Die neurologische Untersuchung bei Kindern ist ein wichtiger Bestandteil der neuropädiatrischen Versorgung. Sie dient dazu, Erkrankungen des Nervensystems frühzeitig zu erkennen und eine adäquate Behandlung einzuleiten. Dieser Artikel bietet einen detaillierten Überblick über den Ablauf einer solchen Untersuchung, die verschiedenen Testverfahren und ihre Bedeutung.
Einführung
In der Neuropädiatrie werden Nervenerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen behandelt, die das zentrale (Gehirn, Rückenmark) und periphere Nervensystem sowie Muskelerkrankungen betreffen. Diese Erkrankungen können sich in vielfältiger Weise äußern, von motorischen und kognitiven Entwicklungsverzögerungen bis hin zu komplexen neurologischen Symptomen wie Epilepsie oder Multipler Sklerose.
Ablauf einer neurologischen Untersuchung
Um Kindern bestmöglich zu helfen, wird ein strukturierter Ablauf verfolgt, der sicherstellt, dass zielgerichtet vorgegangen und alle relevanten Informationen berücksichtigt werden.
- Anmeldung und Anamnese: Der Prozess beginnt oft mit einem Anmeldebogen, der wichtige Informationen zur Krankengeschichte und aktuellen Beschwerden des Kindes erfasst. Ein ausführliches Gespräch (Anamnese) mit den Eltern und dem Kind (je nach Alter) ist entscheidend, um die Vorgeschichte, Symptome und mögliche Auslöser zu verstehen.
- Individuelle Betreuung: Die Betreuung erfolgt durch ein spezialisiertes Team, das auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen eingeht.
- Wichtige Unterlagen: Vor dem ersten Termin sollten alle relevanten Unterlagen wie Vorbefunde, Arztbriefe und Impfpass zusammengestellt werden.
- Terminplanung: Vereinbarte Termine sollten unbedingt eingehalten werden, da sozialpädiatrische Diagnostik oft viel Zeit benötigt. Vormittagstermine sind für manche Untersuchungen, wie Konzentrationstests, am sinnvollsten.
- Körperliche Untersuchung: Die neurologische Untersuchung umfasst verschiedene Tests, die altersgerecht angepasst werden.
Allgemeine Aspekte der körperlichen Untersuchung
- Bewusstseinslage (Vigilanz): Der Arzt beurteilt die Wachheit des Patienten durch Fragen nach Geburtsdatum, Vornamen oder Aufenthaltsort. Eine korrekte Beantwortung deutet auf einen wachen und orientierten Zustand hin.
- Puls und Blutdruck: Das Tasten der Pulse und eine Blutdruckmessung sind grundlegende Bestandteile der Untersuchung.
- Äußere Anzeichen: Geprüft wird, ob es äußere Anzeichen für eine Erkrankung gibt, z.B. an der Art zu gehen, an der Körperhaltung, am Gleichgewicht oder an Bewegungseinschränkungen. Bei einer kurzen körperlichen Untersuchung hört die Ärztin oder der Arzt die Lunge und das Herz ab.
Untersuchung der Hirnnerven
Die zwölf Hirnnerven werden einzeln überprüft, um ihre Funktion zu beurteilen:
- I. Nervus olfactorius (Riechen): Überprüfung durch Riechtests.
- II. Nervus opticus (Sehen): Erkennen von Gegenständen oder Buchstaben aus einer bestimmten Entfernung, Überprüfung der Pupillenreaktion.
- III. Nervus oculomotorius (Augenbewegung): Der Patient folgt dem Finger des Arztes mit den Augen.
- IV. Nervus trochlearis (Augenbewegung): Der Patient sieht nach innen und unten, wobei beide Augen getrennt voneinander getestet werden.
- V. Nervus trigeminus (Kauen und Sensibilität): Der Arzt streicht dem Patienten über das Gesicht und fragt, ob er die Berührung spürt. Es wird auch auf Schmerzen an den Austrittspunkten der Nerven oberhalb der Augenbrauen, unterhalb der Augen und am Kinn geachtet.
- VI. Nervus abducens (Augenbewegung): Der Patient sieht nach außen, auch hier wird im Seitenvergleich getestet.
- VII. Nervus facialis (Mimik und Geschmack): Der Patient bläst die Backen auf, runzelt die Stirn und macht einen Kussmund. Außerdem wird das Geschmacksempfinden des Patienten erfragt.
- VIII. Nervus vestibulocochlearis (Hören und Gleichgewicht): Der Arzt reibt die Finger in der Nähe der Ohren, um das Gehör zu überprüfen. Mit einem Gleichgewichtstest wird die Nervenfunktion überprüft.
- IX. Nervus glossopharyngeus (Schlucken): Der Arzt inspiziert den Rachen und das Schluckvermögen.
- X. Nervus vagus (Steuerung von inneren Organen): Der Arzt fragt nach Auffälligkeiten beim Herzschlag, beim Atmen oder der Verdauung.
- XI. Nervus accessorius (Teil der Kopfmuskulatur): Der Arzt drückt die Schultern nach unten, während der Patient diese hochzieht. Außerdem sollte der Kopf gegen Widerstand gedreht werden können.
- XII. Nervus hypoglossus (Zunge): Der Patient streckt die Zunge heraus und bewegt sie zu allen Seiten.
Untersuchung von Motorik, Sensibilität und Koordination
- Motorik: Der Arzt untersucht die Muskelkraft und teilt sie in verschiedene Kraftgrade ein, um Lähmungen oder Verkrampfungen (Spastiken) zu erkennen.
- Sensibilität: Überprüft werden das Berührungs-, Schmerz-, Temperatur- und Vibrationsempfinden sowie Lageveränderungen am gesamten Körper.
- Koordination: Die Koordination wird zum Beispiel durch den Finger-Nase-Versuch getestet, bei dem der Patient mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen den Zeigefinger zur Nase führen muss.
- Stand und Gleichgewicht: Stand und Gleichgewicht lassen sich etwa mit dem Romberg-Stehversuch testen. Mit dem Unterberger-Tretversuch testet man Stand, Gang und Gleichgewicht: Hier muss der Patient mit geschlossenen Augen und vorgestreckten Armen 50 bis 60 Schritte auf der Stelle machen.
Reflexprüfungen
Die neurologische Untersuchung beinhaltet auch die Prüfung der Reflexe. Mit Hilfe eines Reflexhammers testet der Arzt die sogenannten Muskeleigenreflexe wie zum Beispiel den Bizepssehnenreflex.Außerdem werden die Primitivreflexe getestet, welche beim Gesunden nicht mehr auslösbar sein sollten und nur bei Neugeborenen und Kleinkindern vorhanden sind. So wird beim Babinski-Reflex der Fußaußenrand kräftig bestrichen.
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Weitere Tests
- Meningismus-Prüfung: Um eine Hirnhautentzündung auszuschließen, legt der Patient das Kinn auf die Brust. Schmerzen deuten auf einen Meningismus (Nackensteifigkeit) hin.
- Sprache und Kognition: In diesem Bereich gehören Sprach- und Rechentests sowie Fragen und Tests zur Merkfähigkeit und zur Orientierung, etwa nach der Jahreszeit, nach dem Datum, dem Beruf oder dem aktuellen Ort.
EEG (Elektroenzephalogramm)
Das EEG ist eine wichtige Untersuchungsmethode zur Beurteilung der Hirnaktivität. Dabei werden Elektroden auf der Kopfhaut befestigt, um die elektrischen Ströme des Gehirns aufzuzeichnen.
- Wozu dient das EEG? Das EEG ist besonders nützlich bei der Diagnostik und Behandlung von Anfällen und Epilepsien. Es kann auch bei Bewusstseinsstörungen anderer Ursache und bei einigen anderen Erkrankungen sinnvoll sein.
- Wie wird ein EEG abgeleitet? Kleine Elektroden werden mit Gurten oder einer Haube am behaarten Kopf befestigt und mit einem Verstärker verbunden.
- Was kann man tun, damit die EEG-Ableitung gelingt? Es ist wichtig, dass das Kind still hält. Bei unruhigen Kindern kann ein Saft zum Schlafen gegeben werden. Es ist günstig, wenn die Kinder müde sind, da eine EEG-Ableitung im Schlaf besonders wertvoll ist.
- Verschiedene EEG-Arten:
- Wach-EEG: Das EEG wird in der Regel im Wachen abgeleitet. Sofern die Kindern alt genug sind, wird auch eine Hyperventilation durchgeführt. Nach der Hyperventilation werden die Kinder oft müde. Bei einem Teil der Kinder wird zusätzlich noch eine Photostimulation durchgeführt.
- Schlaf-EEG: Das Schlaf-EEG umfasst idealerweise Einschlafphase, Schlaf und die Aufwachphase. Es ist besonders dann sinnvoll, wenn das Wach-EEG keinen eindeutigen Befund ergeben hat. Das Schlaf-EEG ist besonders dann ergiebig, wenn die Kinder zuvor lange wachgehalten wurden.
- Langzeit-EEG: In seltenen Fällen ist eine EEG-Ableitung über 24 Stunden indiziert.
Bildgebende Verfahren
Je nach Fragestellung können bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes eingesetzt werden, um detaillierte Bilder des Gehirns zu erhalten.
- Abschließende Auswertung und Therapieplanung: Sobald alle neuropsychologischen Untersuchungen abgeschlossen und ausgewertet sind und die Vorbefunde gesichtet wurden, erfolgt das ärztliche Abschlussgespräch. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden sorgfältig ausgewertet, um eine Diagnose zu stellen und einen individuellen Therapieplan zu entwickeln.
- Kostenübernahme: Alle notwendigen Untersuchungen werden vollständig von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen übernommen.
Spezifische neurologische Erkrankungen bei Kindern
Epilepsie
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholteAnfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch kurz dauernde vermehrte (abnorme) Entladungen von Nervenzellen im Gehirn.
- Diagnostik: Bei einem ersten Anfall werden die Eltern ausführlich befragt, um den genauen Ablauf und mögliche Auslöser zu ermitteln. Nach einer körperlichen Untersuchung werden meist das Blut untersucht und ein EEG durchgeführt. Je nach Ergebnis kann eine Kernspintomographie des Kopfes erforderlich sein.
- Behandlung: Wenn mehrere Anfälle auftreten, ist eine dauerhafte Behandlung mit Medikamenten erforderlich. In 60-70% der Fälle lassen sich Epilepsien gut mit Medikamenten behandeln. Es gibt Notfallmedikamente für erneute Anfälle.
Fieberkrämpfe
Fieberkrämpfe treten bei Säuglingen und Kleinkindern im Zusammenhang mit Fieber auf. Sie äußern sich durch unkontrollierte Zuckungen und Bewusstseinsverlust.
- Komplizierte vs. unkomplizierte Fieberkrämpfe: Unkomplizierte Fieberkrämpfe sind meist harmlos, während komplizierte Fieberkrämpfe (länger als 15 Minuten, wiederholte Anfälle) ärztlich abgeklärt werden sollten, da sie ein erstes Anzeichen für eine Epilepsie sein können.
- Diagnostik: Um den Fieberkrampf von einer beginnenden Epilepsie abzugrenzen, werden ein ausführliches Gespräch, eine körperliche Untersuchung und ein EEG durchgeführt.
- Behandlung: Selbst häufige Fieberkrämpfe erfordern meist keine dauerhafte medikamentöse Behandlung. Eltern erhalten ein krampflösendes Notfall-Medikament.
Entwicklungsretardierung / Entwicklungsverzögerung
Eine Entwicklungsverzögerung liegt vor, wenn die Entwicklung eines Kindes im Vergleich zu Gleichaltrigen langsamer verläuft. Dies kann die motorische, kognitive oder sprachliche Entwicklung betreffen.
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- Ursachen: Entwicklungsverzögerungen können durch verschiedene Faktoren verursacht werden, wie z.B. Seh- oder Hörstörungen, genetische Ursachen oder Schädigungen des Gehirns.
- Diagnostik: Bei einer Entwicklungsverzögerung ist eine ärztliche Abklärung zu empfehlen. Im Rahmen des Untersuchungstermins wird ein ausführliches Gespräch geführt und eine körperliche Untersuchung durchgeführt. Je nach Ergebnis können weitere Untersuchungen wie EEG oder Ultraschall des Schädels folgen.
Kopfschmerzen
Kopfschmerzen sind ein häufiges Problem bei Kindern und Jugendlichen. Es gibt verschiedene Formen von Kopfschmerzen, wie Spannungskopfschmerzen und Migräne.
- Spannungskopfschmerzen: Die genaue Ursache ist unbekannt, oft sind Verspannungen in der Nacken-, Hals- und Schultermuskulatur beteiligt.
- Migräne: Migräne-Kopfschmerzen treten anfallsartig auf und werden oft von Übelkeit, Erbrechen oder Sehstörungen begleitet.
- Diagnostik: Um die Ursache der Kopfschmerzen herauszufinden, ist ein ausführliches Gespräch und ein Kopfschmerztagebuch hilfreich. Es können auch ein EEG und eine Magnetresonanztomographie des Kopfes durchgeführt werden.
- Behandlung: Es gibt Medikamente, die bei akuten Kopfschmerzen helfen können. Ergänzend können nicht-medikamentöse Behandlungsformen wie Entspannungsübungen oder Akkupunktur eingesetzt werden.
Multiple Sklerose (MS)
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Isolierschicht der Nervenzellen angreift. Dies führt zu neurologischen Symptomen wie Sehstörungen, Müdigkeit, unsichere Bewegungen und Lähmungen.
- Diagnostik: Bei Verdacht auf MS werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt, darunter ein ausführliches Gespräch, eine neurologische Untersuchung und eine Blutentnahme. Je nach Ausprägung der Symptome können weitere Untersuchungen folgen.
Bedeutung der neurologischen Untersuchung
Die neurologische Untersuchung ist eine wichtige ärztliche Aufgabe, um Krankheiten des Nervensystems zu erkennen und eine individuelle Behandlung zu ermöglichen. Sie ist eine humane und kindgerechte Untersuchungsmethode, die sicherstellt, dass die Medizin für Kinder immer auch humane Medizin ist.
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