Neurologische Schäden nach Narkose: Ursachen, Risiken und Prävention

Die Möglichkeit neurologischer Schäden nach einer Narkose ist ein Thema, das sowohl Patienten als auch medizinisches Fachpersonal beschäftigt. Obwohl Narkosen heutzutage sehr sicher sind, können in seltenen Fällen neurologische Komplikationen auftreten. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Risikofaktoren und Präventionsstrategien im Zusammenhang mit neurologischen Schäden nach Narkose.

Postoperative Kognitive Dysfunktion (POCD)

Die postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) ist ein klinisches Phänomen, das sich als eine nach einem operativen Eingriff neu aufgetretene kognitive Funktionsstörung definiert. Bereits 1955 wurde es von Bedford als „adverse cerebral effects of anaesthesia on old people“ beschrieben. Die Diagnose wird mittels psychometrischer Testverfahren prä- und postoperativ gestellt. Die Symptome sind vielfältig und subtil, abhängig von den beeinträchtigten kognitiven Domänen. Am häufigsten werden Gedächtnisstörungen und eine eingeschränkte Fähigkeit, intellektuelle Aufgaben zu bewältigen, genannt.

Die Angaben zur Inzidenz von POCD variieren stark, abhängig vom untersuchten Patientenkollektiv, der Definition von POCD, den angewandten Messmethoden, der statistischen Auswertung, dem Zeitpunkt der Erhebung sowie der Wahl einer Kontrollgruppe. Eine Übersichtsarbeit von Krenk et al. wies darauf hin, dass POCD alle Altersgruppen betreffen kann, bei Patienten über 60 Jahre aber länger persistiert und das Alltagsleben sowie die berufliche Reintegration erschwert.

Ursachen neurologischer Schäden nach Narkose

Die Mechanismen, die nach einer Operation und Anästhesie zu kognitiven Beeinträchtigungen führen, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch verschiedene Faktoren, die eine Rolle spielen können:

  • Entzündungsreaktionen: Tierexperimentelle Untersuchungen legen nahe, dass die immunologische Antwort nach einer Operation bedeutsam ist. Terrando und Koautoren zeigten experimentell an Mäusen, dass nach einem peripheren chirurgischen Eingriff durch die Aktivierung der inflammatorischen TNFα/NF-κB abhängigen Signalkaskaden die Integrität der Blut-Hirn-Schranke durch Freisetzung von Zytokinen beeinträchtigt wird. Dies erleichtert den Makrophagen die Migration in den Hippocampus und führt zur Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung.
  • Anästhetika: Die Effekte der Anästhetika per se auf die kognitiven Funktionen hängen von der Pharmakodynamik und -kinetik der einzelnen Substanzen ab. Es gilt: je kürzer die Wirkzeiten, desto kürzer die unmittelbar postoperativen kognitiven Einschränkungen. Bisher gibt es keinen Beweis, dass Anästhetika ursächlich zur prolongierten POCD beitragen.
  • Alter: Das Alter des Patienten ist ein entscheidender Risikofaktor für POCD. Hirnleistung und zerebrale Kompensationsfähigkeit nehmen im Alter ab. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren zeigen, dass eine zerebrale Komorbidität präoperativ häufig nicht erkannt wird.
  • Vorerkrankungen: Patienten mit Vorerkrankungen wie Koronarsklerose oder subklinischer Demenz haben eine höhere Inzidenz für POCD. Ito et al. wiesen an Patienten, bei denen im MRT eine Hirnischämie ohne klinische Symptomatik (silent brain ischemia) gezeigt wurde, eine höhere Inzidenz für POCD nach Bypass-Operation (15,2 % versus 4,9 % der Kontrollgruppe) nach.
  • Intraoperative Hypotonie: Ein starker Blutdruckabfall während der Narkose kann zu einer Minderdurchblutung des Gehirns führen und somit neurologische Schäden verursachen. Das kann vor allem dann passieren, wenn es sich um Patienten mit Vorerkrankungen handelt und es mit der Operation schnell gehen muss.
  • Längere Narkosedauer: Eine längere Narkose kann die synaptische Architektur des Gehirns signifikant verändern, was zu kognitiven Beeinträchtigungen führen kann.

Risikofaktoren für neurologische Schäden nach Narkose

Neben den bereits genannten Ursachen gibt es weitere Risikofaktoren, die das Auftreten neurologischer Schäden nach Narkose begünstigen können:

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  • Hohes Alter: Ältere Patienten haben ein erhöhtes Risiko für POCD und andere neurologische Komplikationen.
  • Vorliegen von Vorerkrankungen: Patienten mit neurologischen oder kardiovaskulären Vorerkrankungen sind stärker gefährdet.
  • Alkoholabusus: Hudetz und Koautoren konnten in ihrer randomisierten Untersuchung nachweisen, dass Patienten mit einer Alkoholanamnese, auch nach einer Alkoholkarenz von fünf Wochen, postoperativ ein kognitives Leistungsdefizit im Vergleich zu einer operierten Gruppe ohne Alkoholanamnese als auch zu nicht operierten Patienten mit und ohne Alkoholkonsum zeigten.
  • Geringe Bildung: Eine einfache Schulausbildung ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für POCD assoziiert.
  • Ängstlich-depressive Grundstimmung: Auch eine ängstlich depressive Grundstimmung kann das Risiko erhöhen.
  • Polypharmazie: Die gleichzeitige Einnahme mehrerer Arzneimittel (Polypharmazie) kann das Risiko für ein Delirium erhöhen.
  • Flüssigkeitsmangel: Ein Flüssigkeitsmangel vor oder während der Operation kann zu einer Beeinträchtigung der Organfunktion, einschließlich des Gehirns, führen.

Differenzialdiagnosen

Bei postoperativen Bewusstseinsstörungen müssen organische Differenzialdiagnosen wie das zentrale anticholinerge Syndrom (ZAS), Elektrolytstörungen oder Blutzuckerentgleisungen, (post-)iktale Phänomene sowie ein zerebrovaskuläres Ereignis ausgeschlossen werden. Jedes akute neurologische Defizit sollte im Zweifel wie ein Schlaganfall behandelt werden. Dies erfordert eine umgehende Bildgebung und die Beurteilung durch einen in der Schlaganfallbehandlung erfahrenen Arzt.

Funktionelle Neurologische Störung (FND)

Es ist wichtig, organische Ursachen von neurologischen Symptomen von funktionellen neurologischen Störungen (FND) zu unterscheiden. Die Prävalenz der FND wird auf 0,5 % in der allgemeinen Bevölkerung geschätzt. Zu den Risikofaktoren gehören ein Alter von 10 bis 35 Jahren, psychische Vorerkrankungen sowie eine vorausgegangene Episode einer FND. Außerdem wird eine anästhesiologische Assoziation aufgrund möglicher dissoziativer Wirkung der Anästhetika diskutiert. Auch der mit der Narkose einhergehende Kontrollverlust kann eine FND begünstigen.

Präventionsstrategien

Es gibt verschiedene Strategien, um das Risiko neurologischer Schäden nach Narkose zu minimieren:

  • Sorgfältige Indikationsstellung: Die Indikationsstellung für eine umfangreiche Operation bei älteren Menschen mit Komorbiditäten sollte die kritische Abwägung zwischen dem möglichen Vorteil durch die Operation gegenüber dem Nachteil einer wenn auch transienten kognitiven Verschlechterung beinhalten.
  • Schonende Narkoseführung: Eine schonende Narkose mit kurz wirksamen Anästhetika und einer engmaschigen Überwachung der Vitalfunktionen kann das Risiko neurologischer Komplikationen reduzieren.
  • Vermeidung intraoperativer Hypotonie: Eine adäquate Blutdruckkontrolle während der Operation ist entscheidend, um eine ausreichende Durchblutung des Gehirns zu gewährleisten.
  • Minimierung der Narkosedauer: Je kürzer die Narkose dauert, desto geringer ist das Risiko für neurologische Schäden.
  • Berücksichtigung von Risikofaktoren: Bei Patienten mit Risikofaktoren sollten zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um das Risiko neurologischer Komplikationen zu minimieren.
  • Frühzeitige Mobilisierung: Eine frühzeitige Mobilisierung nach der Operation kann die Reorientierung fördern und das Risiko für ein Delir reduzieren.
  • Optimale Schmerztherapie: Eine adäquate Schmerztherapie kann den Entzündungsstress reduzieren und somit das Risiko für neurologische Schäden senken.
  • Reorientierung und Stimulation: Alles, was Orientierung und Erinnerung bringt, hilft. Große, gut lesbare Uhren zum Beispiel, die neben der Uhrzeit auch den Wochentag und das Datum anzeigen. Um die Orientierung zu fördern, sollten Patient*innen unmittelbar nach der Operation wichtige Gegenstände, wie ihre Brille oder ihr Hörgerät zurückbekommen und zu viel Hektik und unnötiger Lärm vermieden werden.

Behandlung des Delirs

Studien zeigen, dass die Behandlungsumgebung eine zentrale Rolle in Prävention und Therapie spielt. Außerdem hilfreich ist es, auf den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus zu achten: Tagsüber werden die Patient*innen aktiviert, und nachts mit schlaffördernden Maßnahmen unterstützt.

Da Medikamente kaum helfen, ist es der einzige Weg, den verwirrten Patienten wieder in die Realität zurückzubringen. Eine ziemlich aufwendige und teure Therapie.

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