oder Infektion mit multiresistenten Erregern (MRE): Diese Behandlung erfordert spezielle Hygienemaßnahmen und die Durchführung von Untersuchungen zur Feststellung der Trägerschaft von MRE.
- Spezielle Komplexbehandlung der Hand: Diese Behandlung wird von Fachärzten mit der Zusatzbezeichnung Handchirurgie oder von Fachärzten für Physikalische und Rehabilitative Medizin in Kooperation mit einem Handchirurgen geleitet.
- Multimodale rheumatologische Komplexbehandlung: Diese Behandlung beinhaltet den Einsatz von Physiotherapie, Ergotherapie, Schmerztherapie, kognitiver Verhaltenstherapie und Gesprächspsychotherapie.
- Komplexbehandlung bei Diabetes mellitus: Diese Behandlung erfordert differenzierte Behandlungsprogramme für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, Insulinpumpentherapie, Bluthochdruck, Adipositas, Dyslipidämie, Nephropathie und schweren Hypoglykämien.
- Motivationsbehandlung Abhängigkeitskranker (Qualifizierter Entzug): Diese Behandlung wird von einem multidisziplinären Team unter der Leitung eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie oder eines Facharztes mit suchtmedizinischer Zusatzqualifikation durchgeführt.
- Komplexbehandlung bei Spina bifida: Diese Behandlung beinhaltet komplexe Diagnostik.
- Ganzkörper-Dermatotherapie: Diese Behandlung umfasst Maßnahmen wie Ganzkörper-Dermatotherapie (mindestens 2 x täglich), Balneotherapie und/oder Lichttherapie, allergologische, diätetische (Karenzdiäten) und/oder psychosomatische Maßnahmen, spezifische parenterale Infusionstherapie und Patientenschulung.
Bedeutung der Dokumentation
Eine sorgfältige Dokumentation ist ein wesentlicher Bestandteil jeder neurologischen Komplexbehandlung. Sie dient dazu, den Behandlungsverlauf nachvollziehbar zu machen, die Wirksamkeit der Therapie zu überprüfen und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Fachkräften zu verbessern. Die Dokumentation umfasst in der Regel:
- Die Ergebnisse des standardisierten palliativmedizinischen Basisassessments (PBA)
- Den individuellen Behandlungsplan
- Die Verlaufsdokumentation der Behandlungsziele und -ergebnisse
- Die Ergebnisse der wöchentlichen Teambesprechungen
Abrechnung und OPS-Kodes
Die neurologischen Komplexbehandlungen werden in Deutschland über das DRG-System (Diagnosis Related Groups) abgerechnet. Für die verschiedenen Arten von Komplexbehandlungen gibt es spezifische OPS-Kodes (Operationen- und Prozedurenschlüssel), die für die Abrechnung verwendet werden. Es ist wichtig, die jeweiligen Kriterien und Mindestmerkmale der OPS-Kodes genau zu beachten, um eine korrekte Abrechnung zu gewährleisten.
Qualitätsaspekte und Zertifizierung
Die Qualität der neurologischen Komplexbehandlungen wird durch verschiedene Maßnahmen sichergestellt. Dazu gehören beispielsweise die Einhaltung von Struktur- und Mindestmerkmalen, die Durchführung von regelmäßigen Teambesprechungen und die Dokumentation des Behandlungsverlaufs. Einige Einrichtungen lassen ihre Stroke Units oder andere neurologische Abteilungen zertifizieren, um die Qualität ihrer Versorgung nachzuweisen.
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