Das Zentrum für Neurologie, bestehend aus dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) und der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Tübingen, stellt eine bedeutende Einrichtung dar, die klinische Hirnforschung, medizinische Behandlung und wissenschaftliche Ausbildung auf höchstem Niveau vereint. Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung hat seit der Gründung des HIH etwa 60 Millionen Euro in das Institut investiert.
Struktur und Organisation
Das HIH zeichnet sich durch eine interdisziplinäre Organisationsstruktur aus, die Ressourcen bündelt und eine flexible Mittelvergabe zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen ermöglicht. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Das HIH arbeitet eng mit anderen Institutionen und Forschungsgruppen in Tübingen zusammen und ist Teil des Exzellenzclusters "Werner Reichardt Zentrum für Integrative Neurowissenschaften" (CIN). Zudem besteht eine enge Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) in Bonn.
Das HIH wird von einem paritätisch besetzten Vorstand geleitet, der sich aus den Leitern der sechs Abteilungen zusammensetzt. Der Vorstandsvorsitzende vertritt das HIH nach außen und koordiniert die Krankenversorgung.
Forschungsschwerpunkte der Abteilungen
Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung umfasst derzeit die folgenden sechs Abteilungen, wovon die ersten fünf an der stationären klinischen Versorgung beteiligt sind:
Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen (Prof. Dr. Ulf Ziemann): Die Abteilung konzentriert sich auf Gefäßerkrankungen des Gehirns, Schlaganfälle, Hirntumore, Hirnmetastasen, Multiple Sklerose und die Neurointensivmedizin. Sie verfügt über eine zertifizierte Schlaganfallstation, eine Schwerpunktstation für neuroonkologische und neuroimmunologische Patienten sowie eine neurologische Intensivstation in Planung. Zudem bestehen Schwerpunktambulanzen.
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Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie (Prof. Dr. Holger Lerche): Im Fokus stehen Epilepsien und andere anfallsartige neurologische Erkrankungen. Die molekulare und zelluläre Forschung konzentriert sich auf die genetischen Ursachen von Epilepsien und die Mechanismen, durch die Genmutationen Epilepsien auslösen können. Hier spielen Veränderungen von Ionenkanälen eine wichtige Rolle. Die klinische Forschung befasst sich v.a.
Neurologie mit Schwerpunkt neurodegenerative Erkrankungen (Prof. Dr. Thomas Gasser): Die Abteilung konzentriert sich auf neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Ataxien, spastische Spinalparalysen und Demenzen sowie auf andere Bewegungsstörungen wie Dystonie und Tremor. Im Bereich der Forschung geht es darum, jene genetischen Faktoren auf die Spur zu kommen, die für die Entstehung degenerativer Erkrankungen des Nervensystems verantwortlich sind.
Neurologie mit interdisziplinären Schwerpunkt Neuroonkologie (Prof. Dr. Dr. Ghazaleh Tabatabai): In meiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftige ich mich mit Aspekten der Tumorimmunologie in Hirntumoren mit einem besonderen Schwerpunkt auf Hirnmetastasen. Durch unsere Arbeiten konnten wir durch multiomics und bildbasierte Verfahren unterschiedliche krankheits-assoziierte Funktionen von hirnmetastase-infiltrierenden myeloiden und lymphoiden Populationen identifizieren. Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickeln wir neuartige Therapieansätze, die wir in präklinischen in vivo und ex vivo Modellen testen. Wir konzentrieren uns hierbei auf Strategien, die Resistenzmechanismen überwinden. Diese Ansätze umfassen Strategien der lokalen und systemischen Immunmodulation, unter anderem durch Modifikation des Immunmetabolismus oder Mikrobioms mit dem Ziel anti-tumor Immunität zu verstärken. Des Weiteren analysieren wir Eigenschaften von Tumorzellen, die es den Zellen erlauben, sich an die Gewebsumgebung des Gehirns zu adaptieren und zelluläre Funktionen zur Unterstützung des Tumorwachstums auszunutzen. Hierbei wird ein Fokus auf die Induktion neuronaler Eigenschaften in hirnmetastatischen Zellen gesetzt und Auswirkungen auf metabolische und immunologische Prozesse untersucht. Unser langfristiges Ziel besteht darin, wissenschaftliche Grundlagen für neuartige Therapieansätze gegen Hirnmetastasen zu entwickeln.
Kognitive Neurologie (Prof. Dr. Hans-Peter Thier): Die Abteilung stellt die beratende und ambulante neuropsychologische Versorgung sicher und behandelt Schwindelerkrankungen im interdisziplinären „Südwestdeutschen Schwindelzentrum”. Im Zentrum der Forschungsaktivitäten steht die Frage, wie das menschliche Gehirn Wahrnehmung, Vorstellungskraft, Urteilsvermögen und Lernfähigkeit ermöglicht. Weitere Forschungsschwerpunkte sind das Verständnis der visuellen Wahrnehmung, die Integration des Sehens mit anderen Sinnesmodalitäten sowie die neuronalen Grundlagen des motorischen Lernens.
Zellbiologie neurologischer Erkrankungen (Prof. Dr. ): Der Fokus liegt auf den zellulären und molekularen Mechanismen von Hirnalterung und altersbedingten neurodegenerativen Erkrankungen, insbesondere der Alzheimer-Erkrankung und anderer zerebraler Amyloidosen. Die Grundlagenforschung der Abteilung lieferte Erkenntnisse darüber, dass viele altersbedingte neurodegenerative Erkrankungen durch einen prionenähnlichen Mechanismus ausgelöst werden. Besonders bemerkenswert ist das Bestreben der Abteilung, diese Forschungsergebnisse in klinische Studien zu übertragen.
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Weitere Forschungsschwerpunkte und Projekte
Neben den Schwerpunkten der einzelnen Abteilungen gibt es weitere übergreifende Forschungsaktivitäten:
- Neuroplastizität: Das HIH beschäftigt sich mit den Grundlagen und der therapeutischen Nutzung der Anpassungsfähigkeit des Gehirns (Neuroplastizität). Durch die Untersuchung der Effekte von transkraniellen Hirnstimulationsverfahren und gezieltem Training werden Erkenntnisse über die gesunde Funktionsweise des Gehirns und dessen Beeinträchtigungen gewonnen. Das Ziel ist, neue, effektive und verträgliche Möglichkeiten zur Behandlung psychischer Erkrankungen zu entwickeln. Methodische Schwerpunkte sind transkranielle Magnetstimulation (TMS), transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) und der Einsatz spielerischer Elemente in kognitiven Trainingsprogrammen (Gamification).
- Molekulare Präzisionsmedizin bei neurodegenerativen Erkrankungen: Prof. Synofzik leitet ein innovatives Forschungsprogramm, das translationale Programmlinien von n-of-1 bis hin zu häufigen neurodegenerativen Erkrankungen entwickelt und umsetzt. Diese gehen aus von der einer molekularen Charakterisierung mittels Next-Generation Genomics Verfahren über ultrasensitive Protein-Biomarker und digitale-motorische Charakterisierung bis hin zu Trial-Readiness und First-In-Human Studien.
- iPSC-basierte Krankheitsmodelle: Das HIH entwickelt iPSC-basierte Krankheitsmodelle, um die Pathophysiologie neurologischer Erkrankungen besser zu verstehen und therapeutische Strategien zu entwickeln. Es wurden über 100 induzierte pluripotente Stammzelllinien (iPSC) von seltenen monogenetischen neurologischen Erkrankungen generiert.
Bedeutung für die Parkinson-Forschung
Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt des HIH liegt auf der Parkinson-Erkrankung. Thomas Gasser und seine Kollegen haben herausgefunden, dass Mutationen in den Genen LRRK2 und GBA1 das Risiko für Parkinson erhöhen. Diese Erkenntnisse haben das Verständnis der molekularen Mechanismen der Parkinson-Erkrankung erweitert und den Weg für Studien bereitet, in denen aktuell neue Therapie-Konzepte untersucht werden.
Gasser bereitet gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen eine klinische Studie vor, die auf Patientinnen und Patienten mit Parkinson und GBA1-Mutation ausgerichtet ist. Ziel ist es, den geistigen Abbau zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern.
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