Alkohol ist in vielen Gesellschaften ein akzeptierter Bestandteil des sozialen Lebens. Ein gelegentliches Glas in geselliger Runde wird oft als harmlos betrachtet. Regelmäßiger und übermäßiger Alkoholkonsum kann jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf das Nervensystem haben. Dieser Artikel beleuchtet die neurologischen Folgen von Alkoholkonsum, von akuten Auswirkungen bis hin zu chronischen Erkrankungen.
Einführung
Die Auswirkungen von Alkohol auf den Körper sind vielfältig und komplex. Während gelegentlicher, moderater Konsum oft als sozial akzeptabel gilt, kann übermäßiger und chronischer Alkoholkonsum zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen, insbesondere im Bereich des Nervensystems. Alkohol beeinflusst die Neurotransmitter im Gehirn, was zu veränderten oder fehlerhaften Übertragungen von Nervenimpulsen führt. Zudem kann es zu einem Mangel an wichtigen Vitaminen kommen, insbesondere der B-Vitamine, die für die Funktion des Nervensystems unerlässlich sind.
Akute Auswirkungen von Alkohol auf das Nervensystem
Beeinflussung der Neurotransmission
Alkohol nimmt Einfluss auf die Neurotransmitter, die Botenstoffe, die die Erregung von einer Nervenzelle auf andere Zellen übertragen. Dies führt zu einer falschen oder veränderten Übertragung von Nervenimpulsen. Im zentralen Nervensystem verstärkt Ethanol die inhibitorischen GABA-Rezeptoren, was zu einer verlangsamten Reaktionszeit und Koordinationsstörungen führt.
Symptome der Intoxikation
Bei einer akuten Alkoholintoxikation kommt es zu einer reversiblen exogenen Psychose mit Minderung der Selbstkontrolle und -kritik, Stimulation und Enthemmung sowie einer Euphorie oder auch Depression. Bei höheren Blutalkoholspiegeln (>2,0 ‰) treten Zeichen einer vestibulozerebellären Funktionsstörung mit (Rumpf-)Ataxie, Dysarthrie und Nystagmus sowie eine Bewusstseinsstörung bis hin zum Koma auf.
Verminderte Alkoholtoleranz
In seltenen Fällen kann es bereits nach Genuss von sehr kleinen Mengen Alkohol zu einem abrupt einsetzenden Erregungs- oder Dämmerzustand mit Sinnestäuschungen kommen, insbesondere bei verminderter Alkoholtoleranz, wie sie z. B. nach Schädel-Hirn-Traumata, Enzephalitiden, internistischen Erkrankungen, aber auch bei körperlicher oder geistiger Erschöpfung auftritt.
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Chronische Auswirkungen von Alkohol auf das Nervensystem
Vitaminmangel und alkoholische Polyneuropathie
Ein Vitaminmangel, insbesondere der B-Vitamine, ist eine häufige Folge von chronischem Alkoholmissbrauch. Diese Vitamine fungieren als wichtige Co-Faktoren der Enzyme, die den Stoffwechsel des Organismus steuern. Grund für die Entstehung eines Vitaminmangels ist oftmals, dass bedingt durch den Alkoholmissbrauch einer gesunden, ausgewogenen Ernährung weniger Beachtung geschenkt wird. Alkohol schädigt zudem die Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts, sodass der Körper Vitamine nur eingeschränkt aufnehmen kann.
Durch einen über längere Zeit erheblichen Alkoholkonsum kann sich eine Nervenerkrankung, die so genannte alkoholische Polyneuropathie, entwickeln. Die Mehrzahl dieser Polyneuropathien beruht auf der direkt schädigenden, toxischen Wirkung des Alkohols auf die Nervenzellen selbst, doch auch Vitaminmangel spielt eine Rolle.
Symptome der alkoholischen Polyneuropathie
Die alkoholische Polyneuropathie betrifft das periphere Nervensystem, also die Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark. In der Folge können Sensibilitätsstörungen, also Störungen des Empfindens von beispielsweise Berührungs-, Temperatur- und Schmerzreizen oder des Lageempfindens, sowie Wadenkrämpfe oder auch eine erhöhte Druckempfindlichkeit von Nerven auftreten. Insbesondere an den Extremitäten - wie Fingern und Zehen - kann es zu Dauerschmerzen kommen. Zu Erkrankungsbeginn kommt es häufig zu Kribbeln, Pelzigkeit und Taubheitsgefühlen und auch zu Veränderungen des Schweißverhaltens. Bei fortgeschrittener Erkrankung können chronische Schmerzen und Gangstörungen infolge motorischer Ausfälle auftreten.
Alkoholassoziierte Hirnatrophie und Demenzrisiko
Eine der wichtigsten Schäden infolge von Alkoholkonsum ist die alkoholassoziierte Hirnatrophie, die die graue und weiße Substanz betrifft und sich als Ventrikelerweiterung und Verbreiterung der Sulci in bildgebenden Verfahren darstellen lässt. Bei vergleichbarem Alkoholkonsum sind Frauen von einer Hirnatrophie stärker betroffen als Männer. Die Hirnatrophie ist im frontalen Kortex und Zerebellum besonders ausgeprägt, findet sich aber auch im anterioren Hippocampus alkoholabhängiger Patienten.
Im Gehirn verursacht ein regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen außerdem Veränderungen, die das Risiko einer Demenzerkrankung stark erhöhen. Studien zeigen, dass sich das Demenzrisiko deutlich erhöht, wenn man regelmäßig viel Alkohol trinkt. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet.
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Korsakow-Syndrom
Das Korsakow-Syndrom ist eine vor allem bei Alkoholikerinnen und Alkoholikern auftretende Form des Gedächtnisschwunds. Betroffene sind nicht in der Lage, neue Gedächtnisinhalte zu speichern oder wiederzugeben. Außerdem können sie oft Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit nicht mehr wiedergeben. Lücken im Gedächtnis werden beim Korsakow-Syndrom zum Teil mit erfundenen Geschichten aufgefüllt, die Betroffenen begreifen den Verlust der Erinnerungen nicht.
Weitere alkoholinduzierte neurologische Krankheiten und Syndrome
Neben den genannten Erkrankungen gibt es weitere neurologische Folgekrankheiten und Syndrome, die durch Schädigungen der Nervenzellen des zentralen Nervensystems entstehen:
- Wernicke-Enzephalopathie: Eine akute Erkrankung, die durch Thiaminmangel verursacht wird und sich durch Augenbewegungsstörungen, Störung der Bewegungskoordination und Bewusstseinsstörungen äußert.
- Zentrale pontine Myelinolyse (CPM): Eine Schädigung der Myelinbahnen im Gehirnstamm, die durch eine Fehlregulation des Natriumhaushalts verursacht wird und zu schwersten Bewusstseinsstörungen und Lähmungen führen kann.
- Marchiafava-Bignami-Syndrom: Eine sehr seltene Erkrankung, die durch Demyelinisierung und Nekrose des Corpus callosum gekennzeichnet ist und zu Demenz, Krampfanfällen, Gangstörungen und Koma führen kann.
- Alkoholdemenz: Eine Demenzform, die durch chronischen Alkoholabusus verursacht wird und mit Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Beeinträchtigung der Urteilsfähigkeit, aggressivem Verhalten oder Apathie einhergeht.
Neurobiologische Korrelate des chronischen Alkoholmissbrauchs
Die Symptome der Alkoholabhängigkeit, wie Toleranzerhöhung, Entzugssymptome, Verlangen nach Alkohol und Kontrollverlust, lassen sich anhand ihrer neurobiologischen Korrelate erklären.
- Toleranzentwicklung und Entzugssymptomatik: Das Gehirn reagiert auf die alkoholbedingte Sedierung mit einer gegenregulatorischen Verminderung der GABA-Rezeptoren. Bei Unterbrechung der Alkoholzufuhr kommt es zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegen eine Unterbrechung der Alkoholzufuhr und es können Krampfanfälle oder andere Entzugssymptome auftreten.
- Konditionierter Entzug: Umweltreize, die bisher mit dem Alkoholkonsum assoziiert waren, können im Organismus die Erwartung auslösen, dass jetzt der Alkoholkonsum unmittelbar bevorsteht und Entzugserscheinungen auslösen.
Die Rolle genetischer Faktoren
Eine Vielzahl von Studien zeigt übereinstimmend, dass genetische Faktoren deutlich zur Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit beitragen. Ein unscheinbareres Merkmal, das entscheidend an der Disposition zur Alkoholabhängigkeit beteiligt ist, ist eine teilweise genetisch bedingte, schwache Auswirkung akuten Alkoholkonsums.
Einfluss sozialer Isolation
Soziale Isolation ist einer der wichtigsten Stressfaktoren bei Menschen und Primaten und kann zum Rückzug in einen exzessiven Alkoholkonsum beitragen.
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Diagnose und Behandlung
Für die Diagnose der alkoholischen Polyneuropathie sind die Krankengeschichte und eine umfassende körperliche Untersuchung wichtig, um Erkrankungen, die ähnliche Symptome haben, auszuschließen.
Behandlungsmöglichkeiten
- Alkoholabstinenz: Eine strenge Alkoholabstinenz, die gegebenenfalls auch unter medizinisch überwachtem Entzug erreicht werden kann, ist notwendig, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.
- Vitamin B1-Substitution: Zur Prophylaxe einer Wernicke-Enzephalopathie muss eine parenterale Substitution von Vitamin B1 erfolgen.
- Medikamentöse Schmerztherapie: Antidepressiva können eingesetzt werden, um die Schmerzempfindlichkeit günstig zu beeinflussen.
- Psychotherapeutische Verfahren: In schweren Erkrankungsfällen können psychotherapeutische Verfahren hilfreich sein.
Therapie des Alkoholentzugsdelirs
Zur Behandlung des Alkoholentzugsdelirs werden verschiedene Medikamente eingesetzt, wie Clomethiazol und Benzodiazepine. Clomethiazol wirkt antikonvulsiv, antiadrenerg, anxiolytisch und sedierend. Benzodiazepine wirken gut antikonvulsiv, etwas vegetativ dämpfend und leicht anxiolytisch.
Prävention
Aufklärung über die Gefahren des Alkoholkonsums
Es ist wichtig, die Gefahren des Alkohols auf Nerven und Gehirn bekannter zu machen, da die neurologischen Langzeitfolgen des Alkoholkonsums enorm sind und oft unterschätzt werden.
Empfehlungen zum Alkoholkonsum
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) rät inzwischen aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, „am besten keinen Alkohol zu sich zu nehmen“.
Fazit
Alkohol kann das Nervensystem auf vielfältige Weise schädigen, von akuten Auswirkungen wie Koordinationsstörungen und Gedächtnislücken bis hin zu chronischen Erkrankungen wie Polyneuropathie, Hirnatrophie und Demenz. Es ist wichtig, sich der Risiken bewusst zu sein und den Alkoholkonsum zu reduzieren oder ganz darauf zu verzichten, um die Gesundheit des Nervensystems zu erhalten. Ein positiver Aspekt an alkoholbedingten Nervenschädigungen ist die hohe Regenerationsquote der betroffenen Nerven, sobald der Alkoholkonsum eingeschränkt oder sogar völlig eingestellt wird. Dennoch sollte das Ziel sein, Schädigungen von vornherein zu vermeiden.
Schlussfolgerung
Die Auswirkungen von Alkoholkonsum auf das Nervensystem sind weitreichend und können erhebliche gesundheitliche Folgen haben. Es ist wichtig, sich der Risiken bewusst zu sein und einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zu pflegen. Durch Aufklärung und Prävention können die negativen Auswirkungen von Alkohol auf das Nervensystem reduziert werden.
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