Die Alzheimer-Krankheit, benannt nach ihrem Entdecker Alois Alzheimer, ist ein Thema, das in der Gesellschaft Angst und Schrecken verbreitet. Die Vorstellung, sich selbst zu verlieren, die eigenen Angehörigen nicht mehr zu erkennen und auf ständige Hilfe angewiesen zu sein, ist beängstigend. Doch trotz der Herausforderungen, die diese Krankheit mit sich bringt, ist es wichtig, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen und Mythen abzubauen.
Was ist Alzheimer?
Alzheimer ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die vor allem durch den Verlust von Gedächtnis und kognitiven Fähigkeiten gekennzeichnet ist. Im Gehirn von Alzheimer-Patienten finden sich typischerweise Ablagerungen von zwei Proteinen: Beta-Amyloid und Tau. Beta-Amyloid lagert sich zu Plaques zusammen, die die Kommunikation zwischen den Nervenzellen stören. Tau-Proteine bilden Fibrillen, die ebenfalls die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 400.000 Menschen an Demenz, wobei die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form darstellt. Es ist wichtig zu betonen, dass Alzheimer keine normale Begleiterscheinung des Alterns ist, sondern eine eigenständige Krankheit.
Aktuelle Forschung und Kontroversen
In den letzten Jahren gab es einige Kontroversen und Herausforderungen in der Alzheimer-Forschung. So wurde dem Neurowissenschaftler Sylvain Lesné von der Universität in Minnesota (USA) vorgeworfen, Forschungsergebnisse zum Peptid Beta-Amyloid gefälscht zu haben. Konkret geht es um Abbildungen, die manipuliert worden sein sollen. Es besteht die Möglichkeit, dass das von ihm beschriebene Molekül Beta-Amyloid*-56 gar nicht existiert.
Obwohl Lesnés Arbeit in den letzten 15 Jahren häufig zitiert wurde, betonen Experten wie Prof. Dr. Thomas Arendt, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der AFI, dass seine Arbeiten keinen nennenswerten Einfluss auf die Alzheimer-Forschung gehabt haben. Keine aktuelle oder vergangene Medikamenten-Studie bezieht sich auf Beta-Amyloid*-56.
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Diese Vorwürfe unterstreichen die Notwendigkeit von Transparenz und Selbstkorrektur in der Wissenschaft. Dr. Linda Thienpont, Leiterin der Abteilung Wissenschaft der AFI, betont, dass die Wissenschaft sich meistens selbst korrigiert, es aber wichtig ist zu hinterfragen, warum dies in diesem Fall so lange gedauert hat.
Die Amyloid-Hypothese und alternative Forschungsansätze
Die Amyloid-Hypothese, die besagt, dass Beta-Amyloid eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielt, ist seit langem ein wichtiger Ansatzpunkt in der Forschung. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass die Fokussierung auf Amyloid die Forschung unnötig eingeengt hat.
Der Neurobiologe Christian Behl argumentiert, dass Alois Alzheimer bei seinen Untersuchungen viel mehr gesehen hat als nur Plaques und Tangles, nämlich Veränderungen in der Gefäßstruktur des Gehirns und Fettablagerungen. Er kritisiert, dass sich die Forschung über Jahrzehnte auf die Proteinablagerungen außerhalb und Proteinstränge innerhalb der Gehirnzellen fokussiert hat und andere Aspekte ausgeblendet wurden.
Neben der Amyloid-Hypothese werden auch zahlreiche andere Forschungsansätze verfolgt, um den Ursachen der Alzheimer-Krankheit auf den Grund zu gehen. Die Forschungen reichen von der Darm-Hirn-Achse über Lebensstilfaktoren bis hin zur Zellforschung.
Lecanemab: Ein Hoffnungsschimmer in der Alzheimer-Therapie
Trotz der Herausforderungen in der Forschung gibt es auch positive Entwicklungen in der Alzheimer-Therapie. Nach anfänglichen Bedenken hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA nunmehr Lecanemab als ersten Antikörper gegen Alzheimer in Europa zugelassen.
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Die Antikörper-Therapie, die in den USA und weiteren Ländern schon länger erhältlich ist, vermag die Erkrankung zwar nicht zu heilen, aber ihr Fortschreiten im Frühstadium deutlich zu verlangsamen, indem sie das Proteinfragment β-Amyloid aus dem Gehirn entfernt.
Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), beschreibt die derzeitigen Möglichkeiten der Therapie mit folgenden Worten: „Sie hemmt die Progression um etwa ein Drittel und es macht einen großen Unterschied, ob ich als Betroffener ein oder eineinhalb Jahre im Frühstadium der Erkrankung verbleibe, wie es die Zulassungsstudien gezeigt haben. Wir reden hier über ein geschenktes halbes Jahr bei noch guter Lebensqualität.“
Die Zulassung von Lecanemab ist ein wichtiger Schritt, um der Tabuisierung von Alzheimer in der Gesellschaft entgegenzuwirken und die noch vorherrschende Einstellung zu widerlegen, dass jegliche therapeutische Ansätze ohnehin wirkungslos seien.
Herausforderungen und Chancen der Frühdiagnostik
Da Lecanemab nur im Frühstadium der Erkrankung und auch nur im Falle einer Alzheimer-Pathologie und nicht bei anderen Demenzen wirkt, gilt es nun, die Frühdiagnostik auszubauen und die Ärzteschaft dahingegend zu sensibilisieren, erste Symptome wie z.B. Vergesslichkeit zum Anlass für eine weiterführende Diagnostik zu nehmen.
Nachdem Bluttests derzeit noch nicht zugelassen sind, kommen hierfür in erster Linie die Untersuchung des Nervenwassers durch Lumbalpunktion oder alternativ eine - allerdings mit Strahlenbelastung verbundene - Bildgebung mittels Amyloid-Positronen-Emissions-Tomographie (Amyloid-PET) in Betracht.
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Die Therapie erfordert es außerdem, den Ausbau von Infusionsplätzen für die alle zwei Wochen erforderliche Verabreichung der Antikörper voranzutreiben sowie die Kapazitäten für begleitende Diagnostik wie kontrollierende MRT-Scans zur Risikominimierung und zusätzliche Therapien (z.B. Kognitionstraining, Bewegungstherapie, psychologische Betreuung) zu schaffen. Damit bringt die Zulassung - neben den eigentlichen Kosten für Lecanemab an sich - weitere Herausforderungen für das Gesundheitswesen mit sich.
Risikofaktoren und Prävention
Obwohl die genauen Ursachen der Alzheimer-Krankheit noch nicht vollständig verstanden sind, gibt es eine Reihe von Risikofaktoren, die durch den persönlichen Lebenstil und medizinische Vorsorge beeinflussbar sind. Zu diesen Risikofaktoren zählen u.a. Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, Sehstörungen, Schwerhörigkeit, Fettstoffwechselstörungen und soziale Isolation.
Eine frühzeitige Bekämpfung solcher Risiken könnte Studien zufolge viele Demenzerkrankungen vermeiden oder zumindest deutlich hinauszögern. Es ist wichtig, auf einen gesunden Lebensstil zu achten, der regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und soziale Interaktion beinhaltet.
Mythen und Fakten über Alzheimer
Um die Krankheit besser zu verstehen, ist es wichtig, sich mit einigen Mythen und Fakten auseinanderzusetzen:
- Mythos: Alzheimer ist einfach nur Vergesslichkeit im Alter.
- Fakt: Alzheimer ist mehr als gelegentliche Gedächtnisstörungen. Sie beginnt meistens mit Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, die langsam häufiger werden und Wichtiges wie Unwichtiges gleichermaßen betreffen.
- Mythos: Alzheimer ist nicht tödlich.
- Fakt: Die Alzheimer-Krankheit verläuft zwar meist sehr langsam über viele Jahre, aber schreitet dennoch voran und führt zum Schluss zur völligen Pflegebedürftigkeit und Bettlägerigkeit.
- Mythos: Menschen mit Alzheimer können keine eigenen Entscheidungen mehr treffen.
- Fakt: Im leichten bis mittleren Stadium der Erkrankung können die betroffenen Menschen durchaus weiter sinnvolle Abwägungen treffen und sich ein eigenes Urteil bilden.
- Mythos: Alzheimer ist nicht behandelbar.
- Fakt: Alzheimer lässt sich zwar nicht heilen, die Krankheitsentwicklung ist aber über längere Zeit mit Medikamenten und durch Aufklärung und Beratung positiv zu beeinflussen.
- Mythos: Alzheimer betrifft nur ältere Menschen.
- Fakt: Alzheimer kann auch bereits Menschen im 3., 4. oder 5. Lebensjahrzehnt treffen. Dies wird „frühe Alzheimer-Krankheit“ genannt.
- Mythos: Aluminium und andere Umweltgifte verursachen Alzheimer.
- Fakt: Diese Annahmen haben sich in wissenschaftlichen Studien nicht bestätigt.
- Mythos: Alzheimer ist immer erblich.
- Fakt: Es gibt tatsächlich einige seltene Unterformen von Alzheimer, die in Familien über Generationen hinweg weitergegeben werden. Daneben gibt es aber bestimmte genetische Veränderungen, die das Risiko erhöhen oder auch vermindern, an Alzheimer zu erkranken.
Die Bedeutung der Selbstvertretung von Menschen mit Demenz
Ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Demenz ist die Stärkung der Selbstvertretung von Menschen mit Demenz. Oftmals werden Menschen mit Demenz als "sprachlose Schwerstdemente" wahrgenommen, die nicht in der Lage sind, sich für ihre eigenen Interessen einzusetzen.
In Schottland existiert seit nunmehr zehn Jahren eine Interessenvertretung von Betroffenen, die sogar als Lobby Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. In anderen Ländern formulieren Menschen mit Demenz ihre Wünsche und Forderungen im Rahmen von Townhall-Meetings oder betreiben Webforen.
Es ist wichtig, Menschen mit Demenz als Bürgerinnen und Bürger in den Blick zu nehmen und ihnen soziale Teilhabe- sowie Begegnungsmöglichkeiten zu erschließen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn den in der Gesellschaft wirkenden defizitär ausgerichteten Bildern von der Demenz andere Bilder entgegengesetzt werden.
Hirnleistungs-Checks zur Früherkennung: Nutzen und Risiken
Um bislang unbemerkte Anzeichen einer Demenz zu erkennen, werden diverse Tests etwa als „Brain-Check” angeboten. Nur bei deutlichem geistigen Abbau oder bei geriatrischen Untersuchungen können solche Tests Kassenleistung sein, ansonsten müssen sie als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) selbst bezahlt werden.
Der IGeL-Monitor fand keine wissenschaftlichen Studien zum Nutzen der Tests bei Menschen ohne Symptome einer Demenz. Das wissenschaftliche Team fand keine Studien dazu. Dennoch gibt es gute Gründe anzunehmen, dass kein Nutzen zu erwarten ist: Studien zeigen, dass Patientinnen und Patienten keine Vorteile von einem frühen Therapiebeginn haben. Folglich ist es unnötig, eine Demenz möglichst früh zu erkennen.
Schäden durch unnötige Beunruhigung und unnötige Therapien sind dagegen unausweichlich, da sich jede zweite leichte Demenz ohnehin nicht zu einer schweren Demenz weiter entwickelt.
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