Neurose: Definition, Symptome, Ursachen und Behandlung

Die Neurose ist ein Begriff, der in der Psychologie und im allgemeinen Sprachgebrauch häufig vorkommt. Obwohl der Begriff in modernen Klassifikationssystemen wie dem ICD-10 und DSM-5 nicht mehr als Hauptdiagnose verwendet wird, ist das Verständnis der Neurose und ihrer verschiedenen Aspekte weiterhin relevant, um psychische Störungen besser zu verstehen.

Was ist eine Neurose?

Der Begriff Neurose hat eine lange Geschichte. Er wurde im 18. Jahrhundert geprägt und im Laufe der Zeit immer weiterentwickelt. Ursprünglich bezeichnete er allgemein Nervenerkrankungen ohne erkennbare organische Ursache. Sigmund Freud prägte den Begriff maßgeblich und verstand darunter eine psychische Störung, die durch unbewusste Konflikte verursacht wird.

Heute wird der Begriff Neurose eher umgangssprachlich verwendet, da die moderne Psychiatrie und Psychologie dazu übergegangen sind, spezifischere Diagnosen wie Angststörungen, Zwangsstörungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) zu verwenden. Trotzdem bleibt die grundlegende Idee der Neurose als psychosozial oder seelisch bedingte Gesundheitsstörung ohne nachweisbare organische Grundlage bestehen.

Definition nach ICD und DSM

In den aktuellen Diagnoseklassifikationssystemen (ICD 10 und DSM 5) wurde das jahrelang gültige Konzept von Neurose aufgelöst. Anstelle einer Angstneurose spricht man heute von einer Panikstörung oder einer generalisierten Angststörung, und eine depressive Neurose wird nun Major Depression genannt. Der Oberbegriff Neurose gilt mittlerweile als veraltet und in der Literatur verwendet man immer häufiger den Begriff der neurotischen Störung.

Das ICD 10 ("International Classification of Diseases", 10. Auflage) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Es wurde von der WHO (World Health Organization) eingeführt. Die Ziffer 10 bei der ICD-10 steht für die zehnte Edition. Das ist die Edition, die derzeit verwendet wird. Die ICD-11 soll am 1. Januar 2022 in Kraft treten und nach einer flexiblen Übergangszeit von fünf Jahren ausschließlich verwendet werden.

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Das "Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen" (DSM 5, engl.: "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders") ist ein Klassifikationssystem der APA (American Psychiatric Association). Es wird vor allem in den USA genutzt. In Europa dient es meist als Ersatz oder Ergänzung für die das ICD-10.

Neurose vs. Psychose

Ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung von Neurosen ist der Unterschied zur Psychose. Im Gegensatz zur Psychose gehen Neurosen nicht mit einer Beeinträchtigung des Realitätsbezuges einher. Das bedeutet, dass Menschen mit Neurosen sich ihres Zustandes bewusst sind und die Realität noch als solche wahrnehmen. Sie erkennen die mit ihrer Störung im Zusammenhang stehenden Abweichungen im Erleben und Verhalten. Bei einer Psychose hingegen ist der Bezug zur Realität gestört, was sich in Wahnvorstellungen oder Halluzinationen äußern kann.

Symptome einer Neurose

Die Symptome einer Neurose können vielfältig sein und hängen stark von der spezifischen Form der neurotischen Störung ab. Da Neurose als Sammelbegriff für verschiedene psychische Störungen dient, können die Symptome sehr unterschiedlich sein. Einige der häufigsten Symptome sind:

  • Ängste: Übermäßige Angstzustände, Panikattacken, Phobien (z.B. soziale Phobie, Agoraphobie).
  • Zwänge: Zwanghafte Gedanken oder Handlungen, die immer wieder ausgeführt werden müssen.
  • Depressionen: Anhaltende Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Interessenverlust.
  • Somatoforme Störungen: Körperliche Beschwerden ohne organische Ursache (z.B. Herzneurose, Magenbeschwerden).
  • Entfremdungsempfinden: Das Gefühl, nicht mehr man selbst zu sein oder die Umgebung als unwirklich wahrzunehmen (Depersonalisation, Derealisation).
  • Hypochondrie: Ständige Angst, krank zu sein oder zu werden.
  • Hysterische Symptome: Geltungsbedürfnis, Egozentrismus, Bewegungs- und Gefühlsstörungen, Lähmungen, Schwäche oder sogar ein Ausfall der Sinnesorgane.

Beispiele für neurotische Störungen und ihre Symptome

  • Angstneurose (Angststörung): Stark übertriebene Gefühle von Angst und Furcht.
  • Depressive Neurose (Depressive Störung): Langandauernde Gemütsstimmung, die sich durch Antriebslosigkeit und starke Unlust äußert.
  • Phobie: Krankhafte Angst vor bestimmten Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten oder Personen.
  • Zwangsneurose (Zwangsstörung): Der Zwang, bestimmte, nicht sinnvolle Handlungen immer wieder zu wiederholen.
  • Hysterische Neurose: Keine einheitliche Symptomatik, jedoch spielen hier vor allem Geltungsbedürfnisse und Egozentrismus eine ausschlaggebende Rolle.
  • Hypochondrische Neurose (Hypochondrische Störung): Übertriebene Angst, krank zu sein oder zu erkranken.

Ursachen von Neurosen

Die Ursachen von Neurosen sind vielfältig und oft komplex. Sie können sowohl im Kindesalter als auch im Erwachsenenalter auftreten. Häufige Auslöser sind:

  • Frühkindliche Konflikte: Traumata durch Misshandlungen oder ähnliche Ereignisse.
  • Kritische Lebensereignisse: Todesfälle, Scheidung der Eltern, Beziehungsprobleme, Schwierigkeiten im Beruf.
  • Störungen der Sexualentwicklung: Unbewusste Konflikte und Schwierigkeiten im Bereich der Sexualität.
  • Eigene charakterliche Besonderheiten: Scheu, Gehemmtheit, Introvertiertheit, gefühlverdrängende Persönlichkeit.
  • Ungünstige Umwelteinflüsse: Überstarke Bindung an einen Elternteil, mangelhafte Zuneigung, Einschüchterung, Entmutigung.
  • Akute Belastungssituationen: Versagungserlebnisse, traumatische Erlebnisse.

Psychoanalytische Sichtweise

In der Psychoanalyse wird die Entstehung von Neurosen auf unbewusste Konflikte zurückgeführt, die in der Kindheit entstanden sind. Diese Konflikte können durch traumatische Erlebnisse, unterdrückte Ängste oder sexuelle Schwierigkeiten entstehen. Die Abwehrmechanismen, die eingesetzt werden, um diese Konflikte zu bewältigen, können langfristig zu neurotischen Symptomen führen.

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Kognitiv-behaviorale Sichtweise

Die kognitiv-behaviorale Therapie betrachtet Neurosen als Ergebnis fehlangepasster und erlernter Verhaltensweisen und Einstellungen. Nach diesem Ansatz sind Neurosen "unvernünftiges Verhalten von vernünftigen Menschen". Die Therapie zielt darauf ab, diese fehlerhaften Denkmuster und Verhaltensweisen zu erkennen und zu verändern.

Diagnose von Neurosen

Die Diagnose einer Neurose ist ein komplexer Prozess, der eine sorgfältige Anamnese und Untersuchung durch einen Psychologen oder Psychotherapeuten erfordert. Dabei werden verschiedene Methoden eingesetzt, um ein umfassendes Bild der psychischen Störung zu erhalten:

  • Gespräche: Ausführliche Gespräche mit dem Patienten, um die Symptome, die Lebensgeschichte und die aktuellen Belastungen zu erfassen.
  • Psychologische Tests: Einsatz von standardisierten Fragebögen und Tests, um die Art und den Schweregrad der Störung zu beurteilen.
  • Körperliche Untersuchung: Ausschluss organischer Ursachen für die Beschwerden.

Es ist wichtig, dass die Diagnose von einem qualifizierten Fachmann gestellt wird, um eine angemessene Behandlung zu gewährleisten.

Behandlung von Neurosen

Die Behandlung von Neurosen ist abhängig von dem spezifischen Störungsbild und dem Schweregrad der psychischen Störung. In der Regel werden folgende psychotherapeutische Methoden angewandt:

  • Verhaltenstherapie: Untersuchung von Verhaltensweisen, um diese nach Möglichkeit zu verändern. Kognitive Verhaltenstherapie ist besonders erfolgreich bei Ängsten. Hier liegt der Schwerpunkt der Behandlung darauf, Denkweisen und Verhaltensmuster zu überprüfen und dann zu ändern.
  • Psychoanalyse: Behandlung von psychischen Störungen, um die eigene Persönlichkeit zu analysieren, zu verstehen und fortzuentwickeln.
  • Hypnose: Technik, um Menschen in einen anderen Bewusstseinszustand zu versetzen, um somit verschüttete Erlebnisse aufzuarbeiten.
  • Systemische Psychotherapie: Psychotherapie mit Schwerpunkt auf den sozialen Zusammenhängen psychischer Störungen, wie etwa Beziehungen zu Familie und dem sozialen Umfeld.

Medikamentöse Therapie

In einigen Fällen kann eine medikamentöse Therapie sinnvoll sein, um die Symptome zu lindern. Dabei kommen vor allem Beruhigungsmittel und Antidepressiva zum Einsatz. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Medikamente die Ursachen der Neurose nicht beseitigen, sondern lediglich die Symptome unterdrücken. Daher sollte eine medikamentöse Therapie immer in Kombination mit einer Psychotherapie erfolgen.

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Psychosensorische Verfahren

Als dritte Säule der Neurosebehandlung werden sogenannte psychosensorische Verfahren eingesetzt. Dazu gehören z. B. die Klopfakupressur (EFT) oder Augenbehandlungen (EMDR, OEI nach Bradshaw und Kollegen). Bei der EFT werden die Endpunkte von Hauptenergiebahnen (Meridiane) des Körpers durch Beklopfen mit den Fingern angeregt.

Die EMDR ist eine Augenbewegungs-Desensibilisierung und Neuordnung. Dabei konzentriert sich der Patient auf die belastende Erinnerung und die damit verbundenen Gedanken und Gefühle. Gleichzeitig versetzt der Therapeut die Augen des Betroffenen mit langsamen Fingerbewegungen in eine rhythmische Aktion.

Selbsthilfe

Neben der professionellen Behandlung gibt es auch verschiedene Möglichkeiten der Selbsthilfe, die Betroffene nutzen können, um ihre Symptome zu lindern und ihre Lebensqualität zu verbessern:

  • Offener Umgang mit der Neurose: Sprechen Sie mit Ihrem Partner oder guten Freunden über das, was Sie belastet.
  • Stressreduktion: Schalten Sie akute belastende Faktoren aus und gewinnen Sie Freiräume zum Denken und Ausruhen.
  • Entspannungstechniken: Lernen Sie Entspannungsmethoden wie Autogenes Training oder Yoga. Auch Meditation kann helfen, zu sich selbst zu finden, Ruhe einkehren zu lassen und belastende Situationen in den Griff zu bekommen.
  • Johanniskraut: Johanniskrautpräparate können die Stimmung aufhellen. Achten Sie jedoch auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.

Vorbeugung von Neurosen

Um einer Neurose vorzubeugen, sollten Sie einige Verhaltensweisen beachten:

  • Symptome rechtzeitig erkennen und behandeln: Verdrängen Sie z.B. ungewöhnliche Ängste, Wünsche oder Triebe nicht. Besser ist es, sich damit bewusst zu befassen.
  • Stress vermeiden: Führen Sie Ihr Leben nicht unter Dauerbelastung. Schaffen Sie Ausgleich durch Sport und motivierende geistige Aktivität, pflegen Sie Ihre Sozialkontakte, essen Sie gesund und halten Sie sich fit.
  • Resilienz stärken: Bauen Sie Ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen auf, um mit schwierigen Erfahrungen besser umgehen zu können.
  • Kinder fördern: Üben Sie keinen übermäßigen Druck auf Ihre Kinder aus, etwa durch übertriebene Erwartungen an deren Leistungen, Reinlichkeit oder durch Strafandrohungen. Ermutigen Sie Ihre Kinder viel mehr, über Gefühle, Sorgen und Verletzungen zu sprechen.

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