Neuropeptide in der Demenzforschung: Neue Wege zum Verständnis und zur Behandlung

Die Demenzforschung hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere im Hinblick auf die Rolle von Neuropeptiden. Neuropeptide, chemische Botenstoffe im Gehirn, beeinflussen eine Vielzahl von Prozessen, darunter Gedächtnis, Lernen, Emotionen und Sozialverhalten. Angesichts der wachsenden Zahl von Menschen, die an neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer leiden, ist es von entscheidender Bedeutung, die komplexe Rolle von Neuropeptiden im Gehirn und ihren Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf von Demenzerkrankungen besser zu verstehen.

Immuntherapie bei Alzheimer: Ein Paradigmenwechsel

Traditionell wurde angenommen, dass das Gehirn und das Immunsystem voneinander isoliert sind und dass Immunzellen, die in das Gehirn eindringen, schädliche Entzündungen verursachen. Neuere Forschungsergebnisse haben jedoch gezeigt, dass das Immunsystem eine schützende Rolle im Gehirn spielen und vor neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer schützen kann.

Professorin Michal Schwartz vom israelischen Weizmann Institute of Science hat in Experimenten an Mäusen gezeigt, dass eine gezielte Stärkung des Immunsystems die für die Alzheimer-Krankheit typischen Hirnschäden verhindern und kognitive Fähigkeiten wie Erinnerung und Orientierung erhalten kann. Schwartz entdeckte, dass eine Hirnregion namens Adergeflecht nicht nur Gehirnflüssigkeit produziert, sondern auch als Schnittstelle der Blut-Hirn-Schranke fungiert, die den Übergang von Immunzellen ins Gehirn steuert.

Die Aktivierung des Immunsystems löst eine Kaskade von Prozessen aus, wodurch Makrophagen und andere weiße Blutkörperchen ins Gehirn gelangen und geschädigtes Nervengewebe abbauen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass eine gezielte Aktivierung des Immunsystems außerhalb des Gehirns die krankhaften Prozesse einer fortschreitenden Alzheimer-Erkrankung im Gehirn positiv beeinflussen kann. Eine solche Immuntherapie wäre die erste krankheitsmodifizierende Behandlung für Alzheimer.

Neuropeptide und die Anpassungsfähigkeit des Gehirns

Neuropeptide spielen eine Schlüsselrolle für die Neuroplastizität, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns. Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, Nervenzellen miteinander zu verschalten, um sich zu verändern, aus Erfahrungen zu lernen und Erinnerungen zu generieren. Bei Demenz ist diese Fähigkeit beeinträchtigt.

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Dr. Sabine Krabbe, DZNE-Wissenschaftlerin, forscht an der Rolle von Neuropeptiden bei der Steuerung von Emotionen und daraus resultierenden Verhaltensweisen. Ihr Forschungsvorhaben konzentriert sich auf die Amygdala, eine Hirnregion, die für die Steuerung von Emotionen und daraus resultierende Verhaltensweisen eine zentrale Rolle spielt. Krabbe untersucht, wie bestimmte Botenstoffe, sogenannte Neuropeptide, das Gehirn beeinflussen und infolgedessen adaptive, emotional geprägte Reaktionen steuern.

Neuropeptide können Neurone langsam modulieren und dem Nervenzellen abgestufte und detaillierte Anweisungen geben. Sie können unser Gehirn und unsere Gefühle über Stunden, Tage oder Wochen hinweg beeinflussen und lebenswichtige Zustände wie Furcht, Aggression oder Hunger langfristig regulieren.

Autophagie und Gedächtnisbildung im Alter

Eine neue Studie von Einstein-Professor Stephan Sigrist beschäftigt sich mit der Fähigkeit von Menschen, im Alter neue Erinnerungen zu bilden. Die Studie zeigt, dass Menschen in zunehmendem Alter nur dann neue Erinnerungen bilden können, wenn ein zelluläres Reinigungsprogramm im Gehirn, die sogenannte Autophagie, funktionstüchtig bleibt.

Erinnerungen werden durch strukturelle und funktionelle Veränderungen an Neuron-zu-Neuron-Verbindungen (Synapsen) im Gehirn gespeichert. Eine Zunahme der Größe dieser präsynaptischen Strukturen kann zu altersbedingten Gedächtnisstörungen führen. Das körpereigene Kleinmolekül Spermidin kann diesen altersbedingten Gedächtnisstörungen entgegenwirken, indem es die Größe der präsynaptischen Strukturen stabilisiert und die Gedächtnisleistungen auf dem Niveau jugendlicher Tiere stabilisiert. Spermidin führt zur Belebung des zellulären Reinigungsprogramms Autophagie.

Die Fähigkeit der Fruchtfliege, sich zu erinnern, ist abhängig davon, wie gut das Reinigungsprogramm Autophagie in einem spezifischen Lern- und Gedächtniszentrum in ihrem Gehirn funktioniert. Eine genetische Blockade der Autophagie in diesem Lern- und Gedächtniszentrum verursacht eine frühzeitige Gedächtnisstörung. Normalerweise unterdrücke die Freisetzung schützender Neuropeptide eines bestimmten Typus aus den Lernzentren die synaptische Alterung im Gehirn. Wird die autophagische Reinigung in den Lernzentren allerdings ineffizient, würden auch weniger solcher Neuropeptide freigesetzt, und die Synapsen alterten im gesamten Gehirn.

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PACAP als potenzieller Therapieansatz bei Alzheimer

Dr. Elzbieta Kojro und ihre Mitarbeiter am Institut für Biochemie der Universität Mainz haben entdeckt, dass das Neuropeptid PACAP (pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide) als starker Aktivator der α-Sekretase wirkt. Die α-Sekretase verhindert die Bildung amyloidogener Peptide und führt zur Freisetzung von löslichem APPsα, das neuroprotektive Eigenschaften hat. Daher könnte die Stimulation der a-Sekretase-Aktivität eine positive Wirkung haben, und die pharmakologische Hochregulation der a-Sekretase wäre ein möglicher Ansatz zur Behandlung der Alzheimer-Demenz (AD).

In transgenen Mausmodellen der Alzheimer-Erkrankung wird während des Alterungsprozesses sowohl die α-Sekretase ADAM10 als auch ihr Aktivator PACAP herunterreguliert. Durch intranasale Applikation des Neuropeptids zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung konnte die Aktivität der α-Sekretase erhöht werden. Die Behandlung mit PACAP führte zu einer Reduktion von kognitiven Defiziten in dem Alzheimer-Mausmodell.

Langfristige nasale PACAP-Verabreichung erhöhte die Menge von gehirnschützenden Proteinen und beeinflusste den Spiegel von anderen, bei der Alzheimer-Erkrankung, wichtigen Gene vorteilhaft. Letztendlich verbesserte die PACAP-Gabe die Gedächtnisleistung der behandelten Mäuse.

Peptide als Hemmstoffe der Amyloidbildung

Bei vielen zell- und neurodegenerativen Erkrankungen bilden sich giftige Eiweißaggregate, die Zellen zum Absterben bringen. Prominente Vertreter dieser Krankheiten sind die Alzheimer-Demenz und der Typ-2-Diabetes mellitus. Frühere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass bestimmte Wechselwirkungen zwischen den Eiweißen der beiden Erkrankungen ihre Amyloidbildung dramatisch beschleunigen können.

Das Team um Prof. Aphrodite Kapurniotu (TUM) konzipierte synthetische Peptide, die als mögliche Hemmstoffe der Amyloidbildung in beiden Erkrankungen fungieren könnten. Diese Peptide binden die amyloidbildenden Eiweiße, die mit beiden Erkrankungen zusammenhängen, und verhindern nicht nur, dass diese sich zu schädlichen Amyloidaggregaten zusammenlagern sondern auch, dass sie miteinander wechselwirken. Die durch die Hemmstoff-Eiweiß-Bindung entstehenden gemischten Aggregate sehen verblüffenderweise den schädlichen Amyloiden sehr ähnlich, sind jedoch für die Zellen unschädlich.

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Neuropeptide und Sozialverhalten

Soziale Eigenschaften wie Einzelgängertum oder Gruppenzugehörigkeit werden auch durch körpereigene Stoffe beeinflusst. Britische Forscher haben herausgefunden, dass Glücks-, Kuschel- oder Treuehormone das Wohlbefinden und Sozialverhalten beeinflussen. Die Aufgaben einzelner Stoffe sind dabei recht spezifisch für bestimmte soziale Eigenschaften. Einige seien vor allem für die Qualität der Partnerschaft wichtig, andere beeinflussten das Engagement in größeren sozialen Gruppen.

Eine zentrale und übergreifende Rolle spielten Endorphine und Dopamin. Dopamin beeinflusst vor allem die sozialen Bindungen in größeren Netzwerken - außerhalb von Zweierbeziehungen. Unterschiedliche Varianten in Endorphin-Bindungsstellen standen hingegen mit Unterschieden im empathischen Verhalten im Zusammenhang. Oxytocin stand wie in früheren Untersuchungen auch vor allem mit unterschiedlichen Aspekten der Paarbindungen in Zusammenhang.

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